Judit Polgar fordert Anand
heraus
Chess Classic Mainz: Erste WM im Chess960 zwischen Leko und Swidler
Von Hartmut Metz
Die
Eckpfeiler der Chess Classic Mainz 2003 stehen: Titelverteidiger Viswanathan
Anand wird vom 14. bis 17. August von Judit Polgar herausgefordert. Ein
reizvolles Duell der Geschlechter im Mekka des Schnellschachs, nachdem in den
Vorjahren die Weltmeister Wladimir Kramnik und Ruslan Ponomarjow knapp gegen den
„Tiger von Madras“ den Kürzeren gezogen hatten. Auf der einen Seite der
weltbeste Schnellschachspieler aus Indien, auf der anderen Seite die alle
weiblichen Konkurrentinnen weit überragende Ungarin. Organisator Hans-Walter
Schmitt freut sich auf die acht Partien: „Für die Medien gibt’s kaum ein
spannenderes Match. Die einzige Frau, die im königlichen Spiel mit der
Weltspitze mithalten kann und dazu noch attraktives Schach spielt, trifft auf
den unbestritten besten Blitzdenker!“, jubiliert der Bad Sodener.
Gegenseitigen Respekt bekunden
die Hauptakteure vor den täglich zwei Partien (ab 18.30 Uhr) in der
Rheingoldhalle. Schließlich eilte Anand zuletzt von Turniersieg zu Turniersieg.
Erst in Linares wurde die Siegesserie des überragenden Bundesligaspielers des SC
Baden-Oos gestoppt. Beim Topturnier in Wijk aan Zee (Niederlande) blieb der
33-Jährige ebenso ungeschlagen wie die knapp hinter ihm zweitplatzierte Judit
Polgar. Vor ihrem bis dato größten Turniererfolg im Feld der Weltelite hatte die
27-Jährige auch schon bei der Schach-Olympiade mit einem glänzenden Resultat ihr
Können bewiesen. Lohn des Erfolgs ist der Sprung der Budapesterin auf Platz elf
der Herren-Weltrangliste. Anand lobt die beste Schachspielerin aller Zeiten über
den grünen Klee: „Sie ist ein sehr starker Großmeister. Ihre letzten Ergebnisse
waren brillant! Judit spielt sehr taktisch und agiert am Brett pragmatisch.“
Judit Polgar, die 1991 mit 15 Jahren und vier Monaten den legendären Rekord von
Bobby Fischer als jüngster Herren-Großmeister aller Zeiten brach, reicht die
Blumen zurück an den Ex-Weltmeister. „Anand zählt zweifellos zu den besten
Schnellschachspielern der Welt. Ich erinnere mich noch gut an 1991, als er
selbst seine normalen Turnierschachpartien im Schnellschach-Tempo
herunterspulte. Heute ist er natürlich reifer und überlegt länger, was seiner
enormen Spielstärke zugute kommt. Vishy ist ein echter Profi, agiert sehr
kraftvoll am Brett.“
Die
Favoritenbürde lastet auf dem Seriensieger der Chess Classic – auch wenn der
Titelverteidiger betont, er müsse „zu 100 Prozent auf der Höhe sein“, um die
Jüngste der drei legendären Polgar-Schwestern in Schach zu halten. Die
Frauenturniere strikt ablehnende Damen-Weltranglistenerste sieht Anand als
„Favoriten, aber ich werde ihm einen großen Kampf bieten“, verspricht Judit
Polgar und verweist auf ihre „zuletzt sehr gute Bilanz gegen Vishy. An meine
herrlichen Partien gegen ihn in Wijk aan Zee 2001 und in Dos Hermanas 1999 denke
ich gerne zurück“. Respekt hat der Inder zweifellos vor dem „leuchtenden Stern
im Frauenschach“. Ob die aparte Vizeweltmeisterin Alexandra Kostenjuk (Russland)
oder seine talentierte Landsmännin vom Subkontinent, Humpy Koneru – „Judit misst
sich nur an ihren eigenen Erfolgen, nicht an Konkurrentinnen. Sie ist eines der
herausragenden Talente der Gegenwart“.
