Das moderne Lehr-Medium
Rezension von Christoph Nogly
Neben den reinen Datenbanken nehmen in den letzten Jahren
auch die Angebote an elektronischer Schach-»Literatur
« stetig zu. Zu Beginn handelte es sich dabei um auf CD
gebrannte Textdateien zuzüglich Partien-Datenbanken. Mit
den immer größer werdenden Speicherkapazitäten (bzw.
den beim Download schnelleren Internetverbindungen) sowie
der immer einfacher zu handhabenden Videoproduktion
nutzen diese Produkte zunehmend die multimedialen
Möglichkeiten, so dass man sich den »persönlichen Trainer
« problemlos auf den heimischen Rechner holen kann.
Bei den aktuellen ChessBase-
DVDs teilt sich der Bildschirm
in drei Abschnitte auf. Einmal
das typische Schachbrett, wie
man es von ChessBase oder verschiedenen
Engines her kennt.
Rechts daneben wird ein Video
eingeblendet. Hier sieht man den
Autor (Moderator?) vor einem
Computer sitzen, auf dem er die
Züge – Spalte 3 (die auf Wunsch
ausgeblendet werden können) –
eingibt, die auf dem Brett erscheinen.
Mit farblichen Markierungen
oder Pfeilen kann der Vortragende
seinen Ausführungen zu der auf
dem Brett befindlichen Stellung
Nachdruck verleihen. Man muss
nicht ChessBase oder Fritz etc.
besitzen, um die DVDs zu nutzen.
Im Lieferumfang ist der ChessBase
Reader enthalten, mit dem man
die Videolektionen konsumieren
kann.
Neben den rein schachlichen Inhalten
drängt sich dem Rezensenten
ein weiterer zu bewertender
Aspekt auf. Damit meine ich weniger
modische Accessoires (auch
wenn ein schwarzes Sakko auf
meinem Bildschirm mitunter zu
merkwürdigen optischen Effekten
führt), sondern vielmehr die rhetorischen
und didaktischen Fähigkeiten
der Verfasser. Um es vorweg
zu nehmen: Alle Autoren der
nachfolgend betrachteten DVDs
machen einen guten Job. Sie sprechen
frei, klar und deutlich, es gibt
keine nervenden »ähs« und »öhs«.
Und noch ein weiteres Fazit
vorweg: Im Vorteil gegenüber Büchern
sind die Videos, wenn es
darum geht, Pläne und Strategien
zu beleuchten. Die verbale Erläuterung
im Zusammenspiel mit
markierten Feldern oder Pfeilen
ist der reinen Prosa überlegen.
Auch beschäftigt man sich automatisch
länger mit einer Position,
wenn ein Trainer ausführlich darüber
spricht. Er zwingt einen geradezu,
auf die kritische Stellung zu
starren. Bei Büchern besteht die
tendenzielle Gefahr, vieles zu
schnell zu (über)lesen.
Dafür punkten Bücher, wenn es
um Tiefe und Umfang von Analysen
geht. Eine Zugfolge in einem
Video zu besprechen, dauert im
Vergleich zum Abdruck unverhältnismäßig
lange. Wollte man
ein ganzes Buch visualisieren, wären
mehrere DVDs von Nöten.
Ganz abgesehen davon, dass sich
niemand ein Video ansehen wollte,
in dem der Autor wie folgt
agiert: »Kommen wir nun zu Kapitel
zwei in Variante römisch
drei, Abschnitt eins d« ...
Trompowsky
Der Trompovsky-Angriff – 1. d4
Sf6 2. Lg5 – wird gern von Spielern
angewandt, die sich nicht zu
intensiv mit dem Pauken von Eröffnungstheorie
beschäftigen wollen.
Vor fünzehn, zwanzig Jahren
waren die unerforschten Varianten
und der Überraschungseffekt
noch attraktiv genug, um selbst einen
Weltklassespieler wie Michael
Adams regelmäßig zu dieser
Waffe greifen zu lassen. Aber
auch, wenn sich inzwischen einiges
an Theorie angesammelt hat
und verlässliche Verteidigungskonzepte
für Schwarz entwickelt
wurden, nutzte kein Geringerer als
der Weltranglistenerste Magnus
Carlsen den »Tromp« jüngst in
Moskau, um damit gegen Wladimir
Kramnik zu punkten! In Deutschland ist
Ilja Schneider ein bekannter Verfechter
des frühen Läuferausflugs. IM Martin Breutigam sucht auf
seiner DVD Trompowsky-Angriff
– Ein Modernes Repertoire gezielt
nach neuen Spielweisen für Weiß.
