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Der Club der unverbesserlichen Optimisten beginnt mit einer Beschreibung der Beerdigung von Jean-Paul Sartre, der die intellektuelle Atmosphäre der Nachkriegszeit in Frankreich maßgeblich geprägt hat, im Buch immer mal wieder auftaucht, und der am 15. April 1980 gestorben ist.
Der Roman selbst spielt jedoch im Paris der Jahre 1959 bis 1964, Hauptperson und Ich-Erzähler ist Michel, der zu Beginn der Handlung 12 Jahre alt ist. Der Roman beschwört die Atmosphäre herauf, die in diesen Jahren in Paris und in Frankreich herrschte, und behandelt politische Themen wie den Algerienkrieg, den Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus, die sich allmählich ändernden Rollenbilder von Mann und Frau, aber auch die erste Liebe und die Schwierigkeiten eines Heranwachsenden, Orientierung im Leben zu finden.
Jean Paul Sartre 1967 (Foto: Moshe Millner, Wikipedia)
Der Titel bezieht sich auf den „Club der unverbesserlichen Optimisten“, einer Gruppe von Emigranten, die sich im Hinterzimmer eines Cafés treffen, um dort Schach zu spielen, zu diskutieren und sich an ihre Heimat zu erinnern. Die Mitglieder dieses Clubs stammen vor allem aus der Sowjetunion, Bulgarien, Ungarn oder anderen Ländern des Ostblocks, manche von ihnen sind unpolitisch, andere überzeugte oder desillusionierte Kommunisten. Als Emigranten in Paris bilden sie eine Einheit, aber untereinander sind sie zerstritten oder sogar Feinde.
Eines Tages beschließen Leonid und Wiktor, zwei langjährige Clubmitglieder, den anderen Emigranten einen Streich zu spielen und mit einer fingierten Schachpartie beim Wetten zu betrügen. Michel, Schachanfänger und Neuling im Club, kommt bei diesem Schwindel eine zentrale Rolle zu, denn er soll gegen Leonid, den besten Schachspieler unter den „Optimisten“ antreten. Damit Michel überzeugend gewinnt, spielt Leonid blind, und er und Michel lernen eine Partie auswendig, die zu einem Sieg für Michel führen soll.
„Um sicher zu sein, daß kein Clubmitglied sie kannte, hatte Leonid die Partie ausgewählt, die 43 anläßlich des Finales des obskuren Turniers von Swerdlowsk gespielt und von Botwinnik [gegen Alexander Konstantinopolsky] gewonnen worden war. ... Ich habe vierzehn Tage gebraucht, um die Partie auswendig zu lernen. Ich habe sie Dutzende Male wiederholt. Nachts träumte ich davon. Ich durfte keinen Fehler machen. Ich habe Botwinniks zweiundfünfzig Züge mit den Weißen gelernt, ebenso die einundfünfzig Züge von Konstantinopolsky, ausgeführt von Leonid.“ (Jean-Michel Guenassia, Der Club der unverbesserlichen Optimisten, Berlin, Insel Verlag 2013, Erstveröffentlichung 2011, S. 486-487)
Mikhail Botvinnik (Foto: Harry Pot, Holländisches Nationalarchiv, Wikipedia)
Zunächst läuft alles glatt – doch dann hält sich Leonid nicht mehr an das, was vereinbart worden war:
„Beim einundvierzigsten Zug sollte ich ihm seinen schwarzen Turm nehmen und den Tausch der Türme erzwingen, um seinen letzten Läufer zu schlagen. ... Ich hatte getan, was wir vereinbart hatten. Leonid wich von der Linie ab. Statt seinen Turm von g1 nach f1 zu ziehen, wie Konstantinopolsky es getan hatte, setzte er seine Dame auf c6. Ich wußte nicht, wie ich reagieren sollte. Das war nicht vorgesehen! Ich stieß ihn unter dem Tisch mit dem Fuß an. Er grinste. Plötzlich begriff ich. Er hatte etwas Besseres entdeckt. Er konnte nicht widerstehen. Er wußte, daß es ihn ein kleines Vermögen kosten würde. ... Botwinnik würde verlieren.“ (S.496)
Doch kurz bevor Michel die Partie tatsächlich verliert, fegt Wiktor, der den Betrug mit Leonid ausgeheckt und organisiert hatte, die Figuren vom Tisch. Das führt zu einer Schlägerei, doch am Ende kommen alle Beteiligten „nach langer Diskussion zu dem Schluss, die Wetten nicht auszuzahlen. Jeder beließ es dabei, nicht unzufrieden, so billig davonzukommen“ (S. 495-497).
