Der Kunde steht im Mittelpunkt
Interview mit Hans-Walter Schmitt
Vom 13. bis zum 19. August findet in der
Mainzer Rheingoldhalle zum vierzehnten Mal die Chess Classic statt. Das größte
Schnellschachfestival der Welt bietet auch dieses Jahr absolutes
Spitzenschach. Doch nicht die Profis stehen im Mittelpunkt des Handelns,
sondern die Zuschauer. Harry Schaack sprach mit dem Organisator Hans-Walter
Schmitt über die diesjährige Veranstaltung im Besonderen und über die
Schachwelt im Allgemeinen.

SCHAACK: Lieber Hans-Walter Schmitt,
die Chess Classic beginnen in wenigen Tagen. Sind Sie als Organisator nervös?
SCHMITT: Das ist eine gute Frage. Ich bin
immer angespannt, aber nicht mehr so nervös. Früher war das anders, doch seit
ich Fünfzig bin, bin ich etwas gelassener. Durch die Routine habe ich seit
einiger Zeit keine Angst mehr, dass etwas bei den Chess Classic schief laufen
könnte. Allerdings braucht es eine gründliche Vorbereitung. Ich habe mich mit
vielen Leuten umgeben, die mir helfen, cool zu bleiben. Am meisten beruhigt
mich, dass unser Veranstaltungsteam der Chess Tigers auf jeder Position
personell höchstkompetent aufgestellt ist.
Wann ist eine Veranstaltung für Sie
gelungen?
Wenn ich selbst damit zufrieden bin.
Sie sind doch nie zufrieden…
(lacht) Das stimmt - aber nur ein
bisschen. Das ist wie nach einer gewonnenen Partie. Die beinhaltet auch eine
Menge Fehler und viele Kleinigkeiten hätte man besser machen können. Aber das
Ergebnis stimmt. Am schönsten ist es, wenn wir wieder einen Rekord gebrochen
haben.
Ist es manchmal schwer, die kleinen
Fehler zu erkennen?
Ja, jedenfalls wenn man zu sehr auf die
positiven Stimmen hört. Mein Gehör gilt deshalb vor allem den sachlich
scharfen Kritikern. Unsere Veranstaltung hat sich immer auch durch die
Verbesserungsvorschläge der Spieler weiterentwickelt. Aber auch die Meinung
der Zuschauer, die sich in unseren Umfragebögen äußern können, ist wichtig für
unsere Qualitäts-Sicherungs-Standards.
Die Chess Classic haben diesmal
einige Neuheiten zu bieten. Der Hauptevent wird dieses Jahr nicht in Matchs
ausgetragen, sondern in einem Viererturnier, in dem sich alle vier Akteure im
Schnellschach sowohl im gängigen Turnierschach als auch im Chess960 messen.
Was hat Sie veranlasst, diese neue Darbietungsform zu wählen?
Ich wollte Leuten wie Anand einmal eine
Chance geben, sich im Chess960 zu profilieren. Die Kombination ist ein wenig
an Monaco angelehnt, wo ja auch Schnellschach und Blindschach in einem Turnier
gespielt werden. Bei uns sind es eben Schnellschach und Chess960. Und es gibt
noch einen Grund: Die Hauptidee unserer Veranstaltung besteht darin, dass man
selbst spielen kann und jeden Tag ab 18:30 ein Abendprogramm mit den
Weltbesten präsentiert bekommt. Mit dem neuen Konzept können wir den
Zuschauern nun insgesamt 40 statt wie zuvor 16 Partien bieten und die Spannung
bleibt immer bis zum letzten Tag.
Hat sich die baldige WM in Mexiko
auf die Vertragsverhandlungen ausgewirkt?
Anand und Aronian haben jetzt schon so oft
in Mainz teilgenommen, dass es unsinnig wäre, eine jährliche Veranstaltung
wegen einer einmaligen WM in den Wind zu schießen. Bei uns können die Spieler
doch jedes Jahr Geld verdienen.
