ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Das folgende Interview erschien im Juni-Heft von Schachmagazin 64.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Die Juni-Ausgabe von Schachmagazin 64
Von Stefan Liebig
„Ja!“, lautete die Antwort zur Erleichterung aller im Saal befindlichen Spieler und Offiziellen. Beim kürzlich ausgetragenen Grenke Open in Karlsruhe machte der deutsche IM
Ilja Schneider seiner Freundin Olga Ivanova, die er genau dort vor acht Jahren kennengelernt
hatte, einen beeindruckenden Heiratsantrag vor großem und überraschtem Publikum. Die Angebetete war ebenfalls überrascht, fand aber die richtige Entgegnung und die beiden küssten sich. Und dann konnten sich beide über einen prominenten ersten Gratulanten freuen: Magnus Carlsen! Sie fragen sich vielleicht, was das mit dem Interview mit Sagar Shah zu tun hat. Nachvollziehbar! Die Erklärung folgt etwas weiter unten im Text, denn auch im Leben des 33-jährigen, in Mumbai lebenden Inders und in seiner Karriere spielt eine schachspielende Frau eine wesentliche Rolle. Wir möchten Ihnen den Internationalen Meister,
Journalisten und Chef von ChessBase India, von dem wir in letzter Zeit einige Videokurse
rezensiert haben, vorstellen. Im Interview spricht er über erstaunliche Entwicklungen, Chancen, die er ergriffen hat und Ideen, die er künftig angehen möchte.
Wie kamen Sie zum Schach? Und da sie als Inder in den 1990er-Jahren geboren wurden, drängt sich die zweite Frage geradezu auf: Welche Rolle spielte Viswanathan Anand dabei als Vorbild?
Ich fing relativ spät an, Schach zu spielen. Erst mit zehn Jahren. Vishy wurde zum Vorbild für mich, als ich mit etwa 13, 14 Jahren immer besser wurde. 2004 konnte ich an
einem Simultankampf gegen ihn teilnehmen. Man spürte die Energie, die von ihm ausging: Er wollte alle 20 Talente schlagen. 2007 wurde er Weltmeister und ich erhielt 2010 erneut die Chance gegen ihn im Simultan anzutreten. Ich lag damals irgendwo zwischen 2200 und 2300 Elo. Anand hat so viel möglich gemacht und so viele Talente motiviert, ihm nachzueifern.
Letztlich gehörten Sie auch in diese Kategorie. Sie machten auch zwei Großmeisternormen
und alle warteten auf die dritte – was passierte dann? Natürlich war der Titel mein großes Ziel. Doch dann heiratete ich meine Frau Amruta Mokal und hatte ein Idee: Da meine Frau
auch Schachspielerin ist, schickte ich einen Artikel zur Schachhochzeit an ChessBase
und hoffte auf die Veröffentlichung.
Dann hieß es wohl erstmal warten …
Ganz im Gegenteil: Frederic Friedel antwortete schon nach wenigen Stunden. Er fand meine Idee brillant. Und er gab mir ein paar journalistische Tipps, wie der Beitrag noch aufgepeppt werden kann. Denn meine Schreibe war bei weitem nicht perfekt. Aber der Beitrag wurde dann veröffentlicht. Das war natürlich toll! (Unbedingt ansehen: https://en.chessbase.com/post/an-indianchess-wedding-1, Anm. der Redaktion)
Wie ging es weiter?
Frederick nahm mich unter seine Fittiche. Er coachte mich beim Schreiben. Es müssen Hunderte von Artikeln gewesen sein, zu denen er mir eine Worddatei mit gelbmarkierten
Verbesserungsvorschlägen zurückschickte.
Das ist wahrlich außergewöhnlich.
Ja, das Schreibtraining war sehr wertvoll für mich. Frederic machte das wundervoll. Ich lernte so viel …
Wie ging es weiter?
