Das Leben als Endspiel

von Peter Muender
19.08.2014 – Der irische Dramatiker Samuel Beckett ("Warten auf Godot"), war ein begeisterter Schachspieler. Er spielte gelegentlich gegen Marcel Duchamp oder diskutierte mit Fernando Arrabal. Für das Beckett-Festival In Enniskillen, wo Beckett einige Jahre zur Schule ging, hat der Künstler Alan Milligan Becketts Figuren in ein Schachspiel verwandelt. Mehr...

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Das Leben als Endspiel: Samuel Beckett und das Schachspiel

Beim Beckett-Festival im irischen Enniskillen gab es nicht nur Theateraufführungen, Konzerte, Diskussionen und Workshops, sondern auch eine faszinierende Rarität zu bewundern: Das mit Bronzeskulpturen bestückte Schachspiel von Alan Milligan, in dem sich alle Figuren auf Protagonisten und Objekte in Dramen oder Romanen Becketts beziehen.

Alan Milligan

„Happy Days“ lautete das Motto dieses zum dritten Mal durchgeführten Festivals. Das Leitmotiv des eher düsteren Stücks mit der im Sandhaufen steckenden Winnie und dem hinter ihr hockenden, ziemlich debilen und paralysierten Willie verweist auf subtile, paradoxe Ambivalenzen und unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten, die sich durch die gesamte Programmgestaltung erstrecken- und das ist ein grandioses, vom Festival-Leiter Sean Doran stammendes Konzept . Denn es gibt mehrere, völlig unterschiedliche „Godot“ -, „Krapp“- und „Happy Days“- Inszenierungen; man berücksichtigt auch musikalische und politische Aspekte im Beckett-Werk und hatte einen Weltklasse-Pianisten wie Alfred Brendel zu einer Diskussion eingeladen, bei der er seinen ersten Besuch einer „Godot“- Aufführung einer kleinen Studentenbühne in Wien als bewegendes Erweckungserlebnis beschrieb. Und vom Schachspieler Sean Doran stammte auch die Idee, den hier lebenden Künstler Alan Milligan damit zu beauftragen, ein phantasievolles Schachset mit Bezügen zum Schach-Enthusiasten Samuel Beckett (1906-1989) zu entwerfen.

Enniskillen ergibt sich trotz der jahrzehntelangen in Paris verbrachten Jahre des früh aus Irland geflohenen Meisters als Beckett- Location, weil er hier als Schüler das Internat besuchte: Nämlich von 1920- 1923, wie die blaue Ehrenplakette außen am Eingang der Portora Royal School verkündet - wobei auch gar nicht so diskret auf den Nobelpreis von 1969 hingewiesen wird.

Der andere prominente Old Boy war übrigens Oscar Wilde: Der „Writer and Wit“ (so vermerkt es die Plakette) besuchte Portora von 1864- 1871. Seine sportlichen Ambitionen hatte Beckett hier an der Schule schon früh entdeckt: Er spielte begeistert Cricket und Rugby, er war ein guter Boxer und Schwimmer und er spielte gerne Schach, das er von seinem älteren Bruder Frank (ebenfalls ein Portora Old Boy) und seinem Onkel Howard erlernt hatte.

Samuel Beckett in Cricket-Uniform

Der war keineswegs ein Hobby-Patzer: Er hatte sogar Capablanca bei einem Exhibition- Match in Dublin besiegt. Und Schach hatte den ehrgeizigen Kämpfer Beckett über Jahrzehnte fasziniert: Er studierte während seiner Pariser Jahre regelmäßig die von Marcel Duchamp für die Zeitung „Ce Soir“ verfaßten Schachkolumnen und korrespondierte mit dem Dramatiker Fernando Arrabal, einem weiteren Schach-Afficionado, um Schachprobleme zu erörtern.

