Daniel King beantwortet die "Schach"-Fragen

von ChessBase
27.07.2022 – Die Zeitschrift Schach stellt in jeder Ausgabe eine Persönlichkeit aus dem Schachleben in Form eines Fragebogens vor. Im Juli/August Doppelheft beantwortete der englische Gro0ßmeister, Autor, Kommentator und Streamer Daniel King die Schach-Fragen.

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Der folgende Fragebogen erschien neben vielen anderen interessanten Beiträgen in der Ausgabe 7/8 der Zeitschrift Schach. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Fragebogen: Daniel King

Der englische Großmeister und Schach-Kommentator ist hierzulande vor allem durch seine Tätigkeit für ChessBase und seinen YouTube-Kanal Powerplaychess bekannt.

Eröffnungsmäßig hat er sich zuletzt auf den "Kalaschnikow-Sizilianer" spezialisiert (1. e4 c5 2. Sf3 Sc6 3. d4 c:d4 4. S:d4 e5): bei Chessable erschien darüber ein Online-Kurs und bei New in Chess ein Buch von ihm.

King, 58, ist verheiratet, hat zwei Kinder (23 und 21) und lebt im Südwesten Londons, "in der Nähe der Themse, unweit meines favorisierten Brentford Football Club". Ende der 1980er Jahre verbrachte er ein Jahr in Wuppertal und spricht nahezu perfekt deutsch.

1. Wo möchten Sie im Moment gerne sein?

Ich würde gern sinnierend an einem Fluss sitzen.

2. Was würden Sie tun, wenn es ab morgen absolut kein Schach mehr in Ihrem Leben geben würde?

Ich würde all die Dinge tun, an denen ich mich jetzt schon erfreue: Musik machen, kochen, tolle Kneipen und Restaurants besuchen, in Kunstgalerien gehen ...

3. Nennen Sie eine schachliche Begebenheit — selbst erlebt, gelesen oder gehört, gestern oder vor hundert Jahren, eine Partie, ein bestimmtes Verhalten, ein Kommentar etc. —, die einen besonders nachhaltigen Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat!

Man sagt, dass jene Erfahrungen und Episoden im Leben, die die größten Emotionen auslösen, die sind, die die stärksten Eindrücke hinterlassen. Schach als Wettkampfsport produziert sie im Überfluss.

Wo fange ich an? Schreckliche Niederlagen, schreckliche Siege. Bei der Britischen Meisterschaft 1990 verlor ich in der letzten Runde eine Partie gegen meinen Freund und Rivalen Julian Hodgson, die mich auch heute noch verfolgt.

Das Kalkutta-Open 1992 zu gewinnen, war eine phantastische Erfahrung — die Partien, die Menschen, die Stadt ... Sind Sie jemals über einen roten Teppich geschritten, an dem schöne Frauen Spalier stehen und Rosenblätter über Sie streuen?

Abseits dieser selbstverliebten Erinnerungen sind alle Geschichten über Fairplay oder Großzügigkeit rührend bzw. bewundernswert und nur schwer zu toppen. Ich denke beispielsweise daran, wie Spasski Fischer in Reykjavik nach Partie 6 applaudierte.

4. Welche Themen möchten Sie in der Schachöffentlichkeit/Schachpresse stärker behandelt wissen?

Dass es einen Widerspruch gibt zwischen der "Liebe zum Spiel" und dem Selbsthass, den man empfindet, wenn man eine schlechte Partie gespielt hat. Vielleicht macht das die Siege umso süßer.

5. Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt noch erlernen bzw. bedauern, es nie erlernt zu haben?

Es hat keinen Sinn, hier irgendetwas zu bereuen. Aber in Zukunft würde ich gern mehr über Sprachen, Musik und Geschichte lernen.

6. Was ist Ihnen peinlich?

Mein Ziel ist es, einen Status zu erreichen, in dem es mir egal sein kann, was andere über mich denken.

7. Welche Art von Humor mögen Sie? Nennen Sie ein Beispiel (einen Komiker oder Autor, einen Film, eine Situation oder einen Aphorismus etc.).

Ironie. Es dürfte nicht überraschen, dass ich englischen (oder überhaupt britischen) Humor mag. Versuchen Sie es mal mit Stewart Lee.

8. Was gefällt Ihnen an sich und was missfällt Ihnen an sich?

Zu sagen, was ich an mir mag, würde selbstgefällig wirken; zu sagen, was ich nicht mag, würde klingen, als hasse ich mich. Beides wäre nicht zutreffend.

