"Bastard-Indisch"
Von Rainer Schlenker
Der Scan hat die Farbe verfälscht. In Wirklichkeit ist das Cover eher
giftgrün
Das Buch - mehr: die Broschüre - "Bastard-Indisch" würde
niemals einen Preis für gelungene Buchbinderkunst gewinnen. Das will es auch
nicht. Hier geht es mal wirklich nur um den Inhalt. Auch der Layouter war
übrigens kein Meister seines Fachs, was man auch dann erkennt, wenn der
einst kritische Blick durch das Lesen vieler Schachbücher schon arg getrübt
ist. Manche Abschnitte im Heft verwenden auch eine ziemlich kleine
Schriftgröße. Das erweckt den Eindruck, als würden die Zeilen sich eng
aneinander kuscheln, vielleicht weil sie Angst vor sich selber haben und dem
was der Autor mit ihnen zum Ausdruck bringt. Hier werden nämlich Varianten
vorgeschlagen, denen man nicht im Dunklen begegnen möchte.
Mit "Bastard-Indisch" spricht Rainer Schlenker die Zocker und
Kaffeehausspieler mit Gebrauchtwagenhändler-Mentalität an. So wie früher
Stabsaugervertreter gutgläubigen Hausfrauen minderwertige Sauggeräte im
Tausch (natürlich mit gehörigem Aufpreis) gegen ihre eigentlich
einwandfreien "Altgeräte" andrehten, so bietet Schlenker allerlei gemeine
Tricks für den Naturspieler, dem es nicht ums Schach geht, sondern darum,
den Gegner - gerne auch mit unerlaubten Griffen - von der Matte bzw. hier vom
Brett zu werfen. Im Nu werden nämlich mit den angegebenen Varianten den
Schachästheten die harmonischen Stellungen in unübersichtliche
Figurenklumpen verwandelt.
Als Beleg für das Gesagte, hier ein paar willkürlich gewählte
Beispielvarianten aus dem Buch:
Schon die Titelvariante gibt zu denken und widerspricht jeder Schachlehre:
1.c4 g5
Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Wohin will denn der
schwarze König später rochieren. Oder will er das gar nicht?
1.e4 e6 2.d4 b5 3.Lxb5 Lb7
Bauer weg.
1.d4 e5
Hier auch. Den Db4-Trick dieser Eröffnung dürfte wohl jeder kennen.
1.d4 e5 2.Sc3!?
Als wenn man nicht auf e5 ohne Schaden nehmen könnten...
1.d4 g6 2.e4 Sf6 3.e5 Sh5
Randspringer! Die Variante wird Norwegisch genannt. Ob Magnus Carlsen
dagegen Einspruch erheben kann?
1.d4 b5 2.f4 g5
Kein Kommentar
1.Sf3 g5 2.Sg5 e5 (Oberndorfer Gambit)
Urkks
1.e4 g5 (Basman-Defence)
Was hätte aus Basman werden können, wenn er nicht diesen Spleen gehabt
hätte...
Geradezu seriös mutet in dieser Sammlung jetzt das Lettische
Gambit an.
Insgesamt sind 152 Seiten mit derlei Zügen und reichlich anregenden
Beispielpartien bedruckt, zumeist starke Kost, die man besonders als Neuling
nur sehr dosiert und am besten unter ärztlicher Aufsicht zu sich führen
sollte. Wer alles durchgearbeitet hat, wird wohl niemals mehr ins normale
Leben zurückfinden.
Nicht alle Beispiele sind allerdings so extrem wie die oben zitierte
Auswahl. Manche Ideen sind tiefzügiger und kommen erst im fortgeschrittenen
Eröffnungsspiel zur Anwendung. Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang
noch das Halloween-Gambit, das in Kaissiber 27 (2007) eine ausführliche
Würdigung erfuhr:
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6 und nun, bevor Langeweile aufkommt: 4.Sxe5!?
Sxe5 5.d4 Nun werden die schwarzen Springer gejagt und vielleicht sind für
eine abschließende Bewertung die gegenwärtigen Engines im Moment einfach
noch zu schwach.
"Bastard-Indisch" bietet eine Fülle von originellen Ideen für das
Eröffnungsspiel, besonders für die Partien in der eigenen Schachkarriere, in
denen nicht ein Remis zum Turniersieg reicht. Der Autor trägt die Beispiele
überzeugend vor - am liebsten selbst am Brett - und nicht ohne Humor.
Vielleicht ist Humor sowieso der Hauptantrieb für die Anwendung solcher
Varianten. Der Gegner wird zur Strecke gebracht und nicht einmal mit
objektiv korrektem Schach. Und: "In den ersten drei Zügen ist alles
erlaubt!", wusste schon Tartakower.
In seiner Bewerbung weist Rainer Schlenker darauf, dass seinem alten
Schachkumpel Matthias Deutschmann das Heft gut gefallen hat, wohl weil
dieser Kabarettist ist, wie er selber anmerkt. Wer Matthias Deutschmann z.B.
in seiner Partie gegen Susan Polgar gesehen hat - Blackmar-Diemer-Gambit! -
ahnt schon, wessen Schachschule der Freiburger entsprungen ist. Das Cello
ist doch nur schöngeistige Tarnung - auf Deutschmanns Brett regiert die Axt!
Auf keinen Fall aber sollte das Buch "Bastard-Indisch" in die Hände von
minderjährigen Schachfreunden fallen! Sonst wird deren Stil für immer
verdorben.
Schützen Sie Ihre Kinder!
Bastard-Indisch: kartoniert 14,80 Euro
Bezug:
Randspringer-Verlag
Rainer Schlenker
78056 VS-Schwenningen
Tel: 07729-4620446
André Schulz