Schach-WM : Bonn ist stolz, Anand führt, Kramnik bleibt ruhig
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Nach dem ersten Drittel der Schachweltmeisterschaft zwischen Viswanathan Anand
(Indien) und Wladimir Kramnik (Russland) liegt der Titelverteidiger mit 2,5:1,5
in Führung. Eine Woche ist seit der Auftaktpressekonferenz in Bonn vergangen,
Zeit für den Schachreporter, die bisherigen Ereignisse mal Revue passieren zu
lassen.
Sonntag, 12. Oktober: Die WM-Finalisten stellen sich der Presse. Tags
zuvor haben sie in der Bundeskunsthalle schon ihre Stühle ausprobiert. Etwa
eine Viertelstunde lang begutachteten Anand und Kramnik die Sessel, auf denen
sie während der Partien mehrere Stunden lang sitzen werden. Während der Russe
nach kurzer Zeit mit den Worten "Das sind die besten Stühle der Welt" seine
Inspektion beendete und auf seinem Platz noch ein paar Minuten lässig hin und
her schaukelte, bat Anand darum, seinen Sitzplatz noch etwas besser einzustellen.
Auch Spielbrett und Schachfiguren wurden einer gründlichen Prüfung unterzogen.
Turnierdirektor Josef Resch hatte den beiden WM-Finalisten verschiedene Figurensätze
zur Auswahl angeboten. Sie spielen mit den vertrauten Staunton-Figuren.
Vor den Journalisten kündigen Vishy Anand und Wladimir Kramnik ein Match auf
hohem Niveau an. Bei ihrem mit 1,5 Millionen Euro dotierten Duell wollen sie
sich einen harten Kampf liefern. Kramnik und Anand loben die guten Spielbedingungen
in der Bundeskunsthalle, der Russe nannte sie sogar brillant. Die WM-Finalisten
wohnen hier im selben Hotel, allerdings in verschiedenen Flügeln. Trotz des
hohen Einsatzes und bei aller Konkurrenz soll das Duell aber Genleman-like über
die Bühne gehen, nicht so wie in Elista bei Kramnik-Topalow. Beide Spieler haben
sich monatelang intensiv vorbereitet, jetzt kann es endlich losgehen.
Montag, 13. Oktober: Der Abend senkt sich über Bonn, im Rathaus gehen
die Lichter an. Anand und Kramnik haben wenige Stunden vor dem ersten Zug noch
eine leichtere und angenehmere Aufgabe. Sie tragen sich ins Goldene Buch der
Stadt ein. Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann begrüßt die Schachstars und
verweist darauf, dass sich schon viele gekrönte Häupter sowie Staats- und Regierungschefs
aus aller Welt in dem Buch verewigt haben. Bonn sei sehr stolz, so ein großes
Sportereignis wie die Schach-WM auszurichten. Danach folgt das Galadinner, dessen
Höhepunkt die Farbauslosung ist. Kramnik hebt unter seinem Kegel eine weiße
Beethoven-Figur hervor.
Damit hat ihm der berühmteste Bonner den Anzugsvorteil in der ersten Partie
beschert.
Der erste Zug
Viel Schach-Prominenz ist an diesem Abend versammelt, beobachtet das Geschehen,
genießt das Spiel zweier Geigenvirtuosen und nutzt die Gelegenheit zu Gesprächen,
unter ihnen FIDE-Ehrenvorsitzender Florencio Campomanes, DSB-Präsident Robert
von Weizsäcker und Sportdirektor Horst Metzing.
"Wir sind stolze Gastgeber der Schach-WM"
Interview mit Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann
Das Stadtoberhaupt von Bonn hat ein Herz für Sport. Oberbürgermeisterin Bärbel
Dieckmann gibt im folgenden Gespräch Auskunft über Schach, Joggen und ihre Söhne,
die bekannte Beachvolleyballer sind.
Bonn ist seit vorigem Dienstag Nabel der Schachwelt. Wie stolz sind Sie?
Das ist natürlich ein ganz wunderbares Ereignis für unsere Stadt. Es erfüllt
uns mit großem Stolz, Gastgeber der Schachweltmeisterschaft 2008 zu sein. Wie
die Freunde des königlichen Spiels in aller Welt haben wir dem Match zwischen
Anand und Kramnik entgegengefiebert.
Wladimir Kramnik, Bärbel Dieckmann, Vishy Anand
Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf, nachdem Bonn als WM-Ort feststand?
Ich habe mich unglaublich gefreut, dass wir die Gelegenheit erhielten, eine
so hochkarätige Sportveranstaltung auszurichten. Sie ist neben der Olympiade
in Dresden das größte Schachereignis des Jahres. Großartig, dass die ganze Welt
nun auf uns schaut. Die Stadt wird eine ganze Zeit lang jeden Tag in den Nachrichten
und Zeitungen sein.
Bonn hat sich geschmückt, nicht nur entlang der Adenauer-Allee, die zur
Bundeskunsthalle führt, leuchten die WM-Plakate.
