Rezension Powerplay 23 - ein Repertoire für den Nachziehenden:
Das abgelehnte Damengambit
Von Philipp Hillebrand
In dieser Serie geht es darum für den Nachziehenden ein grundsolides System zu nutzen, welches als Fels in der Brandung einen Bauern auf dem Feld d5 aufweist. Die Hauptwahl hierbei stützt sich auf das sog. Tartakower System (1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Le7 5.Lg5 h6 6.Lh4 0-0 7.e3 b6).
Im Vergleich zur sog. Lasker Variante (1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Le7 5.Lg5 h6 6.Lh4 0-0 7.e3 Se4, King bespricht dieses Abspiel mit einem Clip!) strebt der Nachziehende mit dem Tartakower System eine gehaltvollere Partie an, indem er nicht nach frühem Figurentausch lechzt. Auf dem Weg zum Zug 7…b6 stehen dem Anziehenden natürlich viele Möglichkeiten und Abspiele zur Verfügung, welche GM Daniel King alle sehr klar und kohärent präsentiert.
Die Struktur der DVD besteht aus 10 Musterpartien und jeder dieser Musterpartie ist ein Video gewidmet. Zudem gibt es als Arbeitsmaterial je eine kleine Datenbank mit weiteren Musterpartien, die mit Hyperlinks sehr bequem angesteuert werden können.
Bei der Zugfolge 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 muss man als Nachziehender freilich mit dem beliebten Abtauschsystem rechnen. Die Abtauschvariante kam auf Top-Niveau zuletzt weniger vor, aber wird im Amateurbereich gerne gespielt, da die strategischen Pläne des Weißen leicht nachzuvollziehen sind. Das ist mit ein Grund, warum viele Repertoireempfehlungen dem Anziehenden die Abtauschvariante ans Herz legen. Aber wie King zeigt, braucht Schwarz vor dem Abtauschsystem keine Angst zu haben.
Der Autor geht meines Erachtens sehr sinnvoll vor. Er bespricht das Abtauschsystem zum Ende der DVD mit Hilfe von drei Video-Clips, betont aber die Relevanz dieser Variante.
Davor zeigt er in drei Clips die Ideen und Pläne in den Hauptvarianten und auch das populäre Abspiel 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Le7 5.Lf4 (ein Clip) fällt nicht unter den Tisch.
Hauptvariante, Tartakower-System
Mit dem frühen Tausch auf f6 will Weiß die Struktur festlegen, um anschließend eine kontrollierte Offensive aufzubauen. Aber der englische GM zeigt sehr instruktiv wie man die Initiative des Anziehenden in den Griff bekommt und wie man das "Sorgenkind" des abgelehnten Damengambits, den Lc8, beleben kann:
King erläutert:
"Der letzte schwarze Bauernzug gestattet die Entwicklung nach b7 mit Blick auf das wichtige Zentrumsfeld e4. Freilich könnte er auch nach a6 ziehen, dort aber steht er nicht unbedingt wirkungsvoll und an einem Abtausch hat der Nachziehende kein Interesse, da dann das Feld c6 schwach werden könnte. Oft landet der schwarze Lc8 aber auch auf dem Feld e6 wenn er die Wahl zwischen b7 und e6 hat."
Eine wichtige und häufig gespielte Stellung entsteht nach den Zügen 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Le7 5.Lg5 h6 6.Lh4 0-0 7.e3 b6 8.Le2 Lb7 9.Lxf6 (viele erachten diesen Abtausch nun als zeitlich optimal, da nun der Lc8 nach b7 gezogen hat) Lxf6 10.cxd5 exd5 11.b4 c6(!):
King erläutert:
"Der letzte Zug …c7-c6 wirkt zunächst passiv, aber es geht darum den Punkt d5 zu stärken und die Läufer können gut und problemlos umgruppiert werden. Insbesondere der Lf6 wird zu einem gefährlichen Angreifer, wenn er erst auf d6 steht. Der andere Bauernzug …c7-c5 wurde intensiv zwischen Karpov und Kasparov in ihren WM Kämpfen diskutiert. Mit …c7-c6 kann auch manchmal das Feld c4 mittels …b6-b5 und …Nb8-d7-b6-c4 genutzt werden."
"Die Musterpartie zwischen Hansen, E –Nakar, E, Gibraltar 2015 zeigt wunderbar, dass man auch als schwächerer Gegner mit den schwarzen Steinen einen starken GM bezwingen kann und der gefürchtete Minoritätsangriff des Anziehenden auch ins Leere gehen kann."
