Die halbe Bundesliga mit viel
Prominenz in Berlin!
Von Dagobert Kohlmeyer
Das
Russische Haus in der Berliner Friedrichstraße war an diesem Wochenende
Schauplatz von zwei Bundesliga-Doppelrunden. Mit dem Effekt, dass die halbe Liga
dort spielte. Ein seltenes Erlebnis für die Schachfreunde an der Spree. Wer kann
schon so viele ehemalige WM-Kandidaten auf einmal bewundern wie Jan Timman, Ulf
Andersson, Zoltan Ribli, Rafael Waganjan bzw. Exweltmeister Rustem Kasimdschanow!
Rustam Kazimdzhanov: Der FIDE-Weltmeister von 2004 spielt für den
Godesberger SK
Kazimdzhanov und Alexander Graf
Rafael Vaganjan war in seiner besten Zeit Nummer Drei der Welt
Der früher WM-Kandidat Romanishin
Ulf Andersson
Edwin Kengis spielt seit vielen Jahren in der Bundesliga
Kuba-Experte Henrik Teske
Stefan Kindermann eröffnet in Kürze eine Schachakademie in
München
Auch wenn
einige Cracks wie Aronian, Adams, Almasi u.a. wegen des Turniers in Wijk aan Zee
fehlten, gab es spannende Kämpfe der drei Berliner Vereine mit Porz, Tegernsee,
Godesberg und Eppingen. Unser Hauptstadtreporter Dagobert Kohlmeyer hatte am
Rande reichlich Gelegenheit zu besprächen und Schnappschüssen.
Lothar Vogt: „Wir genießen das
eine Jahr!“
Lothar Vogt
Der
Leipziger Lothar Vogt spielt seit 1990 in der Schach-Bundesliga. Zuerst
jahrelang für die SG Porz und heute für seinen Heimatklub SC Leipzig Gohlis, wo
er am Spitzenbrett sitzt. Vor dem ersten Zug in Berlin baten wir den 53-jährigen
Großmeister ums Wort.
Lothar, ihr habt Abstiegssorgen. Trübt das eure Laune sehr?
Nein. Wir
genießen auf jeden Fall das eine Jahr in der ersten Bundesliga. Es macht uns
Riesenspaß, auch wenn man Niederlagen kassiert. Diese sind in der Regel nach
drei Stunden noch nicht so klar, aber dann werden wir meist glatt überspielt.
Woran liegt das?
Natürlich
wirkt sich die größere Spielstärke der anderen Teams aus, die mit Stars nur so
gespickt sind.
Also die Freude überwiegt bei euch den Ehrgeiz?
Ja, wir
genießen es, und dann gehen wir nach einer Saison wieder in unsere zweite Liga
zurück, wo wir hingehören.
Lothar, du bist schon so lange im Schachgeschäft. Welches waren
2005 für dich die bemerkenswertesten Ereignisse im Weltschach?
An erster
Stelle möchte ich Topalows WM-Sieg in San Luis nennen. Das fand ich ganz toll.
Seine dortigen Partien haben mich total beeindruckt. Das ist eigentlich ein
echter Mann, der auf dem Niveau von Kasparow spielt. Zu bewundern ist vor allem
das hohe Risiko, das er in jeder Partie eingeht.
In Wijk aan Zee erleben wir ihn jetzt wieder so. Gerade eben hat
die entscheidende Partie Topalow – Anand begonnen. Wie wird das heute
Nachmittag ausgehen?
Es wird wohl
ein Remis geben. Mit einem halben Punkt Vorsprung muss Weselin nichts mehr
riskieren. Es ist doch legitim, wenn er jetzt auf den Turniersieg spielt.
(Lothar Vogt sollte Recht behalten).
Braucht das Schach Helden wie den bulgarische Vorkämpfer?
Ja
unbedingt. Nach Kasparows Rücktritt haben wir mit ihm jetzt zum Glück wieder
eine echte Identifikationsfigur.
Was sagst du zu Levon Aronians Weltcupsieg?
Das finde
ich ebenfalls ganz großartig. Auch Aronian wird mit Sicherheit noch weiter nach
vorn in die Weltspitze stoßen.
Du bist auch ein erfahrener Schachlehrer. Warum haben wir in
Deutschland keine Spieler solchen Weltklasse-Kalibers und auch keine Talente wie
zum Beispiel Sergej Karjakin oder Magnus Carlsen?
