Das FIDE-WM-Turnier in San Luis

von ChessBase
02.08.2005 – Oft genug sind in den letzten Jahren Ankündigungen von großen Veranstaltungen durch den Weltschachbund FIDE von der Schachöffentlichkeit in dem Sinne missverstanden worden, dass diese auch stattfinden werden. Auch Argentinien und seine Hauptstadt Buenos Aires hätte im letzten Sommer Schauplatz des eines Wettkampfes zwischen Ruslan Ponomariov und Garry Kasparov werden können, wurde aber ebenfalls kurzfristig abgesagt. Nachdem die FIDE ihr neues Konzept eines Weltmeisterturniers veröffentlich hatte bekam die argentinische Provinz San Luis den Zuschlag. Diesmal sprechen alle Anzeichen dafür, dass das Turnier vom 27.September bis 16. Oktober dort auch stattfinden wird. Argentiniens Vizepräsident Scioli war ranghöchster Gastredner auf der Pressekonferenz zur offiziellen Ankündigung der WM. Bericht über die offizielle Ankündigung der WM in San Luis...Das WM-Turnier: Neustart der FIDE...

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Die WM in San Luis - Neustart der FIDE?
Von André Schulz

Kleiner Streifzug durch die jüngere Schachgeschichte

Nachdem die Schachwelt 1993 letztlich durch die Halsstarrigkeit und das Missmanagement des damaligen FIDE-Präsidenten Campomanes in zwei Teile geteilt wurde, muss die Szene zwei Weltmeister verkraften, was für die Darstellung des Sports nach außen und gegenüber Sponsoren wenig nutzbringend ist. Solange die Überfigur Kasparov seine Version des Titels noch innehatte, waren die Folgen der Teilung vielleicht noch erträglich, aber seitdem er seinen Titel 2000 an Kramnik verlor, hat sich der Zustand verschlechtert. Kasparov verspürte noch eine gewisse Verpflichtung zur Verteidigung seines Titels und kümmerte sich selbst - mehr oder weniger erfolgreich - um Gegner. Sein Nachfolger Kramnik lässt die Dinge auf sich zukommen und hat in der Vergangenheit betont, dass er Spieler und kein Organisator ist. Parallel hatte die FIDE besonders seit dem Auftreten des kalmückischen Präsidenten Kirsan Ilyumshinov als FIDE-Präsident keine glückliche Hand bei der Planung und Durchführung ihrer Weltmeisterschaften.

Campomanes hatte noch 1993 eiligst eine Parallelweltmeisterschaft zum Wettkampf Kasparov gegen Short durchgeführt, die von den Karpov und Timman gespielt und von Karpov gewonnen wurde. Ihr blieb die Anerkennung weitgehende versagt. Im Jahr 1996, schon unter der Ägide von Illymshinov, gab es einen WM-Kampf zwischen Karpov und Kamsky, der von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt in der kalmückischen Hauptstadt Elista durchgeführt wurde. Im Herbst 1997 wurde in Groningen dann das erste WM-Turnier im K.o.-Modus durchgeführt. Mit diesem vollzog Ilymshinov einen dramatischen Bruch mit der Tradition der Schachweltmeisterschaften, die seit Steinitz mit Ausnahme des WM-Turniers von 1948 immer in Wettkampf zwischen zwei Spielern ausgespielt worden war.