Ich kam in dieser Zeit nach Deutschland und gewann ein Turnier in Dresden. Das brachte mir meine erste Großmeisternorm. Nach dem Turnier konnte ich die ChessBase-Zentrale in Hamburg besuchen. Bis dahin hatte ich zwar schon über Schach geschrieben, aber für mich stand das Spielen und Besserwerden immer absolut im Zentrum. Und dann das: Es war für mich unglaublich zu sehen, wie da 20 Leute in einem großen „chess office“ saßen und alle vom Schach leben konnten. Die einen schrieben, andere programmierten, wieder andere machten Videos oder verpackten Schachbücher und DVDs. Das war extrem inspirierend für mich.
Inwiefern?
Es war eine neue Perspektive auf Schach, die sich mir bot.
Wie ging es weiter?
Sagar Shah gewann das XXXIII ZMDI Open 2014 vor vierzehn Großmeistern und neun Internationalen Meistern mit einer Wertung von 7,0/9 und einer Performance von 2657.
Ich sprach viel mit Frederic Friedel, Matthias Wüllenweber und Rainer Woisin. Ich
schilderte meine Erfahrungen mit ChessBase in Indien. Natürlich war ChessBase auch bei
uns sehr bekannt und beliebt. Aber die Produkte waren, gemessen am indischen Einkommen, einfach zu teuer. Oft gab es auch technische Probleme bei der Zahlungsabwicklung. Das führte dazu, dass viele Raubkopien im Umlauf waren. Die funktionierten aber meistens nicht richtig.
… und gemeinsam wurde nach einem Weg aus der Misere gesucht?
Genau. Meine Frau und ich durften dann die Produkte zu günstigeren Preisen und mit angemessener Provision in Indien und einigen angrenzenden Ländern vertreiben. Dies war der Startschuss für ChessBase India im Jahr 2016.
Was ist bis heute aus ChessBase India geworden?
Wir haben heute über 20 Mitarbeiter. Und einige sind wie ich auf internationalen Turnieren unterwegs.
Hätten Sie sich das vorstellen können, als sie den ersten Beitrag auf gut Glück nach
Hamburg schickten?
Nein, ich kann es immer noch nicht fassen. Das ist so toll und macht so großen Spaß. Es ist fantastisch!
Sie haben von den Simultanpartien mit Anand gesprochen. Damals saßen Sie ihm ehrfürchtig gegenüber. Inzwischen treffen Sie ihn oft und haben viele Interviews mit ihm geführt. Ist es immer noch etwas Besonderes, ihm zu begegnen?
Es ist großartig jemandem wie Vishy näherzukommen und auch die private Seite einer so beeindruckenden Persönlichkeit kennenzulernen. Er verkörpert – wie kaum ein anderes Genie – die Balance zwischen intellektueller Überlegenheit und Menschlichkeit. Er begegnet jedem Gegenüber mit Respekt und Freundlichkeit – eine wirklich außergewöhnliche Eigenschaft!
Was hat sich im indischen Schach durch die Erfolge des Ex-Weltmeisters geändert?
Er hat es vor allem möglich gemacht, dass die jungen Talente daran glauben, die Besten werden zu können. Es ist ja nicht nur sein Weltmeistertitel, er spielt ja seit drei Jahrzehnten auf allerhöchstem Niveau. (lacht) Er wird älter, aber er wird einfach nicht schlechter!
Hat Anand also die Basis für die aktuellen Erfolge der Inder gelegt? Immerhin waren fünf der 16 Teilnehmer an den Kandidatenturnieren in Toronto aus Indien.
Es kommt einfach viel Positives zusammen im Moment. Vor zehn Jahren konnte noch niemand wissen, wer die nächsten Topspieler Indiens werden. Selbst bei der Olympiade in Chennai traten zwar schon viele vielversprechende indische Talente mit Großmeisterspielstärke an, doch es war nicht abzusehen, dass mit Gukesh, Vidit und Pragg gleich drei im offenen Turnier und mit Humpy Koneru und Vaishali zwei im Damenturnier mitmischen würden. Das ist
beeindruckend und begeistert in Indien auch viele Menschen, die nicht viel mit Schach zu tun haben.
Bei so einem Turnier darf Sagar Shah natürlich nicht fehlen!
(lacht) Fünf Inder! Natürlich muss ich dabei sein! Egal was passiert, ich muss nach Toronto. Und irgendwie konnten wir auch die Visa-Probleme überwinden.