Fernando Arrabal bei der Schacholympiade in Tromsö (Photo: André Schulz)

Becketts Neffe Edward, der Verwalter des Beckett-Estate, lebt jetzt in Samuel Becketts ehemaligem Pariser Apartment. Das sei bei der Wohnungsübernahme regelrecht vollgestopft gewesen mit allen möglichen Schachbüchern und Kompendien, berichtete er dem Guardian-Reporter Stephen Moss im letzten Jahr. Für Beckett war das Schachspiel auch während seiner Untergrund-Aktivitäten für die französische Resistance ein wichtiger Zeitvertreib; er spielte regelmäßig mit seinen Freunden und studierte gründlich diverse veröffentlichte Partien, deren Notationen er mit Anmerkungen versah.

Diese grüne Golfplatz-Idylle am Loch Erne, eingerahmt von malerischen Kanälen, über die viele Wassersportler und Hausboot-Kapitäne schippern, ist einfach ideal für so ein Festival: Enniskillen ist vielleicht kein Bullerbü, aber alles ist überschaubar, die Leute sind sagenhaft sympathisch und kontaktfreudig, man kann bequem durch das kleine Städtchen mit 13 000 Einwohnern laufen und alle Aufführungsstätten leicht erreichen. Es klingt vielleicht sehr nach PR-Propaganda, aber es ist einfach fabelhaft, von der Terrasse des einmaligen Ardhowen Theatre vor der Aufführung von „Krapp´s Last Tape“ mit Klaus Maria Brandauer auf den davor liegenden idyllischen See zu blicken, den wohl auch Anton Tschechow als idealen Aufführungsort für „Die Möwe“ ausgewählt hätte.

Nun aber endlich zu Alan Milligan und zu seinem Schach-Set. Am alten Schloß von Enniskillen fand im Rahmen des Beckett-Festivals in einem Pavillon am Museumshof auch eine Ausstellung zur nordirischen Popmusik-Kultur statt. Und direkt vor diesem Pavillon im Innenhof saß während des „Happy Days“- Festivals (vom 31. Juli-10. August) mit abgeklärtem Grüblerblick Alan Milligan auf einem Stuhl vor seinem überdimensionierten, aus Holz angefertigten Schachbrett.

Alan Milligan

Viele Besucher blieben entzückt vor diesem Schach-Ensemble mit den markanten, auf kleinen Holzsockeln montierten grünen Bronze- Figuren stehen und sprachen ihn an, um genauere Details vom Künstler selbst zu erfahren. Das ist für den lockeren, in Leinenhose- und Hemd gekleideten und Sandalen tragenden Künstler überhaupt kein Problem. Geduldig beschreibt er sein Set, stoisch verkraftet er das Herumtoben der munteren Kinderschar auf seinem großen Brett. Und im Gespräch geht er gern auf seine nächsten geplanten Projekte ein, die er dann auf einem Blatt skizziert- ja, wenn Interviewpartner doch nur immer so angenehm und anregend wären!!

Sofort ins Auge fällt die größte dieser Figuren: Die Dame im bauschigen Abendkleid mit dem hoch gehaltenen filigran gemusterten Sonnenschirm ist unschwer als Winnie aus „Happy Days“ zu erkennen; auch die „Godot“-Figuren- der Peitsche schwingende Pozzo und sein gebückter, Gepäck schleppende „Sklave“ Lucky- sind sofort identifizierbar.

Aber was hat es mit all den anderen Objekten, mit der Banane, dem bombastischen altmodischen Wecker, den beiden Stiefeln, der Glocke oder der Pfeife, auf sich?

Die Herrschaftsstrukturen und Abhängigkeitsmechanismen im Herr- und Knecht-Verhältnis waren Alan Milligan bei seiner Beckett-Lektüre besonders aufgefallen, erklärt er.