Die Chess Classic werden
offiziell am 13. August vom Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel eröffnet. Das
Oberhaupt der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt wird danach sicher wieder
an einem der Simultans teilnehmen, die um 16.30 Uhr beginnen. Tags darauf
beginnt das „Lieblingskind“ von Schmitt: Das Open im Chess960, bei dem vor jeder
Partie eine von 960 Startaufstellungen ausgelost wird, soll noch mehr als die
131 Teilnehmer des Vorjahres anziehen. Der 51-Jährige erhob den Wettbewerb zur
„offiziellen WM-Qualifikation“. Das Debüt hatte Peter Swidler mit 9:2 Punkten
gewonnen. Nun spielt er zeitgleich mit dem Duell Anand – Polgar gegen Peter
Leko. Der WM-Finalist, der wohl im Juni im klassischen Schach Weltmeister
Kramnik herausfordert, bewies schon 2001 seine Künste im Chess960. In einem
spannenden Match schlug der Ungar den Weltranglistenvierten Michael Adams mit
4,5:3,5. Nun prallt also vom 14. bis 17. August der Sieger des Zweikampfs in
acht Partien auf den Gewinner des sehr starken Open-Turniers, bei dem sich unter
den ersten 32 gleich 30 Großmeister platziert hatten. Die Gunst der Stunde will
Schmitt nutzen, um mit den Anwesenden einen Chess960-Weltverband zu gründen und
den Sieger des Matchs zwischen Leko und Swidler zum Chess960-Weltmeister
auszurufen.
Schach pur garantiert am
Samstag und Sonntag (16. und 17. August) zudem das traditionelle Ordix Open. Zu
der zehnten Auflage werden wieder rund 500 Spieler erwartet! Zum weltweit am
höchsten dotierten Schnellschach-Open (33.333 Euro) pilgern mehrere Dutzend
Groß- und Internationale Meister. Im „Vorprogramm“ zu den Zweikämpfen zwischen
Viswanathan Anand und Judit Polgar sowie Peter Leko und Peter Swidler werden die
Fans wie Teilnehmer gewiss einige Stars bewundern können. An der Spitze steht
dabei der Weltranglistensechste Alexander Grischuk (Russland).
„Judit Polgar imponierte mir
schon immer!“
Chess-Classic-Organisator Schmitt findet Duell der Geschlechter gegen Anand
besonders prickelnd / Gründung eines Chess960-Weltverbandes
Von Hartmut Metz
Die
Chess Classic Mainz (13. bis 17. August) bieten dem Schach-Fan wieder in der
Rheingoldhalle eine Fülle von interessanten Wettbewerben. Motor des wichtigsten
deutschen Schach-Events neben Dortmund ist Hans-Walter Schmitt. Während viele
Turniere stagnieren, boomen die Open bei den Chess Classic – dank des
51-jährigen Bad Sodeners, der sich Jahr für Jahr etwas Neues einfallen lässt.
Heuer steht die erste Chess960-WM zwischen Peter Leko (Ungarn) und Peter Swidler
(Russland) auf dem Plan. Als Hauptanziehungspunkt gilt jedoch das Duell der
Geschlechter zwischen Ex-Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) und der
weltbesten Frau, der Ungarin Judit Polgar. Hartmut Metz unterhielt sich mit
Organisator Schmitt über die Chess Classic Mainz 2003.
Herr Schmitt, 2001 in Mainz
„Duell der Weltmeister“ Anand – Kramnik, 2002 Titelverteidiger Anand gegen
seinen Nachfolger als FIDE-Weltmeister, Ruslan Ponomarjow, diesmal bestreitet
Judit Polgar das Topmatch gegen den Inder. Ein Rückschritt in der Qualität?
