Bobby Fischer - Genie zwischen Ruhm und Wahn
Bobby Fischer wäre heute 70 Jahre alt geworden. Auch wenn der 11.
Schachweltmeister bereits seit fünf Jahren tot ist, bleibt die Erinnerung an ihn
lebendig.
Schachwunderkind
Die Erklärung ist einfach: Dieser Mann gehört zu den erstaunlichsten Figuren
der Schachgeschichte. Zum ersten Mal hörte ich seinen Namen 1960.
Schachlegende Fischer
Da spielte der Amerikaner als 17-Jähriger bei der Schacholympiade in Leipzig.
Seine spektakuläre Remis-Partie im Ringmessehaus gegen den Schachzauberer
Michail Tal ist bis heute unvergessen.
Fischer - Tal
Uhlmann-Fischer 1960
Fischer gegen Keres, Curacao 1962
New York 1962
Das legendäre WM-Duell zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski im Sommer
1972 in Reykjavik konnte ich wie Millionen Schachfreunde nur aus der Ferne
verfolgen. Zu gern wäre ich als junger Journalist nach Island gefahren, aber
eine Reise dorthin war mir seinerzeit nicht möglich. Ich lebte auf der anderen
Seite des eisernen Vorhangs. In unserer Berliner Rundfunk-Redaktion schlossen
wir damals Wetten über den Ausgang des Matchs ab. Ich setzte auf Spasski, weil
er bis dato immer gegen Fischer gewonnen hatte. Mit diesem Tipp lag nicht nur
ich falsch.
Spasski-Fischer, Siegen 1970
Der WM-Tisch von 1972
Zwanzig Jahre später beim Re-Match der zwei Schachlegenden in Jugoslawien
nutzte ich die Chance und beobachtete das brisante Treffen live an den beiden
Schauplätzen Sveti Stefan und Belgrad. Das Geschehen an der Adria und in der
serbischen Hauptstadt schilderte ich in dem Buch „Bobby Fischer - ein
Schachgenie kehrt zurück“. Der Beyer Verlag druckte damals eine große Auflage,
die rasch vergriffen war.
Erste Matchhälfte in Sveti Stefan 1992
Inzwischen sind mehr als zwei Jahrzehnte vergangen. Ich habe Fischers
ungewöhnlichen Lebensweg weiter aufmerksam verfolgt und mit vielen namhaften
Zeitzeugen sowie Kollegen des Schachgenies gesprochen, die seinen Weg kreuzten.
Heraus kam das Profil eines Menschen, der auf seinem Spezialgebiet
Außergewöhnliches leistete und die größten Triumphe feierte, aber im normalen
Leben nicht zurechtfand. Bis zu seinem Tode am 17. Januar 2008 blieb Fischers
Verhalten rätselhaft, seltsam und den meisten Normalbürgern unverständlich.
Fischer diskutiert
Er hatte einen höheren Intelligenzquotienten als Albert Einstein und war wohl
die schillerndste Person des Schachs. Kein Weltmeister beeinflusste das Spiel so
wie Bobby Fischer. Gleichwohl war der Amerikaner auch umstritten wie kein
anderer Schachspieler. In den Turniersälen wurde Bobby Fischer von Konkurrenten
und Zuschauern bewundert, seine Partien wurden weltweit mit Begeisterung
verfolgt, für sein eigensinniges Verhalten erntete er jedoch nur Kopfschütteln.
Nach dem WM-Sieg 1972 tauchte Fischer unter, hatte Psychosen und schockierte die
Welt mit bizarren politischen Äußerungen. Zeit seines Lebens war er auf der
Flucht vor der Wirklichkeit. Eine Heimat hatte der Ruhelose nicht. Das
bestätigten mir viele Persönlichkeiten, die Fischers Weg kreuzten. Sein Zuhause
war allein das Schach. Bobby Fischers wahres Testament sind seine genialen
Partien.