Ein Beispiel: In der Variante 2...
c5 3. L:f6 g:f6 4. d5 Db6 5. Dc1
f5 will der Schwarze seinen Lf8
aktivieren. Der Plan des Weißen –
u. a. von Peter Wells in seinem
Trompowsky-Buch propagiert –
besteht häufig darin, die Wirkung
dieses Läufers auf der langen Diagonale
mit c2-c3 zu beschneiden.
Der weißfeldrige Läufer wird meistens
fianchettiert. Breutigam plädiert
dagegen für einen Aufbau
mit c2-c4, Sb1-c3 und Lf1-d3.
Gegen das u. a. früher von Karpow
bevorzugte 2... e6 empfiehlt
Breutigam statt des prinzipiellen
3. e4 das trickreiche 3.Sd2. Nach
dem naheliegenden 3... h6 4. Lh4
c5 bringt er mit 5. e4!? ein spannendes
Bauernopfer. Dessen Idee
ist es, nach 5... c:d4 6. e5 g5 7.
Lg3 Sd5 8. h4 Druck auf der
h-Linie und den schwarzen Feldern
auszuüben. Es ist interessant,
die entstehende Stellung mit der
Variante 2... e6 3. e4 c5 4. e5 h6 zu
vergleichen: Hier fahren die
Weißen den Läufer nach c1 zurück,
da auf 5. Lh4 g5 6. Lg3 gut
6... Se4 folgen könnte. Bei Breutigam
wurde das Zugpaar Sb1-d2
c5:d4 eingeschaltet, was dem
Schwarzen das Springerfeld e4
nimmt.
Statt 3... h6 ist daher lt. Breutigam
3... c5 die bessere Wahl, da
das analoge 4. e4 c:d4 5. e5 nunmehr
an 5... Da5 scheitert (6. e:f6
D:g5; 6. Sgf3 Sg4). Der Autor
offeriert zwei Ansätze: Einmal das
ruhige 4. c3, um auf c5:d4 mit dem
c-Bauern wiederzunehmen und in
der Folge am Damenflügel zu
spielen, und das schärfere 4. e3.
Die (neue) weiße Idee ist es hier,
die Rochade so lange zurückzustellen,
bis Schwarz kurz rochiert
hat, um dann selbst lang zu rochieren
und am Königsflügel vorzustürmen.
Ein ähnliches Konzept
wurde jüngst von Iwantschuk gegen
Aronjan beim Kandidatenturnier
in London versucht. Breutigam bespricht diese
Partie und bietet weiße Verbesserungsvorschläge
an. Und auch gegen
die allgegenwärtigen Repertoirevorschläge
des vielerorts als
Guru gehandelten Boris Awruch
lässt Sie der Autor nicht allein.
Die DVD beinhaltet 26 Videolektionen
(davon eine Einleitung)
von ca. 10-20 Minuten Länge und
behandelt alle schwarzen Aufbauten
nach 2. Lg5. Daneben finden
sich auf der DVD auch Datenbanken
mit 28 ausführlich kommentierten
Modellpartien.
Fazit: Von allen Damenbauernspielen
führt der »Tromp« zu den
komplexesten Stellungen. Wer ein
aktives, aber vom Umfang her
überschaubares Weißrepertoire
sucht und vor gelegentlichen Materialopfern
nicht zurückscheut,
bekommt von einem engagierten
Verfechter des Systems für 27,90
EUR ein schönes Gerüst geliefert.
Und wer bereits Trompowsky
spielt, findet zahlreiche Anregungen
für alternative Spielweisen,
um frischen Wind in sein Repertoire
zu bringen.
60 Minuten
... ist eine relativ neue Produktlinie,
die sich von den »normalen«
Eröffnungs-DVDs wie folgt unterscheidet:
- Es wird nur ein sehr eng begrenztes
Themengebiet behandelt.
- Das Produkt ist nur als
Download zu erwerben.
- Man bekommt nur Videolektionen
und die dort gezeigten Varianten
zum Nachspielen, keine
weiterführenden Musterpartien
oder gar Datenbanken.
- Bei i. d. R. 9,90 EUR ist die
60 Minuten-Reihe deutlich günstiger
als die Produkte mit längerer
Spieldauer.
60 Minuten:
Vorstoß-Franzose
Mit einem für viele Vereinsspieler
wichtigen Aufbau beschäftigt sich
"Solide aufgebaut gegen die Vorstoß-
Variante im Franzosen". Auffällig
ist hier im Vergleich zu anderen
DVDs, dass sich zwei Autoren
die Bühne teilen: Jürgen
Jordan (DWZ 2100) übernimmt
die Rolle des »Schülers«, der vom
»Lehrer«, GM Thomas Luther, in
die Geheimnisse der jeweiligen
Stellungen eingeführt wird. Ein
Konzept, das durchaus zu überzeugen
weiß.