Aufgrund des unglaublichen Erfolges von Gukesh betrachten wir das Open: Wie waren
die Erwartungen vor dem Turnier?
Wir wussten: Alle drei können spielerisch mit den Großen wie Nepo, Caruana und Nakamura mithalten. Vidit verfügte auch über die Erfahrung in solchen Turnieren. Spannend war daher vor allem zu sehen, wie die beiden jüngeren mit der großen Belastung eines so langen Turnieres und dem öffentlichen Druck klar kommen. Und es stellte sich heraus: Sie kommen sehr gut damit klar ... Das ganze Turnier war beeindruckend. Es wurde immer klarer, es geht für alle drei etwas. Vidit schlug sogar zweimal Nakamura. Gukesh steckte seine dramatische Zeitnot-Niederlage gegen Firouzja weg und Pragg spielte sehr kämpferisch und war extrem gut vorbereitet. Nach dem dritten Ruhetag hatten alle noch Chancen. Als dann aber Pragg und Vidit verloren, schauten alle auf Gukesh. Der blieb cool und gewann auf Abruf gegen die beiden abgeschlagenen Abasov und Firouzja. Dann machte er ein völlig ungefährdetes und abgeklärtes Remis gegen Nakamura und konnte dann zusehen, wie die entscheidende Partie Remis endete. Die Sensation war perfekt und er hatte auch ohne die Erfahrung eines solchen Turniers den alleinigen Turniersieg errungen. Wahnsinn!
Was passierte dann?
Es zeigte sich schon vorher, dass unerwartet viele indische Fans in Toronto waren. Bis zu 200 trafen die Spieler im Park in den Tagen vorher. Aber was dann nach der Entscheidung passierte, übertraf die Erwartungen: Eigentlich wollte ich ein Interview mit Gukesh machen – ich kenne ihn, seit er ein Kind ist. Doch die vielen indischen Medienanfragen – weit über die Schachpresse hinaus – waren in dem Moment wichtiger. Und Gukesh war auch dann unglaublich professionell. Ja, er beantwortete Frage um Frage. Ein Interview nach dem anderen. In Indien war gerade der Vormittag angebrochen und die Reporter stürzten sich auf ihn. Als es dann in Toronto schon tief in der Nacht war, machte er irgendwann Feierabend. Das zeigt, was gerade in Indien passiert: Schach genießt schon immer viel Respekt, aber das ist mit Anand steil angestiegen. Diese Entwicklung setzt sich jetzt fort. Schach wird zum Mainstream!
Wie macht Gukesh das?
Er hat gute Unterstützung von seinem Vater, der ihn managt und seinem Trainer Vishnu Prasanna. Sie passen gut auf ihn auf und bringen ihm viel bei – auf dem Schachbrett
und drum herum.
Sie kennen Gukesh schon lange, wie sie gesagt haben, dazu gehört auch ein gemeinsames
Projekt.
Ja, ich fragte ihn voriges Jahr, ob er als Erster in unser neues Videostudio nach Mumbai kommen will, um einen gemeinsamen Kurs aufzunehmen. Ich dachte, er wird erstmal eine Weile überlegen, aber er sagte sofort zu. Wir machten dann einen Taktikkurs (Anm. der Redaktion: siehe Schach-Magazin 64, 7/2023).
Attack like a Super Grandmaster
In this Fritztrainer: “Attack like a Super GM†with Gukesh we touch upon all aspects of his play, with special emphasis on how you can become a better attacking player.
Teilweise machten wir 12-Stunden-Sitzungen. Als ich einmal auf dem Sofa schlief, bemerkte ich, wie er weiter arbeitete. Er absorbiert neue Ideen geradezu!
Es gibt inzwischen eine ganze Reihe solcher Kurse. Was ist das Besondere daran?
Der Dialog zwischen den beiden Protagonisten. Und es macht mir riesigen Spaß mit Spielern und Trainern wie Vidit, Ganguly, Ramesh zusammenzuarbeiten. Ich freue mich, in Kürze auch mit Gukeshs Trainer Vishnu ein Projekt unter dem Titel „Nature of mistakes“ zu veröffentlichen.