Zeitzeugen über Bobby Fischer
Anlässlich des 70. Geburtstages von Bobby Fischer kommt im Beyer Verlag in
diesem Monat ein neues Buch des Autors mit dem Titel „Bobby Fischer - Genie
zwischen Ruhm und Wahn“ heraus. Viele Zeitzeugen schildern dort ihre Erlebnisse
mit dem Amerikaner sowie ihre Eindrücke von seiner Persönlichkeit. Drei von
ihnen kommen hier in Auszügen zu Wort.
Ein neues Buch über Fischer
Lothar Schmid: „Er war ein Genie“
Großmeister Lothar Schmid ist eine Legende unter den Schachschiedsrichtern.
Der Bamberger Karl-May-Verleger leitete die wichtigsten WM-Matches in den 1970er
und 1980er Jahren, darunter zwischen Fischer und Spasski, Karpow und Kortschnoi
sowie Karpow und Kasparow.
Lothar Schmid
Dabei zeigte er immer großes Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick.
Für seine Verdienste wurde Lothar Schmid 2005 zum Schiedsrichter des
Jahrhunderts gewählt. Sein besonderes Verhältnis zu Fischer beschreibt er unter
anderem so:
„Die Zeit geht über vieles hinweg. Manches aber bleibt für immer in unserer
Erinnerung. Bobby Fischer, das war ein ganzes Kapitel in meinem Leben! Ich habe
ihn sehr geschätzt, er war häufig bei mir in Bamberg zu Gast. Der Mann ist
ungewöhnlich gewesen - ein Genie, gar keine Frage. Sicher war Fischer einer der
besten Schachspieler, die es je gab. Als solchen habe ich ihn von früh an
bewundert.
Auf der anderen Seite habe ich als Schiedsrichter seiner Matches und des
harten WM-Kampfes von 1972 in Reykjavik immer darauf geachtet, meine Neutralität
zu wahren. So gern ich Bobby Fischer mochte, so sehr war er ja auch Kontrahent
nicht nur von Boris Spasski, sondern auch von anderen großen Schachspielern.
Bobby Fischers Art, Schach zu spielen war einmalig. Sie ist wohl
unwiederholbar. Deshalb habe ich ihn nicht nur geschätzt, sondern ich würde fast
sagen auch verehrt. Wie Millionen von Schachfreunden habe ich die großartigen
Partien des 11. Weltmeisters sehr genossen. Viele davon erlebte ich als
Schiedsrichter als erster Augenzeuge hautnah mit. Das bleibt unvergessen.
Mit 64 Jahren starb Fischer viel zu früh. Kontakt hatte ich noch zu ihm, als
er in Japan war. Dann haben die freundlichen Isländer ihn aufgenommen. Leider
sah ich Bobby in seinen letzten Lebensjahren nicht wieder. Er war beileibe kein
einfacher Mensch, weil er anders als die meisten von uns tickte. Man konnte
nicht jede seiner mitunter eigenartigen Meinungen teilen. Dennoch wird dieser
außergewöhnliche Meister unseres edlen Spiels für immer im Gedächtnis der
Schachwelt bleiben.“
Jewgeni Wasjukow: Der Fokus von Fischer
Der russische Großmeister Jewgeni Wasjukow feierte am 5. März seinen 80.
Geburtstag und ist immer noch sehr aktiv - als Spieler und Schachorganisator. Er
kannte Bobby Fischer seit dessen 15. Lebensjahr. Ihre erste Begegnung fand 1958
in Moskau statt. Wasjukow erinnert sich noch genau:
Jewgeni Wasjukow
„Damals habe ich in Moskau ein Blitz-Duell gegen Fischer gewonnen. Er
kam schon als Jugendlicher in die Sowjetunion, um Trainingsmatchs zu spielen. Am
liebsten hätte er Botwinnik zu einem Wettkampf herausgefordert. Das war
natürlich illusorisch. Bobby hielt sich insgesamt zwei Wochen in Moskau auf und
wurde dort sogleich in den Zentralen Schachklub am Gogol-Boulevard geführt.