Wer ist Ihr Favorit in Mainz und wer
in Mexiko?
Bei uns in Mainz kann alles passieren.
Alle Teilnehmer sind herausragende Schnellschachspezialisten. Aber Anand ist
für mich der genialste Kämpfer mit dem höchsten spielerischen Moment und der
größten Erfahrung, deshalb sehe ich ihn wieder vorne, aber er muss höllisch
auf die jungen Wilden aufpassen. In Mexiko rekrutiert sich der Kreis der
Aspiranten aus meiner Sicht auf drei Personen: Anand, Aronian und Kramnik, der
sich in den letzten Monaten in einer sehr guten Form präsentiert hat. Von den
anderen hat jeder seine klassische Außenseiterchance.
Der neueste FIDE-Coup sieht vor,
dass Kramnik, falls er in Mexiko nicht siegreich sein wird, ein Match gegen
den Sieger des WM-Turniers erhält. Und nachfolgend soll der Sieger dieses
Matchs gegen den Sieger des Matchs zwischen Topalov und dem Sieger des
Weltcups antreten? Alles sehr verwirrend. Was halten Sie von diesem
Sonderstatus für diese Spieler?
Da fehlen mir eigentlich die Worte.
Generell öden mich dieses Geschachere und das Besitzstandsdenken der
jeweiligen Weltmeister an. Es kann nicht sein, dass sich die Manager in die
Regeln des modernen Schachs so einmischen – und nichts anderem haben wir diese
Reglung zu verdanken. Topalov und Kramnik haben eine doppelte Chance. Dieses
Konstrukt mit den zwei oder drei Matchs ist abenteuerlich und schlichtweg
höchst unfair. Man muss es sich vor Augen führen: In Mexiko scheiden alle aus,
die nicht gewinnen. Anschließend müssen sie sich erneut in Khanty-Mansysk beim
Welt-Cup in einem 128er Feld im 2-Partien Knockout-System mit
Schnellschach-Tiebreaks über etliche harte Runden qualifizieren. Und am Ende
wartet ein ausgeruhter Topalov auf sie. Das ist doch Wahnsinn. Im Schach
müsste jemand wie Ecclestone das Sagen haben, der selbst Schumacher
vorgeschrieben hat, was gemacht wird. Ich hätte große Lust, der Anwalt zu
sein, der sich für die Interessen der anderen 16 der Top-20 Spieler einsetzt.
Wie sollte ein WM-Zyklus aussehen?
Idealerweise müsste es so sein, dass alle
zwei Jahre der Weltmeister gegen die sieben Besten der Weltrangliste spielt,
wobei jeder Spieler eine gewisse Anzahl von Partien pro Jahr vorweisen muss –
so 25-30 Minimum. Man kann sich also nicht ohne Leistung auf einem guten
Weltranglistenplatz ausruhen. Das Turnier wird dann in Zweikämpfen im
KO-System ausgetragen, sodass es am Ende einen richtigen WM-Kampf gibt. Und
das WM-Finale sollte zwischen acht und zwölf Partien dauern. Längere Events
lassen sich heute nicht mehr vermarkten. Die Spannung in der Weltpresse ist
nicht mehr so einfach zu halten.
Was müsste sich im Weltschach Ihrer
Meinung nach grundsätzlich ändern?
Zum einen fehlt vor allem Geld. Mit
Iljumschinow will sich eben kein seriöses Unternehmen auf eine Bühne stellen.
Schach steht ja für strategisches Handeln, vorausschauendes Planen, präzises
Denken, Entscheidungen treffen. All das sucht man bei den Verantwortlichen der
FIDE vergeblich. Zum anderen hat die FIDE bis heute keine Weltrangliste für
Schnellschach etabliert – quasi ein Boykott gegen das Chess Entertainment.
Könnten Spieler ihre Ratingzahl auch bei jedem Schnellschachevent verändern,
wäre der Zuspruch noch größer.
