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“Eine gute Schachpartie wird im Mittelspiel entschieden” und “Das wichtigste im Mittelspiel ist die Taktik”, schrieb der Praeceptor Germaniae, Dr. Siegbert Tarrasch, in seinem berühmten Lehrbuch “Das Schachspiel” auf S. 305. Zu den häufigsten Kombinationsmotiven gehören Fesselungen und Doppelangriffe, Beseitigung der Deckung und Abzugsangriffe wie z. B. das Abzugsschach. Sie sind sozusagen das tägliche Brot eines jeden Schachspielers. Das berüchtigte Läuferopfer auf h7 hat wohl auch jeder ernsthafte Schachspieler schon einmal erfolgreich anbringen können. Ein doppeltes Turmopfer dagegen kommt vergleichsweise selten vor. Mit diesem interessanten taktischen Motiv möchte ich mich in diesem Beitrag beschäftigen.
Das doppelte Turmopfer verfolgt meist klare Ziele: Ein Mattangriff wird eingeleitet oder abgeschlossen, wobei häufig die gegnerische Dame weitab vom Schuss nicht mehr rechtzeitig zur Verteidigung herbeieilen kann. Nicht immer kann man dabei am Brett alle möglichen Züge durchrechnen. Es kommt also auch viel auf das Positionsgefühl und die richtige Einschätzung der entstehenden Stellungen an. Die Ablehnung oder teilweise Ablehnung des doppelten Turmopfers muss unbedingt mit einkalkuliert werden. Es kommt nämlich vor, dass der erste Turm ohne Gefahr genommen werden kann, wenn man nur anschließend seine Dame wieder rechtzeitig zurück ins Spiel bringt. Sehen wir uns unter diesen Gesichtspunkten einige bemerkenswerte Partien an.
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Vor einigen Jahren brachte die russische Schachspielerin Anastasia Bodnaruk in einer Partie gegen Lela Javakhishvili ein doppeltes Turmopfer “auf Position”. Dafür erhielt sie einen großen Entwicklungsvorsprung und Angriff auf den in der Mitte stehenden gegnerischen König. Anastasia Bodnaruk (Jahrgang 1992) ist IM und mit einer ELO-Zahl von 2451 im Augenblick die Nr. 7 unter den russischen Schachspielerinnen. Sie spielt ein attraktives, auf Angriff ausgerichtetes Schach und war 2014 eine der Teilnehmerinnen beim Frauenschachfestival in Erfurt. 2015 wurde sie russische Meisterin im Blitzschach und Zweite im Superfinale der russischen Damenmeisterschaft. Sie spielt für die Rodewischer Schachmiezen auf Brett 1 in der deutschen Damenbundesliga.
Ein klassisches doppeltes Turmopfer zur Einleitung eines Mattangriffs gegen den in der Mitte stehenden König konnte GM Jewgeni Barejew als Schwarzer in Linares 1994 gegen den bulgarischen Großmeister Veselin Topalow anbringen.
Jewgeni Barejew | Foto: rorkhete [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], Wikimedia Commons
Weiß hätte den zweiten Turm besser nicht genommen und stattdessen 18.De7 oder 18.Da4 gespielt. Aber auch in diesen Fällen hätte Schwarz gewonnen (18. ... Sd3+! -+). Für sein schönes Angriffsspiel im Stile der Romantiker wurde Barejew mit einem Schönheitspreis ausgezeichnet.