Genau genommen war das Turnier von Groningen gar kein WM-Turnier, sondern ein Kandidatenturnier, denn der Sieger - Anand - wurde nicht Weltmeister, sondern Herausforderer des amtierenden Weltmeisters Karpov. Kasparov hatte seine Einladung nicht wahr genommen und der Modus wurde kurzfristig geändert. Seit seinem Amtsantritt ist es die Politik Ilymshinovs, keine langfristigen Planungen aufzustellen, nach Belieben Pläne auch kurzfristig umzustellen und mit Traditionen wie Modus oder Bedenkzeit ebenso willkürlich zu brechen. All dies hat der "Marke" Schachweltmeister, die in der Vergangenheit auch dank der Präsenz der drei Weltmeister Fischer, Karpov und Kasparov ein hohes öffentliches Ansehen hatte, sehr geschadet. Im Jahr 1999 gab es in Las Vegas die erste vollständige Weltmeisterschaft, es folgten weitere in Indien/Teheran 2000/2001 und Moskau 2001/2002 und schließlich Libyen 2004. Die neuen FIDE-Weltmeister hießen Khalifman, Anand, Ponomariov und Kazimdhanov. Mit Ausnahme von Anand hat es keiner der absoluten Topspieler geschafft, den Titel zu erringen. Stattdessen gewannen Außenseiter.

Während z.B. Kasparov beginnend mit seinen langen und spektakulären Wettkämpfen gegen Karpov 15 Jahre Zeit hatte, sich mit seinem Namen als Schachweltmeister auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, lassen sich Weltmeister wie Khalifman, Ponomariov oder Kasimdhanov, die alle nur ein bis zwei Jahre amtieren nicht vermarkten. Mit ihrer Politik hat Ilyumshinov und die FIDE nichts anderes getan, als die "Marke" Schachweltmeister völlig zu entwerten. Dies geschah möglicherweise sogar mutwillig und in voller Absicht, weil Weltmeister wie Fischer, Karpov und Kasparov in der Vergangenheit durch ihre Popularität große Macht und Einfluss in der FIDE gewonnen hatten. Allerdings hat die FIDE sich dadurch auch selbst und der ganzen Schachszene großen Schaden zugefügt.

Im Frühjahr 2002 hat Ilyumshinov und die FIDE zusammen mit den anderen wichtigen Kräften in der Schachwelt durch die Prager Vereinigungen noch einen Versuch unternommen, die Weltmeisterschaften zu vereinen und den Weg aus der Sackgasse zu finden. Inzwischen ist die Vereinbarung endgültig gescheitert. Kramnik war vor und nach seinem Wettkampf gegen Leko in Bezug auf die Durchführung eines Wiedervereinigungswettkampfes ziemlich zurückhaltend, was man ihm angesichts der Unzuverlässigkeit seiner Verhandlungspartner bei der FIDE auch nicht recht verübeln kann. Kasparov war es nach der mehreren Absagen von Wettkämpfen gegen Ponomariov dann auch endlich leid und hat die Brocken nach dem Turnier Anfang des Jahres in Linares ganz hingeschmissen und gleich seinen kompletten Rücktritt vom Profischach erklärt.

Neustart?

Mit dem WM-Turnier, das nun im Herbst in der argentinischen Provinz San Luis stattfinden wird, unternimmt die FIDE vielleicht den Versuch eines Neuanfangs. Als Weltmeister Aljechin in starb, erbte der Weltschachbund den bis dahin privat verwalteten Titel und begann auch mit einem WM-Turnier, dass 1948 Botvinnik gewann. Auch diesmal sind die besten Spieler am Start, sieht man von Kasparov und Kramnik ab - ersterer ist zur Zeit lieber in der russischen  Politik tätig und letzterer lehnte die Einladung mit Hinweis auf den Prager Vertragstext ab. Zu den Wertungsbesten der Eloliste, so wie sie zum Einladungstermin gültig war, gesellt sich noch Rustam Kasimdhanov als amtierender FIDE-Weltmeister.

