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Bundestrainer Rogozenko über die WM, die richtige Einstellung und das deutsche Schach
An diesem Samstag beginnt in Sotschi die Schach-WM. Diesmal wird es spannender als im vergangenen Jahr – glaubt Bundestrainer Dorian Rogozenko. Nur der Ausgang bleibe derselbe.
Von Norbert Wallet
Herr Rogozenko, das erste WM-Match im vergangenen Jahr zwischen Magnus Carlsen und Vishy Anand war eine eindeutige Angelegenheit für den jungen Norweger. Wird es wieder so deutlich?
Nein, das glaube ich nicht. Das erste Match war zu einfach für Carlsen. Anand wird seine Schlussfolgerungen gezogen haben. Dennoch ist klar: Auch in diesem WM-Match ist Carlsen der Favorit.
Wie hatte der erfahrene Anand das erste Match so klar verlieren können?
Mir scheint, dass Anand psychisch nicht für den ganz großen Kampf bereit gewesen war. Magnus Carlsen hatte die Schachwelt vor dem Match sehr deutlich dominiert, und Anand selbst hatte seit langem eine eher absteigende
Leistungskurve. Ich glaube, das hat bei ihm zu einer Stimmungslage geführt, in der er sich schon vor dem WM-Kampf mit dem Verlust seines Titels abgefunden hatte. Carlsen erschien ihm zu stark, zu jung, zu hungrig. Der Druck, das heimische Publikum in Indien nicht zu enttäuschen ,wird dazugekommen sein. Deshalb spielte er insgesamt zu zaghaft und gab den Wettkampf innerlich zu früh auf. Das wird diesmal komplett anders sein.
Warum?
Anand hat im vergangenen Jahr ein sensationelles Comeback geschafft. Niemand hatte doch damit gerechnet, dass er sich noch einmal im Kandidatenturnier durchsetzen könnte. Er hat es geschafft. Seine alte Form ist wieder da. Ich denke, darin drückt sich auch eine Art Erleichterung aus. Die Bürde, den Titel zu tragen und verteidigen zu müssen, ist weg. Die Freude am Spiel steht wieder im Vordergrund. Das Wichtigste: Er hat wieder Motivation! Die Rückeroberung des Titels ist ein großes Ziel.
Manche sagen: Vishy Anand muss verwickelte, taktische – also eher wilde – Stellungen anstreben, damit Magnus Carlsen nicht seine Stärke in zähen, technischen Positionen ausspielen kann.
Nein, darum geht es nicht. Anand muss nicht die Spielanlage ändern, sondern seine Einstellung. Er muss bereit sein zu kämpfen. Auch ausgeglichene Stellungen sind ja nicht automatisch remis. Und Anand ist durchaus in der Lage, lange Partien durchzustehen – wenn er im Kopf darauf vorbereitet ist.
Dagegen hatten manche Beobachter nach seinem Titelgewinn geglaubt, dass Carlsen die Schachwelt noch deutlicher beherrschen würde, als er es dann tat . . .
Man muss Carlsen fair beurteilen. Er ist – wie einst Anand– ja "Weltmeister aller Klassen“. Also nicht nur im Schach mit klassischer Bedenkzeit, sondern auch im Blitz- und im Schnellschach. Er hat als Champion nur in zwei Turnieren nicht überzeugt. Deshalb bleibt er klarer Favorit. Aber auch er musste natürlich die Erfahrung machen, dass es ein gewisses Motivationsproblem geben kann, wenn das jahrelang verfolgte Ziel – der WM-Titel – erreicht ist.
Frage an den Bundestrainer: Wieweit ist das deutsche Schach von diesem WM-Niveau entfernt?
Leider sind wir noch weit entfernt. Es hat keinen Sinn, das anders darzustellen. Ja, Arkadij Naiditsch, unser Spitzenspieler, hat bei der Schach-Olympiade kürzlich Carlsen besiegen können. In einzelnen Partien ist das immer möglich. Potenzial sehe ich im deutschen Spitzenschach durchaus. Was fehlt, ist die Stabilität. Um dieses alleroberste Topniveau zu erreichen, muss man lange und anhaltend trainieren und arbeiten. Vielleicht ist das deutsche Schach daran noch nicht so gewöhnt. Langfristig mag die Sache anders aussehen.