 
Eine
mögliche Ergänzung zu Grünfeld
Von
Mihail Marin
1.c4 g6
2.e4 e5
Es ist
bekannt, dass die zentrale Idee der Grünfeld-Verteidigung darin
besteht, den weißen d4-Bauern zu unterminieren. Daher sind die Anti-Grünfeld
Systeme, die auf Verzögerung des Zuges d4 und früher Entwicklung der
Dame basieren (zum Beispiel: 1.c4 Sf6 2.Sf3 g6 3.Sc3 d5 4.Da4+), meist
etwas unangenehm für Schwarz. Obwohl nicht gänzlich klar ist, ob diese
Abspiele Weiß bessere Chancen auf Vorteil bieten als die Grünfeld-Hauptvarianten,
kann man sie psychologisch als kleinen Erfolg betrachten dahingehend,
dass der erhaltene Stellungstyp nicht dem entspricht, den Schwarz
angestrebt hat. Doch der Verzicht auf die sofortige Besetzung des
Zentrums mit d4 bietet Schwarz einige Möglichkeiten, vom
Standardverlauf der Ereignisse abzuweichen.
Kürzlich
kommentierte ich fürs CBM 125 die Partie Van Wely - Ivanchuk, in
welcher die gespielte Eröffnung eine gewisse Ähnlichkeit hatte mit
einem System, das in den 70er Jahren zu Populärität gelangte und das,
obwohl es in der heutigen Turnierpraxis ein seltener Gast zu sein
scheint, nie widerlegt wurde. Der vorliegende Artikel soll eine Übersicht
bieten über diese originelle Variante, deren Farben in der Praxis von
diversen starken Großmeistern aus Ungarn und der ehemaligen
Tschechoslowakei vertreten wurde.
Nach 1.c4
lautet eine häufige Antwort für Schwarz 1...g6. Nun gilt 2.Sc3
c5 als sicher für ihn (3.Sf3 Lg7 4.d4 cxd4 5.Sxd4 Sc6 6.Sc2 Lxc3!?+), während
2.d4 Sf6 wieder auf echte Grünfeld-Pfade überschwenkt. 2.Sf3 Lg7
schiebt den kritischen Moment nur einen Zug lang auf, was 2.e4
zur kritischen Fortsetzung macht.
Es mag so
aussehen, als sei Schwarz in einen Königsinder oder die Moderne
Verteidigung (2...Lg7 3.d4) gelockt worden bzw. in den passiven
Maroczy-Sizilianer (2...c5 3.Sf3 Lg7 4.d4), aber überraschenderweise
gibt es eine Abweichung: 2...e5.

C)
Er wird nun klar, dass der Anziehende schon in früherer Phase einen
anderen Pfad einschlagen sollte. Der beste Moment dazu ist im dritten
Zug, gerade bevor der Läufer nach g7 entwickelt wird. Nach 1.c4 g6 2.e4
e5 spielt Weiß 3.d4.

Dieser
Kurswechsel ist für den Nachziehenden etwas lästig. 3...exd4 wäre
nicht empfehlenswert, denn nach 4.Dxd4 Sf6 5.Lg5 erzwingt die Drohung e5
das passive 5...Le7. Die Konsolidierung des Zentrums mit 3...d6 ist
vermutlich in Ordnung, mit möglichem Übergang zu einem
"normalen" Abspiel der Modernen Verteidigung, bleibt aber außerhalb
unseres Schlüsselthemas: Durch derart frühes Vorrücken seines
d-Bauern mindert Schwarz seine Chancen auf einen erfolgreichen
Durchbruch im Zentrum.
Die
Spezialisten in dieser Variante verlassen sich hauptsächlich auf den
Entwicklungszug (und Gegenangriff) 3...Sf6.

Weiß hat
diverse Fortsetzungsmöglichkeiten.
4.Sc3 ist
nicht sonderlich populär, hat aber durchaus seinen Sinn. Schwarz
gewinnt zwar Zeit mit 4...exd4 5.Dxd4 Sc6, doch wird es ihm nicht
sonderlich leicht fallen, die Stellung zu öffnen. Siehe Robatsch,K
- Kortschnoj,V 0-1.
4.dxe5
sieht aus wie ein kritischer Test, aber in der Praxis hatte der
Anziehende durchaus Mühe, aus der exponierten Stellung des schwarzen
Springers nach 4...Sxe4 Kapital zu schlagen. Bezüglich 5.Dd4 siehe Ree,H
- Ribli,Z ½-½, bezüglich 5.Dd5 - Polugaevsky,L
- Adorjan,A 1-0 und bezüglich 5.Ld3 - Quinteros,M
- Jansa,V 0-1. In all diesen Partien bietet die vorschobene Stellung
des e-Bauern Schwarz ausgezeichnetes Gegenspiel mit entweder ...d6 oder
...f6.
Relativ
erfolgreich war Weiß in der Praxis mit dem logischen Entwicklungszug 4.Sf3.