Die Spieler:

Spieler Alter Elo 1. Juli 2005 Rang
Viswanathan Anand (Indien) 35 2788 2
Veselin Topalov (Bulgarien) 30 2788 2
Peter Leko (Uungarn) 25 2763 4
Peter Svidler (Russland) 29 2738 7
Judit Polgar (Ungarn) 29 2735 8
Michael Adams (England) 33 2713 13
Alexander Morozevich (Russland) 28 2707 14
Rustam Kasimdzhanov (Usbekistan) 25 2670 35

Inzwischen hat sich die Eloliste wieder etwas verändert. Adams und Morozevich sind in der aktuellen Liste etwas zurück gefallen, wie man an der Platzierung unter Rang sehen kann. Beide Spieler haben haben aber zuvor lange Zeit zu den Topten gehört. Zwei Spieler, die ebenfalls seit Langem zur absoluten Weltspitze gehören, fehlen leider: Ivanchuk und Shirov. Beide waren zum Zeitpunkt der Einladung außerhalb der Wertung. Vielleicht wäre es gerechter gewesen, die Einladung auf der Basis eines Mittelwertes über mehrere Listen auszusprechen. Letztlich ist aber jedes Kriterium mehr oder weniger willkürlich und zum Vor- oder Nachteil des einen oder anderen Spielers.

Zwei Dinge sind noch bemerkenswert. Mit Judit Polgar nimmt eine Frau am Kampf um den höchsten Titel im Schach teil und ihre Chancen zu gewinnen sind durchaus real. Zum anderen gibt es keinen der ganz jungen Spieler unter den Kombattanten. Die meisten sind um die Dreißig. Der "Senior" ist plötzlich Vishy Anand mit 35 Jahren, Leko und Kasimdhanov sind mit 25 Jahren die jüngsten. Bacrot (22) und Aronian (22), beide erst kürzlich in die Spitze vorgestoßen, fehlen ebenso wie Grischuk (21), Ponomariov (21) oder Radjabov (18).

Mit dem Weltmeisterschaftsturnier wird die FIDE aller Voraussicht einen Weltmeister bekommen, der auch in der Rangliste zur Weltspitze gehört. Das Format gewährleistet diesmal, dass der Gewinn des Turniers sich auch in der Elorangliste niederschlägt. Das ist bei den K.o.-Turnieren nicht der Fall gewesen, denn das Weiterkommen in die nächsten Runde mit Hilfe von Stichkämpfen schlägt sich nicht in der Elozahl nieder. Der Status des neuen FIDE-Weltmeisters und seine Anerkennung in der Schachszene wird gewiss höher sein, als das in der jüngeren Vergangenheit der Fall war. Das bringt den "Weltmeister im klassischen Schach" Vladimir Kramnik in Zugzwang. Kramnik hat seit seinem Titelgewinn in London 2000 klar erkennbar an Ehrgeiz verloren seine Fans als Schachweltmeister wenig überzeugen können. Durch seine pragmatische Einstellung auf den Turnieren mit vielen Kurzremisen hat er viel Kredit verspielt. Die Schachfreunde spüren, dass er keine rechte Freude mehr am Schach hat. Auch den Titelkampf gegen Peter Leko konnte er nur gerade eben so remis gestalten und behielt den Titel nur aufgrund der Regel, dass der Titelinhaber bei Unentschieden Weltmeister bleibt.

Ob die FIDE tatsächlich einen Neustart schafft, hängt aber davon ab, wie es nach dem WM-Turnier weiter geht. Der entscheidende Punkt ist ein überzeugender regelmäßiger Zyklus mit unveränderten Regeln. Darüber wurde in Prag damals keine Vereinbarung getroffen. Und darüber liegt auch jetzt keine gesicherten Informationen vor.

Auf nach San Luis

Bei vorschnellem Urteil könnte man glauben, San Luis liegt irgendwo in der Pampa. Das ist aber nicht der Fall. Es liegt etwas weiter nördlich. Von der argntinischen Hauptstadt Buenos Aires liegt San Luis, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, etwa 750 km Luftlinie in östlicher Richtung entfernt. Von Hamburg fliegt man am besten mit Air France und einem Zwischenstopp in Paris nach Buenos Aires mit einer Gesamtdauer von 18,5 Stunden. Man könnte auch mit der Lufthansa über Frankfurt und Sao Paulo fliegen, was ebenso lange dauert. Von Buenos Aires geht es weiter mit einem Inlandsflug. Er dauert nicht länger als 1 Stunde 40 Minuten. Vorsicht beim Buchen. Der Ortsname San Luis wird häufiger in der spanischen Welt verwendet und schnell sind sie in Kalifornien oder in Mexiko gelandet.