Der tschechische Großmeister Richard Réti (1889 – 1929) und der spätere holländische Weltmeister Max Euwe (1901 – 1981) spielten 1920 in Amsterdam einen kleinen Wettkampf über vier Partien, den der Tscheche mit 3:1 für sich entscheiden konnte. Kurioserweise konnte Richard Réti sowohl in der ersten, als auch in der vierten Wettkampfpartie ein doppeltes Turmopfer gegen das erst 19-jährige Schachtalent aus den Niederlanden anbringen. In der letzteren gelang Réti ein sehenswertes doppeltes Turmopfer, für welches er einen klaren Entwicklungsvorsprung und Angriff gegen den in der Mitte stehenden schwarzen König erhielt:
Ein sehr frühes Beispiel für das doppelte Turmopfer mit Angriff gegen den unrochierten König ist die sogenannte “Unsterbliche Partie” zwischen dem deutschen Großmeister Adolf Anderssen (1818 - 1879) und Lionel Kieseritzky (1806 – 1853). Sie wurde 1851 im Londoner Schachlokal “Simpson's Divan” gespielt. Ich war 1993 anlässlich der Schach-WM Kasparow - Short selbst vor Ort. In Erinnerung geblieben sind mir die alten Fotos und Porträts großer Schachmeister, die noch heute dort zu sehen sind. Die “Unsterbliche” ist wahrlich kein Musterbeispiel für die Kunst der Verteidigung, und auch Anderssen hätte an einigen Stellen stärker spielen können.
Wenn der Gegner schon rochiert hat oder bald rochieren kann, ist es im allgemeinen schwieriger, ein doppeltes Turmopfer anzubringen. Nicht immer sind solche Partien ganz korrekt, so z. B. die folgende Partie des englischen Großmeisters Joseph Henry Blackburne (1841 - 1924), die als freie Partie um das Jahr 1880 herum in “Simpsons's Divan” gespielt wurde. Blackburne's Gegner bringt in einer Italienischen Partie schon im 4. Zuge ein inkorrektes Figurenopfer, das der englische Großmeister mit einem ebenfalls nicht ganz einwandfreien Gegenopfer pariert.
Joseph Henry Blackburne
In der ersten Wettkampfpartie Max Euwe - Richard Réti (Amsterdam 1920) gelang dem originellen tschechischen Großmeister ein vollkommen korrektes doppeltes Turmopfer mit anschließendem Angriff gegen die kurze Rochade:
In der Partie Arkadij Naiditsch - Jan Gustafsson konnte Schwarz im Marshall-Gambit seine häusliche Vorbereitung so weit treiben, dass er die gesamte Partie vom ersten bis zum letzten Zuge bereits vor der Partie vorbereitet hatte. Vielleicht war es das, was Bobby Fischer mit seiner Klage über “prearranged games” meinte: Nicht vorher abgesprochene Partien mit bekanntem Ausgang, sondern so weit vorbereitete “Eröffnungs-”varianten, dass das kreative und kämpferische Element während der Partie keinen Raum mehr bekommt. Das doppelte Turmopfer von Jan Gustafsson ist dennoch sehr hübsch:
In der folgenden Partie bringt Schwarz im 10. Zuge seinen König durch die lange Rochade in Unsicherheit. Das ist eigentlich nicht Zweck der Rochade. Der peruanische Meister Esteban Canal nutzt den Fehler geschickt für einen Mattangriff, eingeleitet durch ein sehenswertes doppeltes Turmopfer. Besonders bemerkenswert ist, dass sich an das doppelte Turmopfer auch noch ein Damenopfer anschließt, um das Matt zu erzwingen:
In der Partie Khalifman - Serper (St. Petersburg 1994) erfolgte das doppelte Turmopfer, um ein Matt in 5 Zügen herbeizuführen. Weiß musste nichts riskieren, alle Züge bis zum Matt ließen sich klar vorausberechnen.
Die obigen Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Erwähnt sei abschließend nur noch Kasparows geniales doppeltes Turmopfer. In dieser berühmten Gewinnpartie des damaligen Weltmeisters gegen Topalow (Linares 1999) werden beide Türme geopfert, um den gegnerischen König hinaus aufs freie Feld zu locken, wo er beständig in Mattgefahr schwebt. Die lange Rochadestellung von Schwarz ist durch das Vorrücken der Bauern auf dem Damenflügel bereits geschwächt, und Topalow hätte das Turmopfer besser ablehnen sollen. Den zweiten Turm darf er schon nicht mehr nehmen, ohne in vier Zügen mattgesetzt zu werden. Kasparow opfert den Turm im weiteren Verlauf des Spiels sogar noch ein zweites und drittes Mal:
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