Ganz
einfach. Weil Profischach in Deutschland keinen echten Nährboden mehr hat. Das
liegt unter anderem am Entwicklungsstand unseres Landes und den vielen
Möglichkeiten für junge Leute. Mit einem seriösen Beruf kommst du eben insgesamt
weiter, als wenn du dein Geld mit Schachspielen verdienst. Es ist zu riskant,
das erkennen immer mehr Leute.
Gibt es bei uns zu viele andere Möglichkeiten für junge Menschen,
sich auszuprobieren?
Ja,
zumindest mehr als in den GUS-Staaten zum Beispiel, wo Schach Nationalsport ist
und es nicht so viele Ablenkungen und Zerstreuungsmöglichkeiten gibt wie bei uns
in Deutschland. Ein junger Mensch kann sich hierzulande viel eher verzetteln als
anderswo.
Ist also die Profilaufbahn für junge Schachspieler heutzutage
nicht zu empfehlen?
Nicht
unbedingt. Es sei denn, man schafft es bis in die absolute Weltspitze. Aber das
gelingt nur wenigen. Und außerdem fehlt in Deutschland momentan sicher eine
große Leitfigur, wie es Robert Hübner einmal war.
Liviu-Dieter Nisipeanu: Gegen
Topalow in Bukarest
Liviu-Dieter Nisipeanu
Liviu-Dieter, Was sagst du zum Weltcupsieg deines Teamkollegen
Levon Aronian?
Ich habe
vorausgesagt, dass Levon Aronian in Chanti-Mansysk Weltcupsieger wird!
Tatsächlich? Das war ein Spaß!?
Natürlich
war das ein Spaß, aber ich hatte mir schon Chancen für ihn ausgerechnet.
Hast du mit ihm gewettet oder mit jemand anderem?
Mit jemand
anderem.
Mit wem?
Das verrate
ich nicht.
Du hast in letzter Zeit selbst große Leistungen gezeigt, bist
2005 nach hartem Kampf Europameister geworden. Und jetzt spielst du, wie ich von
Silvio Danailow hörte, sogar ein Match gegen Weselin Topalow!
Ja, das wird
vom 6. bis 9. April in Bukarest sein. Wir spielen vier klassische Partien, und
es gibt keine Möglichkeiten, dass die Spieler untereinander Remis anbieten, ohne
den Schiedsrichter zu konsultieren.
Findest du das gut?
Ja, das ist
die Regel, die voriges Jahr in Sofia angewendet wurde. Sie ist okay und führt
dazu, dass die Partien ausgespielt werden. Schach wird dadurch wieder mehr zum
Spektakel für die Zuschauer.
Wer ist denn der Sponsor?
Es sind zwei
Leute aus meiner Heimat. Die Initiative ging von Rumänien aus. Mein Gegner
sollte ein Bulgare sein und möglichst der Weltmeister. Unsere beiden Länder
wollen doch 2007 in die EU. Das ist der Hintergrund. Ich war mir nicht sicher,
ob Topalow das Angebot akzeptiert, aber er tat es. Darüber bin ich sehr froh.
Wie hoch ist das Preisgeld für den Sieger?
Preisgeld
gibt es nicht, wir beide bekommen ein Antrittshonorar.
In welcher Größenordnung?
Das
Startgeld bleibt natürlich geheim.
Jan Timman: „Ich unterstütze
Bessel Kok“
Jan Timman
Timman gegen Roos
Beim
Superturnier in Wijk aan Zee trafen wir Jan Timman nicht, aber bei der
Bundesliga in Berlin, wo er für Porz die Figuren setzte.
Wer gewinnt in Wijk?
Ich weiß
nicht, vielleicht Topalow. Er ist in großer Form.
Ist er ein würdiger Nachfolger von Kasparow?
Das kann man
schon sagen.
FIDE-Chef Iljumschinow macht dieser Tage wieder Schlagzeilen.
Erst kündigt er ein Match zwischen Topalow und Kramnik in Elista an, dann heißt
es, er will noch in diesem Jahr als Präsident von Kalmückien zurücktreten. Was
sagst du dazu?
Das ist für
mich alles nicht so wichtig im Moment. Mich interessiert mehr die Wahl am Rande
der Schacholympiade in Turin. Ich hoffe, dass Bessel Kok dort neuer
FIDE-Präsident wird.
Welche Chancen räumst du deinem Freund ein?
Er hat schon
gute Chancen. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen. Wir haben bis dahin noch
viel Arbeit vor uns.
Wie unterstützt du Bessel Kok?
Vor allem
als Berater. Eine Funktion in der FIDE möchte ich nicht übernehmen.
