Blümich gegen Fajarowicz
von Peter Anderberg
Reinhold Max Blümich (Deutsche Schachblätter), Sammi Fajarowicz (Archiv Alfred
Diehl)
Die beiden sächsischen Meister Reinhold Max Blümich (geb. 3. November 1886,
gest. 23. Februar 1942 in Falkenberg) und Sammi Fajarowicz (geb. 5. Juni 1908 in
Möckern bei Leipzig, gest. 4. Juli 1940 in Leipzig) gehörten zu den stärksten
Spielern im Leipzig der 20er und 30er Jahre. Während Max Blümich nicht nur als
Spielpraktiker und Funktionär, sondern auch als Redakteur der Deutschen
Schachzeitung und als Schachschriftsteller hervorgetreten ist - u. a.
bearbeitete er die 15. Auflage (1941) des Lehrbuchs von Dufresne und Mieses, in
der die Namen jüdischer Schachmeister weitgehend getilgt waren -, dürfte
Fajarowicz den meisten Spielern der Gegenwart nur noch als Erfinder des nach ihm
benannten Abspiels des Budapester Gambits geläufig sein. Einen Überblick über
ihre Aufeinandertreffen am Schachbrett soll der folgende Beitrag geben.
In den Turnieren der Neuen Leipziger
Zeitung um die Meisterschaft von Leipzig trafen beide erstmals in der
Finalrunde 1928 aufeinander. Blümich gewann das Turnier mit 9 Punkten aus 11
Partien, Fajarowicz belegte Rang 3.
Leipzig-ch
1928 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Pkt
1 Blümich, M X 0 ½ 1 1 1 1 ½ 1 1 1 1 9
2 Riemann, H 1 X ½ ½ 1 1 ½ 1 ½ 1 1 0 8
3 Fajarowicz, S ½ ½ X 1 1 0 1 1 1 1 ½ 0 7½
4 Woog, F 0 ½ 0 X 1 ½ 0 1 ½ 1 1 1 6½
5 Müller, W 0 0 0 0 X 1 ½ 0 1 ½ 1 1 5
6 Reininger, J 0 0 1 ½ 0 X ½ ½ 1 0 ½ 1 5
7 Schroeder, M 0 ½ 0 1 ½ ½ X 0 ½ 0 1 1 5
8 Treumann, G ½ 0 0 0 1 ½ 1 X 0 0 1 1 5
9 Marschner, J 0 ½ 0 ½ 0 0 ½ 1 X 1 0 1 4½
10 Woijtech, G 0 0 0 0 ½ 1 1 1 0 X 0 1 4½
11 Anton, R 0 0 ½ 0 0 ½ 0 0 1 1 X ½ 3½
12 Heyde, E 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 ½ X 2½
(Neue Leipziger Zeitung, 20. März
1928, Seite 7)
Im Folgejahr konnte Blümich den Titel
erfolgreich verteidigen. Fajarowicz erreichte wiederum Platz 3. Ihre direkte
Begegnung konnte Blümich in einer positionell interessanten Partie mit
Qualitätsopfer für sich entscheiden.
Blümich - Fajarowicz vom 08.02.1929...
Aber nicht nur in den Turnieren um die
Meisterschaft von Leipzig, sondern auch im Rahmen der Mannschaftskämpfe des
Leipziger Schachverbandes trafen beide aufeinander. So kam es am 12. Dezember
1929 am Spitzenbrett der Begegnung Augustea Leipzig - Helvetia Leipzig zu
folgender Kurzpartie:
Fajarowicz – Blümich vom 12.12.1929...