Kontakt für den Inlandsflug:

Desde la Ciudad de Buenos Aires a la ciudad de San Luis.
AUSTRAL LINEAS AEREAS
Av. Leandro N. Além 1134 Tel: 4317-3600 y 4778-4000,
a la ciudad de San Luis.
LAPA
Carlos Pellegrini 1075 Tel: 4819-5272,
A las ciudades de San Luis y Villa Mercedes. SOUTHERNWINDS


Für Buenos Aires hat das Auswärtige Amt folgend Sicherheitshinweise ausgegeben:

"Es wird allgemein angeraten, nicht durch das Land zu trampen und einige Viertel in Buenos Aires zur Nachtzeit zu meiden. Es ist daher geboten, die allgemeinen Regeln der Vorsicht zu beachten. Bei Überfällen sollte kein Widerstand geleistet werden, da die Täter in der Regel bewaffnet sind und vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, wenn den Forderungen nicht Folge geleistet wird. Besondere Vorsicht ist bei der Teilnahme am Straßenverkehr geboten. Die Unfallzahlen
sind in Argentinien deutlich höher als in Mitteleuropa."

Argentina Online empfiehlt:

" In Buenos Aires gibt es kaum jemand, der nicht selbst überfallen wurde oder der niemanden kennt, der überfallen wurde. Doch auch hier muss der "gewöhnliche Tourist" nicht ständig befürchten ausgeraubt, überfallen oder noch ärger bedroht zu werden.

-Möglichst wenig Wertsachen und Geld bei sich führen, aber:
- Immer genug Bargeld, um es im Falle eines Überfalls hergeben zu können
- Geld gut verstauen, z.B. in Geldgurt
- Tasche an sich drücken; keinen Rucksack
- Augen auf bei großen Menschenansammlungen
- Busse sind weitgehend sicher.
- Bei Taxis in Buenos Aires gibt es unterschiedliche Ansichten; es kursieren wohl einige "falsche" Taxis, deren Fahrer es auf die Geldbörse ihrer "Fahrgäste" abgesehen haben. Doch ist das wohl die große Ausnahme. Die Porteños selbst benutzen häufig lieber Remises statt Taxis."

Genau genommen findet das WM-Turnier nicht in San Luis, sondern im Hotel "Potrero de los Funes", etwa 20 km Außerhalb der Stadt statt. Über ein gut ausgebaute und beleuchtete Straße gelangt man in kurzer Zeit in die Stadt.

Wenn die Spieler Ruhe und Abgeschiedenheit suchen, um sich voll und ganz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, dann werden sie diese hier finden.

Die Provinz mit dem Gouverneur Alberto Rodriguez Saa und dem Vizepräsidenten Daniel Scioli, der sich für die WM stark gemacht hat, versprechen sich Impulse für den Tourismus. In der Tat bietet die Provinz und die nähere Umgebung zahlreiche landschaftliche Reize.

Allerdings ist das Land für Europäer nicht gerade eben "um die Ecke". Man wird sehen.


David Scioli bei seiner Ansprache auf der Pressekonferenz

Für die Schachwelt wird die Veranstaltung wohl vor allem im Internet stattfinden. In jedem Fall wird es spannend.

Zeitplan:

27 September Opening Ceremony Player`s meeting
28 September 1st round
29 September 2nd round
30 September 3rd round
01 October 4th round
02 October Free day
03 October 5th round
04 October 6th round
05 October 7th round
06 October 8th round
07 October Free day
08 October 9th round
09 October 10th round
10 October 11th round
11 October 12th round
12 October Free day
13 October 13th round
14 October 14th round
15 October Tie-breaks
16 October Closing Ceremony


Links:

Offizielle Seite mit Liveübertragung der Partien...
Webseite der Provinz San Luis...
Potrero de los Funes...







 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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