Die manifestieren sich ja nicht nur in der Beziehung von Pozzo und Lucky (in „Godot“), sondern auch im „Endspiel“, wo der blinde, gelähmte Hamm im Rollstuhl den gehorsamen Diener Clov herumkommandiert. Selbst die im Sandhügel (bzw. im Blätterhügel in der spannenden Damien O´Brien-Inszenierung) steckende Winnie ( Antoinette Cahill) verhöhnt und malträtiert mit sadistischer Inbrunst den wehrlosen Willie. Daher hat Alan Milligan vor allem diese dominierenden Figuren mit ihren willfährigen Helfern modelliert. Allerdings möchte Alan auch gern, dass man beim Spiel mit seinen Figuren sich an seine Sklavenhalter- Anweisungen hält und etwa mit der bereit liegenden Peitsche in die Luft schlägt und den Spielern Anweisungen zum Setzen der Figuren erteilt. Aber daran hat sich eigentlich nie jemand gehalten, solange ich das beobachten konnte. Was vielleicht auch an den häufig herumtanzenden und über das Spielfeld laufenden Kinder lag.

Schwierig ist es, überhaupt erst einmal den Stellenwert der Figuren zu identifizieren: Das kann man nur, wenn man die Markierungen- es sind auf dem Holzsockel angebrachte Kerben- beachtet, die einen Bauern vom König, Springer oder einem Läufer unterscheiden.

Denn die Banane (aus „Krapp“) ist zwar ein Bauer, aber der Mülleimer (aus „Endspiel“) ist ein Turm und das phantasievolle Bett mit den markanten vier Pfosten ist ein Springer ( aus „Malone stirbt“). Der König wird vom Tonband abhörenden Krapp dargestellt, der sich über den Tisch beugt. So rätselt man, wenn man diese betörenden Skulpturen betrachtet und in die Hand nimmt: Ist das alles Kunst oder kann man damit auch spielen? Die ambivalenten, düsteren Aspekte von GM-Biographien interessieren Alan besonders, denn die passen in das schwarze „Beckett-Konzept“, wie er es nennt: Es umfasst die gesamte Bandbreite vom Totalversagen (Beckett: „Fail, fail again, fail better“!) bis zum größenwahnsinnigen „Master of the Universe“ -Syndrom eines Bobby Fischer.

In seinen nächsten Arbeiten will Alan Milligan vor allem diese Aspekte darstellen. Bisher hat er noch keine größeren Ausstellungen gehabt. Er hat einen Lehrauftrag am örtlichen Southwest College, einer Fachhochschule für Kunst und Technik, würde aber gern im größeren Rahmen sein grandioses Beckett-Set vorstellen und auch einen Überblick über seine anderen Entwürfe liefern.

Das Beckett-Set besteht aus lauter Bronze- Unikaten, die er in neunmonatiger Arbeit herstellte. Für die Portora Royal School sollte er weitere Bronzeskulpturen entwerfen, doch waren die Schulmeister dann ziemlich entsetzt, als sie seine gelungenen Entwürfe sahen: „Die waren ihnen viel zu teuer- aber was soll ich machen?“, meint er. „Das Giessen dieser Bronzeskulpturen ist extrem mühsam und langwierig und muss eben auch dementsprechend honoriert werden. Wenn sich also eine Gelegenheit für eine Ausstellung oder den Verkauf von weiteren Skulpturen in Deutschland ergeben würde, wäre das wunderbar!“

Vielleicht haben Chessbase-User ja Ideen, wie man diesem phantasievollen, sympathischen Künstler eine größere Plattform bieten könnte ?

Das Bild mit den schachspielenden Affen wollte Beckett gern auf dem Cover von "Murphy" haben, was der Verleger ablehnte.
 

Murphy gegen Mr. Endon (aus "Murphy")
 

 

 

Samuel Beckett: Portrait von Stephen Boles

 

Photos: Peter Münder

 

Artikel in "The Telegraph"...

Artikel in "The Guardian"...

Artikel in "The Quietus"...

Interview with Edward Beckett...

 

 


Peter Münder, Anglist, Pinter-Biograph und begeisterter Schachfreund spielt beim Hamburger SK.

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