Hans-Walter Schmitt:
Ganz im Gegenteil, das ist das Beste, was man momentan für Geld am Schachmarkt
präsentieren kann. Dieses Durcheinander mit den beiden Vereinigungs-Duellen ist
doch wieder einmal eine Lähmung des ganzen Schachs und lässt die Protagonisten
wirklich uninteressant erscheinen. Dieses Match ist frisch, spannend und
unterhaltend zugleich. Dabei steht eine Menge Prestige auf dem Spiel. Mich
wundert wirklich, dass noch kein anderer Veranstalter auf die Idee gekommen ist,
dasselbe zu tun oder wenigstens ein Match im Sieben-Stunden-Schach mit den
beiden zu veranstalten. Die Wettkampfform Zweikampf ist die fairste, aber
zugleich auch gnadenloseste Turnierform, die es gibt, zumal es bei den Chess
Classic kein Unentschieden geben wird.
Welche Vorzüge sehen Sie in der
Vermarktung des Wettkampfs? Gibt eine Frau diesem ein besonderes Gepräge?
Schmitt: Die beste
Schachspielerin der Welt gegen den unbestritten besten Schnellschachspieler der
Welt, den Chess Classic Superstar Vishy Anand, das wird Sport, Spiel, Spannung
pur sein und exzellentes Entertainment obendrein. Die Grundeinstellung dieser
zierlichen Person, Judit Polgar, gegen die besten schachspielenden Männer schon
in frühen Jahren und aus Prinzip den Hut in den Ring zu werfen, imponierte mir
schon immer. Als sie dann im Wettkampf „Rest der Welt gegen Russland“ Garri
Kasparow und Anatoli Karpov im Schnellschach bezwang und in Wijk aan Zee 2003
Anand einen Kampf auf Biegen und Brechen um den Turniersieg lieferte, gab es für
mich keinen Zweifel mehr, welche Person die beste Lösung für die Herausforderung
von Chess-Classic-Champion Anand ist. Dabei spielte ihre Ratingzahl zunächst
eine untergeordnete Rolle. Judit ist im Frauenschach das Maß aller Dinge,
niemals zuvor konnte beim Männerschach auch nur annähernd jemand diese Dominanz
erreichen - weder ein Garri Kasparow noch ein Bobby Fischer! Ich traue ihr alles
zu! Dass Judit Polgar inzwischen auch noch die Schallmauer von 2700 Elo
durchbrach, ist das Sahnehäubchen für unser Match.
Anand gilt weithin als
weltbester Schnellschachspieler. Hat Judit Polgar überhaupt eine Chance, ihn zu
entthronen?
Schmitt: Moment mal:
Vishy Anand gilt nicht nur, sondern er ist der beste Schnellschachspieler der
Welt. Wer sollte besser sein als der Gewinner des am stärksten besetzten
Schnellschachturniers in der Historie (1998: Elo-Schnitt 2781, Kategorie 22),
dem einzigen Top-Ten-Turnier aller Zeiten (2000: Elo-Schnitt 2767, Kategorie 21)
und der Zweikämpfe gegen den amtierenden Einstein-Weltmeister Wladimir Kramnik
(2001) und den Fide-Weltmeister Ruslan Ponomarjow (2002)? Hier ist die
Bescheidenheit des zweimaligen indischen Sportler des Jahres und
Schachweltmeisters von 2000 bis 2002 völlig unangebracht. Sympathisch wirkt
dieses Understatement von ihm allemal, aber ich bitte um mehr Respekt vor seiner
Spielkunst. Er ist nicht nur verdammt schnell, sondern er spielt auch
fantastisch gut. Und wenn er die groben Unkonzentriertheiten à la Bruder
Leichtfuß in wichtigen Turnieren abstellen könnte, dann würde er der Erste sein,
der die Elo-Schallmauer von 2900 Punkten durchbrechen.