Harald Lieb:
Schöne Partien gegen Spasski und Lobron
Harald Lieb
Mit 71
Jahren ist der Berliner Harald Lieb ältester aktiver Bundesligaspieler. Er
gehörte zu den Gründern, die schon 1981 in der stärksten Schachliga der Welt am
Brett saßen. Der SK Zehlendorf ist ohne sein Urgestein undenkbar.
Harald, deine wievielte Bundesligapartie spielst du heute?
Das weiß ich
nicht. Ich habe keine Statistik geführt. Aber ich habe insgesamt sechs
Spielzeiten in der 1. Bundesliga gespielt. 1981/82 am ersten Brett von
Wilmersdorf, danach für den SK Zehlendorf.
Wie war das, damals gegen Boris Spasski anzutreten?
Eine große
Sache. In der Bundesliga habe ich gegen ihn verloren. Aber zuvor beim
Großmeisterturnier 1979 in München konnte ich ihn bezwingen. Es war sicher mein
wertvollster Sieg, weil es der renommierteste Gegner war.
Welche anderen Spiele sind dir noch in guter Erinnerung?
Gegen Eric
Lobron habe ich mit Weiß mal schön gewonnen. Das war im ersten Jahr der
Bundesliga.
Heute geht es eurer Mannschaft leider nicht so gut?
Ja, es ist
ein Gastspiel nur für ein Jahr. Wir haben hier gegen Leipzig unglücklich 3,5:4,5
verloren. Drei Leute haben innerhalb weniger Minuten ihre guten Stellungen
verdorben. So befinden wir uns eben am Tabellenende.
Was unterscheidet Mannschafts- und Einzelkämpfe?
Für das Team
anzutreten, wird oft zur Nervensache. Verliert man dort, tut es der ganzen
Truppe weh. Früher war ich ein guter Mannschaftsspieler. Heute spiele ich lieber
in Einzelturnieren, vor allen bei den Senioren. Dort kann man eher mal eine Null
einstecken und dann wieder aufholen.
Wie lange wirst du noch in der Bundesliga aktiv sein?
Es soll
meine letzte Saison sein. Ich lasse mich künftig nur noch als Ersatzmann
aufstellen.
Dafür fehlst du aber heute bei kaum einem Seniorenturnier. Was
macht deren Reiz aus?
Dort trifft
man zum Beispiel Leute, mit denen man vor 50 Jahren deutsche
Jugendmeisterschaften gespielt hat. Ich denke an Willy Rosen oder Karl-Heinz
Demuth aus Hattingen. Letzterer hat mich jetzt auch wieder besucht. Da gibt es
viele gemeinsame Erinnerungen.
Was sind deine nächsten schachlichen Pläne?
Ich starte
nächsten Monat wieder mit dem Berliner Team bei der Senioren-Mannschafts-EM in
Dresden und dann entweder bei der Senioren-Einzel-WM in Italien oder der
Senioren-EM in der Schweiz.
Lieb gegen Spasski...
Lieb gegen Lobron...
Ludwig Zesch gegen Alexander Graf
Evgeny Postny
Bundesliga im
Blickpunkt
Am Wochenende trifft sich die Bundesliga nach der Winterpause zur 4.Doppelrunde.
Die halbe Liga trifft sich dabei in Berlin, wo Kreuzberg und Zehlendorf ihre
Heimwettkämpfe am Samstag und Sonntag am gleichen Ort austragen (Berlin,
Russisches Haus, Friedrichstr. 176-179). Nicht nur die Spitzenmannschaften
werden unter der Abwesenheit einiger ihrer Spieler zu leiden haben, die beim
Corus-Turnier in Wijk oder beim Gibtele.com Masters in Gibralatar aktiv sind.
Kirchheim als Gastgeber u.a. des Wettkampfes Baden-Baden gegen Solingen
überträgt die Partien des Wochenendes live ins Internet. Diesen Service bietet
auch der SV Mülheim an. Dort treten die Nordvereine aus Bremen und Hamburg an.
Eine lebendige Chronik der Geschichte des SK Zehlendorf mit vielen prominenten
Figuren des deutschen und internationalen Schachs hat Jochen Schneider auf
schachbundesliga.de veröffentlicht. Lesenswert!
Mehr bei schachbundesliga.de...
SK Zehlendorf.de...
TV ChessBase: heute live und
vorverlegt
In der heutigen TV ChessBase-Sendung widmen wir uns dem Corus-Schachturnier in
Wijk, dass an diesem Wochenende zu Ende geht. Anand und Topalov werden
versuchen, in ihren heutigen Partien die Weichen auf Turniersieg zu stellen. Wir
kommentieren heute live von 14 bis 16 Uhr für die deutschsprachigen
Schachfreunde.
