Besuch bei Michael Ehn

von André Schulz
11.07.2018 – Österreich hat eine lange und große Schachgeschichte und in Wien gibt es jemanden, der sie bis ins Detail kennt: Der Schachhistoriker Michael Ehn. Wer in Wien zu Besuch ist, darf Michael Ehns Schachladen auf keinen Fall missen. | Fotos: André Schulz

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"Das meiste habe ich schon"

Österreich hat eine große Schachgeschichte. Wo fängt sie an? Als Wolfgang von Kempelen 1769 seine Schachmaschine vorstellte, den "Schachtürken", muss das Spiel schon populär gewesen sein. Der eigentlich aus Deutschland stammende erste große österreichische Schachmeister Allgaier war einer der Spieler, die einst versteckt im Inneren des "Türken" wirkten, und der Maschine vermeintlich "Schachintelligenz" einhauchten. Das Ganze war allerdings ein Schmu oder Fake, wie man heute sagen würde. Kein Schmu war aber das große Schachverständnis des Johann Baptist Allgaier. Ende der 1780er Jahre kam er nach Wien, gewann einen Schachwettkampf um 1500 Gulden und erwarb sich den Ruf als bester Spieler Wiens und Österreichs. Er war Schachlehrer am Wiener Kaiserhof und widmete sein Schachlehrbuch "Neue theoretisch-praktische Anweisung zum Schachspiele", das erste eigenständige Schachlehrbuch in deutscher Sprache, seinen Schülern, den Erzherzögen Anton Rainer und Ludwig Rudolf. Schach war zu dieser Zeit aber schon lange nicht mehr das Spiel der Könige, sondern wurde in den Kaffeehäusern der europäischen Metropolen gespielt. Eines der großen Schachzentren war Wien.

Große österreichische Schachgeschichte

Die Liste der großen österreichischen Meister vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den Kriegen ist lang: Adolf Albin, Johann Berger, Berthold Englisch, Ernst Falkbeer, Oscar Gelbfuhs, Carl Hamppe, Ignaz von Kolisch, Georg Marco, Julius Perlis, Adolf Schwarz, Rudolf Spielmann, Miksa Weiss, Siegfried Reginals Wolf, nicht zu vergessen Wilhelm Steinitz und Carl Schlechter und etwas später noch Ernst Grünfeld, Josef Lokvenc und Hans Kmoch. Viele Meister aus anderen Ländern hielten sich her ebenfalls lange auf, darunter Savielley Tartakover oder Richard Reti. Einige der Spieler sind vergessen, aber nicht völlig. Denn Wien hat ein lebendes Schachgedächtnis, und das ist der Historiker und Autor Michael Ehn.

Schachladen Michael Ehn

Michael Ehn kann man leicht treffen, denn er hat einen Schachladen, "Schach und Spiele Mag. Michael Ehn", in der Gumpendorfer Straße. Der Laden befindet sich in Sichtweite des "Haus des Meeres", einem zu einem Aquarium umgebauten Flakbunker, unweit der Mariahilfer Straße, einer der Haupteinkaufsstraßen Wiens.

 

Drei Räume gibt es in Michael Ehns Schachladen. Im Vorderraum sind dekorative Schachspiele und Turnierschachspiele zum Verkauf ausgestellt. Im zweiten Raum stehen in der Mitte drei Tische mit Schachbrettern, auf denen man gleich spielen oder analysieren kann, drumherum stehen Regale mit Büchern und Zeitschriften. Und der dritte Raum ist eine Art Vorratskammer, mit Kartons voller Bücher, gebundenen Jahresbänden alter Zeitungen und ähnlichem.

Dekorative Spiele

Treffpunkt Schachladen

"Die ganz großen Zeiten sind vorbei", sagt Michael Ehn. Früher verging praktisch kein Tag, an dem sich nicht die Schachspieler in seinen Räumen trafen, quatschten, Blitzpartien fegten und am Ende vielleicht auch ein Buch mitnahmen. Jetzt ist es stiller geworden. Einige Schachfreunde sind aber trotzdem da und verwickeln den Inhaber ins Gespräch. Das Schach zum Anfassen hat Konkurrenz durch das Internet bekommen. Dort kann man ohne Ansicht des Gegners auf dem virtuellen Schachbrett spielen. Überall auf der Welt gibt es potenzielle Schachpartner. Heute ist es nicht mehr zwingend erforderlich, dass man sich irgendwo zum Schach verabredet oder dorthin geht, wo es man Schachspieler vermutet, also bei Michael Ehn zum Beispiel.