Die Chess Classic präsentieren immer
absoluten Spitzensport. Die Veranstaltung spricht aber auch mit vielen
Maßnahmen den Breitensport an. Können Sie sagen, inwiefern die „Massen“ von
diesem Event profitieren?
Der große Anreiz für die Spitzenspieler
besteht in der Möglichkeit, sich über die beiden Open für die
Schnellschachweltmeisterschaft qualifizieren zu können. Die vielen anderen
spielen mit, um vielleicht einmal auf einen Weltklassespieler zu treffen. Und
bei einem Feld von fast hundert Großmeistern steht die Chance nicht schlecht.
Außerdem profitieren bessere Spieler von unseren Vergünstigungen. Selbst
FIDE-Meister bekommen einen Startgeldrabatt, was anderswo selten ist. Und für
die Amateure ist das Turnier attraktiv, weil es stattliche Ratingpreise gibt.
Man spielt sozusagen noch ein zweites Turnier in seiner Spielstärkenklasse.
Der große Zuspruch ist aber auch ein Resultat unserer perfekten Organisation,
die auch bei über 600 Teilnehmern ihren Ausdruck findet. Viele Besucher sind
zufrieden mit der schnellen Auslosung, dem pünktlichen Beginn und den
hervorragenden Spielbedingungen.
Welche Spitzenspieler werden kommen?
Der Schnitt unserer Top8-Spieler reicht
voraussichtlich diesmal an den Eloschnitt der WM in Mexiko heran. Das liegt
vor allem an Ivanchuk, der die WM nicht mitspielt, mittlerweile aber durch
seine grandiosen Resultate der letzten Monate auf Platz Vier der Weltrangliste
geklettert ist. Neben Anand, Aronian, Bacrot und Kasimdschanow spielen im Open
Mamedyarov, Radjabov, Shirov, Grischuk, Kamsky, Akopian, Almasi, Volokitin,
Karjakin, Sasikiran, Landa, Sargissian, Harikrishna, Navara, Gashimov,
Naiditsch. Zudem der junge indische Nachwuchsstar und jüngste Großmeister der
Welt, Parimarjan Negi. Bei den Frauen sind es Cmylite, Gaponenko, Pähtz und
Natalie Zhukova.
Sie haben für das Simultan ein gutes
Händchen bewiesen, denn mit Vassily Ivanchuk spielt der erfolgreichste Akteur
der letzten Monate. Es hat sich eingebürgert, dass die Großmeister an 40
Brettern spielen müssen. Beschweren sich die Spieler darüber nicht?
Über die Anzahl der Bretter wird unter den
Großmeistern nicht mehr gesprochen. Jeder, der bei uns Simultan spielt, weiß,
an wie vielen Brettern er spielen muss. Und fast jeder kennt die Resultate
seiner Vorgänger. Im Übrigen hat noch nicht einmal Kasparow gefragt, gegen
wie viele Spieler er antreten muss. In diesem Zusammenhang gibt es eine lustige
Geschichte: Als Kasparow vor einigen Jahren Simultan spielte, fragte mich
Ivanchuk, ob er mir meinen Startplatz gegen Garry abkaufen könne. Er wollte
immer so gerne gegen Kasparow spielen, egal auf welche Weise. Aber ich habe
abgelehnt (lacht).
Wer hat denn das beste Ergebnis
vorzuweisen?
Das beste Resultat im Simultan spielte
Anand, der nur vier Remis abgab. Danach folgt Kasparow mit fünf Remisen.
Darüber hat sich Garry fürchterlich geärgert.
Warum wird bei den Chess Classic an
so vielen Brettern gespielt? Üblich sind doch 20.
Die Chess Classic entstanden eigentlich
aus einer Initiative, die ich anlässlich des 70-jährigen Jubiläums von
Frankfurt-West 1994 unternommen hatte. Ich konnte Anand zu einem Simultan
verpflichten. Doch dann meldeten sich innerhalb kurzer Zeit 150 Leute an,
obwohl wir ein Startgeld von 50 DM verlangten. Deshalb wollte ich Anand zu
drei Simultans an einem Wochenende überreden, für zwei sagte er zu. Als die
Verhandlungen zu Ende waren, fragte er, an wie vielen Brettern er eigentlich
spielen müsse. Ich sagte zuerst 50, doch wir einigten uns schließlich auf 40.
