13.05.2020 – Die ganze Schachcommunity spielt nur noch online. Die ganze Schachcommunity? Nein. Fünf mutige Wiener haben sich in einem Park getroffen und ein Turnier ausgetragen. Unter strenger Einhaltung der Covid-19-Präventionsregeln. Die sind in Österreich schon etwas lockerer als anderswo. Stefan Löffler war mit von der Partie. | Fotos: Joe Wallner
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Schach an der frischen Luft und im Sonnenlicht
Verstehen Sie mich nicht falsch. Onlineschach finde ich großartig. Wenn ich in der Online-4NCL eingesetzt werde, setze ich mich raus in den Hof, genieße die Abendluft, ein Glas Rotwein, vielleicht etwas Käse dazu. Über Whatsapp chatte ich mit meinen Teamkollegen. Denkt mein Gegner länger nach, arbeite ich Emails ab oder spiele nebenbei Lines of Action. Alles Freiheiten, die ich bei einer normalen Turnierpartie vergessen kann. Auf Ansprachen vor der Runde und bei Siegerehrungen verzichte ich ebenso gerne wie auf den bei vielen Turnieren üblichen Mief, grausligen Kaffee und die ganze Fahrerei.
Warum muss also ausgerechnet ich mir ausdenken, wie Turnierschach jetzt möglich ist. Zum einen weil ich glaube, dass wir Spieler besser wissen, was uns zumutbar ist. Dass wir das Heft in die Hand nehmen sollten. Zum anderen weil ich schon lange vermisse, dass Schach an der frischen Luft gespielt wird. Die draußen reduzierte Ansteckungsgefahr liefert jetzt das beste Argument. Während andere über ausfallende Turniere klagen, sage ich: Das kann ein außergewöhnlicher Schachsommer werden. Aber wir dürfen uns nicht auf diejenigen verlassen, die schon bisher nichts draußen organisiert haben, sondern müssen selbst aktiv werden. Mit weniger Spielern, mehr Platz und viel mehr Gelassenheit. Erstmal müssen wir aber herausfinden, wie wir Schach spielen und zugleich die geltenden Präventionsregeln einhalten können.
Österreich war prädestiniert für diesen Versuch. Die Zahl der aktuell gemeldeten Covid-19-Infizierten liegt bei etwa 1200. Kleine Veranstaltungen im Freien mit bis zu zehn Teilnehmern sind schon wieder erlaubt. Der empfohlene Mindestabstand ist auf einen Meter reduziert worden. Das könnte bei einer Schachpartie zumindest machbar sein. In Deutschland gilt derzeit je nach Bundesland 1,50 Meter oder zwei Meter.
Individualsportarten dürfen in Österreich draußen schon wieder ausgeübt werden. An den Vorgaben für Indoor-Sportarten, zu denen auch Schach zählt, wird noch getüftelt. Gleich zwei Sektionen des Gesundheitsministeriums haben unser Turnier aber ausdrücklich genehmigt.
Das waren unsere Vorgaben:
Das Turnier wird im Freien ausgetragen aber nicht öffentlich bekanntgemacht. So wird vermieden, dass durch Zuschauer der Mindestabstand nicht eingehalten wird und dass mehr als die derzeit erlaubten zehn Teilnehmer zusammenkommen.
Alle Spieler und der Schiedsrichter sind gesund, symptomfrei und auch nicht besonders gefährdet.
Alle Spieler und der Schiedsrichter berühren die Figuren, Bretter und Schachuhren ausschließlich mit Handschuhen. Körperkontakt wird vermieden.
Desinfektionsmittel und Mund-Nase-Schutz sind griffbereit.
Alle Spieler und der Schiedsrichter halten jederzeit einen Meter Mindestabstand von Gesicht zu Gesicht.
Wir verwenden eine Bedenkzeit, die genug Zeit zum Ziehen erlaubt, ohne sich über das Brett beugen zu müssen, wodurch der Mindestabstand verletzt würde.
Am Rand des Loquaiplatzes im sechsten Wiener Gemeindebezirk fanden wir Tische mit einer Sitzbank an jeder Seite.
Gleich kommen die Schachspieler
Die übrigen Tische im Park gehören entweder zum Spielplatz oder waren für die Bewohner eines Altersheims abgesperrt. So waren wir zwar stärker der Sonne ausgesetzt, worauf wir uns mit Hüten und Sonnenbrillen eingestellt hatten, und spielten nur wenige Meter von den Glascontainern entfernt, doch die Flascheneinwürfe an einem Sonntagvormittag hielten sich in Grenzen.
