Chefwechsel im Französischen Verband

von Stefan Löffler
23.04.2021 – Seit Jahren waren Frankreichs Spitzenspieler, angefangen mit Maxime Vachier-Lagrave, und ihr Verband verkracht. Nach der Abwahl von Bachar Kouatly will der neue Präsident Éloi Relange die Querelen beenden. Zu Ruhe kommt der Französische Schachverband damit nicht, wie Stefan Löffler erfahren hat. | Bild: Bachar Kouatly, der weiterhin Stellvertretender FIDE-Präsident ist (Foto: FIDE). (Update)

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Éloi Relange ist 44 Jahre alt, Sohn des Malers Jean-Maxime Relange, selbst Vater von drei Kindern und Großmeister. Seit 2005 setzte er sich aber so gut wie nur noch ans Brett, um für den Pariser Klub Clichy zu spielen, während er sich beruflich dem lukrativeren Pokerspiel zuwandte. Eine von ihm mitgegründete Pokerakademie war allerdings nicht so erfolgreich wie ihr deutsches Pendant, deren Verkaufserlös die Gründung von chess24 ermöglicht hat (a, Jean Baptiste Mullon hat für den Französischen Schachverband einige Anmerkungen zu dem Text per email zugeschickt, s.u.) ). Seit einigen Jahren betreibt Relange außerdem eine Onlinejobbörse.

Seine Kandidatur war eine Idee seines Freunde, Jean-Baptiste Mullon. Es war im Juli 2019, und Mullon lamentierte über den Zustand des Verbands, als ihn Léo Battesti fragte, warum er nicht selbst kandidiere. Nein, das sei ihm zu groß, aber mitten in der folgenden Nacht wachte er auf und wusste, dass Éloi – der aus dem Lateinischen stammende Name bedeutet der Auserwählte – der richtige Kandidat war.

Éloi Relange

Nach einigen Gesprächen war Relange zum Antreten bereit. Nicht zuletzt, weil er sich als Verbandspräsident ein professionelles Salär erhoffte. Dank Mullons Kontakten waren dreißig Unterstützer, die für eine Präsidentschaftskandidatur erforderlich sind, rasch gefunden. Rückenwind gab ihnen das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Nationalteam und Amtsinhaber Bachar Kouatly.

Maxime Vachier-Lagrave, Étienne Bacrot und Laurent Fressinet hatten bekannt gegeben, dass sie nicht mehr für Frankreich antreten, solange Bachar Kouatly Verbandspräsident sei. Zur Mannschafts-EM 2019 wurden sie nicht eingeladen. Außerdem hat Kouatly zwei bei den Spielern beliebte Mitarbeiter aus dem Verband geworfen, den Technischen Direktor Jordi Lopez und denn Mannschaftskapitän Sebastien Mazé. Mazé kreidete er disziplinäre Mängel an und dass einer der französischen Spieler bei der Schacholympiade 2018 in Batumi von der „Bermuda-Party“ volltrunken ins Spital gebracht werden musste. Die Runde machte das in Frankreich erst, als es Kouatly während des Wahlkampfs ausplauderte. (2,3)

Zur Welt kam er 1958 in Damaskus. Sein Großvater war der erste syrische Präsident Schukri Al-Quwatli, der 1963 nach einem Militärputsch mit der Familie ins Exil nach Beirut ging (1, s. Anmerkungen am Ende des Textes). Kouatly spielte zunächst unter libanesischer Flagge - auch noch 1979, als er Französischer Meister wurde. Ab 1982 vertrat er Frankreich bei fünf Schacholympiaden. 1990 ließ er aus, weil er zur gleichen Zeit eine Hälfte der WM Kasparow – Karpow in Lyon organisierte. 1997 kaufte er das damals defizitäre Magazin Europe Échecs und machte es wieder profitabel.

Der geschäftstüchtige Großmeister gründete die Firma IDEAL - Institut Developpement Echecs Animation Loirsir - und erschloss sich weitere Geschäftsfelder: Sommercamps, Schachkurse und Veranstaltungen für Kommunen. Besonders gut verkaufte sich seine „partie majoritaire“: Eine Schachpartie zwischen dem Bürgermeister und einer Gruppe, in der Regel Schüler, die jeweils den Zug spielt, für den sich die Mehrheit (majorité) entscheidet. Wollte eine Stadt ein prominentes Zugpferd, wurde Anatoli Karpow eingeflogen.

Kouatly war längst der größte Schachunternehmer Frankreichs, bevor er sich 2012 dem Schachverband annäherte. Er wollte auf die Unterstützerliste von Léo Battesti, der damals für die Präsidentschaft kandidierte. Als der Korse ablehnte, wechselte er die Seite und bot dessen Gegner Diego Salazar seine Unterstützung an (4): Mit Europe Echecs und dem Meinungsforscher Larbi Houari im Rücken gewann Kouatlys Kandidat die Wahl denkbar knapp mit einem Prozent Unterschied.

