Das Hauptturnier zum 2. PAL/CSS-Freestyle-Turnier

von ChessBase
26.03.2006 – Knapp 150 Teilnehmer beteiligten sich am vergangenen Wochenende an der Hauptrunde zum 2. PAL/CSS Freestyle-Turnier, darunter über zwanzig FIDE-Titelträger, die offenbar ebenfalls von der Preisbörse von 16.000 Dollar angelockt wurden. Während der frühere FIDE-Weltmeister Rustam Kasimdzhanov nur als interessierte Zuschauer im Turniersaal weilte, warfen sich andere, z.B. Hikaru Nakamura, mit oder ohne Enginehilfe in den Kampf. Die acht Bestplatzierten sollten sich für das Finale qualifizieren, das als Rundenturnier am 7./8.April auf dem Fritzserver ausgespielt wird. Nach neun Runden zu je 45 Minuten (+5 Sek./Zug) siegte, ... aber lesen Sie selbst den ausführlichen Bericht von Arno Nickel. Ausschreibung und Infos bei CSS...Bericht vom Hauptturnier...

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Das Eis wird dünn
Titelträger zumeist chancenlos beim 16.000-Dollar-Freistilturnier
Von Arno Nickel

Wer hätte das gedacht! Nur zwei Internationalen Meistern von insgesamt 28 Titelträgern gelang am 18./19.März der Sprung ins Finale des 2. PAL/CSS-Freistilturniers, das am 7./8.April auf playchess.com ausgetragen wird. Den 1.Platz errang sensationell mit 7,5 aus 8 ein Unbekannter namens "Vvarkey". Nur die Engine-Bezeichnung  hinter dem Servernamen war eindeutig: Rybka 1.1 32-bit. Was manche befürchtet hatten, aber nur wenige für wahrscheinlich hielten: mit Vvarkey dominierte ein reiner Enginespieler im Unterschied zu der überwiegenden Vielzahl der Zentaur-Spieler (Mensch+Maschine) das 146 Teilnehmer starke Feld.

Der Gewinner hatte sich eine Woche vor dem Turnier als Vigi Varkey aus London, von Beruf Programmierer, in einem Computerforum zu Wort gemeldet und nach verschiedenen Engine-Details erkundigt. Am Freistil-Turnier wollte er mit einem Xenon Quadrechner mit Rybka und Crafty teilnehmen, was aber anscheinend nicht geklappt hat, denn die automatischen Engine-Infos beim Turnierspiel auf dem Server deuteten auf eine wesentlich langsamere Hardware hin: ein Pentium 4, kein Mehrprozessorsystem und auch keine 64-bit Version, die es bereits für Rybka gibt.

Auch eine Woche nach dem Hauptturnier hielt das Rätselraten um Vvarkey, der sich auf dem Server mit einer US-Flagge eingetragen hatte, noch an. Wahrscheinlich war er selbst von seinem Erfolg überrascht. Gegen den nach Wertung Zweitplazierten mit dem Servernamen "Zor_champ" aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, der im Zentaurmodus mit dem Superrechner Hydra antrat, verhalf ihm ein Mausslip des Gegners unverhofft zu einem vollen Punkt (25...Tcc7?? statt 25...Tcc8), und auch in anderen Partien sah es keineswegs immer nach klaren Vorteilen aus. Man darf gespannt sein, ob es Vigi Varkey beim siebenrundigen Finale am 7./8. April gelingen wird, seine Spitzenposition zu behaupten und ob er mit der gleichen Ausrüstung antreten wird.

Sechs Punkte waren erforderlich bzw. genügend, wie sich am Ende herausstellte, um den 2.-7.Platz zu teilen. Den dritten Rang holte sich der Rybka-Programmierer und Internationale Meister Vasik Rajlich (mit ungarischer Flagge?!) vor IM Dennis Breder (alias "Klosterfrau") vom Godesberger Schachklub. Fünfter wurde ein tschechisches Team namens "Equidistance", ebenfalls Zentauren wie alle Vorgenannten und wie der Sechste, "Ciron", Fernschach-GM Arno Nickel aus Berlin. Siebenter wurde eine weiterer Rybka:Automat, "King Crusher" aus Stockholm. Um den achten Platz entschied ein Stechen von 10 Spielern, das Relic mit einer weiteren Rybka-Engine, seinen Gunsten entschied.    

Mit 11 FIDE-Großmeistern, 12 Internationalen Meistern, 4 FIDE-Meistern, einigen Fernschach-Titelträgern und rund 30 weiteren Elozahl-Trägern zwischen 2000 und 2300 konnten sich die Veranstalter kaum über mangelnde Schachkompetenz bei diesem zweiten großen Freistil-Event beklagen. Ein Raunen ging durch den virtuellen Spielsaal, als dann auch noch die Namen "Star Wars" (GM Hikaru Nakamura) und "Kasimdzhanov" (usbekischer FIDE-WM 2004) auf dem Bildschirm erschienen. Letzterer kam nur als Kiebitz, doch der amerikanische Jungstar wollte es wissen...