Eine gewagte Behauptung! Nach
Polgars kürzlicher 2:6-Niederlage im Schnellschach gegen Boris Gelfand müsste
Anand demnach ja die Weltranglistenerste der Frauen mit 8:0 nach Hause schicken
…
Schmitt: Die Frage nach
dem Ausgang ist dieses Mal schwer für mich zu beantworten, spontan würde ich
sagen, dass mein Freund Vishy bei den Chess Classic unschlagbar ist, weil er
sich wohlfühlt und nächstes Jahr wieder eingeladen werden möchte. Aber wenn ich
richtig überlege, fällt mir auf, dass Judit die bessere psychologische
Ausgangsposition hat. Einerseits hat sie sich im vergangenen Jahr gewaltig
verbessert und hat nichts zu verlieren. Andererseits steht eine Menge an
Prestige für Vishy auf dem Spiel - zwischendurch hatte ich mal den Eindruck
gewonnen, dass er lieber gegen Kasparow oder Kramnik gespielt hätte. Eines steht
fest: Wenn er sich nur für das unmittelbar vor den Chess Classic Mainz
stattfindende Turnier mit klassischer Bedenkzeit in Dortmund vorbereitet, wo
Kramnik, Leko, Bologan, Radjabow und Naiditsch auf ihn treffen, und die
Vorbereitung auf die pausierende Judit Polgar vernachlässigt, wird er
wahrscheinlich nicht gewinnen können - er muss diese mutige, starke Frau sehr,
sehr ernst nehmen.
Im zweiten Hauptereignis stehen
sich Peter Leko, der WM-Finalgegner von Wladimir Kramnik, und Peter Swidler
gegenüber. Sie verkaufen dies als Weltmeisterschaft im Chess960.
Schmitt: Ich gehe davon
aus, dass Sie nichts gegen Vertriebs- und Marketingfachleute im Schach
einzuwenden haben, deren generelle Aufgabe es ist, Ideen und Visionen in kurz-,
mittel- und langfristige Strategien umzusetzen, um dann den Kunden und
Verbrauchern die neuen Produkte anzupreisen. Alles mit dem Ziel, sie auch
verkaufen zu wollen - Verkaufen in Verbindung mit Schach gesetzt hört sich bei
den Fragen der Schach-Journalisten irgendwie seltsam negativ besetzt an. Doch
zum Thema: Wir suchten möglichst einen treffenden Namen für dieses Match,
nachdem Peter Leko 2001 Michel Adams im ersten wichtigen 8-Partien
Chess960-Match schlug und wir letztes Jahr im ersten Chess960-Open den Sieger
Peter Swidler unter 34 Großmeistern, 58 Titelträgern und 131 Teilnehmern
ermittelt hatten. Es bot sich einfach an, die Begegnung mit dem amtierenden
Champion Peter Leko und des fair und offen ermittelten Herausforderers Peter
Swidler als erstes WM-Match zu deklarieren. Wie sollte man es sonst nennen? Es
ist ein Neustart einer Schachspielidee. Sie ist noch klein, soll aber fein sein
und ihren Platz im neuen Schachmarkt mit Hilfe eines ergänzenden Schachangebotes
für „Wenigzeitinhaber“ finden. Dass dazu eine Organisation gebildet werden
sollte, ist klar, da die etablierten nationalen und internationalen
Organisationen die Entwicklung des Chess960 eigentlich nur behindern. Deshalb
wurde im Jahre 2001 der Geschäftsbereich der Chess960 gegründet, um speziell
diese Form des Schachs zu fördern und die bestehenden Blockaden und Barrieren zu
beseitigen.
Sie haben dieser Schachvariante
nicht nur den Namen – der auf die 960 verschiedenen möglichen Startpositionen
hinweist – verpasst. Sie versuchen Chess960 auch zu puschen. Ein Weltverband
soll gegründet werden.
