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Viktor Kortschnoi (1931-2016), zweifacher Vize-Weltmeister und Großmeister, spielte noch bis ins hohe Alter (mit ELO 2560!) in der Schweizer Nationalliga sowie bei hochkarätigen Turnieren mit und kämpfte bei seinen legendären Simultanveranstaltungen oft gegen dreißig Gegner, unter denen auch viele jüngere Cracks waren. Nach einem fünfstündigen Simultankampf, den er als 75-Jähriger hochkonzentriert, ohne dabei etwas zu Essen oder zu Trinken mit hoher Erfolgsquote beendete, kommentierte er die Lage an der Altersfront einmal so: "Die Jungen denken, Opa fällt irgendwann um, aber dann kann der Opa fünf Stunden Schach spielen und sie an die Wand drücken".
Viktor Kortschnoj | Foto: Eteri Kublashvili
Dass auch andere Schachmeister sich wie Kortschnoi eine ähnliche Dynamik und mentale Fitness bewahrt haben, will eine im letzten Jahr veröffentlichte australische Studie der Universität Melbourne belegen. Sie stellt einen kausalen Zusammenhang zwischen der mentalen Aktivität von Schach-Großmeistern und einer höheren Lebenserwartung her: "Schachspieler leben länger als der Durchschnitt der Bevölkerung"" könnte das Fazit lauten- zwischen acht und vierzehn Jahre (in Ost-Europa) mehr Lebenszeit könnte der Bonus am Schachbrett betragen.
Vergleich Großmeister Dabei waren die drei australischen Forscher Philip Clarke, An-Tran-Duy und David Smerdon (Großmeister und Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Queensland) ursprünglich auf einer völlig anderen Spur: Sie wollten nach zwei Todesfällen von Schachspielern während der Schach-Olympiade 2014 in Norwegen eruieren, ob der Stress am Brett für Elite-Spieler vielleicht zu extrem ist und das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts impliziert. Die einzige damals verfügbare Studie des Journal of Genetic Science von 1969 hatte in ihrer Stichprobe jedoch nur 32 Spitzenspieler berücksichtigt, was den Autor der Studie Herman Berry damals zu dem Fazit veranlasste, jüngere ehrgeizige Spieler wären dem Stress um Erfolg und Anerkennung weniger gewachsen als Politiker oder Wissenschaftler.
Das australische CEPAR-Forscher-Trio vom Zentrum für Altersforschung an der Universität Melbourne befand die Berry-Studie wegen der dürftigen Daten-Basis für unzureichend und entschied sich daher für eine Vergleichsstudie "Mind or Muscle", um herauszufinden, ob Denksportler vielleicht länger leben als Olympia- Hochleistungssportler. Für ihre Vergleichs-Analyse werteten sie ELO-Weltranglisten von 1208 Großmeistern aus und Daten von 15.157 olympischen Medaillengewinnern. Die höhere Lebenserwartung von Olympia-Sportlern hatte der Gesundheitsökonom Clarke bereits 2012 in einer Statistik-Analyse festgestellt; den Vergleich mit Schachspielern regte GM Smerdon an, der nach Postdoc-Studien in Amsterdam an die Uni Melbourne als Assistenzprofessor berufen wurde. Da es sich hier nicht um Befragungen und ausgewertete Interviews mit Probanden, sondern nur um Statistik-Vergleiche handelt, sollte man diese Studie eher als Bestätigung eines Trends bewerten: Mentale Aktivitäten von Schachmeistern können die Lebenserwartung ebenso steigern wie extremer Leistungssport. Neu ist diese Erkenntnis aber nicht.