Die Masken hatten wir parat, aber spielten ohne. Sauerstoff gehört einfach zur Grundausstattung beim Turnierschach. Ilja Balinow machte sich einen Spaß daraus, seinen Hut aufzubehalten und seinen Schal bis über die Nase hoch zu ziehen. In dem Aufzug hat er kürzlich die Angestellten einer Bank erschreckt. Was ihm erst klar wurde, als er ihre Gesichter sah.
Joe Wallner und Turniersieger llja Balinov, der in Bankräubermanier den Schal über die Nase zog.
Eigentlich wollten wir mit zehn Sekunden Inkrement spielen. Doch damit wären wir nicht vorm Muttertagsessen fertig geworden. Also einigten wir uns auf fünf Sekunden Inkrement. Mir hat das nicht gereicht. Ich habe offenbar schnell gelernt, mit Abstand zu verlieren, und habe zweimal die Zeit überschritten. Wir durften uns ja nicht vorlehnen, auf die Ellenbogen gestützt den Kopf übers Brett bringen, wie wir es sonst gewohnt sind. Wenn zwei Gegner das gleichzeitig tun, schrumpft der Abstand von Gesicht zu Gesicht auf vielleicht noch dreißig Zentimeter zusammen. Also lehnten wir uns zurück und versuchten so zu spielen. Gewöhnungsbedürftig.
Unser Schiedsrichter Kaweh Kristof ermahnte uns, wenn wir zu nahe ans Brett rückten und der Abstand unter einen Meter schrumpfte.
Schiedsrichter Kaweh Kristof warnte, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten war.
In der ersten Runde geschah das jedem mal oder sogar wiederholt. Am Ende waren kaum noch Ermahnungen nötig. Zu gering wird der Abstand, wenn der Spieler, der nicht am Zug ist, nicht mehr nach hinten lehnt und sein Gegner sich etwas vorbeugt, um seinen Zug auszuführen. Aber wen soll der Schiedsrichter dann eigentlich ermahnen: den, der sich bewegt oder den, der schon zu weit vorne ist? Wenn einer auf die gegnerischen Grundreihe zieht, oder wenn der Schiedsrichter in eine Partie eingreifen muss, was bei uns nicht vorkam, ist es um den Meter Mindestabstand auch geschehen. Über die gesamte Dauer haben wir ihn wahrscheinlich zu 99 Prozent eingehalten.
Zu viel Licht
Nicht zur Nachahmung empfohlen ist unser Equipment. Auf der LEAP-Schachuhr konnte der Schiedsrichter die Zeit nur erkennen, wenn er sich halb übers Brett beugte. Auch die Spieler mussten genauer hinsehen. Auf Sonnenlicht ist das Display offenbar nicht ausgerichtet. Das Display der DGT-Uhren sei bei Sonnenlicht etwas, aber nicht viel besser, meint Kaweh Kristof. Die Einweg-Latexhandschuhe (60 Stück für €4), die wir vorm Auspacken der Figuren über unsere Finger zerrten, bewährten sich auch nicht. Die Hände schwitzten in den engen Handschuhen. Vielleicht eignen sich Einweghandschuhe aus dem medizinischen Bereich besser. Winterhandschuhe sind sicher durchgängig zu warm. Wer öfter mit Handschuhen Schach spielen will, findet wahrscheinlich am Baumarkt etwas Passendes. Es soll auch Handschuhe für Kartenspieler geben.
Löffler-Wallner
Im Grund sei der Test gelungen, sagt Kaweh Kristof, weil es nur eine kleine Zahl erfahrener Spieler und ein Rundenturnier war. Bei einem Schweizer System mit deutlich mehr Teilnehmern müsste man sich vorher gut überlegen, wie man Gedränge vermeidet. Vielleicht sollten wir in diesen Zeiten gelassener mit der Bedenkzeit umgehen und, wie es bei Go-Turnieren teilweise praktiziert wird, eine Zeitüberschreitung pro Partie zulassen.
Ilja Balinov, der verhinderte Bankräuber, gewann vor Joe Wallner, der ein Video über das Turnier gedreht hat. Die Partien waren inhaltsreich und umkämpft, das Niveau war nicht großartig aber auch nicht so schlecht. Nachdem wir in den letzten Wochen online gespielt hatten, kam uns das Schach am Brett anders vor und hat allen richtig Spaß gemacht. Gab es Preise? Für die ersten vier ließ Joe Wallner im Anschluss ein Coronabier springen.
Stefan LöfflerStefan Löffler schreibt die freitägliche Schachkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist in Nachfolge von Arno Nickel Herausgeber des Schachkalender. Für ChessBase berichtet der Internationale Meister aus seiner Wahlheimat Portugal.
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