Blockchain, Raubkunst, Bürgerrechte, Kortschnoj

von Matthias Wüllenweber
13.01.2022 – Die Auktion der Weltmeister-NFTs, in der ChessBase als Galerist für digitale Kunst auftrat, ist abgeschlossen. Die 14 Werke haben 7.2 Ether, das sind aktuell rund €21.000, eingespielt. Allen, die erfolgreich geboten haben, einen Dank und Herzlichen Glückwunsch! Der kreative Prozess hinter der Erstellung der NFTs war inspirierend, die technischen Hintergründe spannend, die Konfrontation mit kritischen Lesern erfrischend. Nun ist die Serie in die Welt entlassen, und man darf gespannt sein, was in den nächsten Jahren damit passiert. Zum Abschluss steht noch die Verlosung des nicht in der Auktion enthaltenen NFT von Viktor Kortschnoj aus.

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Vor der Verkündigung des Gewinners noch ein kleiner thematischer Umweg. Es war erhellend, wie polarisiert das Thema Kryptowährungen und NFTs von den Lesern gesehen wird. In der Rolle des Softwareherstellers haben wir grundsätzlich Spaß am technisch Neuen. Wir haben aber auch selbst erlebt, wie Schach durch Einführung von Technologie intensiv verändert wurde, daher ist es interessant, sich mit technologiekritischen Sichtweisen auseinander zu setzen. Dennoch im Folgenden noch mal einige optimistische Blicke auf die künftige Bedeutung der Blockchain.

Raubkunst und Provenienzforschung

Für Kunstgegenstände und Kulturgüter gibt es das Fach „Provenienzforschung“, das sich mit der Ermittlung der Herkunft von Kunstwerken beschäftigt. Nach den Wirren des 20. Jahrhunderts und der Kolonialzeit finden sich hier anspruchsvolle Forschungsgegenstände. Auch wenn ein politischer Wille zur Restitution, d.h. zur Rückgabe geraubter oder unter Wert erpresster Kunst besteht, so ist der Eigentumsnachweis für die Erben nicht trivial zu führen. Provenienzforschung kann zum Thriller werden: Hier sei der Film „Die Frau in Gold“ mit Helen Mirren empfohlen, der das Raubkunstschicksal des von Gustav Klimt gemalten Porträts der Adele Bloch-Bauer erzählt (siehe Titelbild dieses Artikels).

Doch langfristig ist Provenienzforschung kein Zukunftsfach: Ein Eigentumsnachweis per Blockchain lässt mit wenigen Klicks die Herkunftsgeschichte eines Werks plastisch nachvollziehbar werden, auch wenn die einzelnen Besitzer vielleicht anonym bleiben. Das finden Sie exotisch und nur marginal interessant? Stellen Sie sich stattdessen einen Gebrauchtwagenkauf vor: Der Verkäufer nennt Ihnen die Token ID des Wagens in einer Blockchain und sie sehen sofort alle Vorbesitzer mit Kilometerleistungen, Wartungen, Reparaturen und Unfällen. Die verteilte, sich selbst überwachende Struktur dieser Daten schützt vor Manipulation.

Kasparow: Crypto ist Freiheit

Das Argument, mit dem der Bürgerrechtler Garry Kasparow (Chairman der Human Rights Foundation) Kryptowährungen und Blockchaintechnologie befürwortet, zielt in eine ähnliche Richtung. Digitale Eigentums- und Identitätsnachweise stärken Bürgerrechte. Währungen, die nicht durch Zentralbanken beliebig vermehrt werden können, schützen kleine Ersparnisse vor Inflation.

Kasparov - Crypto means freedom

Regierungen versuchen, Spenden an Bürgerrechtsorganisationen zu blockieren, doch die Unterstützer weichen auf Kryptowährungen aus, die keiner staatlicher Kontrolle unterliegen. So aktuell geschehen z.B. bei Alexei Nawalny oder der nigerianischen Frauenrechtsbewegung. Ein repressives Regime nimmt ausreisewilligen oder unliebsamen Bürgern den Pass ab und schränkt damit ihre Bewegungsfreiheit ein. In einem Staat, der Identitätsnachweise auf einer weltweit verteilten Blockchain speichert, funktioniert das nicht mehr. Äthiopien geht erste Schritte in diese Richtung mit Cardanos Atala Prism. Der Bürger hat seinen Pass im Kopf, es spielt keine Rolle, ob man ihm irgendeinen Ausdruck beschlagnahmt.

Der Pass im Kopf

Pass im Kopf? Nun, eine sogenannte „Wallet“, die kryptographische Token wie Geld, NFTs oder Pässe speichert, ist im Kern nichts anderes als eine riesige Zahl von etwa 77 Dezimalstellen. Man könnte sich diese Zahl merken. Das Dezimalsystem ist dafür aber unpraktisch. Walletadressen werden heute als Folgen von Wörtern dargestellt. Für die bei NFTs verbreitete Metamask-Wallet sind es zwölf Wörter.

Stellen Sie sich vor, sie seien gezwungen, als Emigrant ein Land zu verlassen. Es reicht nun, eine Folge von 12 Wörtern zu memorieren, um Ihren Pass, vielleicht Ihre Zeugnisse, Ihr Vermögen (und möglicherweise sogar eine Kunstsammlung) über die Grenze zu bringen.

Emigrant Kortschnoj

Ein  bekanntes Emigrationsschicksal der Schachgeschichte ist Viktor Kortschnoj, der nach seiner Teilnahme am Turnier Amsterdam 1976 in den Niederlanden politisches Asyl erhielt. Viktor Kortschnoj ist sicher einer der stärksten und erfolgreichsten Spieler, die nicht Weltmeister wurden. Daher schien es naheliegend, ihn in einem eigenen NFT zu ehren.

Zur Auktion der Weltmeisterserie wurden 490 einzelne Gebote abgegeben, das sind 490 Lose. Aus diesen haben wir den Bieter „b22c3“ gezogen, dem wir das Kortschnoj-NFT nun übertragen haben. Der Name „b22c3“ will vielleicht „b2 to c3“ heißen. Spielt hier jemand 3.Sc3 gegen Französisch und nimmt dann den c-Doppelbauern in Kauf? Viktor Kortschnoj hätte es als Schwarzer gefallen. Herzlichen Glückwunsch!

Viktor Kortschnoj. Foto Rainer Woisin, Hamburg 2005.

Abschließend noch zwei berühmte Partien von Viktor gegen ein weißes b22c3 :-)

 

ChessBase bei Opensea.io

 


Matthias Wüllenweber, Gesellschafter und Geschäftsführer von ChessBase

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