Es geht um ein Schwarzrepertoire
gegen die Französische Vorstoßvariante,
konkret um die Stellung
nach 1. e4 e6 2. d4 d5 3. e5
c5 4. c3 Sc6 5. Sf3 (Db6). Neben
der Einführung gibt es sieben Kapitel,
drei davon behandeln die
Stellung nach 6. a3, ebenfalls drei
den Zug 6. Le2 und ein Kapitel 6.
Ld3.
Um mit der Kritik anzufangen:
Letzteres ist für mich eine herbe
Enttäuschung! Die »Analyse« endet
nach ca. drei Minuten und den
Zügen 6... Ld7 7. 0-0 c:d4 8. c:d4
S:d4 9. S:d4 D:d4 10. Sc3 mit
der Aussage »Hier entsteht eine
komplizierte Stellung, auf die wir
nicht größer eingehen wollen«,
gefolgt vom Verweis auf weiterführende
Literatur. Schwarz soll
keine Probleme haben, aber dann
wird noch das Fragment einer Partie
Schirow-Anand angeführt,
welches das Baueropfer unter Einschub
von 6. a3 a5 als sehr chancenreich
darstellt. Gerade gegen diese auf Amateur-Niveau recht beliebte Variante
wäre für ein »Repertoire« deutlich
mehr gefordert! Die Autoren erwähnen
nicht einmal den
Hauptzug 10... a6.
Die Ausführungen gegen 6. a3
und 6. Íe2 haben dagegen ein
ganz anderes Niveau. Ich würde
mir zutrauen, die empfohlenen
Systeme nach reinem Anschauen
der Videolektionen in der Praxis
anzuwenden, so einleuchtend und
lehrreich sind die Ausführungen
zu den Plänen und Strategien.
Gegen 6. a3 wird ein Aufbau
mit 6... c4 empfohlen, gefolgt von
Lc8-d7, Sc6-a5, Sg8-e7-c8-b6
und 0-0-0. Ziel ist es, den Damenflügel
zu blockieren, den König
auf a8 in Sicherheit zu bringen
und dann zu schauen, was Weiß
am Königsflügel unternimmt. Ein
sehr sicheres, aber – wie Luther
einräumt – auch passives System.
Mehr verspricht der Titel jedoch
mit »solide« auch nicht.
Allerdings hapert es mit der Genauigkeit
der Zugfolge: Das gleiche
System hat Viktor Moskalenko
in seinem Buch The fabolous
French analysiert. Er weist darauf
hin, dass nach 6... c4 7. Sbd2 sofort
7... Sa5! und erst dann Lc8-
d7 usw. folgen muss, da auf 7...
Ld7?! (wie Luther/Jordan spielen)
stark 8. b3! geschehen kann.
Umso präziser arbeiten die Autoren
die Bedeutung der exakten
Zugfolge gegen 6. Le2 heraus,
nämlich, dass ihrer Meinung nach
die Route des Sg8 nach f5 über h6
praktikabler sei als über e7 und
dass dieser Weg mit dem frühzeitigen
Tausch 6... c:d4 7. c:d4 deutlich
besser spielbar sei, da
Schwarz dann nach 7... Sh6 8.
L:h6 auf b2 nehmen könne (der
schwarze Aufbau mit g7:h6 gefällt
Luther/Jordan nicht, obwohl ihn
Watson in seiner Französisch-Bibel
empfiehlt). Ohne den frühen
Tausch auf d4 käme die schwarze
Dame auf a1 in Bedrängnis, da
Weiß bei späterem c5:d4 mit dem
Springer auf d4 zurückschlagen
könne, was den Bauern auf c3 und
die Dame in ihrem Gefängnis beließe.
Fazit: Für Französisch-Spieler
bis ca. DWZ 2100, die ein Problem
mit der Vorstoß-Variante haben,
ist dieser Download eine
Empfehlung. Nur das Null-Kapitel
zu Ld3 schmälert den sonst
ausgezeichneten Gesamteindruck.
Luther/Jordan: "Solide aufgebaut gegen die Vorstoßvariante im Franzosen"
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60 Minuten:
Fajarowicz
Auf Englisch präsentiert der holländische
IM Robert Ris das nach
1. d4 Sf6 2. c4 e5 3. d:e5 Se4!?
entstehende Fajarowicz-Gambit.
