"Damen an die Macht!" - eine Rezension

von Peter Muender
07.04.2022 – In seinem neuen Band „Damen an die Macht“ liefert Schach-Kolumnist und ChessBase-Autor Martin Breutigam nach „Genies in Schwarzweiß“ und „Himmlische Züge“ wieder einen spannenden Mix aus Schachanekdoten, Aufgaben und Portraits neuer Supertalente.

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Schach-Anekdoten, Rätsel, Porträts neuer Supertalente:

Selten gab es so rasante Entwicklungen und ein so extrem schnell wachsendes  Interesse für  Schach wie in den letzten Jahren. Was  wohl am online-Boom,  an der faszinierenden Netflix-Serie „Damengambit“, Magnus Carlsens Titelverteidigung und diversen anderen Ereignissen liegt, die das Thema Schach in die Schlagzeilen brachten- wie etwa  der Börsengang von  Carlsens Firma „Play Magnus“. Wenn der Schachkolumnist (für SZ und Tagesspiegel) und Buchautor Martin Breutigam, Jahrgang 1965, IM, Bundesligaspieler  mit ELO 2380,  jetzt also nach „Himmlische Züge“ von 2014 und „Genies in Schwarzweiß“ von 2016  wieder ein Schachbuch mit seinen zwischen 2014 und 2021 verfassten Kolumnen veröffentlicht, dann kann das nicht überraschen- wer hat sonst schon so unmittelbar seinen Finger am Puls der Zeit und den scharfen analytischen Blick auf die 64 Felder gerichtet wie er?

Veganes Schachspiel 

Neben dem Diagramm mit einer brisanten Stellung vor der letzten entscheidenden Attacke liefert er einen kurzen biographischen Hintergrund der Spieler und erläutert auch, wie es zu einer verschärften Wettkampfsituation kam: So hatte etwa der Chinese Ding Liren  beim Champions Showdown gegen Magnus Carlsen 16 von 30 Partien verloren und nur 2 Blitzpartien gewonnen. Er hatte also erheblichen Kompensationsbedarf und zauberte schließlich gegen den jungen Großmeister  Bai Jinshi eine „unsterbliche Partie“ aufs Brett, die Breutigam in eine Reihe neben Anderssen-Kieseritzky (London 1851), Rotlewi-Rubinstein (Lodz 1907) und Kasparow-Topalow (Wijk aan Zee 1999) stellt. Wir können bei der Lektüre anhand des Diagramms die verblüffende 12zügige Gewinnkombination  verfolgen ( unten am Rand auf den Kopf gestellt). 

Breutigams  Blick zurück  auf erhellende  Dokumente in verstaubten Schach-Archiven ist ebenso spannend wie die Vorstellung des  „Wonderboy“ Vincent Keymer, den Breutigam  hier mit einer Partie zeigt, die er als 10 jähriger Schüler  bei der Deutschen Einzelmeisterschaft in Verden gewann. Und  schließlich auch mit dem letzten  Beispiel demonstriert, wie der  16 jährige Vincent beim FIDE  Grand Swiss in Riga  im November 2021 Vize-Europameister wurde, in die Top 100 der Weltrangliste aufstieg und den Großmeister-Titel  errang. 

Aus einem verstaubten Archiv stammte Tartakowers Buch „Die hypermoderne Schachpartie“, die der  extrem unbedarfte  Schachspieler  Stefan Zweig für seine Recherchen zur „Schachnovelle“ im brasilianischen Exil studiert hatte: Es war eine Partie von Aljechin gegen Tartakower mit einem raffinierten Turmendspiel. Tartakower lobte Aljechin später in seinem Kommentar für dessen „kristallenes Spiel“, mit dem er diese „hypermoderne“ Partie gewann.