Trotz seiner Jugend war er schon sehr großgewachsen. Und er fegte viele beim
Blitzen vom Brett. Dann bat er, mit den drei Stärksten von uns spielen zu
dürfen. Ich hatte gerade die Moskauer Blitzmeisterschaft vor Bronstein und
Petrosjan gewonnen und gehörte deshalb auch dazu.
Der junge Fischer spielte wirklich sehr gut und bezwang etliche namhafte
Gegner. Zum Schluss wollte er die Besten herausfordern. Bronstein lehnte ein
Match mit ihm ab. Er hatte doch ein WM-Finale gegen Botwinnik gespielt, warum
sollte er gegen einen Teenager seinen Ruf riskieren. Petrosjan ließ sich auf das
Spiel ein. Er gewann die ersten beiden Partien und konnte diesen Stand von plus
2 halten. Dann kam Geller. Fischer gewann glatt 7:0 gegen ihn, ohne Remisen. Nun
war ich an der Reihe. Bobby führte zu Beginn 3:2. Dann holte ich auf, übernahm
die Führung und gewann am Ende deutlich mit 10:5.
Nach unserem Match spielte Fischer gern den Sosin-Angriff. Ich war ein
Spezialist dieser Attacke gegen Sizilianisch. Von da an hat Fischer sehr auf
meine Partien geachtet. Ich wusste allerdings, dass diese Variante nicht so
gefährlich ist. Es gibt ein sehr starkes Gegengift für Schwarz gegen den Sosin-Angriff.
Aber Bobby war noch jung und spielte damals die Eröffnungen natürlich noch nicht
so exakt wie später. Doch er lernte schnell aus seinen Fehlern und nutzte diese
Erkenntnisse in seiner Karriere.
Zum letzten Mal sah ich Bobby Fischer im Mai 1996 in Ungarn. Als Andrej
Lilienthal 85 Jahre alt wurde, hat er mich nach Budapest eingeladen. Mark
Taimanow, Gennadi Sosonko und Alexander Roschal waren auch da. Fischer, der
damals schon einige Jahre in der ungarischen Hauptstadt lebte, wollte keinen der
genannten Gäste treffen, nur mich. Lilienthal hatte alle nach dem Bankett in
einem Restaurant zu sich nach Hause eingeladen. Bobby kam natürlich nicht hin.
Andrej sagte aber zu mir: „Fischer will dich sehen.“
Wir haben uns dann zweimal getroffen. Zuerst redeten wir nur miteinander,
wobei ich Bobby mit seinem Bart kaum wiedererkannt habe. Er hatte sich äußerlich
stark verändert. Am Tag darauf lud Fischer mich zum Abendessen in ein
chinesisches Restaurant ein. Ich brachte eine sehr attraktive Freundin mit, die
eine bekannte Sängerin ist. Sie hatte keinerlei Beziehung zum Schach, aber für
mich war interessant zu erfahren, wie sie auf ihn reagieren würde. Ihr fiel auf,
wie schrecklich Fischer auf Schach fokussiert war. Große
Meinungsverschiedenheiten hatten wir in der Judenfrage, weil er extrem
antisemitisch auftrat. Ich sagte zu ihm: „Es gibt keine guten und schlechten
Nationen, nur gute und schlechte Menschen.“
Bei den Gesprächen staunte Wasjukow, wie ausgezeichnet Bobby Fischer im Exil
über alle Schachereignisse informiert war. Auch welcher Großmeister welche
modernen Systeme spielt usw. Hinterher fragte er die Sängerin, welchen Eindruck
Fischer auf sie gemacht habe. Sie sagte: „Er ist so unglaublich auf Schach
fixiert, so aufgeladen davon, dass ich nicht wusste, worüber ich mich sonst mit
ihm unterhalten sollte. Außer diesem Mikrokosmos existiert wohl nichts anderes
für ihn.“
Während des gemeinsamen Dinners in Budapest orderte Bobby eine große Menge
aller möglichen Säfte. Der ganze Tisch stand voller Gläser. Wein oder Wodka
wollte er nicht. Wasjukow fragte ihn: „Warum bestellst du so viel Saft?“ Seine
Antwort: „Ich habe heute noch nicht zu Mittag gegessen.“
In der Folgezeit haben sich die beiden noch öfter getroffen. Fischer verhielt
sich Wasjukow gegenüber immer mit Respekt. Bei dem Amerikaner war es so: Je
stärker ein Schachmeister spielte, desto größer war seine Achtung vor ihm.