Und dabei blieb es bis heute.
Um die Plätze zu vergeben, haben Sie
sich auch diesmal wieder etwas Besonderes einfallen lassen…
Die Plätze werden so vergeben, dass jeder
eine Chance bekommt. Ich habe mich früher geärgert, dass ich keine Möglichkeit
hatte, gegen Kasparow zu spielen, weil der Andrang zu groß war. Deshalb
versteigern wir seit einiger Zeit 15 - 20 Plätze über Ebay, sodass jemand für
Geld sicher einen Platz kaufen kann. Das ist auch als Geschenkidee sehr
brauchbar. Die anderen Plätze fallen an Dauerkunden. Einige haben bis 2015
gebucht, die wollen jedes Simultan mitspielen. Schließlich brauche ich noch
einige Plätze für Jugendliche, eigene verdiente Mitarbeiter und Sponsoren.
Für die Veranstaltung 2007 steht die
Jugend mehr im Mittelpunkt als sonst. Was tun Sie zur Nachwuchsbildung?
Die Gründung der Chess Tigers 1999 hatte
die Grundidee, in absehbarer Zukunft einen Weltmeister zu produzieren. Aber
das hat nicht funktioniert, da es überhaupt keine Talente gab. Man muss
zunächst die Basis dafür schaffen. Aus diesem Antrieb heraus ist auch die
Schach-Universität der Chess Tigers entstanden. Die Hauptidee war „Lernen &
Spielen“. Das ist auch das Motto dieses Jahr. Wer trainiert, kann gut spielen.
Bei unseren diesjährigen neu eingeführten Mini-Opens werden die Jugendlichen
von der ehemaligen Nr. 3 der Welt, Artur Jussupow, und von Großmeister Daniel
King betreut. Ihre Aufgabe ist es auch, Talente zu sichten, die später von uns
systematisch gefördert werden sollen.
Wo gibt es das schon. Jeder Schüler
bekommt individuell seine Erklärungen. Die U14-Jährigen können spielen wie die
Profis. Das ist einmalig. Die Knirpse sollen selbst erfahren, dass es ein
elektrifizierendes Gefühl ist, auf der Bühne zu spielen.
Die erfolgreichen Jugendspieler
Deutschlands bekommen bei den Chess Classic immer einen Freiplatz fürs Open.
Durch unser letztjähriges Regio111-Programm haben wir zudem die besten
Jugendlichen im Umkreis von 111 km unentgeltlich mitspielen lassen.
Wie kann Deutschland wieder einen
Weltmeister bekommen?
Erst wenn der Wald ziemlich viele hohe
Bäume hat, kann es auch einen geben, der noch höher ist. Wir wollen
flächendeckend fördern, mit dem Ziel, eine breite Basis zu schaffen. Ich
glaube fest daran, dass wir einen deutschen Weltmeister in absehbarer Zeit
hervorbringen können. Für uns wäre es als Turnierveranstalter einfacher, wenn
wir ein Aushängeschild wie Magnus Carlsen hätten. Vielleicht sollte man es
machen, wie die Engländer in den siebziger Jahren, die einen hohen Preis für
den ersten britischen Großmeister aussetzten. Wir sollten ebenfalls einen
Sponsor finden, der einen stattlichen Geldpreis für den erster Deutschen
aussetzt, der die 2700er Marke durchbricht.
Eines Ihrer größten Anliegen ist
seit einigen Jahren die Förderung des Chess960. Sie hatten die Hoffnung, dass
sich diese Schachart fest etabliert. Wie ist der Stand der Dinge, seit
erstmals vor sechs Jahren das große Chess960-Open im Rahmen der Chess Classic
stattfand?