Andere Stellungsbilder ergeben sich, wenn der Anziehende seinen Königsläufer nicht nach e2 sondern nach d3 stellt. Dies macht der Dame Platz auf e2 und mit Td1 soll die Dame des Nachziehenden auf d8 belauert werden, die dann oft nach e7 geht:
King erklärt:
"Genau wegen der Spannung im Zentrum fühlt sich die Dd8 unbehaglich, was das Entlastungsmanöver á la Lasker plausibel macht. Die Nuancen der Stellung werden gut anhand der hochklassigen Partie Wang, Y - Adams, M Wijk an Zee 2009 beleuchtet."
Wichtig ist, dass der Nachziehende keine Angst haben darf, mit den hängenden Bauern zu spielen, denn oft ist der Zug …c7-c5 ein Weg dorthin. Dieses Mittelspielthema wird auf der DVD ebenfalls gut besprochen. Das dynamische Potential der hängenden Bauern ist allgegenwärtig und oft kann der Zug …d5-d4 die weiße Stellung lockern oder Schwarz einen Freibauern verschaffen. Der Anziehende kann dies auch in gewisser Weise forcieren, wenn er schon im achten Zug auf d5 tauscht, also noch bevor der Lc8 sich bewegt hat.
King erklärt:
"Nun sehen wir einen schwarzen Damenläufer auf e6 und einer der unmittelbaren Vorzüge dieser Positionierung ist, dass der Nachziehende entlang der b- Linie den Bauern b2 belagern kann. Um diesen zu fixieren, kann manchmal auch der antipositionell wirkende Zug …c5-c4 nützlich sein, wie die Musterpartie von GM Raphael Vaganian gegen eine Engine zeigt, und auch wenn diese Partie schon 1992 gespielt wurde, wo die Computer noch nicht so stark waren, ist diese Vorstellung sehr instruktiv!"
Dass im oft als ruhig geltenden Tartakower-System sogar heterogene Rochaden vorkommen können, zeigt die Partie der Hochkaräter Mamedyarov, S –Short, N, Dresden 2008. Neben GM Rafael Vaganian ist Short einer der GMs, die immer wieder zeigen, welche Möglichkeiten Schwarz im Tartakower-System hat. Auch GM Michael Adams und GM Rustam Kasimdzhanov sind treue Verfechter dieses Abspiels.
Die Variante mit 5.Lf4
Wegen der fehlenden Erfolge in den Hauptvarianten ist die Variante 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.Sf4 Le7 5.Lf4 in letzter Zeit zunehmend populär geworden. Die Hauptvarianten dieses Systems führen oft zu sehr scharfen Stellungen, aber Spieler wie Hikaru Nakamura und Fabiano Caruana (zum Beispiel in seinem WM-Match 2018 gegen Carlsen) haben Vertrauen in die schwarze Stellung:
King jedoch erscheint diese Varianten im Vergleich zum Rest des Repertoirevorschlags, das auf solide und ruhige Züge setzt und den Zug …c7-c5 mit dem typischen Zug …b7-b6 vorbereitet, als zu kompliziert.
King führt aus:
"Erneut sind im Sinne der ähnlichen Stellungsbilder hängende Bauern herbeigeführt worden und der Läufer ist nach e6 gebracht worden. Der Lf4 stört zwar momentan den Nachziehenden wegen der Kontrolle des Feldes b8, aber die Partie Karavade, E - Grandelius, N, Gibraltar 2015 zeigt, dass der Nachziehende auch so gut steht."
Wie oben angedeutet, scheinen viele Leute im Amateurbereich das abgelehnte Damengambit zu meiden, weil sie Angst vor dem Abtauschsystem haben, in dem Schwarz mit dem Minoritätsangriff (b4-b5) oder dem Aufmarsch á la Botwinnik mit Sge2, f2-f3 und dann e3-e4 rechnen muss. Hier hat auch Kasparov als Anziehender exzellenter Ergebnisse erzielt. Um dieses Szenario zu umgehen haben Hardliner lange Zeit versucht, mit Schwarz das folgende Endspiel zu verteidigen (1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.cxd5 exd5 5.Lg5 c6 6.e3 Lf5):
King erklärt:
"Die zerrüttete Struktur des Nachziehenden soll durch das Läuferpaar kompensiert werden, aber der amtierende Weltmeister Carlsen hat gegen keinen Geringeren als Vladimir Kramnik im Jahre 2016 eine Partie gespielt, die wahrhaft abschreckend wirkt. Zwar spielen einige starke GMs diese Stellung mit den schwarzen Steinen noch ab und an, aber mehr als ein Remis sollte mit Schwarz kaum möglich sein."