Die Finalrunde des Turniers um die
Meisterschaft von Leipzig 1930 endete in einem toten Rennen, da sowohl
Fajarowicz als auch Blümich jeweils 8,5 Punkte aus 11 Partien für sich verbuchen
konnten:
Leipzig-ch
1930 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Pkt
1 Blümich, M X ½ 1 0 1 ½ ½ 1
1 1 1 1 8½
2 Fajarowicz, S ½ X ½ 1 ½ ½ ½ 1 1 1 1 1 8½
3 Mundsztuk, J 0 ½ X 0 1 ½ 1 1 1 1 1 1 8
4 Anton, R 1 0 1 X ½ 0 0 1 1 1 1 1 7½
5 Müller, W 0 ½ 0 ½ X 1 ½ 1 1 1 1 1 7½
6 Normann, C ½ ½ ½ 1 0 X ½ 1 ½ 0 1 1 6½
7 Kort, S ½ ½ 0 1 ½ ½ X ½ 0 ½ 1 1 6
8 Rapeport, J 0 0 0 0 0 0 ½ X 1 1 1 1 4½
9 Braun, O 0 0 0 0 0 ½ 1 0 X 1 1 ½ 4
10 Rennert, P 0 0 0 0 0 1 ½ 0 0 X 1 ½ 3
11 Friedrich, A 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 X 1 1
12 Krußig, W 0 0 0 0 0 0 0 0 ½ ½ 0 X 1
(Neue Leipziger Zeitung, 10. April
1930, Seite 7)
Während die beiden Geldpreise gemäß Reglement geteilt wurden, musste über den
Titel ein Stichkampf entscheiden, in dem siegreich sein sollte, wer als erster
drei Gewinnpartien aufweisen konnte. Blümich berichtete in der Neuen
Leipziger Zeitung ausführlich über den Entscheidungskampf, der im Spiellokal
der Schachgesellschaft Augustea (Lehrervereinshaus, Kramerstraße 4/6)
ausgetragen wurde. Nach jedem Spieltag konnte man im Sportteil des Blattes eine
detaillierte Schilderung des Spielverlaufs lesen, und in seiner sonntäglichen
Schachrubrik publizierte Blümich nach und nach alle Partien mit Anmerkungen.
In der ersten Wettkampfpartie am Dienstag,
den 6. Mai 1930 nutzte Blümich als Anziehender die Gelegenheit zu doppeltem
Bauerngewinn. Fajarowicz erhielt jedoch als Kompensation lebhaftes Figurenspiel,
das schließlich zu Qualitätsgewinn und zu einem für ihn gewonnenen Endspiel
führte.
1. Wettkampfpartie....
In der zweiten Wettkampfpartie wählte
Blümich abermals die Caro-Kann-Verteidigung, erzielte schnell Ausgleich und kam
nach der Eröffnung in entscheidenden Vorteil. In den weiteren Partien des
Stichkampfes sollte Fajarowicz von dem ansonsten von ihm bevorzugten
Eröffnungszug 1.e2-e4 Abstand nehmen.
2. Wettkampfpartie...
Die am härtesten umkämpfte Partie war die
dritte, die zwei Mal abgebrochen werden musste. In einem Springerendspiel
versuchte Fajarowicz, einen entfernten Freibauern zu verwerten, musste sich
jedoch nach dramatischen Verwicklungen mit Remis begnügen.
3. Wettkampfpartie...
Auch die vierte Partie endete remis.
4. Wettkampfpartie...
In der fünften Wettkampfpartie konnte
Fajarowicz das von ihm ersonnene Gambit zur Anwendung bringen, mit dem er zum
ersten Mal in Wiesbaden 1928 an die Öffentlichkeit getreten war:
H. Steiner - Fajarowicz, Wiesbaden 1928...
5. Wettkampfpartie...
Nach fünf Partien stand es unentschieden 1 :
1 bei drei Remis. In den beiden folgenden Partien setzte sich jedoch die größere
Routine Blümichs durch, und so konnte er zum dritten Mal in Folge den Titel
„Meister von Leipzig“ erringen.
6. Wettkampfpartie...
7. Wettkampfpartie...
Vor Beginn des Hauptturniers A des Deutschen
Schachbundes in Frankfurt am Main schilderte Blümich in einem „Leipzig, den 4.
September 1930“ datierten Brief an Paul Krüger seine Eindrücke nach dem
Stichkampf: "Der kleine Fajarowicz geht mit großen Hoffnungen nach Frankfurt.