Schmitt: Die World New
Chess Association, WNCA, um genau zu sein. Sie soll die Aktivitäten der sich
einzig und allein um die Förderung des Chess960 kümmernden Frankfurt Chess
Tigers e.V. international legitimieren und federführend fortsetzen. Während der
Chess Classic Mainz 2003 soll ein erster Konvent am 14. August um 9 Uhr im
Congress Centrum Mainz stattfinden. Also unmittelbar vor dem Start des
Chess960-Open um 12.30 Uhr beziehungsweise der ersten Weltmeisterschaft um 18.30
Uhr. Seit 1997 kümmere ich mich mit Akribie um diese Idee, nicht weil sie von
Bobby Fischer kam, sondern um die besondern Merkmale, Vor- und Nachteile
gegenüber der gewohnten Figurenaufstellung herauszufinden. Genauso lief auch die
Namensfindung 2001 an, um mittels Meinungsumfragen den wirkungsvollsten Namen zu
finden. Das Namensungetüm „Fischer Random Chess“ oder die Abkürzung „FRC“ war zu
negativ besetzt. Da sich die Chess Classic schon 1994 für die Variante
Schnellschach entschieden, um möglichst mit kurzweiligem Schachspiel neue Kunden
anzuziehen, hatten wir damit auf Anhieb großen Erfolg. Alle Weltklassespieler
waren schon Teilnehmer in irgendeiner Form, und das Ordix Open mauserte sich zum
größten Schnellschach-Open der Welt. Jetzt galt es noch einen Schritt weiter zu
gehen und dem durch Eröffnungstheorie überfrachteten Schach eine Trendwende zu
wieder mehr Basisschachwissen zu geben. Da war schnell klar, dass das nur mit
Chess960 richtig gut gelingt. Die Kommentare einiger Teilnehmer beim
Prominententurnier 2001 („Da merkt wenigstens keiner, dass ich keine
Eröffnungstheorie mehr kann“), als wir für alle überraschend ankündigten, es
würden sechs Runden Chess960 gespielt, beseitigten unsere restlichen Bedenken.
Der mentale Zugang zu den beruflich und familiär erfolgreichen
„Wenigzeitinhabern“ war gefunden. Dass wir zusätzlich eine natürliche
Verlangsamung der Eröffnungsphase bei Spitzenpartien bekommen würden, weil die
Reduzierung der Wichtigkeit des Eröffnungstheorie zu Gunsten des
Schachbasiswissens, Kreativität und Improvisationskunst durchschlägt,
vergrößerte den Genuss, die Akzeptanz und damit die Zufriedenheit des Zuschauers
exorbitant.
Ist das nicht ein, drücken wir
es mal gelinde aus, abstruser Versuch eines Amateurs, der durch Chess960 sein
geringes Eröffnungswissen im normalen Schach kaschieren will?
Schmitt: Genau hier
fängt die Sache an spannend zu werden! Die Frage impliziert „Eröffnungswissen
gleich Spielstärke“. Die Zeit-Investitionen in das Eröffnungswissen zum
Nonplusultra zu erklären ist in meinen Augen ein Fauxpas - ein Eigentor mit 100
Metern Anlauf! Diese Entwicklung ist im Weltklasseschach sowie im gehobenen und
mittleren Amateurschach zu beobachten. Und der Zeitaufwand vor jeder gespielten
Partie wird immer größer, so dass irgendwann nur noch „Vielzeitinhaber“ wie
Voll- und Teilzeitprofis, Schüler und Studenten sowie Pensionäre dem Schachsport
erfolgreich angehörig sein können. Dazu kommt das ungerechte Ratingsystem, das
nur Punkte für langsam gespielte Partien ermöglicht ... Aus meiner Warte eine
völlig falsche Entwicklung. Wir grenzen nämlich die „Wenigzeitinhaber“, die im
Beruf und in der Familie engagiert sind, ganz aus oder benachteiligen sie
dermaßen, dass sie die Lust auf diese Art Schach zu spielen verlieren. Obendrein
sitzen diese 30- bis 60-Jährigen an den Schalthebeln der Marketing- und
Sponsoringetats von Firmen und Instituten. Diese Leute verfügen normalerweise
über ein großes Basisschachwissen, gehen aber im Wettbewerb mit Kontrahenten
unter, die über spezielles Eröffnungswissen verfügen - und schon waren sie beim
Schach nicht mehr gesehen, bis sie dann in Ruhestand gingen und wieder
auftauchten.