Eingedenk dessen, dass es das
„Normalschach“ schon seit Jahrhunderten gibt, haben wir in einem sehr kurzen
Zeitraum für das Chess960 einiges bewirkt. Spaßeshalber habe ich einmal
gesagt, Chess960 ist das Schach, das man in 500 Jahren nur noch spielt – es
geht wahrscheinlich alles viel schneller. Mit der zunehmenden
Eröffnungsanalyse durch leistungsstarke Computer und dem damit einhergehenden
Ersticken jeglicher Kreativität wird Chess960 immer mehr an Boden gewinnen.
Mit dieser Spielart können wir auch die
Wenigzeitinhaber erreichen, die sich nicht so sehr mit Eröffnungsvorbereitung
beschäftigen können. Diese Leute, die im Arbeitsleben tätig sind, wollte ich
damit am Schach halten bzw. wieder zurückgewinnen.
Die Verbreitung von Chess960 geht noch
relativ langsam voran. Es gibt noch zu wenig Turniere. Heute kommt nicht mehr
der härteste Widerstand von den Profis. Die besten Spieler der Welt nehmen
mittlerweile an unserem Open teil. Kamsky fragte kürzlich bei mir an, warum es
in den USA keine Chess960-Turniere gibt. Er würde das jedes Wochenende
spielen. Interesse ist also vorhanden.
Seit einigen Monaten gibt es eine
Zusammenarbeit mit dem größten Internetserver ICC.
Früher konnte man auf ICC nur „Fischer-Random-Schach“
spielen. Ich denke aber, dass der synthetische Name „Chess960“
beschwerdefreier ist. Denn Fischer ist ein schlechtes Label, weil man seine
antisemitischen Äußerungen damit assoziiert und „Random“ ist ebenfalls ein
ganz schlechter Begriff im Englischen. Gemeinsam mit dem ICC wollten wir
Chess960 außerhalb des deutschen Sprachraumes populärer machen. Wir
vereinbarten, dass der ICC den Namen auf „Chess960“ ändert und ein Turnier
ausspielt. Die Resonanz war riesig. 1586 Leute haben mitgespielt. Der Sieger
gewann 600$, den Flug nach Frankfurt und darf nun eine Woche an den Chess
Classic bei freier Kost und Logis teilnehmen. Er kommt aus Armenien und hat
einen sehr klangvollen Namen: Tigran L. Petrosian!
Was muss denn passieren, damit sich
Chess960 flächendeckend etabliert?
Fünf bis sechs Millionen Euro von einem
großen Unternehmen würden reichen, um diese Spielart weltweit durchzusetzen.
Man etabliert Länderverbände, erstellt eine Weltrangliste, führt
Stundenevents, große Turniere und Weltmeisterschaften durch.
Dieses Jahr wird mit Anand erstmals
die Weltranglisten-Nr. 1 Chess960 spielen…
…und das wird Signalwirkung haben. Wenn
Anand zeigt, dass er sich nicht zu schade ist, Chess960 zu spielen, werden
auch die letzten vorhandenen Widerstände bei Amateuren fallen.
Welche Funktion haben
Computerwettkämpfe innerhalb der Chess Classic?
In der Vergangenheit waren vor allem die
Matchs zwischen dem Programm Fritz und Anand für die Chess Classic ein
Katalysator gewesen, den Event hochzupushen. Was 1996 begann, führte
schließlich zum Großsponsor Siemens. In diesem Zusammenhang ist es
erstaunlich, dass Anand, der Fritz so populär gemacht hat, von Chessbase nie
ein gut dotiertes Computermatch bekommen hat.
Davon abgesehen sind die Schachprogramme
ein wichtiger Aspekt für die Verbreitung von Chess960. Nicht zuletzt dank
unseres Turniers können mittlerweile fast alle Programme Chess960 spielen. In
diesem Jahr werden Rybka, Shredder, Jonny und Spike unter den gleichen
Bedingungen wie die menschlichen Spieler ihren Weltmeister im Chess960
ausspielen. Damit hat die ganze Veranstaltung eine Stringenz.