Die
Spannung im Zentrum ist recht komplex geworden, und Schwarz muss seine
Schritte genau berechnen. Wie in ähnlicher Lage oben ist 4...d6 auch
hier nicht interessant, da dies die Absichten dieses Bauern zu früh
festlegt.
C1)
Daher besteht der einzige Weg, die Spannung aufrechtzuerhalten, in dem
leicht überraschenden Zug 4...Lb4+. Von diesem Schach werden wir
später noch mehr sehen. Es mag so aussehen, als hätte sich ...g6 als
reiner Zeitverlust entpuppt, durch den gleichzeitig noch das Feld f6
geschwächt wurde, aber eine ähnliche Situation gibt es auch in der
Schottischen Eröffnung (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sxc6
bxc6 6.e5 De7 7.De2 Sd5 8.c4 Sb6 9.Sc3 De6 10.De4 g6 11.Lf4 Lb4). Der
g6-Bauer schränkt den weißfeldrigen Läufer des Anziehenden etwas ein
und räumt das Feld g7 für den Springer (oder König). Daher nur keine
voreiligen Schlüsse, überprüfen wir die Sache konkret.
Das
Abspiel verläuft mit 5.Ld2 Lxd2+ 6.Dxd2 Sxe4, und es sieht so
aus, als hätte der Nachziehende es geschafft, die Lage zu komplizieren.
Doch die Partie Portisch,L
- Sax,G 1-0 lässt ernste Zweifel an der schwarzen Strategie
aufkommen. Das für ...g6 eingesetzte Tempo scheint in dieser
dynamischen Stellung von lebenswichtiger Bedeutung zu sein.
Daher
scheint es, als sollte Schwarz seine Zentrumspositionen noch nicht
aufgeben. 4...Sxe4 erlaubt Weiß, mit 5.Ld3 Zeit für seine Entwicklung
zu gewinnen, und ist daher nicht zu empfehlen. Siehe die Partie Ubilava,E
- Sion Castro,M 1-0.
C2)
Der andere Weg, die Spannung aufzuheben, besteht in 4...exd4.
Nach 5.e5 stellt sich plötzlich heraus, dass 5...Se4 6.Dxd4 im
Vergleich zur Variante 4.dxe5 Sxe4 5.Dd4 für Weiß ein ganzes Tempo
gewinnen würde. Daher muss Schwarz zu dem Zwischenschach 5...Lb4+
greifen.
Das
Hauptabspiel verläuft mit 6.Ld2

6...De7 7.Lxb4
Dxb4+ 8.Dd2 Dxd2+ 9.Sbxd2 Sh5 10.Sxd4 Sc6 11.Sxc6 dxc6.

Zeitgenössische
Spieler sind mit dieser Art "Berliner Struktur" vertraut, im
Gegensatz zu dieser Spanischvariante kommt hier aber Schwarz nicht in
den Genuss des Läuferpaars. In der Praxis allerdings waren seine
Resultate recht akzeptabel. Ein wichtiges Detail zu seinen Gunsten liegt
darin, dass der weit vorgerückte e-Bauer leicht anfällig ist, genau
wie die ihn umgebenden Felder. Dies erlaubt dem Nachziehenden, auf
Blockade zu spielen, was manchmal zum Remis führt in einer Stellung,
die nur optisch besser für Weiß ist. Ein weiteres Kernelement ist die
Tatsache, dass der schwarze König noch nicht das Rochaderecht eingebüßt
hat. Siehe Polugaevsky,L
- Timman,J 0-1 und Stean,M
- Jansa,V ½-½.
Als
jemand, der flexible Bauernstrukturen schätzt, habe ich Verständnis für
diejenigen, die von der Spielbarkeit der Stellung des Nachziehenden
nicht gänzlich überzeugt sind. Zu seinem Glück gibt es eine mögliche
Abweichung im sechsten Zug: 6...Lxd2+ 7.Dxd2 De7, was nur einmal
gespielt wurde, und zwar in Stohl,I
- Navara,D ½-½. Sicherlich ist hier weitere Praxis erforderlich,
aber auf den ersten Blick sieht die schwarze Stellung absolut lebensfähig
aus.
Fazit:
Um Chancen auf Vorteil zu haben, sollte Weiß baldmöglichst das Zentrum
öffnen, nämlich im dritten Zug. Obwohl Schwarz hier etwas unter Druck
zu stehen scheint, mag genaues Spiel nach ...Lb4+ mit den oben erwähnten
zwei möglichen Fortsetzungen zu ungefährem Ausgleich reichen. Da die
Variante vor vielen Jahren mehr oder weniger aus der Mode kam, ist hier
noch jede Menge Forschungsspielraum.
Schließlich
möchte ich noch hinzufügen, dass dieser ganze Aufbau (2...e5) auch
gegen 1.Sf3 von einigem praktischen Wert ist. Nach 1...g6 2.d4 kann
Schwarz mit 2...Sf6 auf die normalen Pfade überschwenken, während 2.c4
Lg7 fast sicher zu unserem System führen wird bzw. zu irgendeinem gemächlichen
Englisch-Abspiel ohne unmittelbare Gefahren für den Nachziehenden.
Allein 2.e4 kann Repertoireprobleme bereiten, da dies Schwarz mehr oder
weniger zu Pirc zwingt. Mit dem Springer schon auf f3 sind allerdings
die gefährlichsten Abspiele wie Lg5, f4 oder frühes Le3 für Weiß
nicht mehr möglich.
|