Ich bin neugierig. Ausgeschlossen ist nicht, daß ihm der große Wurf gelingt,
wenn ich auch eher weiß als er, daß es auch schief gehen kann." (Hamburger
Nachrichten, 12.09.1930)
Blümichs Einschätzung erwies sich als
zutreffend: Fajarowicz erreichte in Frankfurt mit 9 Punkten aus 15 Partien nur
Platz 5 und verfehlte damit sein Ziel, den Meistertitel des DSB zu erlangen.
Zeichnung: Max Zschoch (Neue Leipziger Zeitung, 23.12.1930)
Im folgenden Spieljahr gelang Fajarowicz ein
anderer „großer Wurf“: mit 9 Punkten aus 11 Partien in der Endrunde wurde er
erstmals „Meister von Leipzig“.
Leipzig-ch
1931 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Pkt
1 Fajarowicz, S X 0 1 1 ½ ½ 1 1
1 1 1 1 9
2 Blümich, M 1 X 1 1 0 0 1 ½ 1 1 1 1 8½
3 Mundsztuk, J 0 0 X 1 0 1 1 + 1 1 1 1 8
4 Normann, C 0 0 0 X 1 1 ½ 1 1 1 1 1 7½
5 Anton, R ½ 1 1 0 X 0 1 ½ ½ ½ 1 1 7
6 Krause, K ½ 1 0 0 1 X ½ ½ ½ 1 1 1 7
7 Riemann, H 0 0 0 ½ 0 ½ X 1 0 1 1 + 5
8 Braun, O 0 ½ - 0 ½ ½ 0 X 1 1 0 1 4½
9 Krußig, W 0 0 0 0 ½ ½ 1 0 X ½ 1 1 4½
10 Poetzsch, K 0 0 0 0 ½ 0 0 0 ½ X 0 1 2
11 Röß, L 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1 X 0 2
12 Rennert, P 0 0 0 0 0 0 - 0 0 0 1 X 1
"Fajarowicz verdankt diesen schönen
Erfolg seinem gesunden, unternehmungslustigen und doch sicheren Spiel. Im
Notfall scheut er sich auch nicht, etwas zu riskieren."
(Blümich in der Neuen Leipziger Zeitung, 10. April 1931,
Seite 7)
Allerdings hatte Blümich die Genugtuung, ihm
im direkten Aufeinandertreffen die einzige Niederlage beizubringen:
Partie vom 25.11.1930...
Dass ihm gegen Blümichs
Caro-Kann-Verteidigung abermals kein befriedigender Spielaufbau gelang, mag
Fajarowicz dazu bewogen haben, ein ganz neues Konzept zu ihrer Bekämpfung zu
entwerfen: nämlich in der Vorstoßvariante 3.e4-e5 auf den Abtausch der
weißfarbigen Läufer zu verzichten und den Läufer f5 so zum Angriffsobjekt zu
machen. Die erste veröffentlichte Partie dazu spielte er nur drei Wochen später:
Fajarowicz - Normann...
In den Turnieren um die Meisterschaft von
Leipzig 1932 und 1933 endeten beide Begegnungen Blümichs mit Fajarowicz
unentschieden: 1932 nach 68 Zügen, im Folgejahr sogar erst nach 92 Zügen. 1932
errang Blümich seinen vierten Titel, 1933 wurde Fajarowicz zum zweiten Mal
Meister von Leipzig.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum
Reichskanzler am 30. Januar 1933 kam es auch innerhalb der Schachorganisation
zum Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben. Schon am 12. April 1933
berichtete die Neue Leipziger Zeitung, dass der Leipziger Schachverband
durch Rundschreiben mitgeteilt habe, dass der jüdische Verein „Bar Kochba“, dem
Fajarowicz angehörte, aus dem Verband ausgeschlossen worden sei. Auch zur
Teilnahme am Sächsischen Schachkongress in Thum im Erzgebirge (14. bis 18. April
1933) waren Juden nicht mehr zugelassen. Zu weiteren Begegnungen Blümich -
Fajarowicz dürfte es daher nicht mehr gekommen sein.
Verwendete Literatur:
Deutsche Schachblätter 1928 - 1933
Deutsche Schachzeitung 1928 - 1933
Hamburger Nachrichten 1930
Kaissiber Nr. 16
Neue Leipziger Zeitung 1928 - 1933
Schachwart 1928