Hans-Walter Schmitt mit Ehepaar Kosteniuk
Die Chess Classic zeichneten sich in
den vergangenen Jahren durch die hervorragende mediale Präsentation aus. Was
erwartet die Zuschauer dieses Mal?
Die Technik wird noch einmal deutlich
besser werden. Mit den technischen Voraussetzungen und der Kompetenz der
Mannschaft werden wir die Zuschauer ideal bedienen können. Wir setzen diesmal
noch mehr Monitore ein, um die aktuellen Partien zu übertragen. Im Foyer
werden wir auf den Screens die Bewertungsanzeige eines Schachprogrammes
mitlaufen lassen, damit auch der Laie sofort sieht, wie es steht. Vier
Großmeister - Jussupow, King, Döttling und Bischoff - werden die Partien
kommentieren, zwei im traditionellen „Silent Auditorium“ der Rheingoldhalle,
einer im Foyer beim „Public Viewing“ und einer im „Gourmet Club“. Wir wollen
den Event als Erlebnis `rüberbringen. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen
steht bei uns nicht nur allein der Spieler sondern auch der Kunde, also der
Zuschauer im Mittelpunkt. Weil unser Konzept so gut funktioniert, haben sich
diesmal mehrere Turnierveranstalter angemeldet, um zu sehen, was wir tun.
Was halten Sie von der kürzlich in
Dortmund eingeführten Reglung, die Partien mit einer viertelstündigen
Verspätung zu übertragen, um Betrugsmöglichkeiten zu erschweren?
Im Schnellschach ist Betrug nicht möglich.
Die Übertragungen des Dortmunder Sparkassen Chessmeetings waren nicht mehr
live. Man wollte zwar dem betrügenden Spieler und dessen Helfer
entgegenwirken, bestraft hat man aber nicht die potentiellen Betrüger, sondern
wieder einmal den Live-Zuschauer. Selbst im Presseraum wusste man nicht, wann
eine Partie zu Ende war. Solche Maßnahmen halte ich medientechnisch für
blanken Unsinn, eine dramaturgische Fehlleistung der Veranstalter. Aber der
Versuch war dennoch wichtig: Live ist live und nicht live plus eine viertel
oder halbe Stunde.
Sie achten auch auf
Familienfreundlichkeit.
Ja, unsere Veranstaltung ist auch ein
Familienevent. In unserem Kinder Club kann man die Kinder abgeben. Wir haben
zwei Erzieherinnen im Team, die sich um die Kleinen kümmern. Dort können sie
Fritz & Fertig spielen, Türme bauen, Tiger malen, puzzeln, sich verkleiden
oder einfach nur ausruhen. Und die Partner, die mitkommen und nicht so viel
mit Schach zu tun haben, sollen in kurzer Zeit verstehen, um was es geht.
Diese Nichtspieler wollen wir auch erreichen.
Könnte dazu auch die zeitgleich
stattfindende Ausstellung des kürzlich verstorbenen Künstlers Immendorf
dienen?
Das ist ein Vorteil der neu ausgebauten
Rheingoldhalle. Es können dort nun neben unserer Veranstaltung noch andere
Aktivitäten stattfinden. Von der Immendorf-Ausstellung erhoffen wir uns
natürlich eine positive Rückwirkung. Neben dem Schach kann man jetzt auch
Kunst erleben, was auch eine zusätzliche Möglichkeit für den
nichtschachspielenden Partner bedeutet. Unsere Besucher erhalten auch
ermäßigte Eintrittspreise für die Immendorf-Ausstellung. Das ist ganz im Sinne
unseres Mottos „Gemeinsam erleben“.
Welche Bedeutung haben die Stadt
Mainz und Oberbürgermeister Jens Beutel für die Chess Classic?
