Rezension: Christian Bauer "Die neu belebte Aljechin-Verteidigung"
Ich gebe es zu: ich bin ein Fan von Großmeister Christian Bauer und das hat nichts mit seinem Vornamen zu tun. Er spielt überaus kreativ und ist schon mehrfach als Autor von eher selten gespielten Eröffnungen in Erscheinung getreten, zum Beispiel 1. ...b6!?, Skandinavisch, der Nimzowitsch-Eröffnung 1. e4 Sc6!?, Philidor sowie anderen Abspielen abseits des Mainstreams. Und weil er praktiziert, was er propagiert, ist es eine wahre
Freude, durch seine Partien zu spielen!
Auch die Aljechin-Verteidigung (1.e4 Sf6) wird besonders auf hohem Niveau selten gespielt. Ich erinnere mich an zwei, drei Partien von Bobby Fischer mit Aljechin, unter anderem im WM-Match 1972 gegen Spassky, und Carlsens bekannten Schwarzsieg über Topalov mit dieser Eröffnung.
Dabei ist der provokante Springerzug nach f6 als Antwort auf 1. e4 gerade in Blitz- oder Schnellpartien eine vorzügliche Wahl, um den Gegner frühzeitig zu überraschen. Spielt man 1. ...Sf6 auch als Antwort auf 1. Sf3, 1. c4 oder 1. d4, kann man diesen Zug auch in Bullet-Partien sehr gut "pre-moven"!
Mich faszinierte die Aljechin-Verteidigung schon frühzeitig. Wenig ausgetretene, durchaus interessante, vielseitige Stellungen waren die Folge und führten dazu, dass ich auch einigen Fide-Meistern das Leben schwerer machen konnte als im einst und immer geliebten Sizilianer. Zudem lässt Aljechin kaum frühzeitige Vereinfachungen zu, weshalb es auch eine gute Eröffnung gegen DWZ-Schwächere ist.
Interessanterweise empfand ich die Hauptvariante nach 1. e4 Sf6, 2. e5 Sd5, 3. d4 d6, 4. Sf3 stets als für Schwarz angenehm. Hier hatte man als Nachziehender die Wahl zwischen einigen annährend gleichwertigen Fortsetzungen wie das interessante 4. ...dxe5, 4. ...Lg4, das provokante 4. ...Sc6, das flexible 4. ...c6 oder gar 4. ...Sb6!?.
Großmeister Bauer analysiert ausführlich die Variante mit 4. ...g6, die dem Schwarzen
insbesondere in den letzten Jahren gute Ergebnisse beschert hat! Eine weitere spielbare Alternative, die es ihren Gegner erschweren wird, sich auf Sie vorzubereiten!
Allerdings kristallisierten sich für mich mit 2. Sc3 und der Abtausch- bzw. Voronezh-Variante bald einige Spielweisen heraus, die den Spaß-Faktor für Schwarz jedoch auf ein Mindestmaß reduzierten.
Aber auch hier hat die Neuerscheinung von GM Bauer dafür gesorgt, dass ich mich erneut für Aljechin begeistern kann! Insbesondere in der Abtauschvariante nach 1.e4 Sf6 2.e5 Sd5 3.d4 d6 4.c4 Sb6 analysiert Bauer ausführlich beide Abspiele, sowohl 5...cxd6 als auch 5...exd6.
Wem die Voronezh-Variante heute noch Bauchschmerzen verursacht, dem sei entweder zu 9. ...Lf5!? oder dem Figurenopfer nach 1.e4 Sf6 2.e5 Sd5 3.d4 d6 4.c4 Sb6 5.exd6 cxd6 6.Sc3 g6 7.Le3 Lg7 8.Tc1 0-0 9.b3 d5 10.c5 e5!? geraten - beides untersucht Bauer sehr ausführlich! Hier gibt es für Weiß eine Vielzahl von Fallen zu umsegeln!
Eine weitere Variante, die den Schwarzspielern besonders in den letzten Jahren das Leben erneut schwer gemacht hat, ist der Vierbauernangriff nach 1.e4 Sf6 2.e5 Sd5 3.d4 d6 4.c4 Sb6 5.f4! Grund dafür sind unter anderem die literarischen Neuerscheinungen von GM Gawain Jones ("A coffeehouse 1e4 repertoire") und GM Justin Tan ("1e4 - The Chess Bible"). GM Bauer begegnet dieser frühzeitigen Aggression mit im Grunde drei hauptsächlichen Abspielen und spricht sich dabei für die modernen Spielweisen 5...dxe5 6.fxe5 g6, 6...c5 7.d5 g6 und 5...g6 aus! Auch hier hat der besser Vorbereitete die praktischen Chancen auf seiner Seite!
Mit knapp fünfeinhalb Stunden Videolaufzeit, interaktivem Training samt Video-Feedback, Modellpartien und der Möglichkeit, Schlüsselstellungen des vorgestellten Repertoires auf unterschiedlichen Levels auszuspielen, bietet diese Neuerscheinung zur Aljechin-Verteidigung alles, was sowohl der Neueinsteiger als auch der erfahrene Aljechin-Anhänger wissen muss! Sehr empfehlenswert!