Mit  eingestreuten, von historischen Vorgängen beeinflussten Exkursen würzt Breutigam sein faszinierendes Schach-Potpourri.  Er erinnert an den Hamburger Schach-Mäzen Walter Robinow (1867-1938), der 1908 HSK-Vorsitzender wurde und 1910 den DSB-Kongreß in Hamburg mit vielen hochkarätigen Spielern organisierte, zeigt  eine von Karl Marx  1867 gespielte Partie, als  Marx gerade „Das Kapital“ veröffentlicht hatte und  in Berlin bei einer Feier für Schachmeister  Gustav Neumann  gegen einen  Gegner namens Meyer antrat: „Erstaunlich gekonnt“ findet Breutigam die  sechszügige Gewinn-Kombination von Marx. Anlass für den Marx-Hinweis war übrigens  die  Frankfurter Versteigerung der „Kapital“-Erstausgabe für 200 000,- Euro. Auch die Studie des Althistorikers und IM Christian Mann „Schach- die Welt auf 64 Feldern“ gehört  laut Breutigam in diesen Kontext, da das Buch Schach als „bedeutendstes Spiel der  Menschheitsgeschichte“ im Verlauf von 1500 Jahren würdigt. Christian Manns  Bundesliga-Partie von 1996 zeigt seinen mit einem hübschen Ablenkungsmotiv geschmückten  Sieg gegen GM Wolfgang Uhlmann. 

Und wo bleiben die an die Macht strebenden  Damen ?  Die werden ebenfalls  porträtiert- sie haben aber immer noch das Problem, nur selten gegen stärkere Männer  antreten zu können, weil das Frauenschach von Bürokraten zu stark reglementiert wird. Was ja auch Judit Polgar schon vor etlichen Jahren kritisiert hatte- sie spielte auch lieber gegen Kasparow und ähnmliche Kaliber. Nicht umsonst  verabschiedete sich die chinesische  Weltmeisterin Hou Yifan, 26, Professorin in Shenzen, aus dem WM-Zyklus: Die  zwischen KO-Runden  und  WM-Modus alternierenden Formate sind nicht nur mörderisch, sondern auch viel zu unübersichtlich.  Inzwischen ist eine andere Chinesin Weltmeisterin: Die aus Shanghai stammende Ju Wenjun. Faszinierender  als diese staatlich geförderte  Karriere ist jedenfalls  die Entwicklung der lettischen Finanzministerin Dana Reizniece-Ozola: Mit 16 gewann sie die lettische Frauenmeisterschaft, nun ist sie Ministerin und Mutter und schwänzte, wie Breutigam schreibt, ein Treffen der EU-Finanzminister, um an der Schach-Olympiade in Baku teilzunehmen und am  lettischen Spitzenbrett anzutreten. Die Lettin gewann sogar  mit einer 15zügigen Kombination gegen die Favoritin Hou Yifan. Eher grotesk mutet dagegen die Geheimniskrämerei um die Partien der  ukrainischen Frauenmeisterin von 2015 , Maria Musitschuk an, die Breutigam  hier  erwähnt: Ihre gespielten Partien wurden geheim gehalten und in keiner Datenbank veröffentlicht, damit ihre  chinesische Herausforderin Hou Yifan sich nicht auf sie vorbereiten konnte.

Auch zum Netflix- „Damengambit“ liefert Martin Breutigam Hinweise auf die Produktion, Drehplätze und zu einer  vor dem WM-Duell einstudierten Trainingspartie, die er zeigt. Anya Taylor-Joy als Beth Harmon wurde ja mit dem Golden Globe prämiert; allein im ersten Monat der Netflix-Mini-Serie sahen 62 Millionen Viewer „The Queen´s Gambit“- alles ziemlich rekordverdächtig. Man sollte aber nicht die extrem gelungene, sehr differenziert und spannend konstruierte Romanvorlage des Autors Walter Tevis vergessen: Das verstaubte Rollenverhalten der 50er und 60er Jahre in den USA,  das er so genau und kritisch-ironisch beschreibt, hat man im Film zum Glück adäquat übersetzt und eben auch die Ausnahmesituation der Solo-Kämpferin in einer exotischen Denker-Disziplin optimal eingefangen.

Keine Frage: Martin Breutigam  präsentiert hier einen fabelhaften, faszinierenden Band  für alle Schachspieler- angereichert mit erhellenden Kurzporträts, knackigen Kombinationen und überraschenden historischen Exkursen.

Marin Breutigam: Damen an die Macht.
Rätsel und Geschichten aus der Welt des Schachs. 192 S.,
Verlag die Werkstatt Bielefeld 2022 

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Peter Münder, Anglist, Pinter-Biograph und begeisterter Schachfreund spielt beim Hamburger SK.

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