Um ehrlich zu sein: Ich halte das
ganze System für inkorrekt! Wenn
Weiß sich auskennt, hat Schwarz
entweder einen glatten Bauern
weniger oder eine grauenhafte
Stellung. Die lange bekannte »Widerlegung
« ist der Zug 4. a3 (der
u. a. auch von Awruch, Watson,
Kaufmann und Schandorff in ihren kürzlich erschienenen Weißrepertoire-
Büchern empfohlen
wird). Dieser kleine Zug nimmt
das in vielen Fällen störende Lf8-
b4+ aus der Stellung. Weiß verbleibt
danach i. d. R mit einem
Mehrbauern, einer klar überlegenen
Stellung – oder beidem.
Vor einigen Jahren versuchte
Lev Gutman die Variante mit 4...
b6 wiederzubeleben. Meiner Meinung
nach zwar erfolglos, aber natürlich
muss Weiß bei vollem
Brett Sorgfalt walten lassen. Ris
empfiehlt stattdessen das altbekannte
4... d6 5. Dc2 d5, unterlässt
es aber, darauf die Antworten
6. e3 bzw. 6. Sf3 zu betrachten.
Interessanterweise votiert er nach
4. Sf3 Sc6 5. a3 für 5... a5, verliert
aber kein Wort über das in
obiges Abspiel übergehende 6.
Dc2. Auf 4. a3 dagegen bleibt 4...
a5 ungenannt.
Positiv ist, das Ris sehr stark auf
die typischen taktischen Motive
der Eröffnung eingeht (von der
dieses Gambit ja auch lebt). Er
empfiehlt dem Konsumenten zum
Beispiel regelmäßig, die Pause-
Taste zu drücken, um nach der
taktischen Lösung der aktuellen
Stellung zu suchen.
Fazit: Eine anrüchige Eröffnung,
bei der die kritischen Varianten nicht angegeben werden und das Repertoire auch
in sich nicht stringent aufgebaut ist.
Robert Ris: "Fighting with the Fajarowicz Gambit" im Shop bestellen...
The Philidor
Structure
Bei einer Spieldauer von dreieinhalb
Stunden sind wir zurück bei
den »normalen« DVDs (und bei
27,90 EUR). Diesmal geht es nicht
um eine konkrete Eröffnung, sondern
um eine bestimmte Struktur
und eine Art »Strategie-Kompass
« für selbige. Achtung! Die
vorliegende hat nichts mit der Philidor-Verteidigung zu tun. Als
»Philidor-Struktur« bezeichnet
der irische IM Sam Collins (Sprache:
Englisch) alle Formationen,
in denen die weißen Bauern e4
und d4 den schwarzen auf e5 und
d6 gegenüberstehen (mit der Einschränkung,
dass kein weißer
Bauer auf c4 steht; das würde u. a.
den gesamten königsindischen
Komplex mit einschließen).
Diese Struktur taucht in der Praxis
überwiegend in Offenen Partien
auf und hier besonders im Spanier,
der denn auch das Gros der
20 Musterpartien liefert.
Im Detail untersucht Collins
alle aus der Grundstruktur heraus
möglichen Entwicklungen, also
den weißen Tausch auf e5, das
Abschließen des Zentrums mit d4-
d5 (nach c7-c5), Schwarz schlägt
auf d4 und Weiß nimmt mit dem
Ïc3 bzw. auch mit einer Figur
wieder, Weiß spielt f2-f4 usw.
Ich habe große Probleme mit
dieser DVD! Das liegt psychologisch
sicher auch daran, dass mir
in der Einleitung der Mund wässrig
gemacht wird und dann gleich
das erste und umfangreichste Kapitel
(Weiß tauscht auf e5) das mit
Abstand schwächste ist. Nirgendwo
werden die grundlegenden
Pläne in so einer Struktur erläutert.
Welche Figuren gehören auf
welche Felder, welche sollte man
abtauschen, welche nicht?
In der einen Partie spielt
Schwarz gegen den schlechten
weißfeldrigen Läufer, in der anderen
ist eben dieser Läufer ein Angriffs-
Monster (beide Male bei offenem
Zentrum). An welchen
Faktoren das aber liegt, wird ignoriert.
Anhand der Musterpartie
Davies-Adams wird der zentrale
Abtausch als verfrüht kritisiert,
aber warum er das in dieser Situation
ist und in den anderen Musterpartien
nicht, wird nicht thematisiert.
Wann Weiß im Zentrum
tauschen soll und wann nicht –
eine Frage, die im Spanier bei der
Bauernkonstellation c3, d4, e4 gegen
c5, d6, e5 auf der Tagesordnung
steht – wird überhaupt nicht
beleuchtet.
Mein
Fazit lautet somit leider:
Thema verfehlt.
Sam Collins: "The Philidor Structure" im Shop bestellen...
Nachdruck aus SCHACH 08/2013 laden (pdf)...
Zur Zeitschrift SCHACH...