Neben Vishy Anand und mir ist Jens Beutel
die dritte wichtige Person für den Event. Er war dafür verantwortlich, dass
die Veranstaltung nicht mehr in Frankfurt sondern in Mainz stattfindet. Jens
Beutel kann hervorragend für Schach argumentieren, weil er selbst ein starker
Schachspieler ist und das aktuelle Schachgeschehen verfolgt. Er hat enorm für
den Event gekämpft - und tut es jedes Jahr wieder.

Jens Beutel
Auch für die Sponsoren gibt es
hervorragende Rahmenbedingungen. Welche Annehmlichkeiten werden ihnen geboten?
Zunächst gibt es den Kick Off mit dem
Championsdinner, an dem alle Spitzenspieler teilnehmen. Dort begegnen die
Sponsoren ungezwungen anderen Geschäftspartnern oder politisch einflussreichen
Personen. Sie sitzen in der Nähe des OBs, erleben einen schön gestalteten
Abend und ein gutes Essen. Ich denke, das ist ein attraktives Angebot.
Nun haben wir seit letztem Jahr unsere
Palette noch mit dem Gourmet Club erweitert. Dort können sich Sponsoren
spontan ab 18:00 mit ihren Gästen in angenehmer Umgebung treffen und sich die
Partien von renommierten Großmeistern bei einem guten Glas Wein und
kulinarischen Spezialitäten erklären lassen.
Mit dem Sponsor GrenkeLeasing
arbeiten Sie auch in anderer Hinsicht eng zusammen. Sie sind der
Bundesligamannschaft aus Baden-Baden sehr verbunden.
Ich habe sicher ein bisschen dazu
beigetragen, dass Vishy Anand, mit dem ich befreundet bin, dort spielt. Und
der Badener Mannschaftsführer ist Sven Noppes, der ja kürzlich zu meinem
Stellvertreter bei den Chess Tigers gewählt wurde.
Die oberste deutsche Spielklasse hat
sich kürzlich als Bundesliga e.V. neu organisiert. Welche Impulse erwarten Sie
von der damit einhergehenden größeren Selbstständigkeit?
Leider klappt es mit den kollektiven
Live-Übertragungen aller Bundesligapartien bislang noch nicht. In Baden werden
die Heimspiele dagegen sehr professionell im Internet dargestellt. Nun wird
sich mit Gründung der Bundesliga e.V. vielleicht etwas ändern. Ich halte die
Bundesliga für ein Top-Produkt. Aber top ist sie nur in Händen eines
Top-Managers. Und das kann nicht jeder Vereinsfürst sein. Jeder Verein muss
die Partien live übertragen. Wenn man bedenkt, wie viele Nationen in der
obersten Spielklasse agieren, wundert man sich, dass nicht auch in anderen
Ländern ein größeres Interesse dafür zu wecken ist.
Der Porzer Mäzen Hilgert wollte
diesen Weg nicht mehr mitgehen. Wie beurteilen Sie seinen Schritt, Porz aus
der 1. Liga zurückzuziehen?
Wilfried Hilgerts Verdienste sind
unbestritten. Allerdings hat sich bei ihm mittlerweile ein gewisses Trauma
eingestellt: „Einer gegen alle“. Er hat viel für die Bundesliga geleistet, er
hat sich aber auch viel mit der Bundesliga geleistet. Ich mag charismatische
Figuren wie ihn, aber mit seiner jetzigen Entscheidung liegt er meines
Erachtens völlig daneben. Er soll nächstes Jahr wieder an Bord kommen und
keiner wird ihm gram sein. Baden-Baden braucht viele sehr gute Konkurrenten.
(lacht)
Wie sieht die Zusammenarbeit mit
Baden aus?
Wir als Chess Tigers haben mit Deizisau
und Baden eine Süd-West Achse geschaffen. Wir überlegen seit einiger Zeit, ob
wir in unserem Portfolio nicht noch ein klassisches Turnier brauchen. Das
würde sehr gut nach Baden passen, das eine lange Tradition hat. Auch über
einen hochkarätigen live übertragenen Blitzevent denken wir nach. Das wäre
eine Veranstaltung für den Frankfurter Flughafen oder für die Frankfurter
City.