Apropos Amerikaner, sie bildeten mit 24 Teilnehmern wie im Vorjahr das zweitstärkste Kontingent hinter den Deutschen, die mit 42 Meldungen diesmal sogar unter 30 Prozent blieben. Mit deutlichem Abstand folgten Großbritannien (8), Russland (6), Spanien und Polen (je 5) sowie Italien und Brasilien (je 4). Die am weitesten entfernten Spieler aus den insgesamt 35 Ländern saßen in Chile, auf den Fidschi-Inseln und in Australien am PC.

Gespielt wurde mit einer Bedenkzeit von 45 Minuten je Spieler plus 5 Sekunden Zugabe pro Zug. In der Praxis bedeutete dies bei 4 Runden pro Tag 8 Stunden Schachstress pur, denn das Schnellschach-Tempo erlaubte kaum Ruhepausen zwischen den Zügen, galt es doch stets, die Rechenzeit des Gegners für die eigenen PCs zweckmäßig auszunutzen. Dies wird insbesondere jeder gemerkt haben, der allein, das heißt ohne Teampartner, gespielt hat.

Wer, wie der Autor, erwartet hatte, dass die Remisquote angesichts der hohen Leistungsdichte der Programme im Vergleich zu menschlichen Open-Turnieren deutlich höher ausfallen würde, sah sich durch den Verlauf angenehm enttäuscht: sie lag mit 37 Prozent voll in der Norm, auch das Verhältnis der Weiß- und Schwarz-Gewinnanteile entsprach mit 54 zu 46 Prozent ganz den Werten aus den großen Datenbanken.

Nur 24 Spieler bzw. Freistil-Teams ließen ihre Engine das ganze Turnier über ohne menschlichen Eingriff laufen, wobei die Anzahl der Rybka-Engines dominierte (ähnlich wie im Vorjahr Shredder), nur vereinzelt setzten Spieler voll und ganz auf andere Programme, was aber in der Summe mit Fritz, Hiarcs, Junior, Shredder, Zappa, Gandalf und Pro Deo für willkommene Farbtupfer sorgte. Dass die Zentauren viele dieser Programme, vor allem Fritz und Shredder, als ihre bevorzugten Referenzengines benutzten, versteht sich von selbst. Überraschenderweise wechselten 25 weitere Spieler bzw. Teams gelegentlich zwischen den Runden den Spielmodus von Zentaur auf Engine oder umgekehrt. Die Motive dafür waren recht unterschiedlich. Während der eine noch nach der richtigen Einstellung für das Turnier oder für den speziellen Gegner suchte, zog es der andere am Ende aufgrund von Erschöpfung oder Frustration vor, den Autopiloten einzuschalten (das konnte man sogar bei Titelträgern vereinzelt beobachten). Es gab aber auch Fälle, wo jemand wegen eines anderen Termins, sei es privat oder wegen seiner Arbeit, einzelne Partien vollständig vom Computer spielen ließ. Die ganz überwiegende Zahl der Teilnehmer, 97, spielte jedoch alle Partien im Zentaurmodus, wobei auch dies ganz unterschiedliche Bedeutungen haben kann: mal als "Zwei-", "Drei-" oder "Mehrhirn", ein anderes Mal als Advanced Chess Spieler à la Kasparow mit eigenen tiefen Überlegungen.

Während im Vorjahr noch drei Großmeister unter die letzten Vier kamen, hat sich das Blatt diesmal gründlich gewendet. Lag es an der zu kurzen Bedenkzeit, die reine Enginespieler nach Ansicht mancher Kritiker bevorteilt? Berücksichtigt man, daß es in der Regel kaum möglich ist, die Engines schon in der Eröffnung zu überspielen, weil sie mit sehr guten Datenbanken ausgestattet sind, dann kann man dieser Interpretation kaum widersprechen. Es fehlt dann deutlich an der Zeit, die auch ein Großmeister benötigt, um sich für einen guten und gegen Computer nicht zu riskanten Plan zu entscheiden. Die Veranstalter erwägen daher bereits, auf eine Bedenkzeit von 60 Minuten pro Spieler und 15 Sekunden pro Zug überzugehen und die 8 Runden dann unter Einbeziehung des Freitags (2 Runden) neu zu verteilen (Samstags und Sonntags je 3 Runden).

Ob der Endstand mit diesen Zeitbedingungen das nächste Mal wesentlich anders aussehen wird? Die Zeit alleine macht es nicht. Eine leistungsstarke Hardware, Knowhow im Umgang mit den Engines, Teamwork, systematische Vorbereitung und Zentaur-Training sind weitere Faktoren, die in die Waagschale fallen. Die Vorstellung, daß ein starker Schachspieler mit ein wenig Computerunterstützung (so genannter blunder-check) gegen ein Rechenmonster bestehen könne, stammt noch aus der Zeit von Deep Blue und davor. Der stete technische Fortschritt sorgt schneller als erwartet dafür, dass das Eis für die intelligenzbegabte Spezies Mensch immer dünner wird.

Arno Nickel
(Fernschach-Großmeister und Verleger)



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