Christian Bauer hat „skin in the game”

von Klaus Besenthal
07.09.2019 – Leute, die sich selber nicht an die Ratschläge halten, die sie anderen geben, kennt wohl jeder. Das Gegenteil sind Menschen, die tun, was sie sagen. Im Englischen gibt es dafür die nicht einfach zu übersetzende Redewendung „to have skin in the game“. Einer, der definitiv „skin in the game“ hat, ist Christian Bauer: Die Varianten, die der französische Großmeister auf seiner neuen ChessBase-DVD „Der nonchalante Nimzowitsch“ empfiehlt, spielt er auch selber – regelmäßig und seit vielen Jahren! | Fotos: Pascal Simon

Die nonchalante Nimzowitsch-Verteidigung Die nonchalante Nimzowitsch-Verteidigung

Ihr Hauptteil besteht dabei aus einer Pirc-Verteidigung (nach 1.e4 Sc6 2.Sf3 d6 3.d4 Sf6 4.Sc3 g6), in der Schwarz die schärfsten Abspiele vermieden hat, um den geringen Preis etwas verminderter Flexibilität, da sein Springer ja bereits auf c6 steht. Auße

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"Der nonchalante Ninzowitsch" 

Lange Zeit galt die Nimzowitsch-Eröffnung 1.e4 Sc6 als minderwertig und wurde deswegen in der Schachliteratur nur sehr stiefmütterlich behandelt. Nach der Jahrtausendwende hat sich dies grundlegend geändert. Bei ChessBase ist seither bereits eine DVD von Andrew Martin zu dem Thema erschienen, und vor wenigen Tagen erst hat nun Christian Bauer mit "Der nonchalante Nimzowitsch" seine Sicht auf diese vielschichtige Eröffnung präsentiert. Apropos Jahrtausendwende: Im Jahr 2000 war es auch, als Christian Bauer – in einer Partie gegen Sergei Tiviakov – einen ersten "Gehversuch" mit dem Zug 1. … Sc6 unternahm. Regelmäßig sollte der Großmeister diese Eröffnung dann erst zehn Jahre später zu spielen beginnen – was nun aber auch schon zehn Jahre Turnierpraxis ergibt.

Interessante biographische Details zu Christian Bauer offenbart ein Artikel, der in der neuesten Ausgabe der "Schweizerischen Schachzeitung" erschienen ist, und den wir an dieser Stelle - mit freundlicher Genehmigung des Autors Markus Angst - wiedergeben:

Zurück zur Nimzowitsch-Eröffnung: In der Praxis dürfte es gar nicht so selten sein, dass man 1. … Sc6 als Antwort auf 1.e4 einem Gegner präsentiert, der sich noch nie ernsthaft damit beschäftigt hat. Möglicherweise ist es sogar seine erste Turnierpartie überhaupt mit dieser Eröffnung. Beides zusammen würde zu der kuriosen Situation führen, dass der Gegner bereits in Zug 2 ohne Buchwissen dastünde. Natürlich ist das noch nicht allzu kritisch, denn mit 2.Sf3 und 2.d4 liegen zwei natürliche Züge für Weiß förmlich auf der Hand. Der (ahnungslose) Gegner dürfte sich in der Mehrzahl der Fälle für 2.Sf3 entscheiden – darauf hoffend, dass der Spuk nach 2. … e5 unmittelbar zu Ende sein könnte. Auf diese Weise ging z.B. Christian Bauers erster Versuch aus dem Jahr 2000 weiter, und auch prominente Schwarzspieler wie Hikaru Nakamura und Richard Rapport haben schon so gespielt. Vielleicht hatten die Spieler für den Fall von 2.d4 etwas vorbereitet, gegen 2.Sf3 aber nicht. Wie auch immer: Auch Bauer hatte in seiner Praxis meist mit 2.Sf3 zu tun, aber 2.d4 ist ihm ebenfalls regelmäßig begegnet. Darüber hinaus bekommt der Großmeister immer wieder das gegen d7-d5 gerichtete 2.Sc3 vorgesetzt - auch hierauf geht er auf seiner DVD ein.

Nach 1.e4 Sc6 2.Sf3 ist 2. ... d6 der Favorit von Christian Bauer. Das Konzept ist leicht verständlich: Schwarz geht aus der Nimzowitsch-Eröffnung direkt in die Pirc-Verteidigung über, kommt so in den Genuss der dynamischen Chancen, die die Pirc-Verteidigung bietet, schaltet aber die für Schwarz gefährlichsten Varianten mit einem frühzeitigen Vorstoß des weißen f-Bauern aus. Diese Vorgehensweise nach der Blockade des weißen f-Bauern durch 2.Sf3 gefällt sogar dem Weltmeister: Magnus Carlsen hat auch schon mehrfach so gespielt. Dass die Großmeister dieses Rezept gern gegen Spieler mit einer schwächeren Elozahl anwenden, verwundert nicht. Der Weiße verfügt allerdings über eine Möglichkeit, die dynamischen Möglichkeiten des Nachziehenden stark zu reduzieren: Indem er, nach dem standardmäßigen schwarzen e7-e5 einfach auf e5 die Bauern tauscht. In der dann entstehenden symmetrischen (und statischen!) Struktur ist ein Spiel auf Gewinn für den stärkeren Spieler nicht mehr so einfach. Dass Schwarz hier gut steht, belegt Bauer auf seiner DVD - welche Ideen es für das Mittelspiel gibt, zeigt eine Partie aus seinem Schaffen:

 

Christian Bauer bei einem Einsatz in der Schachbundesliga

Magnus Carlsen wurde bereits erwähnt. Auch der Weltmeister musste sich schon mit der weißen Vereinfachungsstrategie auseinandersetzen. Eine nicht ganz unwichtige Frage ist dabei, ob man als Schwarzer auf e5 zunächst mit dem Springer oder sofort mit dem Bauern zurücknimmt. Bauer bevorzugt das Schlagen mit dem Bauern, Carlsen nahm mit dem Springer. Der Weltmeister erreichte gar nichts, spielte aber dennoch auf Gewinn. Das war faszinierend zu beobachten:

 

Bauer ist also ein Fan dieses Übergangs zur Pirc-Verteidigung. Selber erprobt hat er aber auch 2. ... d5 nach 2.Sf3, was eine Abart der Skandinavischen Verteidigung ergibt. Schaut man sich die von Bauer selber gespielte Beispielpartie an, dann wird deutlich, warum ihm das Pirc-Kozept besser gefällt:

 

Sicher sein können sich Bauers künftige Gegner aber nicht, dass er nie wieder so spielen wird. Gut möglich, dass er versuchen wird, das "Nimzo-Skandinavisch" in der Zukunft mit neuen Impulsen zu bereichern - eine ChessBase-DVD zum Thema "Skandinavisch" von ihm gibt es ja bereits. 

Skandinavisch - solide und schlagkräftig gegen 1.e4

Die Skandinavische Eröffnung (1.e4 d5) führt den Gegner auf ein weniger vertrautes Terrain als z.B. Sizilianisch, Französisch oder 1.e4 e5-Systeme. Bereits mit dem ersten Zug kämpft Schwarz um die Initiative.

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Partien von Christian Bauer mit der Nimzowitsch-Eröffnung

 

Archiv der Schweizerischen Schachzeitung


Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.

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