Als Organisator kooperieren Sie auch
eng mit anderen Turnieren, insbesondere mit Wijk aan Zee. Welche Verbindungen
haben Sie zu dem holländischen Traditionsturnier?
1993 war ich das erste Mal in Wijk aan Zee
und bin seither von diesem natürlichen Flair gefangen, ja sogar begeistert. An
diesem Festival habe ich mich später orientiert. Die Mischung zwischen
absolutem Spitzenschach und Amateurschach ist großartig. Und alle spielen in
einem Saal. Mittlerweile pflege ich ein freundschaftliches Verhältnis zu den
Veranstaltern. Wir besuchen uns gegenseitig und schließen mit den Spielern die
Verträge für unser kommendes Turnier ab.
Im Mai hat der DSB mit Robert von
Weizsäcker einen neuen Präsidenten gewählt. Was erwarten Sie von ihm?
Der Deutsche Schachbund hat nun mit Robert
von Weizsäcker an der Spitze einen Hoffnungsträger mit einem klangvollen Namen
und sehr viel Wirtschaftswissen. Aber er hat es mit ineffektiven Strukturen zu
tun. Es hat mir gut gefallen, wie er in den ersten Monaten sein Amt in Angriff
genommen hat. Er ist ein Stratege und er will etwas bewirken. Aber ich bin mir
noch nicht sicher, ob die ihn umgebenden Leute eine harte, kundenorientierte
Gangart mitgehen können und wollen. Er hat wohl schon einige Missstände
erkannt, wie etwa das Bild des DSB auf die Öffentlichkeit oder den
Schach-Shop.
Im nächsten Jahr wird in Dresden die
Schacholympiade stattfinden. Es sah einen Moment lang so aus, als ob die
Veranstaltung scheitern könnte, weil die Verantwortlichen bislang keine gute
Arbeit gemacht hatten. Es fehlen Millionen-Beträge. Was denken Sie darüber?
Ich würde auch keinen Sponsor suchen, wenn
ich die Zusicherung hätte, dass ich 4,2 Millionen als Ausfallgarantie bekomme.
Ich würde nur Geld für die Sidelines suchen.
Aber Spaß beiseite: Ich fand es gut, dass
von Weizsäcker zur Vorbereitung der Schacholympiade klar Stellung bezogen hat,
denn der Status quo ist dramatisch. Ich habe zwar noch Hoffnung, dass man
diese Veranstaltung gut hinbekommen kann. Erstklassig kann sie aber nicht mehr
werden. Gewisse Prozesse brauchen einfach eine gewisse Zeit, die jetzt schon
fehlt. Weizsäcker müsste persönlich mit dem passionierten Schachspieler Per
–Finanzminister- Steinbrück im Schlepptau, die möglichen großen Sponsoren in
den nächsten zwei Monate abklappern und wenigsten einen weißen
Elefanten erlegen.
Die jährlich stattfindenden Ereignisse wie
etablierte Turniere oder auch die Bundesliga sind sehr wichtig für das
deutsche Schach. Die Schacholympiade ist für ein Land eine „einmalige“
Veranstaltung, die nicht mehr die Wirkung entfalten kann, die sie früher
hatte, als es kaum Turniere gab. Bei solchen Großveranstaltungen geht es
einzig darum, ob sie gut gelingen oder nicht. Die Europameisterschaft, von den
Veranstaltern selbst als Generalprobe bezeichnet, war in vielen Teilen
außerordentlich schwach. Die nichtschachlichen Elemente waren noch passabel,
aber die schachlich-technischen Teile waren unterirdisch organisiert. Am
schlimmsten wirkte auf mich, dass die internationalen Anforderungen bei Weitem
nicht erfüllt werden konnten und den Dresdner Veranstaltern offensichtlich ein
Projektleiter mit Weltklasseschach-Eventerfahrung fehlt.
Danke für das Gespräch.