Was gibt es Neues?

Michael Ehn wurde 1960 im Burgenland geboren. Zum Studium ging er nach Wien und legte 1986 seine Diplomarbeit über die "Lebensgeschichten von sozial Devianten" vo, gemeint sind Abweichler von der bürgerlichen Lebensvorstellung. 1989 erschien noch eine weitere Arbeit über Abweichende Lebensgeschichten, die sich mit dem Leben von Stadtstreichern beschäftigt.

1992 übernahm Michael Ehn den Wiener Schachverlag von Herbert Huber. Der Verlag besaß ein Ladenlokal in einem Kellergewölbe in der Kochgasse. 1998 siedelte Michael Ehn in die Gumpendorfer Straße 60 um. Sein Schachladen dort ist schick. Auch in Wien gibt es inzwischen neben dem Vereinschach Schachwettkämpfe im Rahmen des Betriebssports. Michael Ehns Schachladen unterhält eine eigene Betriebsschachmannschaft und fördert mit dieser Talente. Dazu gehören die jungen Wiener Spieler Valentin Dragnev (geb. 1999) und Felix Blohberger (geb. 2002).

Autor und Sammler

Michael Ehn verkauft nicht nur in seinem Schachladen Schach und Schachgeschichte. In vielen Büchern und Artikeln vermittelt er, oft zusammen mit Erich Strouhal, Schachkultur. Zu Michael Ehns Veröffentlichungen gehören Bücher über Ernst Grünfeld (1993) und Rudolf Spielmann (1996) oder über die Wiener Schachgeschichte ("Luftmenschen", 1998, zusammen mit Ernst Strouhal). 2010 erschien "Alles über Schach: Mythen, Kuriositäten, Superlative (Zusammen mit Hugo Kastner). 2013 veröffentlichte er ebenfalls mit Hugo Kastner ein Buch über Schachkompositionen (Schachkompositionen: Die besten Aufgaben und Komponisten der Schachgeschichte. Mit über 500 Rätseln und Lösungen"). 2014 folgte in neuerlicher Zusammenarbeit mit Hugo Kastner "Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte". Michael Ehns jüngstes Buch beschäftigt sich wieder mit der Wiener Schachgeschichte: "Geniales Schach im Wiener Kaffeehaus 1750-1918" (2017).

Michael Ehn vor seinem Laden

Neben den Buchveröffentlichungen hat Michael Ehn unzählige  Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften zu ausgewählten Aspekten der Schachkulturgeschichte veröffentlicht. Seit 1990 betreut er zudem die wöchentliche Schachkolumne im Standard.

Und dann gibt es auch noch den Sammler Michael Ehn. Die Wikipedia weiß, dass er schon Mitte der 1990er Jahre 12.000 Bücher mit schachgeschichtlichem und schachhistorischem Inhalt besaß. Inzwischen sind sicher noch einige Bücher hinzu gekommen. "Es lohnt sich für mich heute nicht mehr, ganze Sammlungen zu kaufen," resümiert Ehn. "Das meiste habe ich schon, zwei oder drei Bücher einer großen Sammlung vielleicht nicht." Zudem gilt Ehn als Besitzer der größten Schachfoto-Sammlung. "Bei vielen  Sammlungen waren auch Fotos dabei", erklärt er. Da kommt dann einiges zusammen.

Bücher, Bücher

Einen Wunsch möchte sich Michael Ehn aber gerne erfüllen: "Ich würde gerne ein großes Buch über die Schachgeschichte Österreichs veröffentlichen", sagt Michael Ehn. "Das Manuskript ist längst fertig, es fehlt nur ein Verlag, der das Buch drucken möchte." 

Eine Webseite hat sein Laden auch, aber besser, man geht persönlich dort hin.

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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