Capablancas letzter Weltmeisterschaftskampf

von André Schulz
29.01.2021 – Der letzte Weltmeisterschaftskampf von Capablanca, der letzte überhaupt, würde 1950 stattfinden. Das sagte der geistreiche österreichische Kolumnist, auch der erste Präsident des ÖSB, Josef Krejcik, in einer Humoreske 1925 voraus. Capablanca gewann vor 250.000 Zuschauern auf brillante Weise. Alle weiteren Weltmeisterschaften wurden sinnlos.

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Der letzte Kampf um die Weltmeisterschaft 

Von Josef Krejcik (1)

Am 1. April 1950 fand die Entscheidungspartie des Weltmeisterschaftskampfes statt, den der alternde Capablanca (2) mit dem auch schon vierzigjährigen Schach Wunderkind Rzeschewski (3) auszufechten hatte. Hören wir darüber den Bericht der „New Yorker Staatszeitung“.

„Es ist 8 Uhr vormittags (4). Der Turniersaal, amphitheatralisch angelegt, ist voll zum Ersticken. Fast 250.000 Schachfreunde (5) sind versammelt, um Zeugen des denkwürdigen Ringens zu sein. Da tritt Capablanca ein, trotz seines hohen Alters noch stramm, voll Tatkraft. Er nimmt Platz und markiert ein Gähnen. Sein Gegner erscheint, auf dem Arm seiner Mutter, eine Saugflasche wird vom Turnierleiter nachgetragen. Capablanca eröffnet streng nach Tartakower’s „Hypermoderner Schachpartie“ mit dem Turmbauern a2 (6). Sein Gegner pariert den drohenden Bauernstoß in Reti‘s Geiste mit Sa6. Schon nach wenigen Zügen sieht man, daß Weiß in Vorteil kommt, ein weißer Bauer erscheint auf b7, um sich aber zur allgemeinen Überraschung in einem schwarzen Springer zu verwandeln. Der stark kurzsichtige Kubaner wiederholt diese Art Verwandlung noch einigemale, ohne dass ihn die von der Schachwunderkindpresse bestochene Turnierleitung aufmerksam macht. Es wimmelt von schwarzen Figuren am Brette, die Zahl der weißen Steine ist schon verschwindend klein. In der Pause endlich wird Capablanca von einem Zuseher aufgeklärt. Schon scheint Hilfe ausgeschlossen, die Reporter verkünden der Schachwelt bereits den neuen Weltmeister. (Siehe Stellungsbild!) Capablanca aber, „Weltmeistergröße“ vom Scheitel bis zur Sohle, sagt einfach: „Eine kleine Studie für die Herren. Weiß zieht und gewinnt!“ (7)

 

 

1.Th7–g7 Kg8–h8
2.Tg7–f7 Kh8–g8
3.Tf7–g7 Kg8–h8
4.Tg7–e7 Kh8–g8
5.Te7–g7 Kg8–h8
6.Tg7–d7 Kh8–g8
7.Td7–g7 Kg8–h8
8.Tg7–c7 Kh8–g8
9.Tc7–g7 Kg8–h8
10.Tg7–b7 Kh8–g8
11.Tb7–g7 Kg8–h8
12.Tg7–a7 Kh8–g8
13.Ta7–g7 Kg8–h8
14.Tg7–g6 Kh8–h7
15.Tg6–g7 Kh7–h8
16.Tg7–g5 Kh8–h7
17.Tg5–g7 Kh7–h8
18.Tg7–g4 Kh8–h7
19.Tg4–g7 Kh7–h8
20.Tg7–g3 Kh8–h7
21.Tg3–g7 Kh7–h8
22.Tg7–g2 Kh8–h7
23.Tg2–g7 Kh7–h8
24.Tg7–g1 Kh8–h7
25.Tg1–g7 Kh7–h8
26.Kb2–a1 Sf8–h7
27.Tg7–g6 Sh7–f6
28.Tg6–h6 Kh8–g7
        29.Th6–f6
[und gewinnt.]
 