Dass Schachspieler "stundenlang regungslos auf ihren Stühlen hocken und dabei trotzdem Hochleistungssport betreiben" hatte der in München lebende Arzt, Großmeister (ELO jetzt 2477), ZEIT-Schach-Kolumnist und Buchautor Dr. Helmut Pfleger, 75, bereits in seiner eigenen sportmedizinischen Studie von 1981 nachgewiesen. Damals hatte er Schachspieler während eines speziell für diese Studie angesetzten Turniers verkabelt und alle wichtigen Daten gemessen, die bewiesen, wie das dynamische Spiel auf dem Brett nur mit ständiger Extrem-Konzentration und mentaler Flexibilität gemeistert werden kann. Für den vom Wiener Professor Ernst Strouhal edierten Band "Schach und Alter" (Springer Verlag 2011), der sich in 14 Aufsätzen mit lernpsychologischen und kognitiven Aspekten der Altersforschung beschäftigt, verfasste Pfleger ein eindrucksvolles Kortschnoi-Porträt und setzte sich auch mit dem Thema Schach als effektive Demenz-Prophylaxe auseinander. Über die neue australische Studie wundert sich Helmut Pfleger daher überhaupt nicht. "Weil ja auch längst in diversen Studien demonstriert wurde, wie die mentale Fitness durch das Schachspiel gesteigert wird und allgemeine kognitive Fähigkeiten verbessert werden – was sich ja schließlich positiv auf die Lebenszeit auswirkt". Dafür ist der sympathische Schach-Experte übrigens selbst der schönste Beweis: Er spielt regelmäßig in einer privaten Münchener Fußballgruppe und veranstaltet auf dem jährlichen Ärzte-Schachturnier schon seit Jahren – auch in diesem Jahr wieder-seine eindrucksvolle Simultanvorstellung.
Aber war der langlebige, mit 85 Jahren verstorbene Kämpfer Kortschnoi als "Paradigma für Altersfrische" wirklich typisch für die Mehrzahl erfolgreicher Schachmeister? Bobby Fischer wurde 64 Jahre alt, Capablanca 53, Aljechin ebenfalls 53, der starke Raucher und Trinker Michail Tal 55 und der österreichische Remis-Meister Carl Schlechter, der Emanuel Lasker 1910 zum WM-Kampf herausforderte, starb mit 44 Jahren- allerdings unter erbärmlichsten Verhältnissen am Rande des Hungertods. Wie aussagekräftig sind also Statistiken ohne präzisere Hintergrund-Infos zum Lifestyle der Schachspieler?
Die laut der australischen CEPAR Studie gegenüber der Allgemeinbevölkerung prognostizierte höhere Lebenserwartung (bis zu vierzehn Jahre) osteuropäischer Großmeister basiert sicher auf deren höherem Einkommen und Status, ihrem gesünderen Lifestyle und einer besseren Krankenversorgung. Aber konkrete Angaben hierzu fehlen oder sie basieren nur auf Spekulationen über die größere Kluft zwischen der darbenden Basis und den enormen Privilegien elitärer Großmeister.
Im diffusen Spekulations-Nebel bewegt man sich übrigens auch, wenn man sich auf der Wikipedia-Nekrolog –Seite über verstorbene Schachspieler informieren will: Da werden neben Spielern auch Schach-Komponisten (!), Fernschachspieler und Schach-Manager aufgelistet. Ein spanischer Fernschachspieler wurde 51 Jahre alt, ein Schach-Komponist 87 und der deutsche, im August 2018 gestorbene Spieler Lorenz Drabke wurde nur 33 Jahre alt, starb allerdings nach einem Verkehrsunfall. So wird aus einer Statistik schnell eine Art Rorschach-Test, in den vorgefertigte Meinungen hineinprojiziert werden.
Diesen hermeneutischen Tunnelblick konnten die drei australischen Forscher bei ihren Statistik-Vergleichen offenbar viel zu selten unterdrücken. Der üppige Lebenszeit-Bonus am Brett ist natürlich angenehm- aber wir würden schon gerne genauer wissen, ob der langlebige Großmeister von seiner brillanten Eröffnungstechnik, von seiner robusten physischen Ausdauer oder vielleicht vom angenehmen Lifestyle profitiert.
Zur Studie bei der University of Queensland...