Sehnsucht nach schwarzen Feldern
Nigel Davies' Pirc-DVD rezensiert von Steve
Giddins
Leser meines Buches “Der
Aufbau eines Eröffnungsrepertoires” wissen, dass ich fest daran glaube, dass
Spieler ihren Eröffnungen treu bleiben und nicht alle paar Jahre die Pferde
wechseln sollten. Allerdings bringt es Vorteile, ab und zu eine andere Eröffnung
zu spielen. Bei mir, der ich seit über 20 Jahren Französisch spiele, betrifft
das farbliche Vorurteile. Wie jeder Französischspieler weiß, muss man sich an
schwarze Felder gewöhnen, die einfach nur offene Wunden sind – vor allem, wenn
man Winawer spielt. All diese Bauern auf den weißen Feldern, keinen
schwarzfeldrigen Läufer mehr… Natürlich, man hat Kompensation, der Weiße hat
einen Doppelbauern, usw., aber dennoch, nachdem man 20 Jahre und mehr mit
Schwarz Winawer-Stellungen gespielt hat, neigt man manchmal zur Verzweiflung und
wünscht sich Stellungen, in denen man die schwarzen Felder ein bisschen besser
im Griff hat.
Nun gut, wenn Sie schwarze
Felder wollen, dann gibt es kaum eine bessere Eröffnung als die
Pirc-Verteidigung 1 e4 d6 2 d4 Sf6 3 Sc3 g6. Hier macht Schwarz die Dinge von
Anfang an klar, er gestattet Weiß, das Zentrum mit Bauern zu besetzten, aber
verschafft sich Möglichkeiten zu Gegenspiel auf den schwarzen Zentralfeldern.
Der Läufer auf g7 feuert auf der langen Diagonale und wird später von Zügen wie
e5 oder c5 unterstützt, die die schwarzen Felder angreifen und das weiße Zentrum
unterminieren.
Pirc und sein enger Verwandter,
die Moderne Verteidigung, erfreuen sich heutzutage bei den absoluten
Top-Großmeistern nicht der allergrößten Beliebtheit, aber ein harter Kern von
Anhängern hält ihnen die Treue, und es ist klar, dass Schwarz aus Sicht der
Theorie keine wirklich ernsten Probleme lösen muss. Objektiv gesehen steht Weiß
in etlichen Varianten wahrscheinlich etwas besser, aber auch nicht mehr als in
den meisten anderen Eröffnungen. Außerdem bieten die meisten Stellungen im
Komplex Pirc/Moderne Verteidigung größere Chancen auf aktives Gegenspiel als
viele andere Eröffnungen, da starke Vereinfachungen zu Beginn der Partie meist
vermieden werden. Dies macht Pirc zu einer idealen Eröffnung für Spieler, die
mit Schwarz gewinnen wollen.
Was starke Großmeister
betrifft, so wendet Ponomariov Pirc regelmäßig an, aber wahrscheinlich ist
Mikhail Gurevich der erfolgreichste Vertreter dieser Eröffnung.
Interessanterweise kombiniert er Pirc mit Französisch als Hauptwaffen gegen 1
e4, was meine Theorie über Farbkomplexe weiter unterstützt. Und wenn man diesen
Gedanken erst einmal verfolgt, dann fällt einem ein, dass auch der große Mikhail
Botvinnik, der die Hälfte seiner Karriere die schwarze Fahne im Winawer
hochgehalten hat, zum Ende seiner Laufbahn Anhänger der Modernen Verteidigung
geworden ist! In England trug Ray Keene in den 1960ern und 1970ern maßgeblich
dazu bei, Pirc populär zu machen, aber nach Keenes Rückzug vom aktiven Schach
hat Großmeister Nigel Davies diese Rolle übernommen.
Video-Ausschnitt aus dem Kapitel
"Österreichischer Angriff" starten...
Obwohl nicht mehr so aktiv wie
früher halte ich Davies nach wie vor für einen der tiefsten englischen Spieler.