Diese Szene illustriert, wie ambivalent die Verhältnisse der „unverbesserlichen Optimisten“ untereinander sind. Als Emigranten halten sie zusammen, aber zugleich betrügen sie sich und setzen Kämpfe fort, die in ihrer Zeit in der Sowjetunion und im Ostblock begonnen haben. So hat Leonid die Möglichkeit, viel Geld zu gewinnen, aber er zieht es vor, einen symbolischen Sieg gegen Botwinnik, den Repräsentanten des Sowjetschachs, zu erzielen.
Merkwürdig wird es allerdings, wenn man die Spur der im Roman erwähnten Schachpartie verfolgt. Tatsächlich haben Botvinnik und Konstantinopolsky in Swerdlowsk 1943 gegeneinander gespielt, sogar zwei Partien. Eine gewann Botvinnik mit Weiß, die andere endete mit Remis.
Aber die Partiebeschreibung im Roman passt nicht zur tatsächlichen Partie. Denn wären Leonid und Michel dieser Partie gefolgt, dann hätte Leonid seine Dame nicht nach c6 ziehen können, denn in der Partie wurden die Damen bereits im 18. Zug getauscht.
Was ist da passiert? Hat der Autor den Verlauf der Partie Botvinnik-Konstantinopolsky, Swerdlowsk 1943, falsch erinnert oder diese Partie mit einer anderen verwechselt? Aber eigentlich sollte man erwarten, dass jemand, der in der Lage ist, eine so unbekannte Partie zu finden, genug vom Schach versteht, um diese Partie auch richtig zu beschreiben. Andererseits wirken die Schachpassagen stilistisch holprig – was natürlich auch an der Übersetzerin, die vielleicht mit der typischen Schachterminologie nicht vertraut war, liegen kann.
Vielleicht hat Guenassia bei seinen Schachrecherchen ja tatsächlich geschludert – Schach wird in Film und Literatur bekanntlich oft anders dargestellt, als es in Wirklichkeit ist. Aber vielleicht erlaubt sich Guenassia hier auch nur ein besonders raffiniertes Spiel mit seinen Lesern. Denn ein zentrales Thema des Buchs ist der Betrug – im Roman betrügen sich Ehepartner, Liebespaare sagen sich nicht die Wahrheit, Eltern und Kinder lügen und von den „unverbesserlichen Optimisten“ ist kaum jemand der, der er zu sein vorgibt. So hat einer der zentralen Charaktere des Buches vor seiner Flucht aus der Sowjetunion beim Geheimdienst gearbeitet, wo er Fotos retuschiert und vernichtet hat, um Erinnerungen auszulöschen und die Geschichte umzuschreiben. Und auch die Schachpartie zwischen Michel und Leonid kommt nur zustande, weil die beiden einen Betrug inszenieren.
So ist es durchaus möglich, dass Guenassia seine Leser bei der Beschreibung der Schachpartie zwischen Botvinnik und Konstantinopolsky (und Michel und Leonid) bewusst in die Irre lockt, um ihnen das Gefühl zu geben, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint – und so das typische Lebensgefühl der Mitglieder des Clubs der unverbesserlichen Optimisten zu illustrieren.