Wie bewerten Sie die Akzeptanz
des Chess960-Turniers, das am 14. und 15. August vor den großen Wettkämpfen
ausgetragen wird?
Schmitt: Bei der
Veranstaltungsstruktur haben wir das erfolgreiche Konzept vom letzten Jahr
beibehalten: Mittags und nachmittags selbst spielen und abends bei den großen
Matchs zuschauen und sich was abgucken. Das innovative Chess960-Open,
gleichzeitig Qualifikation des nächsten Herausforderers, ist am 14. und 15.
August. Das traditionelle Ordix Open findet anschließend am 16. und 17. August
statt. Bei der Abendveranstaltung laufen die acht Partien umfassenden Duelle vom
14. bis 17. August parallel. Jeder Zuschauer oder Journalist bekommt die
einmalige Chance, diese beiden Spielarten des Schachs vergleichend zu genießen.
Die erste Runde wird immer um 18.30 Uhr und die zweite Runde um 20 Uhr beginnen.
Zusammengefasst gesagt: Vier Tage lang Schach nonstop! Die Akzeptanz des
Chess960-Turniers nimmt sowohl bei den Profis als auch bei den Amateuren
sprunghaft zu, obwohl die Werktage Donnerstag und Freitag nicht gerade geeignet
sind, um große Teilnehmerzahlen zu erreichen. Auf jeden Fall wird die Zahl von
131 vom letzten Jahr übertroffen werden und die Qualität der teilnehmenden
Titelträger enorm wachsen.
Welche Simultans sind heuer
geplant?
Schmitt: Am 13.August
wird es im Goldsaal des Hiltons in Mainz eine Weltneuheit geben. Beide Peters,
Protagonisten im Kampf um den ersten WM-Titel im Chess960, werden ein Simultan
geben – natürlich im Chess960. An je 20 Brettern werden sie 20 verschiedene
Stellungen zu bewältigen haben. Ich bin sehr gespannt, wer hier besser
zurechtkommt: die „Theoriehaie“ Leko und Swidler oder die Amateure. Ein
Rückschluss auf den Vorbereitungsstand auf das WM-Match kann danach auf jeden
Fall gezogen werden! Die Ersteigerung von mindestens zehn Simultanplätzen ist
über unsere Webseite
www.chesstigers.de möglich. Wir spielen auf dieser auch derzeit schon eine
Internet-Partie zwischen den Chesstigers-Mitgliedern um Viswanathan Anand und
dem „Rest der Welt“, bei der es bei jedem Zug einen Preis zu gewinnen gibt.
Das anschließende Ordix Open
verspricht ebenfalls ein Leckerbissen für die Schachfans zu werden. Asse aus den
Top Ten sollen auch ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet haben.
Schmitt: Das Ordix-Open
ist für Schnellschach ein Markenname geworden. Das bekannte Paderborner
Softwareunternehmen Ordix AG sponsert die zehnte Ausführung des Opens im
Congress Centrum Mainz. Internet-Live-Übertragung sowie die Präsentation der
Spitzenbegegnungen in der vollklimatisierten Rheingoldhalle sind genauso
Standard geworden wie die perfekte Durchführung und Auswertung der elf Runden am
Samstag und Sonntag. Die Qualität des Feldes in der Spitze wird höchsten
Ansprüchen gerecht und die Ausstattung mit einem Gesamtpreisfonds von 33.333
Euro bei insgesamt 158 Preisen kann sich weltweit sehen lassen. Rating und
Sonderpreise für Spieler jedweder Spielstärke werden die Chancen jedes Einzelnen
erhöhen, da in Verbindung mit der Kombinationswertung von Chess960 und
Ordix-Open zusätzlich 34 Preise vergeben werden.