Wir wollen uns zu diesem WM-Duell von unserer besten Seite zeigen. Bonn ist
für Menschen aus dem In- und Ausland ein großer Anziehungspunkt. Die Schachweltmeisterschaft
wird das Interesse der Öffentlichkeit ein weiteres Mal auf die Stadt lenken.
Warum ist das Logo der Schach-WM nicht am Rathaus zu sehen so wie in Dresden
das Olympiade-Transparent?
In der Innenstadt gibt es bei uns keine Plakate. Unser Rathaus ist mit Fahnen
geschmückt. Die beiden Schachspieler haben sich vor der ersten Partie ins Goldene
Buch eingetragen, das ist unsere größte Referenz an sie.
Anand trägt sich ins Goldene Buch ein
Verfolgen Sie die Spiele der Schachweltmeisterschaft?
Natürlich. Ich war zur Eröffnung und habe die ersten Züge des Matchs von Anand
und Kramnik live miterlebt. DSB-Präsident Robert von Weizsäcker saß neben mir
und hat mir den Partieverlauf erläutert. In den nächsten Wochen möchte ich den
Figurenkünstlern, so oft es meine Zeit erlaubt, bei ihren Manövern zusehen.
Spielen Sie selbst Schach?
Ich kenne die Regeln, und könnte durchaus eine Partie spielen, aber nicht auf
so hohem Niveau.
Welche anderen Sportarten betreiben Sie?
Früher spielte ich Volleyball, heute jogge ich. Meine Söhne sind Beachvolleyballer.
Markus ist nicht mehr aktiv, aber Christoph ja noch immer sehr erfolgreich und
aktuell Zweiter der Weltrangliste.
Erstes Matchdrittel
Am Tag darauf sprachen dann endlich die Figuren. Vier Spieltage erleben vier
ganz unterschiedliche Partien. War der Auftakt noch verhalten, obwohl die Partie
"durchaus "schöpferische Elemente enthielt" (Robert von Weizsäcker), so bot
das zweite Spiel schon eine Menge Zündstoff.
Anand stellt die Figuren auf
Anand hatte überraschend mit dem d-Bauern eröffnet und auf Kramniks Nimzoinder
die seltene Variante mit 4. f3 gewählt. Da war eine Menge Pfeffer drin. Im Partieverlauf
erhielt Vishy deutliche Stellungsvorteile, konnte aber trotz seines Läuferpaares
keine entscheidende Überlegenheit erzielen. Wladimir blieb cool, gab einen Bauern
für Gegenspiel und neutralisierte auf diese Weise alle Gefahren. "Darum und
wegen meiner Zeitnot habe ich Kramniks Remis-Angebot akzeptiert", erklärte der
Weltmeister hinterher. Den ersten Ruhetag wollten beide nutzen, um mit ihren
Teams neue Überraschungen auszubrüten. Kramniks Sekundant Sergej Rublewski feierte
hier in Bonn am letzten Mittwoch seinen 34. Geburtstag. Gemeinsam mit seinen
Kollegen Peter Leko (Ungarn) und Laurent Fressinet (Frankreich), die alle zu
Kramniks Mannschaft gehören, schaute der Russe, der in Kurgan (Sibirien) zu
Hause ist, im Pressezentrum der WM vorbei.
Peter Leko stellt sich den Fragen indischer Journalisten
Viele Schachgrößen verfolgen das Geschehen in Bonn, darunter DSB-Präsident Robert
von Weizsäcker, der frühere WM-Kandidat Robert Hübner sowie zahlreiche Großmeister
aus verschiedenen Ländern.
Dr. Robert Hübner und Prof. Dr. Robert von Weizsäcker
Der Schachbund-Präsident nannte die äußeren Bedingungen fast perfekt. "Die Bundeskunsthalle
ist erfahren in der Organisation solcher Ereignisse. "Stichwort Kramnik - Deep
Fritz". Von Weizsäcker betonte: "Schachweltmeisterschaften werden ja manchmal
irgendwohin vergeben, aber die Bonner veranstalten einen so bedeutenden Event
nicht zum ersten Mal. Ich finde es persönlich gut, dass gerade diese Einrichtung
das Ganze auf die Beine stellt, weil Schach ja vor allem ein Kulturgut ist,
das wir an den Mann bringen müssen. Und da ist die Synthese aus Sport und Kunst
aus meiner Sicht hochwillkommen".
Fernschachgroßmeister Robert von Weizsäcker plaudert mit Schachgroßmeister
Arthur Jussupow
Mit den FIDE-Vertretern Campomanes und Makropoulos führte der DSB-Präsident
in Bonn intensive Gespräche. Von Weizsäcker bezeichnete die Schach-WM und die
anschließende Olympiade als ein Geschenk für Deutschland. Von dem großen Interesse
der Öffentlichkeit an diesen beiden Highlights des Jahres 2008 werde der Schachsport
ganz sicher profitieren, erklärte der Ökonomieprofessor aus München. "Wir sind
einer der größten Verbände in der Schachwelt, und ich würde auf diesem Weg auch
gern die europäische Präsenz im Weltschachbund erhöhen".
