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Rochade Kuppenheim feiert 40. Geburtstag: Helmut Pfleger begeistert Fans bei vergnüglichem Simultan und beim Festbankett
Großmeister Helmut Pfleger atmet hörbar tief durch: „Haben Sie keine Amtsgeschäfte zu verrichten?“, entfährt es der Schach-Legende im Kuppenheimer Rathaus. Bürgermeister Karsten Mußler räkelt sich zufrieden auf seinem Sitz, grinst und führt seinen nächsten Angriffszug aus. „Wenn Sie so mit Ihren Bürgern umgehen wie mit mir ...“, schiebt der Großmeister bei seiner nächsten Runde, als er wieder bei Mußler anlangt, vorwurfsvoll nach.
Beim Simultan des beliebten TV- und WM-Kommentators an 25 Brettern kam das Kuppenheimer Stadtoberhaupt am Samstagnachmittag auf den Geschmack. Musste sich Mußler zunächst abstrampeln, um zwischen den Putzaktionen in der Stadt auch bei der 40-Jahr-Feier der Rochade Kuppenheim dabei zu sein, fand er zunehmend Gefallen am Duell Bürgermeister kontra Großmeister. Scherzte Moderator Hartmut Metz noch, sein alter Studienkollege Mußler wolle sicher auch Pfleger gewohnt stürmisch „wegputzen“, war es dem Hobbyspieler vor allem wichtig, nicht früh aufgeben zu müssen.
Gruppenbild mit Großmeister
Mit Unterstützung der geballten Schach-Kompetenz um Rochade-Gründer Reinhard Kühl gelang mehr als dies. Nach zwei Stunden streckte der Hördener Jörg Eisele als erster Teilnehmer die Waffen. In seiner exzellenten Stellung wollte Mußler nun auch kein Remis mehr anbieten, um weiter zur nächsten Putzaktion zu eilen. „Wir machen noch ein paar Züge“, meinte der Schultes sichtlich vergnügt, während sein Kontrahent humorvoll lamentierte: „Niemand will etwas gesagt haben, aber mir geht es an die Gurgel!“ Im 26. Zug unterbreitete Mußler nach spannender Partie doch ein Friedensangebot. Der Bestseller-Autor nahm in schlechterer Stellung gerne an. Zur Belohnung erhielt Mußler als erster Remis-Spieler ein Buch des Bestsellerautors samt Widmung, bevor er wieder zur Putzaktion enteilte.
Die 23 verbliebenen Gegner boten dem Großmeister erbitterten Widerstand. Weil sich der Münchner auch zwischendurch die Zeit nahm, um Fans seine in mehreren Werken gesammelten Kolumnen aus der „Zeit“-Schachspalte zu signieren, endete das ungleiche Duell erst nach fünfeinhalb Stunden. Vor allem die Teilnehmer der Rochade-Seniorengruppe wollten selbst in hoffnungslosen Positionen nicht aufgeben, genossen sie doch ihr Privatduell mit Pfleger. So charmant sich der Großmeister auch anfangs gab, setzte er sie alle gnadenlos matt – selbst Berta Bodenröder. Die 86-Jährige hatte der äußerst fitte 75-Jährige als Kavalier alter Schule besonders freundlich begrüßt: „Wenn ich noch in Ihrem Alter so gut ausschaue wie Sie!“
Pfleger begeisterte die 25 Spieler wie das Publikum. Anfangs erzählte er, wie er einst gegen Boris Spasski „gleichmütig verlor“, weil der Mediziner für einen wissenschaftlichen Selbstversuch Betablocker schluckte. Besonders erheiterte die Bitte an die Simultan-Gegner, die ihre Farbe frei wählen durften, doch die Figuren nicht zur Analyse zu verschieben. Das habe schon oft für Verwirrung gesorgt, erinnerte der ehemalige Nationalspieler an ein Simultan von Bobby Fischer in Spanien: „Bobby gewann an einem Brett die Dame. Als er seine Runde gedreht hatte und zurückkehrte, stand diese wieder auf dem Brett! Bobby ließ sich jedoch nichts anmerken und spielte ungerührt weiter. Einige Züge später gewann der Amerikaner wieder die Dame – steckte sie dieses Mal aber vorsichtshalber in seine Jackentasche!“
Die Altersspanne betrug in Kuppenheim 80 Jahre: Jüngster Teilnehmer war der sechsjährige Julius Merklinger, der wacker 27 Züge durchhielt. Papa Markus rettete aber am Nebenbrett als erfahrener Verbandsliga-Spieler die Familien-Ehre durch ein Remis. Zwei weitere Rochade-Mitglieder durften sich ebenso über Punkteteilungen freuen: der Kuppenheimer Pfarrer Jürgen Biskup und Talent Louis Wunsch, der ein Läuferopfer auf h7 überlebte und nach wechselhaftem Verlauf für den Endstand von 20:5 sorgte.