Im Browser GEZ-frei mithören (ohne Brett)...
Murray Chandler gewinnt
Meisterschaft von Neuseeland
Murray Chandler, gleichzeitig Hauptsponsor, gewann mit 8,5 Punkten aus 10
Partien die mit 30.000 NZ-Dollar dotierte Offene Meisterschaft von Neuseeland
(15.-24.Januar) in Queenstown. Bereist eine Runde vor Schluss stand Chandler
zumindest als Co-Sieger fest. Seine letzte Landesmeisterschaft datiert auf das
Jahr 1976. Danach verließ er das Land und wurde Profi in Europa. Mit Rogers,
Smerdon und Zhao folgen drei Australier auf den Plätzen. Hans Joachim Hecht kam
als bester Deutscher auf Platz Sieben. (Foto: Chandler und Rogers; Cathy Rogers)
Partien herunter laden...
Turnierseite...
Herrenloser Fernschachserver
Anscheinend treibt derzeit ein herrenloser Schachserver durchs Internet.
Fernschachspieler hoffen, dass der chessfriend-Server nirgendwo aneckt oder
abstürzt. In dem Falle wäre wohl niemand zur Stelle, um ihn neu zu booten und
die laufenden Partien wieder in Gang zusetzen. Die letzten Lebenszeichen einer
Wartung stammen aus dem November 2005. Danach hatte Initiator und Betreiber
Reimund Lutzenberger offenbar nicht mehr die Zeit, sich um den Server zu kümmern
oder andere Sorgen. Heise-online und danach der Stern berichteten, dass
Lutzenberger mit einer innovativen Geschäftsidee nicht überall auf die erhoffte
Resonanz stieß. Die Firma Nimzoservices mit Sitz in Panama hatte mit ihrem
Geschäftsführer Michael Adams den Google AdSense-Service in unangemessener Weise
für eigene Geschäftszwecke entfremdet. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
führten zum ehemaligen IT-Consultant Lutzenberger. Dieser ist zur Zeit nicht
auffindbar.
Meldung bei Heise...
Interview mit Lutzenberger in Correspondencechess.com (2003)...
Der Deutsche Schachbund unterstützt Bessel
Kok
Der Deutsche Schachbund hat heute in einer Presseerklärung offizielle seine
Unterstützung für die Kandidatur Bessel Koks als FIDE-Präsident bekannt gegeben.
Die Wahl findet zur nächsten Schacholympiade im Sommer 2006 in Turin statt. Zum
ersten Mal in seiner gesamten bisher 10-jährigen Amtszeit muss sich der
amtierende Präsident Kirsan Ilyumshinov mit einem ernsthaften Gegenkandidaten
auseinandersetzen. Namens des Deutschen Schachbundes hat Präsident Alfred Schlya
die unverlässliche FIDE-Politik der letzten Jahre kritisiert, die dem Ansehen
des Schachs geschadet habe. Er gab außerdem dem Wunsch Ausdruck, Anatoly Karpov
möge sich dem Team von Bessel Kok zur Verfügung stellen.
Zum Deutschen Schachbund...
"The Right move" - Bessel Koks Kampagnenseite...
Presseerklärung des DSB...
Der Deutsche Schachbund begrüßt und unterstützt die Kandidatur von Bessel Kok
als FIDE-Präsident bei den bevorstehenden Wahlen in Turin.
Ein funktionsfähiger und verlässlicher Weltschachbund ist für den DSB als eine
der größten und aktivsten Föderationen wichtig. Das Ansehen des
Schachsportes hat in den letzten Jahren darunter gelitten, dass u. a. der
Weltmeisterschaftszyklus ständig geändert wurde, dass Termine der
Weltmeisterschaften nicht langfristig feststanden und die Bedenkzeiten häufig
geändert wurden, ohne dass die Generalversammlung dazu gefragt worden
ist.
Der DSB wird sich weiterhin aktiv an der Arbeit der FIDE beteiligen. Dazu zählen
nicht nur die 2008 in Dresden anstehende Schach-Olympiade oder die
FIDE-Trainerakademie in Berlin. Er ist außerdem bereit, Verantwortung zu
übernehmen.
Mit Bessel Kok und seinem Ticket wird die FIDE einen Schritt in Richtung mehr
Demokratie machen. Zusätzlich würde es der DSB begrüßen, wenn sich
Exweltmeister Anatoly Karpow für das Team von Bessel Kok zur Verfügung stellen
würde.
Oberhausen, den 24.01.2006
Alfred Schlya
Präsident