Schon als Jugendlicher zeichnete sich sein Stil durch feines Verständnis
verschiedener Systeme der Englischen und der Reti-Eröffnung mit Weiß und der
Pirc-/Moderne Verteidigung mit Schwarz aus. Obwohl sich sein Stil in den letzten
Jahren erweitert hat und er jetzt auch 1 e4 mit Weiß und 1 e4 e5 mit Schwarz
spielt, so hatte ich dennoch immer das Gefühl, als ob sein Spiel in den
raffinierten positionellen Irrgärten der hypermodernen Systeme den größten
Eindruck hinterlässt. Deshalb ist er die Idealbesetzung, um dem
Durchschnittsspieler in die Geheimnisse der Pirc-Verteidigung einzuführen, und
genau das tut er auf dieser DVD. In mehr als 7 – genau, sieben! – Stunden
Einführung bietet er ein vollständiges Repertoire für Schwarz an, das auf den
Zügen 1 e4 d6 2 d4 Sf6 3 Sc3 g6 beruht.
Wie gründlich das Material
abgehandelt wird, zeigt sich z.B. darin, dass nicht weniger als 13 einzelne
Lektionen dem „Austrian Attack“, 4 f4, gewidmet sind. Davies verwirft hier die
oft empfohlene Variante 4…Lg7 5 Sf3 c5, die Weiß erlaubt, mit 6 Lb5+ Ld7 7 e5
Sg4 8 e6 fxe6 9 Sg5 Lxb5 10 Sxe6 Lxd4 11 Sxd8 Lf2+ 12 Kd2 Le3+ usw. Remis zu
forcieren. Stattdessen empfiehlt er die Variante 5…0-0 6 Ld3 Sa6, die zu
scharfen Stellungen führt, in denen die Verteidigungsressourcen von Schwarz es
ihm gestatten, sich gegen die unterschiedlichen weißen Angriffsideen zu
behaupten.
Weitere besonders gefährliche
weiße Systeme sind die, die mit 4 Le3 eingeleitet werden, sowie Robert Byrnes
altes System 4 Lg5. Wenn mich meine verzweifelte Sehnsucht nach ein paar
schwarzen Feldern dazu gebracht hat, Pirc zu spielen, bereitete mir Byrnes
System stets die größten Sorgen. Nachdem ich gesehen habe, wie Davies diese
Variante auf der DVD abhandelt, gibt es immer noch eine bestimmte Zugfolge, nach
der bei mir noch nicht alle Zweifel in Bezug auf die schwarze Stellung
ausgeräumt sind, aber ansonsten scheinen die hier vorgestellten Varianten
Schwarz ausgezeichnetes Gegenspiel zu geben. Als langjähriger Pirc-Spieler
verfügt Davies natürlich in den unterschiedlichsten Varianten über eine Vielzahl
von eigenen Ideen und die teilt er die gesamte DVD hindurch mit dem Zuschauer.
Alles in allem glaube ich,
dass jeder, der Pirc spielen möchte, auf dieser DVD eine große Menge wertvolles
Material findet. Natürlich kann man wie bei jedem Repertoirebuch immer eine oder
mehrere empfohlene Varianten durch andere ersetzen, wenn man feststellt, dass
einem eine bestimmte Variante nicht gefällt, aber Davies hat sehr sorgfältig
darauf geachtet, Schwarz die solidesten und zuverlässigsten Varianten zu
empfehlen. Das nächste Mal, wenn jemand gegen mich mit 1 e4 eröffnet und ich
mich nicht in der Lage fühle, ein weiteres schwarzfeldriges Gambit zu spielen,
das sich hinter dem Namen Winawer verbirgt, dann weiß ich, was ich spielen
werde…
Weitere Rezensionen der neuen
Pirc-DVD von Nigel Davies finden Sie (in englischer Sprache) auf
www.chesscafe.com
and
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