Blick ins neue Chess 960 Yearbook

von Hartmut Metz
29.04.2025 – Chess 960, oder Freestyle Chess, erfährt derzeit einen Boom mit vielen Turnieren und Partien. Die Idee ist, dass jede neue Partie mit einer unbekannten Anfangsposition neue Herausforderungen mit sich bringt. Jetzt gibt es schon die erste große Partiensammlung, das Chess 960 Yearbook von Arno Nickel. Hartmut Metz hat es sich angesehen.

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Weiß steht im Freestyle Chess nicht auf Gewinn

Ausgiebige Untersuchung von Arno Nickel im „Chess960 Yearbook 2025“

Auch das noch! Schreck lass nach: „Chess960“ prangt über einem ungewöhnlichen Diagramm. Ein Jahrbuch mit Theorie zum Chess960? Es sieht aus wie die früheren schwarzen Theorie-Jahrbücher des englischsprachigen Verlags New in Chess. Es lässt auf den ersten Blick nichts Gutes für all die erahnen, die befreit von jeglicher Theorielast Schach spielen wollen. Freestyle Chess, wie es über Ostern hieß, gewann in Karlsruhe viele neue Freunde - nicht nur, weil die Teilnehmer alle mit Magnus Carlsen in einem Turnier spielen durften. Beim ersten Durchblättern legt sich kurzzeitig die Furcht, dass jetzt schon beim Chess960 angefangen wird, Eröffnungstheorie für die 959 Startaufstellungen abseits der einen „Normalposition“ zu entwickeln. Auf Seite 8 lässt Autor Arno Nickel im englischen Text durchscheinen, dass er beim Chess960 „ab dem ersten Zug Aufregung verspürt“. So auch bei seiner Teilnahme im A-Open in Karlsruhe.

Hommage an die Erfinder und Förderer

Daher ist sein Werk zunächst eine Hommage an die Erfinder von Chess960 und seine Förderer, allen voran Bobby Fischer, der Fischer Random Chess erdachte, und Hans-Walter Schmitt, der als Erster bei seinen Chess-Classic-Schnellschachturnieren die Variante nennenswert puschte und ihr mittels einer Umfrage bei den Teilnehmern 2002 den Namen Chess960 gab. Nun könnte der endgültige Durchbruch erfolgen, nachdem sich Magnus Carlsen zunehmend für Freestyle Chess begeistert – und Jan Henric Buettner mit weiteren Topspielern neben dem Norweger die Sache mit einer Grand-Slam-Tour groß aufzieht. So sollen sich in Las Vegas, kündigte Sponsor Buettner an, in ein paar Monaten im Freestyle Chess die Asse noch spektakulärer als in Karlsruhe messen.

Arno Nickel (links) trifft beim Freestyle-A-Open in Karlsruhe auf Hans-Walter Schmitt. Der Erfinder des Namens Chess960 und Förderer der Fischer-Variante remisierte mit dem Buchautor. Foto: Harald Fietz

Die Hoffnung, dass der enorme Theorieballast wie bei der Standardaufstellung, die im Chess960 die Auslosungsnummer 518 trägt, zu den Akten gelegt werden kann, trügt. Schon bald folgt auf den 352 Seiten eine kleine Ernüchterung: Der Fernschach-Großmeister hat mit dem Programm Stockfish tatsächlich die vier besten Eröffnungen für jede der 960 Startpositionen ermittelt! Somit finden sich 3.840 bewertete Eröffnungen mit acht oder mehr Anfangszügen. Gut ist dabei: Ungeachtet aller Unkenrufe, dass Weiß schon fast einen siegverheißenden Vorteil besitze, widerlegt Nickel das häufig von Kritikern verbreitete Vorurteil, Schwarz stehe „in einigen Stellungen von Anfang an platt“.

Startposition 868 ist für Weiß am besten

Nach den ersten neun Zügen steht der Anziehende laut Stockfish in der Startposition 868 (Da1, Lb1, Lc1, Td1, Ke1, Tf1, Sg1 und Sh1) mit 0,8 Bauerneinheiten am überlegensten. Dahinter folgt Position 783 (Da1, Tb1, Kc1, Sd1, Te1, Sf1, Lg1 und Lh1) mit 0,69 Bauerneinheiten. Rund ein halbes Dutzend weitere Stellungen garantieren Weiß +0,6 oder mehr. Aber die meisten Startformationen bieten Weiß nur einen akademischen Vorteil von ein bis zwei Zehntelpunkten, so wie die Spanische Verteidigung, die Stockfish als beste Eröffnung mit +0,21 im Normalschach bewertet. Ja, die Positionen 320, 356, 401 und 823 sind bei allen vier angegebenen Eröffnungsvorschlägen komplett mit 0,00 ausgeglichener als die Standardaufstellung der Nummer 518!

150 Partien kommentiert

150 im Informator-Stil kommentierte Chess960-Partien runden das Softcover für 32 Euro ab. Wer sich mit Chess960 ernsthaft beschäftigen möchte, kommt um den Erstling zu Chess960 von Edition Marco nicht herum. Ob der fleißige Herausgeber künftig regelmäßig Jahrbücher veröffentlicht und an den Schachspieler bringen kann, bleibt abzuwarten. Auch wenn die Premiere durchaus gefällt, ist eigentlich das Wesentliche mit den Eröffnungseinschätzungen mitgeteilt.

Arno Nickel: Chess 960 – Yearbook 2025
Edition Marco, 352 Seiten, Softcover

ISBN 978-3-924833-89-3, Preis: 32 Euro


Hartmut Metz ist Redakteur bei den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) mit Hauptsitz in Karlsruhe. Er schreibt außerdem unter anderem für die taz, die Frankfurter Rundschau und den Münchner Merkur über Schach und Tischtennis. Zudem verfasst der FM und Deutsche Ü50-Seniorenmeister 2023 von der Rochade Kuppenheim regelmäßig Beiträge für das Schach-Magazin 64, Schach-Aktiv (Österreich) und Chessbase.de.
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