Schon das Cover zieht in den Bann: Es zeigt aus der Vogelperspektive das Match zwischen dem Weltklassespieler Levon Aronjan und dem Ex-Weltmeister Ding Liren – eine eindrucksvolle Komposition, die den dokumentarischen wie auch den atmosphärischen Anspruch des Buches unterstreicht. Auch im Inneren bleibt Breutigam dieser stilvollen Linie treu: Alle Abbildungen, Diagramme und Fotos sind in edlem Schwarzweiß gehalten – eine Reminiszenz an die klassische Ära des Schachs, die dennoch nie angestaubt wirkt.
Das Buch beginnt mit einem Blick zurück zum ersten offiziellen WM-Kampf von 1886 zwischen Wilhelm Steinitz und Johannes Zukertort und entfaltet von dort aus ein beeindruckend dichtes Panorama der Weltmeister – von Lasker über Capablanca, Aljechin, Botwinnik und Fischer bis zu Karpov, Kasparov, Anand und Carlsen. Doch Breutigam begnügt sich nicht mit bloßer Chronologie. Er verwebt historische Ereignisse, charakterliche Eigenheiten und stilistische Besonderheiten der einzelnen Spieler zu vielschichtigen Porträts, die sowohl für Kenner als auch für interessierte Laien neue Einblicke bieten.
So beschreibt er etwa Alexander Aljechin als „Wagner des Schachs“, dessen kreative Exzesse ebenso bewundert wie gefürchtet waren. Besonders gelungen ist die Darstellung von Emanuel Lasker, bei dem Breutigam auch familiäre Einflüsse – etwa durch seinen Bruder Berthold – miteinbezieht. Auch die moderne Ära wird eindrucksvoll reflektiert, mit einem besonderen Fokus auf Magnus Carlsen, dessen Rückzug aus dem Weltmeisterzyklus ein zentrales Thema der neuen Auflage ist. Die Entstehung der Kapitel über die jüngsten Weltmeister Ding Liren und Gukesh Dommaraju verleiht der Neuauflage zusätzliche Aktualität und Relevanz.
„Ich habe von Oktober 2024 bis Januar 2025 intensiv daran gearbeitet“, berichtet Breutigam im Interview – und diese akribische Sorgfalt ist auf jeder Seite spürbar. Besonders bemerkenswert: Auch bestehende Kapitel wurden überarbeitet und mit neuen Forschungserkenntnissen angereichert. So werden die Biografien nicht nur ergänzt, sondern durchgehend geschärft.
Ein besonderes Highlight des Buches ist das ausführliche Kapitel zu den Frauen im Schach. Hier würdigt Breutigam nicht nur Ikonen wie Vera Menchik oder Judit Polgár, sondern zeichnet auch die gesellschaftlichen und institutionellen Hürden nach, die viele von ihnen überwinden mussten. Dieses Kapitel ist alles andere als ein bloßes Addendum – es ist integraler Bestandteil des historischen Bogens, den das Buch spannt.
Breutigam versteht es, den Leser mit erzählerischer Klarheit und lebendiger Sprache an die Hand zu nehmen – kein Wunder, denn sein Weg zum Schachjournalismus war durchaus organisch. Wie er im Gespräch schildert:
„Zum Autor bin ich eher zufällig geworden, als ich 1990 meine ersten Beiträge für den Bremer ‚Weser-Kurier‘ schrieb, anlässlich der WM Kasparov gegen Karpov. Das hat Spaß gemacht.“
Diese Ursprünge merkt man dem Buch an – es ist keine trockene Biografiensammlung, sondern ein leidenschaftlich geschriebenes Werk eines echten Liebhabers, der sein Thema durchdrungen hat. Die Verflechtung von Spielstilen, Persönlichkeiten und Zeitgeschichte macht „Genies in Schwarzweiß“ zu einem besonderen Leseerlebnis – informativ, unterhaltsam, anregend.
Auch wenn viele berühmte Partien enthalten sind, steht das Lesen klar im Vordergrund. Wer seine Bücher kennt, weiß es: Der Autor ist ein ausgezeichneter Erzähler mit Stil, Substanz und Sinn für Dramaturgie.
„Genies in Schwarzweiß“ ist ein modernes Standardwerk für jeden, der sich ernsthaft für Schachgeschichte und die Weltmeisterschaften interessiert – sei es als Neueinsteiger oder als langjähriger Enthusiast. Die stilvolle Gestaltung, die fundierte Recherche und der erzählerische Ton machen es zu einem echten Schatz im Bücherregal. Ein Buch, das man nicht nur liest, sondern wieder und wieder zur Hand nimmt.