Dank Zwillingen zurück in die
Weltspitze
Privates Glück verhilft Peter Swidler
zu Comeback / Chess960-Match in Mainz gegen Peter Leko
Peter Swidler ist einer der originellsten Großmeister im Schach-Zirkus – auf dem
Brett wie abseits davon. Hier wie dort sind seine Kommentare einfallsreich und
launisch. Als dreifacher russischer Meister schien der St. Petersburger Ende des
vergangenen Jahrtausends durchaus das Talent zu besitzen, in die Phalanx der
Anand, Kasparow und Kramnik einbrechen zu können. Doch Swidler stürzte ab und
kehrte erst in der Juli-Weltrangliste wieder in die Top Ten zurück. Hartmut Metz
sprach mit dem 27-Jährigen, der bei den Chess Classic Mainz (13. bis 17. August
in der Rheingoldhalle) gegen WM-Finalist Peter Leko (Ungarn) ein Match im
Chess960 austrägt.
Frage:
Herr Swidler, 1999 waren Sie bereits mit 2713 Elo die Nummer acht auf dem
Globus. Danach erlebten Sie einen Rückschlag und erholten sich erst jetzt mit
der persönlichen Bestleistung von 2723. Woran lag’s?
Peter Swidler: Ich brauchte in der Tat eine Weile. So wie es aussieht,
gelingt es mir dieses Jahr endlich wieder, anständiges Schach zu spielen. Ich
denke, es hilft einem viel. im Leben, abseits des Schachbretts zufrieden zu
sein.
Frage: Sie beziehen sich auf Ihre Scheidung? Im vergangenen Jahr bekam
Ihre zweite Ehefrau kurz vor den Chess Classic Mainz Zwillinge – prompt gewannen
Sie das Chess960-Turnier.
Swidler: Ich bevorzuge es, nicht viele Worte über mein Privatleben zu
verlieren. Aber ich muss gestehen, Vaterschaft ist ein fantastisches Gefühl. Ich
genieße jede Minute dieser Rolle. Leider geht das nur, wenn ich zu Hause bin –
und die letzten sechs Monate war das bedauerlicherweise allzu selten der Fall.
Aus schachlicher Sicht hatten die vielen Engagements aber natürlich auch ihr
Gutes.
Frage: Mit dem Open-Sieg beim Chess960 begann Ihr Comeback. Hat die
Schachvariante mit Auslosung der Grundstellung Ihren Geist inspiriert,
unkonventioneller zu denken?
Swidler: Das wäre zu viel gesagt. Ich denke, mein Comeback begann mit der
Geburt meiner Kinder. Inwieweit Chess960 mein Denken beeinflusste, kann ich
nicht sagen. Bisher spielte ich zu wenig Chess960, um ernsthafte Schlüsse daraus
ziehen zu können. Sicher kann es aber helfen, Intuition und taktische
Wachsamkeit zu stärken, weil man sich nicht mehr auf sein Wissen verlassen kann.
In jeder Partie musst du dabei improvisieren.
Frage: Um die Improvisationskunst zu reduzieren, streben die meisten
Spieler gewohnte Stellungsbilder an.
Swidler: Ja, normale Stellungen kommen nahezu in jeder Begegnung zu
Stande – spätestens im Endspiel. Was ich im Vorjahr zu umgehen versuchte, waren
symmetrische Stellungen mit Schwarz, um so viel Spaß wie möglich zu haben. Aber
das erklärt vielleicht auch, warum am ersten Tag all meine fünf Partien von Weiß
gewonnen wurden ...