Doch Salazar gab mehr Geld aus, als er einnehmen konnte. Nach drei Jahren musste er die Geschäfte einem Interimspräsidenten überlassen. 2016 trat Kouatly selbst an. Dass er im Unterschied zu seinem Vorgänger Salazar und seinem Gegenkandidaten Stéphane Escafre auf ein Präsidentengehalt verzichtete, half ihm, mit fast Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt zu werden. Weil er eine Sekretärin aus wirtschaftlichen Gründen kündigte, formte sich ein Betriebsrat, und im Herbst 2017 gingen mehrere Verbandsmitarbeiter in Streik. Als Kouatly ein paar Monate später den Technischen Direktor Jordi Lopez entließ, protestierten praktisch alle Spitzenspieler in einem offenen Brief. Dann kam die Schacholympiade, das Besäufnis bei der Bermuda-Party und der Rauswurf von Teamkapitän Mazé.

Einerseits sanierte Kouatly die Kassen und besorgte dem Verband exklusive neue Räume im Schloss von Asnières, das im Norden von Paris an der Seine liegt.

Schloss von Asnières

Andererseits machte er sich zunehmend Feinde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Le Monde dafür interessierte, wie der größte Schachunternehmer als Chef des Schachverbands agierte. Meisterschaften des Verbands kamen im Paket mit Veranstaltungsleistungen von IDEAL und Beilagen in Europe Echecs. Durch den Bericht der Tageszeitung alarmiert, führte das Sportministerium eine Untersuchung durch und veröffentlichte zwei Berichte über Kouatlys Interessenkonflikte, die Relange und sein Team genüsslich ausschlachteten. (5)

In der Zwischenzeit begann die Pandemie. An die hundert Schachvereine haben sich beim Verband abgemeldet, während der mit internen Streitigkeiten unter den Vorzeichen der Neuwahlen beschäftigt war. Wegen Covid-19 wurde die Wahl zweimal verschoben. In Frankreich müssen alle Sportverbände im Jahr der Olympischen Sommerspiele wählen, aber weil auch Tokio verschob, wurde es April 2021. Während Relange überlegte, ob sich das Durchhalten lohnte, trat der Anwalt Joël Gaultier als dritter Bewerber an, und die Verbandsführung übernahm ein Interimspräsident, der Diplomat Yves Marek.

Wohl auch wegen seinem durch die Ministeriumsberichte angeknacksten Image präsentierte Kouatly sich als Doppelspitze zusammen mit Johanna Basti, die sich seit Jahren glänzend darauf verstand, die Beziehungen des Schachverbands zu Ministerien und anderen Institutionen der Republik zu verbessern b). Relange scharte die Unzufriedenen hinter sich. Gaultier warb für sich als Kandidat des Ausgleichs und der Versöhnung. Larbi Houari, der 2012 für Salazar, bei der FIDE-Wahl 2014 für Kasparow und 2016 für Kouatly mobilisiert hatte, war der wichtigste Trumpf des Anwalts. Der Meinungsforscher dürfte aber abgesehen haben, dass es für Gaultier nicht reichen würde.

In Frankreich wird der Verbandspräsident von den Präsidenten der 810 Schachvereine gewählt. Je nach Größe haben die Vereine zwischen einer und 16 Stimmen. Zwei Drittel der Vereine haben nur eine oder zwei Stimmen, von denen insgesamt 1701 im Spiel sind. Briefwahl war möglich, aber die meisten kamen zur Wahlversammlung am Ostersamstag nach Paris. Die Wahlbeteiligung lag über 91 Prozent. Die einfache Mehrheit entschied: Gaultier erreichte 23 Prozent der Stimmen, Kouatly 36 Prozent und Relange 41 Prozent.

Der Journalist und Schachblogger Christophe Bouton war Zeuge, als Kouatly nach ein paar Schrecksekunden ein Lächeln aufsetzte, seinem fast zwanzig Jahre jüngeren Nachfolger gratulierte und ihm seine Unterstützung versicherte. Auch wenn Unterstützung ein dehnbarer Begriff ist, sieht es eher nicht danach aus.

Seine Mitstreiterin Johanna Basti gab ihren Wechsel zum Französischen Bridgeverband bekannt. Auch die von Kouatly eingestellte und als supereffizient geltende Generaldirektorin Mathilde Choisy wird den Schachverband verlassen. Der Bürgermeister von Chartres Jean-Pierre Gorges, ein Freund Kouatlys, gab bekannt, dass weder die traditionell nach Pfingsten terminierte Liga noch die im August anstehenden Meisterschaften dieses Jahr in Chartres stattfinden könne.