9. Welchen Missstand würden Sie in Ihrem Land beseitigen, wenn es in Ihrer Macht stünde?

Fangen wir mit dem Brexit an. Danach werden wir diese käufliche, rachsüchtige und seelenlose Regierung los.

10. Wer sind Ihre Helden in der Gegenwart?

Jeder, der gegen Ungerechtigkeit aufsteht und versucht, etwas in der Gesellschaft zu bewegen.

11. Welche drei Bücher können Sie empfehlen?

Schwierig! Häufig empfehle ich das Buch, das ich zuletzt gelesen habe, weil ich es noch im Kopf habe. Ein gutes diesmal: Tibor Fischer: Under the Frog (dt. Stalin oder ich). Es spielt im Ungarn der Nachkriegszeit und ist schmerzhaft und lustig zugleich.

Das letzte Schachbuch, welches ich gelesen habe, war "From Ukraine With Love For Chess". Ausgezeichnetes Material. Und alle Erlöse gehen an ukrainische Wohltätigkeitsorganisationen.

12. Welche Spieler würden Sie einladen, wenn ein Sponsor Sie mit der Ausrichtung eines Turniers beauftragen würde?

Ich würde die großen Spieler der 1920/30er Jahre auferstehen lassen und sie in ein Grand Hotel irgendwo in Mitteleuropa einladen: Aljechin, Capablanca, Nimzowitsch, Sultan Khan, Flohr, Euwe, Tartakower, Bogoljubow, Kashdan, Thomas, Yates, Winter ...

13. Auf welche eigene Leistung sind Sie besonders stolz und warum?

Sergej Dolmatow im Match England vs. Sowjetunion in Reykjavik 1990 geschlagen zu haben. Eine furchtbare Partie, aber England gewann den Wettkampf; ich glaube, es war das einzige Mal, dass England die Sowjetunion in einem Team-Wettbewerb besiegt hat.

 

 

14. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal getan und was?

Letzte Woche habe ich mich für einen Kurs zum Unterrichten von Englisch für Nicht-Muttersprachler angemeldet. Nein, ich will nicht den Beruf wechseln! Aber Sprachen interessieren mich, und wer weiß, vielleicht kann ich mit dieser Qualifikation irgendwann einmal etwas Gutes bewirken?!

15. Was hat die Pandemie im Weltschach bewirkt? Was hat sich geändert?

Die Pandemie hat den bereits bestehenden Trend der Verlagerung des Schachs ins Internet beschleunigt. Die Spannungen zwischen der Online- und der "realen" Welt sind jedoch nach wie vor existent.

Es gibt Gewinner und Verlierer. Streamer, die relative Patzer sind, avancieren zu Berühmtheiten; starke Spieler, die sich online nicht engagieren, haben zu kämpfen. Aber ganz allgemein ist die Online-Welt für Schachspieler etwas sehr Positives — wenn sie denn gewillt sind, sich anzupassen.

16. Aktuelle Frage:

a) Was erwarten Sie vom Kandidatenturnier?

Kandidatenturniere sind immer extrem spannend und ich freue mich sehr darauf.

Ding und Caruana sind für mich die Favoriten. Njepomnjaschtschi darf man nicht abschreiben, er hat sich gerade erst monatelang auf ein WM-Match vorbereitet. Aber ist er noch hungrig? Verfügt er über das für 14 Runden nötige Durchhaltevermögen?

Firouzja ist eine in vielerlei Hinsicht unbekannte Größe. Er hatte sich zuletzt versteckt und wir wissen nicht, wie es um seine Form bestellt ist. Es würde mich überraschen, wenn er sich durchsetzt, aber ich werde gern überrascht.

Daneben gibt es noch andere, denen ich den Sieg nicht zutraue, die aber durchaus für Überraschungen gut sind. Es wird ein faszinierendes Turnier werden!

b) Ihr Fazit nach dem Turnier bitte.

Große Kämpfe und zwangsläufig auch große Fehler!

Njepomnjaschtschi ist gereift, er hat aus seinen Erfahrungen bei den Kandidatenkämpfen 2020/21 und dem WM-Match gelernt und Professionalität bewiesen. Es zeugt von enormer mentaler Stärke, nach einer Niederlage so zurückzukommen! Sein souveräner Sieg zeigt übrigens auch, wie brillant Carlsen in Dubai gegen ihn gespielt hat.

 

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