Frage:
Welcher Unterschied ist Ihrer Ansicht nach am gravierendsten zwischen beiden
Schacharten?
Swidler: Natürlich fehlt die Eröffnungstheorie. Einige der
Startaufstellungen sind viel besser für Weiß – aber manche scheinen mir auch
völlig ausgeglichen zu sein. Deshalb gehört eine Portion Auslosungsglück dazu,
welche Position man zu Beginn bekommt.
Frage: Sie gelten als einer der einfallsreichsten Großmeister. Kommt
Ihnen dieser Vorzug im Chess960 besonders zugute?
Swidler: Bisher habe ich in nur einem Chess960-Turnier gut gespielt, so
dass es zu früh für die Behauptung ist, ich hätte gegenüber irgendjemandem
riesige Vorteile. Aber ich liebe es in der Tat, am Brett kreativ zu sein – und
Chess960 bietet mir viele Gelegenheiten dafür.
Frage: Peter Leko schlug im ersten inoffiziellen WM-Match in Mainz
Michael Adams. Welches Resultat erwarten Sie im Chess960-Duell mit dem
ungarischen Weltranglistenvierten?
Swidler: Ich hoffe auf ein enges, interessantes Match. Peter muss als
Favorit gelten: Er ist in der Form seines Lebens und ein sehr kreativer Spieler,
der sich auf neue Herausforderungen freut. Er ist nicht umsonst mehrfacher
Janus-Weltmeister (Anmerkung: Eine weitere Schachvariante, bei der das Brett
8x10 Felder umfasst und zwei Figuren, die wie Springer und Läufer ziehen dürfen,
der Janus, die Möglichkeiten erweitern).
Frage: Trauen Sie sich zu, in die Top 5 oder gar Top 3 vorzustoßen?
Swidler: Ich stecke mir keine konkreten Ziele – besonders derzeit nicht,
wenn keiner weiß, wie es in der Schachwelt weitergeht. Ich versuche mein Spiel
zu verbessern und warte ab, wie weit ich damit komme.
Frage: Ihr neuer Mannschaftskamerad beim Bundesligisten Baden-Oos, Alexej
Schirow, liegt einen Platz vor Ihnen. Bis auf Platz vier hängen alle dicht
beisammen. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen ihm, Peter Leko und Ihnen?
Oder gar zu den großen Drei, Anand, Kramnik und Kasparow?
Swidler: Der Hauptunterschied besteht in der Konstanz, würde ich sagen.
Ich habe gegen alle eine passable Bilanz, aber ich muss mehr Schwankungen als
sie hinnehmen. Die Stile zu vergleichen, scheint mir unmöglich. Du kannst nicht
in die Top Ten gelangen, ohne ein universeller Spieler zu sein. Alexej wird als
stärkster Angreifer seiner Generation gehandelt – in manchen Jahren hätte er
jedoch mehr Punkte gesammelt, wenn er ein exzellenter Endspiel-Kenner wäre. Die
Klischees sind alle relativ.
Frage: Im vergangenen Jahr fehlten Baden-Oos hinter der Spitze Anand,
Swidler und Michal Krasenkow ein paar Killer, um Meister Lübeck und Köln-Porz
anzugreifen. Ist Ihr deutscher Verein nun mit Schirow und dem Spanier Francisco
Vallejo Pons stark genug für den Titel?
Swidler: Wir hatten mit Spitzenspieler Viswanathan Anand nur einen
Killer. Unser Problem bestand jedoch in den Brettern weiter hinten. Mit Alexej
und Francisco besitzen wir eine längere Bank. Auch die jungen Burschen wie
Fabian Döttling, Andreas Schenk und andere haben nun mehr Erfahrung als im
Aufstiegsjahr. Den Titel zu holen, ist nicht leicht – aber wenn wir die
Schlüsselspiele gewinnen, warum nicht?