Wie ist das, diesen Stars und Startrainern so nahe zu sein und in ihre Gedankenwelt
einzutauchen?
Es ist ein Geschenk. Die Ansätze sind so unterschiedlich und es eröffnet mir viele neue Horizonte.
Was heißt das für Ihre eigene Spielstärke? Kann vielleicht irgendwann doch noch der
GM-Titel folgen?
Tatsächlich gab es Phasen, wo ich bedauert habe, dieses Ziel nicht weiter zu verfolgen.
Aber ich darf so viel anderes erfahren in diesem Job. Und ich wache morgens oft auf und freue mich einfach, so einen Job zu haben. Vielleicht kann ich die neuen Kenntnisse irgendwann doch noch nutzen. Aber klar ist: Beides geht nicht. Ich müsste dann wieder regelmäßig spielen und hart an meinem Schach arbeiten. Die vielen neuen Ideen würden mir sicher helfen, aber im Moment ist das kein Thema für mich.
Apropos Thema – springen wir zu einem früheren Thema im Interview zurück und einer Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht: Wie realistisch ist es, dass wir Anand als FIDE-Präsident erleben werden?
Sein Engagement in der FIDE noch während seiner aktiven Zeit war für mich eine Überraschung. Aber das zeigt: Vishy hat so viel Power und eine Vision, wie sich Schach
entwickeln soll. Der Beweis ist die Chess Academy in Indien. Das ist so gut für unseren
Sport. Aber wo das hinführt, weiß ich nicht. Überlegen Sie nur: Vor zwei Jahren fand hier die Olympiade statt, die vier Monate vorher noch für Moskau vorgesehen war. Alles hängt vom Weltgeschehen ab – auch Vishys Pläne.
In punkto Olympiade kann den anderen Nationen mit Blick auf die Inder ja Angst und Bange werden!
Unter dem Aspekt der Stärke gehört Indien wohl zum Favoritenkreis. Wir haben aber oft auch schon gesehen, welche Rolle Teamgeist spielt. Aber auch da bin ich optimistisch. Pragg und Arjun zum Beispiel haben beim World Cup um den Titel gekämpft und sind abends zusammen spazieren gegangen. Wenn die Spieler es schaffen, am Brett hart zu kämpfen und trotzdem gut miteinander klar kommen, dann wird das ein richtig starkes Team.
… und dann ist da noch das Finale der WM: Herausforderer Gukesh gegen Weltmeister
Ding!
Ich habe Ding bei einem ausführlichen Interview (de.chessbase.com/post/wer-istding-liren-ein-interview) kennen- und schätzen gelernt. Es tut weh, ihn in dieser Form zu sehen. Im Sinne unseres Sports hoffe ich bei jedem seiner Auftritte, dass er wieder zu seiner alten Form zurückfindet. Wenn ihm das gelingt, steht uns ein spannendes Match bevor.
Zurück zu Ihnen. Sie schreiben, bloggen, machen Interviews und Videos, außerdem
betreiben Sie die Seite ChessRanga.com, wie wichtig ist Entertainment für Schach?
Ich entwickle mich und ich denke an das „Schach-Ökosystem“ – ich denke, es ist gut,
wenn wir viele Menschen erreichen. Dabei muss man sowohl für Neulinge als auch erfahrene
Schachspieler interessant bleiben. Zum Beispiel kann man neben einem Basisvideo
auch noch ein weiterführendes anbieten. Natürlich muss das alles unterhaltsam präsentiert
werden, es gibt genug Konkurrenz.
Haben Sie Ziele?
Oh ja! Ich möchte mit ChessRanga Schach auf der ganzen Welt besser zugänglich
machen. Ich möchte mehr Menschen erreichen und vor allem kleinen Kindern
ab 3 beim Schachlernen helfen. Darüber hinaus ist Indien ein großes Land mit vielen
Sprachen und Dialekten – ich möchte Schachmaterial in verschiedenen Sprachen
bereitstellen und Talenten mehr Möglichkeiten bieten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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