 

Ohrenbetäubender Jubel der entzückten Menge ob dieser Tat. Ein solches Übergewicht, das dem von 45 Bauern oder 5 Damen gleichkommt, hatte noch kein Sterblicher niedergerungen. Das sofort begründete Weltschachbundkomitee (8) beschloss einstimmig Abschaffung aller künftigen Turniere und Wettkämpfe, Unterbringung aller Schachmeister in Schwachsinnigenasylen (9) und Einstampfung aller Schachwerke. Capablanca’s Statue (10) aber solle von nun ab statt der Freiheitssäule die Hafeneinfahrt New Yorks schmücken, die Präsidentenwürde des Völkerbundes (11) in seiner Familie erblich werden und als Kriegsersatz jährlich an seinem Geburtstage sein herrliches Schlußspiel als lebende Partie von wirklichen Armeen aufgeführt werden. Turm h7 sei hierbei von einem gepanzerten Tank (12) darzustellen, der die zu schlagenden Truppen einfach zu Boden walze. Zusehern sei das Betreten des Schlachtfeldes jederzeit gestattet.“

Soweit der Zeitungsbericht, den wir ungekürzt bringen.

(Anmerkung des Herausgebers: Wenn jemand vor Capablancas bescheidenen Auslassungen im Herbst 1924 dieses Schachereignis vom Jahre 1950 vorausgesagt hätte, so ist mit Bestimmtheit anzunehmen, dass der Kubaner seinen Ton etwas höher gestimmt hätte.) 

Anmerkungen:

1) Der Beitrag erschien 1925 in Josef Kreijciks Büchlein: Artige und unartige Kinder der Schachmuse, Nachdruck 1987 von Arno Nickel in der Edition Marco. Die Glosse ist hier in der Original Orthografie wiedergegeben. Einige offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

2) Jose Raul Capablanca y Graupera (* 19. November 1888 in Havanna; † 8. März 1942 in New York), 3. Schach-Weltmeister von 1921-1927

3) Samuel Herman Reshevsky (* 26. November 1911 in Ozorkow, damals Russisches Reich, heute Polen, als Szmul Rzeszewski; † 4. April 1992 in Suffern, New York). Macht schon in Europa als Schachwunderkind auf sich aufmerksam und spielte als Sechsjähriger im Wiener Schachklub simultan gegen starke Gegnerschaft. Blieb 1920 nach einer Simultantournee in den USA und war lange Zeit der bestes Spieler der USA..

4) Wohl noch nie begann eine Schachpartie um 8 Uhr morgens.

5) Auch 1925 träumte man also schon vom Schach als massentaugliches Sportereignis.

6) Krejcik macht sich über die "Hypermoderne Schachschule" lustig. Tartkower, Reti, Breyer und andere wichen in ihren Partien von der klassischen Lehre ab, das man zuerst das Zentrum mit Bauern besetzten sollte.

7) Anspielung auf Capablancas "petit combinaisons", mit denen der glänzende Stratege auf taktische Weise Partien entschied.

8) Der Weltschachbund wurde im Jahr vor Erscheinen der Humoreske, 1924, gegründet.

9) Die Schachspieler als Spinner? Das geht zu weit!

10) Größenwahn. Unter Schachspielern kaum verbreitet. Oder doch?

11) Völkerbund: Vorläufer der UNO mit Sitz in Genf. 1920 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zur besseren Völkerverständigung gegründet. Konnte den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern. 1946 aufgelöst.

12) Tanks, gepanzerte Kettenfahrzeige, wurden erstmals während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) unter Kriegsbedingungen eingesetzt. Der erste gepanzerte Kampfwagen (auf Rädern) wurde aber schon vorher von Daimler-Austria entwickelt. Weil der Prototyp bei einer Vorführung zu laut war, wurde der Wagen abgelehnt und das Patent nach Frankreich verkauft.