Jewgeni Wasjukow resümiert heute: „Ich bedaure es sehr, dass Bobby Fischer sein
Leben neben dem Schach nicht in den Griff bekommen hat. Außerhalb seiner
eigenen, begrenzten Welt konnte er einfach nicht mit den Menschen umgehen, die
bei ihm waren. Dennoch ist und bleibt Fischer eine legendäre Figur.“
Zsuzsa Polgar: „Er hat viel für Schach getan“
Am fünften Todestag Fischers ist Peter Leko auf dieser Webseite mit seinen
Gedanken über den Amerikaner zu Wort gekommen. Seine ungarische Landsfrau Zsuzsa
Polgar hat mir ihre Erinnerungen an den 11. Weltmeister ebenfalls geschildert.
Die Exweltmeisterin lebt seit längerem in den USA, wo sie sich sehr für die
Verbreitung des Schachs engagiert. Als Fischer nach dem Jugoslawien-Match 1992
untertauchen musste, weil er per Haftbefehl von den US-Behörden gesucht wurde,
hatte Zsuzsa ihm vorgeschlagen, nach Budapest zu kommen. Sie denkt gern an die
Erlebnisse mit ihm zurück:
„Bobby wohnte acht Jahre in Budapest und hat unsere Familie in dieser
Zeit oft besucht. Wir trafen uns entweder zu Hause oder in unserem Sommerhaus.
Ich habe diese Begegnungen in guter Erinnerung. Eine Zeitlang sahen wir uns fast
täglich. Fischer kam dann zum Mittagessen oder Abendbrot und blieb ein paar
Stunden. Meine Schwestern und ich spielten sehr viel Fischer-Random-Schach mit
ihm. Wir hielten dabei gut mit, mein Score gegen Bobby war etwa ausgeglichen.
Fischer ist nicht nur ein genialer Schachspieler gewesen. Noch höher schätze
ich seinen Beitrag, den er für unseren Sport überhaupt geleistet hat. Bobby hat
mehr für Schach getan als alle anderen vor ihm. Als Spieler war er großartig,
aber was er für uns Schachprofis getan hat, bedeutet noch mehr. Das war
Pionierarbeit. Fischer ist, als er jung war und so brillant Schach spielte, ein
großer Held gewesen. Er wurde gefeiert wie ein König. Nur schade, dass der Mann
in seinem späteren Leben weniger gut zurechtkam.
Den letzten Kontakt hatten wir, ehe Bobby nach Japan ging. Er rief nochmal
an, fragte, wie es uns geht, sagte aber nichts von seinen Plänen. Dann war
Fischer auf einmal weg, und wir haben ihn sehr vermisst. Es gibt etliche Fotos
von Bobby und mir, ich schicke dir eine kleine Auswahl davon. Auf dem einen Bild
sieht man, wie viel Freude er am Spielen hat.“
Zsuzsa und Bobby spielen Fischer-Random
Am Ende unseres Gesprächs fragte ich Zsuzsa Polgar noch, was sie davon hält,
Fischer zu seinem 70. Geburtstag mit einer Schachveranstaltung in Saint Louis zu
ehren. „Eine gute Idee, vielleicht machen wir ein Blitzturnier“, sagte die
Exweltmeisterin.
Von Dagobert Kohlmeyer