Relange hat nun alle Hände voll zu tun, die Lücken zu schließen. Dabei ist ihm das monatliche Salär von € 2700 netto, das er sich in seinem neuen Job ausgerechnet hat, nicht sicher. Als gemeinnützige Institution öffentlichen Rechts kann der Schachverband gewählte Führungskräfte durchaus bezahlen. Laut Mullon reicht dafür ein Vorstandsbeschluss. Dem Dachverband der Sport- und Kulturverbände zufolge muss es in den Statuten stehen und von der Generalversammlung mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden.

Bachar Kouatly machte auf einige Ungenauigkeiten im Beitrag aufmerksam und stellte sie in einer email richtig:

1) 1963 war Präsident Kouatly nicht mehr Präsident, als der Militärputsch stattfand. Er hatte seit 1959 keine offizielle Position mehr. Zu diesem Zeitpunkt ging er ins Exil nach Beirut.

2) In Bezug auf Herrn Lopez hat der Vorstand die Entscheidung getroffen, nicht ich.

3) Die Entscheidung wurde vom Vorstand getroffen und nicht von mir, nach dem Vorfall bei der Olympiade in Batumi 2018. Als Kapitän der Mannschaft war Mazé dafür verantwortlich.

4) Ich war nicht an der Kampagne von Herrn Salazar im Jahr 2013 beteiligt. Ich hatte zu dieser Zeit keine Beziehung mit dem Verband.

5) Im Bericht des Ministeriums wird klar und deutlich erwähnt, dass der Interessenkonflikt dem Verband finanziell nicht geschadet hat. In Frankreich wird der Interessenkonflikt bestraft, wenn man das allgemeine Interesse und sein eigenes Interesse vermischt, was als "prise illégale d'intérêt" bezeichnet wird. Der Bericht hat gezeigt, dass dies nicht der Fall war. Zu Ihrer Information: Die Zeitschrift Europe-Echecs wird seit 2014 über mehr als sechs Jahre kostenlos an alle französischen Schachklubs verschickt, ohne Kosten für den französischen Verband.

6) Am Samstag, den 24. April, stimmte der Vorstand für das Gehalt von Herrn Relange und andere Posten für rund 100.000 € neue Zusatzausgaben für die kommenden Jahre. Eine Gruppe von Leuten aus der FFE wendete sich an das französische Verwaltungsgericht, um die Aufhebung dieser illegalen Entscheidung zu beantragen. Nach französischem Recht, wenn die Entscheidung aufgehoben wird, muss Herr Relange den Betrag an den Verband zurückzahlen.

 

Reaktion von Jean-Baptiste Mullon, Vizepräsident des französischen Schachverbandes

Während unserer Kampagne hörten wir, dass Eloi kandidierte, weil er ein Einkommen braucht. Das ist lächerlich! Eloi Relange hat überhaupt keinen Bedarf, finanziell gesehen. Er war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung in seinem Leben. Er bringt eine Leidenschaft für Entwicklung und Innovation mit, er ist beruflich erfolgreich, und er war in die bisherigen Konflikte beim FFE überhaupt nicht verwickelt. 

Alle in unserem Team waren sich einig, dass wir einen Präsidenten nicht nur für Zeremonien und politische Entscheidungen brauchen. Wir alle wollen einen Präsidenten, der die Projekte selbst leitet, Tag für Tag. Eloi wird zu 100% für den FFE arbeiten. Könnte er das als Ehrenamtlicher tun? Das wäre einfach falsch. Aber er akzeptiert ein geringeres Einkommen, das mit seinem Gehalt einhergeht, verglichen mit dem, was er vorher verdient hat.  Wie alle Sportverbände in Frankreich hat der FFE das Recht, einen gewählten operativen Leiter zu entlohnen. 

Zwei ministerielle Berichte machten sehr deutlich, dass Kouatlys Position eine große Hilfe für seine Firma IDEAL war, die als "großer Gewinner" bezeichnet wurde. Mehr als zehn Empfehlungen des Ministeriums müssen umgesetzt und befolgt werden, wenn wir wollen, dass die FFE in Zukunft für staatliche Unterstützung in Frage kommt. 

a) Hier könnte der Eindruck, Eloi Relanges Firma sei angeschlagen. Das ist nicht der Fall.

b) Johanna Basti machte einen sehr guten Job in Bezug auf das Schach in den Schulen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass das Ministerium Bacha Kouatly und den FFE in zwei Berichten stark kritisiert hat.

 

Webauftritt des Französischen Verbandes...

Schukri-al-Quwatli bei Wikipedia...

 


Stefan Löffler schreibt die freitägliche Schachkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist in Nachfolge von Arno Nickel Herausgeber des Schachkalender. Für ChessBase berichtet der Internationale Meister aus seiner Wahlheimat Portugal.

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