Über Josef Krejcik

Josef Krejcik, außerhalb Österreichs zu Unrecht nur wenig bekannt, war der Erste Präsident des Österreichischen Schachbundes, als dieser 1920 in Wien gegründet wurde. Er blieb bis 1925 im Amt und wurde dann zu ersten Ehrenpräsidenten des ÖSB ernannt. Krejcik war ein starker Schachspieler und geistreicher Autor, wovon die oben nachgedruckte Humoreske ein witziges Zeugnis abgibt. 

Geboren wurde Josef Krejcik am 22. Januar 1885 in Rudolfsheim/Wien. Er wuchs in Olmütz (Mähren) auf und kehrte zum Studium nach Wien zurück. Er schloss ein Philosophie-Studium mit Promotion ab und wurde Lehrer. Außerdem war er für das Auktionshaus Dorotheum der Experte für alte Drucke.

Schach hatte er als Jugendlicher gelernt und war Besucher und Zuschauer beim berühmten Kaiser-Wilhelm-Jubiläumsschachturnier von 1898. Nach seinem Eintritt in den Akademischen Schachverein war er dort bald einer der vier besten Spieler. Krejcik war häufiger Gast im Wiener Café Central, dem Zentrum des Wiener Schachlebens. Hier traf und spielte er mit Schachgrößen wie Milan Vidmar, Savielly Tartakower, Giovanni Martinolich, Julius Perlis, Leopold Löwy, Rudolf Spielmann und Siegfried Wolf. Krejcik gehörte nicht zu den allerbesten Spielern von Österreich. Aber wenn er eine Chance bekam, dann nutz er sie, so wie in dieser Parte gegen Richard Reti:

 

Krejcik war regelmäßiger Teilnehmer an dern Trebitsch-Turniere, belegte hier aber nur Plätze im Mittelfeld. 1917 gewann er das Turnier des Wiener Schachklubs und 1931 das Bendiner-Gedächtnis-Turnier. 1920 teilte Krejcik beim Schlechter-Gedächtnisturnier den zweiten Platz mit Ernst Gründfeld. 1921 wurde ihm der Meistertitel des ÖSB verliehen. Ein Blitzturnier beim Messerkongress beendete er 1922 punkgleich Mit Alexander Aljechin auf Platz fünf. Zwischen 1920 und 1930 verlor er keine einzige Partie bei Mannschaftswettkämpfen. Krejcik spielte zudem Fernschach und gab Simultanvorstellungen. Bei einer Simultanvorstellung in Linz 1910 verlor er alle 25 Partien. Schuld an diesem Ergebnis war laut eigenen Angaben ein vorgeschaltete Frühschoppen. Es war auch sehr heiß im Saal. Wegen eines Herzfehlers zog sich Krejcik 1931 vom Turnierschach zurück.

Schon während seiner aktiven Karriere, aber auch danach zeichnete sich Josef Krejcik mit spitzer Feder und beißendem Witz, aber auch mit Eröffnungsbeiträgen als Autor aus. Das Gambit 1.d4 f5 2.g4 hat die Bezeichnung Krejcik-Gambit. Er führte mehrere Schachspalten und verfasste Artikel und Humoresken für Schachzeitungen. 

Zusammen mit Georg Marco gab Krejcik auch einige Turnierbücher heraus. In seiner Zeit als Präsident des ÖSB organisierte Josef Krejcik zudem Schachturnier und rief die Vereinswettkämpfe ins Leben. Auch als Studienkomponist betätige Josef Krejcik sich.

Josef Krejcik starb am 4. Januar 1957. 

Bücher: 

Josef Krejcik: 13 Kinder Caïssens. Verlag der Wiener Schachzeitung, Wien 1924.
Josef Krejcik: Artige und unartige Kinder der Schachmuse. Leipzig 1925. (Nachdruck: Edition Marco, Schachverlag Arno Nickel, 1987
Josef Krejcik: Mein Abschied vom Schach. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1955.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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