Der DSB-Präsident war hier an den ersten vier Spieltagen nicht nur ein gefragter
Gesprächspartner für alle Medien, sondern als Fernschachgroßmeister und Olympiasieger
auch ein gern gesehener Gast bei den Live-Kommentatoren. Ob bei Helmut Pfleger
oder beim amerikanischen Großmeister Yasser Seirawan (in vorzüglichem Englisch)
teilte er einer großen Fangemeinde in aller Welt seine fundierten Beobachtungen
zum Verlauf der WM-Partien mit.
Partie 3 - der Knaller
Auftakt zu einer schachlichen Sternstunde
Dies Spiel bot alles, was Schach so faszinierend macht: Eine überraschende Neuerung
in der Eröffnung, ein wildes Hauen und Stechen, tiefes Nachdenken, Zeitnot und
Nervenflattern, einen Mattangriff und eine Weißniederlage. Die Schach-WM hatte
ihr erstes Highlight. Am Abend dann dies:
Wladimir Kramnik betritt als erster das Podium. Die Pressemeute lauert schon.
Fotografen schießen ihre Blitze in das müde Gesicht des Schachgenies.
Kramnik bei der Pressekonferenz
Gerade hat der Exweltmeister aus Russland seine erste Niederlage gegen Anand
kassiert. Mit Weiß, was ganz selten bei ihm passiert. Der Sieger aus Indien
lässt die Medienleute noch etwas warten. Kramnik geht derweil vorn am Tisch
in Gedanken wohl nochmal die Partiephase durch, wo er seinen Turm unglücklich
auf a3 postierte, was letztlich die Null einbrachte. Danach stellt er sich wie
Anand den Fragen zu der ungewöhnlichen Partie. Beide analysieren in gewohnt
ruhiger Art das Spielgeschehen. Nach 15 Minuten hellt sich Kramniks Miene schon
wieder auf, er hat in seiner Karriere gelernt, mit Schlappen umzugehen. Anand
kann dem Ruhetag entspannter als er entgegensehen.
Anand bei der Pressekonferenz
Die Fachwelt diskutiert danach noch lange, was da gerade passiert ist. Artur
Jussupow und Helmut Pfleger nennen die Partie herausragend. "Sie war hochkompliziert,
spannend, wild, eigentlich völlig undurchsichtig. Dort, wo die Computer sich
bestens auskennen, geben sie praktisch zu jedem Zug auch ihr Placet. Es ist
unglaublich, sie rechnen millionenfach schneller, und trotzdem kann der Mensch
in ihrem ureigensten Metier mithalten. Das war eine phantastische Partie, spannend
bis zum Schluss. Da kann man nur froh sein, dies mitzuerleben", meint Pfleger.
In der vierten Partie lieferte Kramnik dann nach Ansicht des Münchner Großmeisters
mit seinen schwarzen Figurenmanövern ein Lehrbeispiel strategischer Spielführung,
aus dem jeder Schachfreund etwas mitnehmen könne. Der Herausforderer zeigte
sich in der Tat von seiner Niederlage des Vortages gut erholt und war in keiner
Phase des Spiels in Gefahr. Er übertrieb das Risiko nicht und befolgte damit
einfach eine goldene Regel der russischen Schachschule, nach einem verloren
Spiel erst einmal ein sicheres Remis zu machen.
Auf die Frage eines russischen Journalisten nach seiner weiteren Matchtaktik
erwiderte Kramnik lächelnd, dass er auf Grund des Rückstandes im Gesamtklassement
keinerlei Grund zur Panik sieht. "Ich warte auf meine Chance und bin sicher,
sie wird kommen", sagte der Russe und erfüllte beim Verlassen der Bundeskunsthalle
noch viele Autogrammwünsche. Vishy Anand war da schon längst mit seiner Frau
Aruna enteilt. Beide WM-Finalisten haben am Sonntag ihren zweiten Ruhetag, ehe
das Match am Montag fortgesetzt wird.
Das Ambiente stimmt - Hostessen spielen Schach
Viel gelobt wird von Zuschauern und prominenten ausländischen Gästen das Ambiente
der Bundeskunsthalle. Es könne für eine Schach-WM besser nicht sein. Der Spielsaal
reichte aber am Samstag nicht, er war mit Zuschauern mehr als überfüllt. Da
die Plätze dem Ansturm nicht genügten, sie waren vorher schon restlos ausverkauft,
saßen die Leute auch auf den Treppenstufen.
Marsha Mohite, Robert Huntington
Das Ereignis in Bonn stößt auch auf ein großes Medieninteresse. 500 Journalisten
aus allen Kontinenten sind akkreditiert, Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen
sowie das Internet bringen ausführliche Berichte. Helmut Pfleger: "Wenn das
so weitergeht wie vor zwei Jahren beim Match Kramnik - Deep Fritz, dann gehen
alle zufrieden auseinander".