„Das ist wie Heidenheim gegen Bayern München“, zog Rochade-Webmaster Gerhard Gorges nach seinem heroischen Kampf, den er unnötig im Turmendspiel verlor, einen treffenden Vergleich zum DFB-Pokal im Fußball. Auch wenn Pfleger 18 Partien gewann, gelangen drei starken Amateuren Ehrentreffer: Die beiden stärksten Spieler im Feld, der Iffezheimer Robert Elms und das Kuppenheimer Eigengewächs Jannik Lorenz, zeigten, warum ihre DWZ in Richtung 2100 läuft. Pfleger hatte gegen beide keine Siegchance und musste dann Ungenauigkeiten Tribut zollen. Ein kleines Meisterstück gelang ebenso dem früheren Hördener Oberligaspieler Norbert Frühe, der als Schlussakkord ein Damenopfer nebst folgender Springergabel anbringen konnte.
Trotz der drei Niederlagen und des fünfeinhalbstündigen Marathons ließ sich der Großmeister nicht verdrießen. Beim folgenden Festbankett bewies der 75-Jährige weiter seine außerordentliche Kondition. Die Präsentation einer der schönsten Partien der Schach-Geschichte am Demobrett, in der Eduard Lasker den schwarzen König von Sir Thomas durch ein Damenopfer bis nach g1 trieb und dort matt setzte, gefiel selbst den weniger schachkundigen Gästen.
Helmut Pfleger zeigt vergnügt den legendären Sieg von Eduard Lasker, der dem schwarzen König bald auf g1 den Garaus bereitet.
Anschließend beantwortete die Legende Fragen der Rochade-Mitglieder. Egal, ob es um den Ausgang des nie gespielten WM-Duells zwischen Fischer und Anatoli Karpow ging, um die „georgische Straßenmannschaft der Frauen“, die alle in Tiflis in einer Straße wohnten oder um sein Tischtennis-Match mit Nona Gaprindaschwili und Paul Keres: „Auf jedes Stichwort hat Helmut Pfleger eine Anekdote parat“, begeisterten sich die Fans erneut für seine unterhaltsamen Erzählungen. „Das war ein Glücksgriff und ein äußerst gelungener Abend“, freute sich Rochade-Vizepräsident Kai Götzmann als einer der Organisatoren.
Die Gründungsmitglieder von 1979 der Rochade erhalten beim Festbankett Auszeichnungen vom Badischen Schachverband.
Am Rande führte Rochade-Präsident Michael Waschek Ehrungen durch: Er selbst erhielt wie seine Amtsvorgänger und Rochade-Gründer Kühl, Heribert Urban und Klaus Harsch sowie Alexander Hatz Ehrennadeln des Badischen-Schachverbandes für 40-jähriges Engagement. Zudem wurden für diese Zeit Gründungsmitglied Josef Hartmann und Langzeitkassierer Ralf Ehret bedacht. Für 25-jährige Mitgliedschaft zeichnete Waschek überdies Materialwart Markus Hirn aus. Erinnerungen von Kühl an die Keimzelle, die Schach-AG an der Realschule, und das ab 1979 folgende schachliche „Wunder an der Murg“ mit zahlreichen Aufstiegen in Serie rundeten den Festabend ab.