Bizarre Anfangszüge und eine frühe Neuerung

von ChessBase
13.08.2009 – Neuerungen nach dem 20. Zug? Das muss nicht sein. In Aronian – Kamsky, Jermuk 2009, neuerte der Armenier bereits im 5. Zug; weitere fünf Züge danach hatte er im höheren Sinne eine Gewinnstellung auf dem Brett. Was die bizarren Anfangszüge 1.c4 g6 2.e4 e5 3.d4 mit Grünfeld-Indisch zu tun haben, hat Mihail Marin in CBM 126 erklärt; wir geben seinen Beitrag hier in einer gekürzten Fassung wieder. Kamsky hat Marins Analysen aber bestimmt nicht zu sehen bekommen.Aronian-Kamsky mit leichten KommentarenCBM 126 im Shop Mihail Marin zur Variante 1.c4 g6 2.e4 e5 3.d4

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Eine mögliche Ergänzung zu Grünfeld

Eine mögliche Ergänzung zu Grünfeld

Von Mihail Marin

1.c4 g6 2.e4 e5

Es ist bekannt, dass die zentrale Idee der Grünfeld-Verteidigung darin besteht, den weißen d4-Bauern zu unterminieren. Daher sind die Anti-Grünfeld Systeme, die auf Verzögerung des Zuges d4 und früher Entwicklung der Dame basieren (zum Beispiel: 1.c4 Sf6 2.Sf3 g6 3.Sc3 d5 4.Da4+), meist etwas unangenehm für Schwarz. Obwohl nicht gänzlich klar ist, ob diese Abspiele Weiß bessere Chancen auf Vorteil bieten als die Grünfeld-Hauptvarianten, kann man sie psychologisch als kleinen Erfolg betrachten dahingehend, dass der erhaltene Stellungstyp nicht dem entspricht, den Schwarz angestrebt hat. Doch der Verzicht auf die sofortige Besetzung des Zentrums mit d4 bietet Schwarz einige Möglichkeiten, vom Standardverlauf der Ereignisse abzuweichen.

Kürzlich kommentierte ich fürs CBM 125 die Partie Van Wely - Ivanchuk, in welcher die gespielte Eröffnung eine gewisse Ähnlichkeit hatte mit einem System, das in den 70er Jahren zu Populärität gelangte und das, obwohl es in der heutigen Turnierpraxis ein seltener Gast zu sein scheint, nie widerlegt wurde. Der vorliegende Artikel soll eine Übersicht bieten über diese originelle Variante, deren Farben in der Praxis von diversen starken Großmeistern aus Ungarn und der ehemaligen Tschechoslowakei vertreten wurde.

Nach 1.c4 lautet eine häufige Antwort für Schwarz 1...g6. Nun gilt 2.Sc3 c5 als sicher für ihn (3.Sf3 Lg7 4.d4 cxd4 5.Sxd4 Sc6 6.Sc2 Lxc3!?+), während 2.d4 Sf6 wieder auf echte Grünfeld-Pfade überschwenkt. 2.Sf3 Lg7 schiebt den kritischen Moment nur einen Zug lang auf, was 2.e4 zur kritischen Fortsetzung macht.

Es mag so aussehen, als sei Schwarz in einen Königsinder oder die Moderne Verteidigung (2...Lg7 3.d4) gelockt worden bzw. in den passiven Maroczy-Sizilianer (2...c5 3.Sf3 Lg7 4.d4), aber überraschenderweise gibt es eine Abweichung: 2...e5.

C) Er wird nun klar, dass der Anziehende schon in früherer Phase einen anderen Pfad einschlagen sollte. Der beste Moment dazu ist im dritten Zug, gerade bevor der Läufer nach g7 entwickelt wird. Nach 1.c4 g6 2.e4 e5 spielt Weiß 3.d4.

Dieser Kurswechsel ist für den Nachziehenden etwas lästig. 3...exd4 wäre nicht empfehlenswert, denn nach 4.Dxd4 Sf6 5.Lg5 erzwingt die Drohung e5 das passive 5...Le7. Die Konsolidierung des Zentrums mit 3...d6 ist vermutlich in Ordnung, mit möglichem Übergang zu einem "normalen" Abspiel der Modernen Verteidigung, bleibt aber außerhalb unseres Schlüsselthemas: Durch derart frühes Vorrücken seines d-Bauern mindert Schwarz seine Chancen auf einen erfolgreichen Durchbruch im Zentrum.

Die Spezialisten in dieser Variante verlassen sich hauptsächlich auf den Entwicklungszug (und Gegenangriff) 3...Sf6.

Weiß hat diverse Fortsetzungsmöglichkeiten.

4.Sc3 ist nicht sonderlich populär, hat aber durchaus seinen Sinn. Schwarz gewinnt zwar Zeit mit 4...exd4 5.Dxd4 Sc6, doch wird es ihm nicht sonderlich leicht fallen, die Stellung zu öffnen. Siehe Robatsch,K - Kortschnoj,V 0-1.

4.dxe5 sieht aus wie ein kritischer Test, aber in der Praxis hatte der Anziehende durchaus Mühe, aus der exponierten Stellung des schwarzen Springers nach 4...Sxe4 Kapital zu schlagen. Bezüglich 5.Dd4 siehe Ree,H - Ribli,Z ½-½, bezüglich 5.Dd5 - Polugaevsky,L - Adorjan,A 1-0 und bezüglich 5.Ld3 - Quinteros,M - Jansa,V 0-1. In all diesen Partien bietet die vorschobene Stellung des e-Bauern Schwarz ausgezeichnetes Gegenspiel mit entweder ...d6 oder ...f6.