Bibliografische Angaben:
Martin Breutigam: „Genies in Schwarzweiß“
Hardcover, 256 Seiten
Joachim Beyer Verlag, ISBN 978-3-7307-0696-1
Preis: 19,90 €
Bestellung über den Joachim Beyer Verlag
(Quelle: Schach-Magazin 64, Juni-Ausgabe 2025)
Der Internationale Meister Martin Breutigam (geb. 1965) ist wohl den meisten deutschen Schachspielern bekannt. Als Autor von mehreren, zum Teil auch schon im Schach-Magazin 64 rezensierten Büchern wie etwas „Todesküsse am Brett“, „Damen an die Macht“ oder „64 Monate auf 64 Feldern“ sowie vieler ChessBase-Videokurse und ungezählten Zeitungsbeiträgen hat er sich eine breite Fangemeinde erarbeitet. Heute spielt er für die Schachabteilung seines Lieblingsfußballvereins aus Kindertagen, dem SV Werder Bremen, in der Bundesliga und hier spricht er im Interview über seine Buchprojekte.
Herr Breutigam, wie sind Sie zu einem auf so vielen Gebieten aktiven Schachautor geworden?
Zunächst einmal bin ich in eine Schachfamilie hineingeboren und habe das Spiel sehr früh von meinem Vater gelernt. Aber erst mit zwölf Jahren fand ich es wirklich interessant und ging in den Verein, die Bremer SG. Mit Anfang 20, in der Saison 1986/87, wechselte ich zu Lasker Steglitz-Berlin und debütierte ein Jahr später in der Bundesliga. Inzwischen studierte ich auch in Berlin. Als unser erstes Kind unterwegs war, zogen meine Frau und ich wieder nach Bremen. Zum Autor bin ich eher zufällig geworden, als ich 1990 meine ersten Beiträge für den Bremer „Weser-Kurier“ schrieb, anlässlich der WM Kasparov gegen Karpov. Das hat Spaß gemacht. In der Folge baute ich mir einen regelmäßigen Kundenstamm mit acht bis zehn Tageszeitungen auf. Das waren noch wirklich gute Jahre für den freien Journalismus.
In der Tat dürfte das heutzutage schwierig sein. Wie kam es dann zum ersten Buchprojekt?
Im Jahr 2000 erschien „Meyers Schachturnier: Knifflige Situationen aus berühmten Partien. Pocketspiel für Klein- und Großmeister“, der Verlag hatte von mir Texte für diesen Pocketkalender angefragt …
… Sie fassten dann auch als Buchautor Fuß.
Ja, es folgte meine Zeitungskolumnen-Sammlung „64 Monate auf 64 Feldern“ mit Kolumnen, Reportagen und Glanzpartien der Jahre 1997 bis 2002. Danach, 2004 folgte das englischsprachige WM-Buch „Kramnik vs Leko“ in Zusammenarbeit mit Artur Jussupov und Christopher Lutz.
Es folgten weitere Bücher. Ein Dauerprojekt aber ist etwas später quasi aus diesem WM-Buch erwachsen.
Das kann man so sagen. Die „Genies in Schwarzweiß“ erschienen erstmals im Jahr 2016 im Verlag Die Werkstatt. Das Konzept bringt es mit sich, dass regelmäßig Aktualisierungen fällig sind, wenn es neue Weltmeister gibt oder eine Auflage vergriffen ist. Daher gab es 2018 die 2. und jetzt die 3. Auflage.
Handelt es sich bei den Neuauflagen um reine Ergänzungen oder gibt es weitere Veränderungen?
Primär geht es natürlich um die Ergänzungen, um die neuen Weltmeister. Aber auch in den anderen Kapiteln gibt es immer wieder Änderungen und neue Erkenntnisse zu berücksichtigen.
Wie viel Arbeit ist das?
Ich habe von Oktober 2024 bis Januar 2025 intensiv daran gearbeitet.
Was unterscheidet die Arbeit am Buch von der für die Videoserien bei ChessBase?
Auch, wenn ich mich eher als schreibender Autor sehe, macht es mir großen Spaß, Videokurse zu erstellen. Es ist eine komplett andere, ebenfalls sehr intensive Arbeit, mit der ich es sehr genau nehme. Natürlich bin ich kein ausgebildeter Sprecher. Doch die Rückmeldungen bestätigen, dass die Ergebnisse wohl ganz in Ordnung sind.
Wie ist es für sie den fertigen Kurs zu sehen oder das gedruckte Buch in der Hand zu halten?
Das ist für mich nicht so ein Moment des Stolzes, aber ich bin natürlich zufrieden und auch froh, wenn ein Projekt abgeschlossen ist.
Haben Sie schon ein nächstes Buch in Arbeit?
Da ist noch nichts spruchreif. Aber ich arbeite an ein paar Ideen …
Haben Sie schon einen nächsten Videokurs in Arbeit?
Ach, es gibt ja in den Eröffnungen immer wieder so viel Neues und Spannendes und zu entdecken. Aber auch hier ist noch nichts Konkretes zu vermelden. Ich habe in den vergangenen Jahren auch sehr viel Material für ein interaktives Strategie-Training gesammelt. Dies sollte irgendwann mal in eine Form gebracht werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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