Michael Adams greift mit dem Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer zu einem solideren Konzept:
Dazu King:
"Der Anziehende hat eine flexible Stellung aufgebaut, wo beide Spielweisen (Minoritätsangriff und Spiel in der Mitte durch e3-e4) möglich sind. Hierzu hat IM Jonas Lampert ebenfalls eine sehr lehrreiche DVD aufgenommen! Der letzte Zug …Sd7-b6 befreit den Lc8, und die Möglichkeit …f7-f5 gestattet nun erneut den Kampf um das kritische Feld e4. Eine wichtige Nuance ist hierbei das frühe Dc2, denn im Moment ist der Bauer e3 nur unzureichend geschützt, weswegen oft neben Tae1 auch noch mal Dc2-d2 gespielt wird. Die Partie zwischen Navara, D – Adams, M, Biel 2015 gibt hier wichtige Hinweise zur Behandlung der Stellung."
Zugumstellungen
Viele Spieler, gerade im Amateurbereich, verstehen die Feinheiten von Zugumstellungen nicht, was der Nachziehende nutzen kann, z.B. wenn Weiß den Königsspringer zu früh nach f3 entwickelt. So lässt die Zugfolge 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.cxd5 cxd5 5.Sf3 vermuten, dass Weiß der Minoritätsangriff als Option genügt und darauf kann sich der Nachziehende ohne weiteres einlassen.
Wer jedoch etwas kreativer zu Werke gehen möchte, dem sei die Musterpartie Feletar, D - Zelcic, R, Pula 2001 empfohlen. Eine weitere Möglichkeit liegt in der Zugfolge 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Le7!?, die nach dem sowjetischen Theoretiker Alatorzev benannt ist. Nun muss der Anziehende sich in gewisser Weise festlegen, und wenn früh Sf3 folgt, fehlt die Option im Zentrum zu spielen. Folglich tauschen die Anziehenden in der Regel auf d5 und lassen Lf4 folgen. Es liegt am Nachziehenden, ob er der ursprünglichen Idee Alatorzevs folgen will und auf …Lf5 setzt, wonach man allerdings mit g2-g4 rechnen muss:
Dazu King:
"Erneut sieht man, dass die Rolle des Lc8 eine ist, welche von beiden viele Überlegungen erfordert. Der aggressive Vorstoß des weißen g-Bauern ist positionell wohl begründet und sofern er es wünscht, kann der Anziehende wiederum Dank einer Zugreihenfolge mit frühem Dc2 den Zug …Lf5 unterbinden."
Folglich setzt der Autor auf den Abtausch mit …Ld6 und hat dazu selbst eine sehr lehrreiche Partie gegen GM Baburin gespielt:
King erläutert:
"Der Anziehende setzt auf sein Spiel am Damenflügel, wohingegen der letzte Zug …h7-h5 den Konter am Königsflügel sucht und die Chancen auf einen Königsangriff sind sehr real und konkret umsetzbar."
Fazit:
Mir gefällt dieses Werk von GM Daniel King sehr gut, da er das Material sehr gut strukturiert und leicht verständlich erklärt. Das beigefügte Zusatzmaterial in den Datenbanken sollte unbedingt genutzt werden, um die Videos noch besser nachvollziehen zu können. In den Videos werden die Fragen gestellt anstatt separat am Ende der DVD. Dies hat den Vorteil, dass man bereits an dieser Stelle aktiv wird, anstatt "nur" passiv zu lauschen.
Was ich besonders spannend finde, ist der Umstand, dass es nur recht wenig Material zum Tartakower-System zu geben scheint. Doch wer als Nachziehender vor dem Abtauschsystem keine Furcht hat, dem kann man dieses System nur ans Herz legen. Es kann zum einen als separates und exklusives Abspiel gegen 1.d4 fungieren (hier über 1.d4 d5 2.c4 e6), oder als komplementäre Waffe zum Nimzo-Inder via 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5. Ersteres vermeidet z.B. den Trompovsky Angriff, wohingegen der andere Weg über 1…Sf6 das Abtauschsystem umgeht, aber eben auch mehr Theorieaufwand erfordert. Auch gegen 1.c4 kann man mittels 1…e6 das Abgelehnte Damengambit anstreben. In diesem Sinne fehlt noch das Katalanische System, um sowohl 1.d4 d5 oder 1.d4 Sf6 spielen zu können. Dies erfolgt in einer einer anderen Besprechung.
5 von 5 Sternen
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