Relativ erfolgreich war Weiß in der Praxis mit dem logischen Entwicklungszug 4.Sf3.

Die Spannung im Zentrum ist recht komplex geworden, und Schwarz muss seine Schritte genau berechnen. Wie in ähnlicher Lage oben ist 4...d6 auch hier nicht interessant, da dies die Absichten dieses Bauern zu früh festlegt.

C1) Daher besteht der einzige Weg, die Spannung aufrechtzuerhalten, in dem leicht überraschenden Zug 4...Lb4+. Von diesem Schach werden wir später noch mehr sehen. Es mag so aussehen, als hätte sich ...g6 als reiner Zeitverlust entpuppt, durch den gleichzeitig noch das Feld f6 geschwächt wurde, aber eine ähnliche Situation gibt es auch in der Schottischen Eröffnung (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sxc6 bxc6 6.e5 De7 7.De2 Sd5 8.c4 Sb6 9.Sc3 De6 10.De4 g6 11.Lf4 Lb4). Der g6-Bauer schränkt den weißfeldrigen Läufer des Anziehenden etwas ein und räumt das Feld g7 für den Springer (oder König). Daher nur keine voreiligen Schlüsse, überprüfen wir die Sache konkret.

Das Abspiel verläuft mit 5.Ld2 Lxd2+ 6.Dxd2 Sxe4, und es sieht so aus, als hätte der Nachziehende es geschafft, die Lage zu komplizieren. Doch die Partie Portisch,L - Sax,G 1-0 lässt ernste Zweifel an der schwarzen Strategie aufkommen. Das für ...g6 eingesetzte Tempo scheint in dieser dynamischen Stellung von lebenswichtiger Bedeutung zu sein.

Daher scheint es, als sollte Schwarz seine Zentrumspositionen noch nicht aufgeben. 4...Sxe4 erlaubt Weiß, mit 5.Ld3 Zeit für seine Entwicklung zu gewinnen, und ist daher nicht zu empfehlen. Siehe die Partie Ubilava,E - Sion Castro,M 1-0.

C2) Der andere Weg, die Spannung aufzuheben, besteht in 4...exd4. Nach 5.e5 stellt sich plötzlich heraus, dass 5...Se4 6.Dxd4 im Vergleich zur Variante 4.dxe5 Sxe4 5.Dd4 für Weiß ein ganzes Tempo gewinnen würde. Daher muss Schwarz zu dem Zwischenschach 5...Lb4+ greifen.

Das Hauptabspiel verläuft mit 6.Ld2

6...De7 7.Lxb4 Dxb4+ 8.Dd2 Dxd2+ 9.Sbxd2 Sh5 10.Sxd4 Sc6 11.Sxc6 dxc6.

Zeitgenössische Spieler sind mit dieser Art "Berliner Struktur" vertraut, im Gegensatz zu dieser Spanischvariante kommt hier aber Schwarz nicht in den Genuss des Läuferpaars. In der Praxis allerdings waren seine Resultate recht akzeptabel. Ein wichtiges Detail zu seinen Gunsten liegt darin, dass der weit vorgerückte e-Bauer leicht anfällig ist, genau wie die ihn umgebenden Felder. Dies erlaubt dem Nachziehenden, auf Blockade zu spielen, was manchmal zum Remis führt in einer Stellung, die nur optisch besser für Weiß ist. Ein weiteres Kernelement ist die Tatsache, dass der schwarze König noch nicht das Rochaderecht eingebüßt hat. Siehe Polugaevsky,L - Timman,J 0-1 und Stean,M - Jansa,V ½-½.

Als jemand, der flexible Bauernstrukturen schätzt, habe ich Verständnis für diejenigen, die von der Spielbarkeit der Stellung des Nachziehenden nicht gänzlich überzeugt sind. Zu seinem Glück gibt es eine mögliche Abweichung im sechsten Zug: 6...Lxd2+ 7.Dxd2 De7, was nur einmal gespielt wurde, und zwar in Stohl,I - Navara,D ½-½. Sicherlich ist hier weitere Praxis erforderlich, aber auf den ersten Blick sieht die schwarze Stellung absolut lebensfähig aus.

Fazit: Um Chancen auf Vorteil zu haben, sollte Weiß baldmöglichst das Zentrum öffnen, nämlich im dritten Zug. Obwohl Schwarz hier etwas unter Druck zu stehen scheint, mag genaues Spiel nach ...Lb4+ mit den oben erwähnten zwei möglichen Fortsetzungen zu ungefährem Ausgleich reichen. Da die Variante vor vielen Jahren mehr oder weniger aus der Mode kam, ist hier noch jede Menge Forschungsspielraum.

Schließlich möchte ich noch hinzufügen, dass dieser ganze Aufbau (2...e5) auch gegen 1.Sf3 von einigem praktischen Wert ist. Nach 1...g6 2.d4 kann Schwarz mit 2...Sf6 auf die normalen Pfade überschwenken, während 2.c4 Lg7 fast sicher zu unserem System führen wird bzw. zu irgendeinem gemächlichen Englisch-Abspiel ohne unmittelbare Gefahren für den Nachziehenden. Allein 2.e4 kann Repertoireprobleme bereiten, da dies Schwarz mehr oder weniger zu Pirc zwingt. Mit dem Springer schon auf f3 sind allerdings die gefährlichsten Abspiele wie Lg5, f4 oder frühes Le3 für Weiß nicht mehr möglich.


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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