"Das Schach schenkte mir sehr viel" - Interview mit Ruslan Ponomariov

von Dagobert Kohlmeyer
14.07.2016 – Mit 18 Jahren wurde Ruslan Ponomariov der jüngste FIDE-Weltmeister aller Zeiten. Mit seinem damaligen 12-jährigen Sekundanten Karjakin hat der Ukrainer heute allerdings nicht mehr viel zu tun. Das einst geplante Wiedervereinigungsmatch gegen Kasparov platzte, weil über die Bedingungen keine Einigkeit erzielt werden konnte. Dagobert Kohlmeyer sprach mit dem frisch gebackenen Vater. Zum Interview...

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"Das Schach schenkte mir sehr viel, auch meine Frau"

Interview mit FIDE-Exweltmeister Ruslan Ponomarjow

Beim Sparkassen Chess-Meeting startet der Ukrainer Ruslan Ponomarjow zum fünften Mal. Gleich bei seiner Premiere im Jahre 2010 gewann der FIDE-Exweltmeister, nachdem er Wladimir Kramnik in einer großen Partie besiegt hatte. Gestern spielte er gegen ihn remis und hat nach Halbzeit des Turniers 2,0 Punkte aus vier Partien auf seinem Konto. Aus dem einstigen schüchternen Wunderkind ist ein freundlicher Mann und Familienvater geworden. Unser Autor, der Ruslan Ponomarjow seit 1998 kennt, unterhielt sich mit dem sympathischen Großmeister nicht nur über schachliche Dinge.

Du bist vor kurzem Vater geworden. Herzlichen Glückwunsch! Wie geht es dem kleinen Nachwuchs?

Unser Sohn Jaroslaw kam am 20. Juni zur Welt. Die Geburt dauerte 16 Stunden. Mutter und Kind sind wohlauf.

Keine sehr kurze Zeit für einen Geburtsvorgang.

Die durchschnittliche Zeit soll 12 Stunden betragen, sagt man. Meine Mutter erzählte mir, dass meine Geburt sogar 25 Stunden gedauert hat.

Was ist das für ein Gefühl, plötzlich Vater zu sein?

Ein sehr angenehmes, aber auch ungewöhnliches. Ich war zum Glück zu Hause, und die Geburt meines Sohnes machte mich einfach froh.

Habt ihr sehr gefeiert?

Die ganze Verwandtschaft meiner Frau kam und wollte das Baby sehen. Es wurde sehr laut, und ich sagte ihnen: "Lasst dem Jungen doch seine Ruhe".

Dein Wohnsitz ist heute in Bilbao, deine Frau eine Spanierin. Wie kam es zu dieser Verbindung?

Ines ist Dolmetscherin und spricht neben Spanisch noch Englisch, Französisch und Baskisch. Russisch versteht sie auch. Ines arbeitete als Studentin bei einem Schachturnier in Vitoria, der Hauptstadt des Baskenlandes, wo ich spielte. Dort lernten wir uns im Jahre 2008 kennen.

Wer hat sich zuerst in den anderen verliebt?

Hm, kann ich nicht genau sagen. Es passierte eben, aber langsam. Schritt für Schritt kamen wir uns dann näher. Zum Beispiel haben wir uns auch in Moskau getroffen, wo sie eine Zeitlang studierte.

Deine Geburtsstadt Horliwka liegt im Donezker Gebiet. Das ist aber jetzt in der Hand russischer Truppen. Wie geht es deinen Eltern?

Keine Sorge, es geht ihnen gut. Sie leben doch schon seit etlichen Jahren in Kiew.

Wer brachte dir seinerzeit das Schachspiel bei?

Das war mein Vater, als ich etwa sechs Jahre alt war.

Welcher Trainer hat dich in der Kindheit am meisten beeinflusst?

Es war Boris Ponomarjow, ein Namensvetter und sehr guter Pädagoge. Wir sind aber nicht miteinander verwandt. Einige Zeit arbeiteten wir in Kramatorsk zusammen, wo sich ein Schach-Leistungszentrum befand.

Wann hast du festgestellt, dass du besonders talentiert für den Schachsport bist?

Darüber habe ich als Kind nicht groß nachgedacht. Ich spielte einfach gern. Es dauerte dann nicht lange, bis sich die Erfolge einstellten. Ich war ja schon mit 12 Jahren Jugend-Europameister U18 und ein Jahr später Jugendweltmeister U18. Mit 14 Jahren erhielt ich den Großmeistertitel.

Deine größte Leistung war natürlich der Gewinn der FIDE-WM 2002. Hattest du das damals erwartet?

Konkret in diesem Turnier noch nicht, aber wenn du dich intensiv mit Schach beschäftigst, träumst du schon davon, einmal Weltmeister zu werden.

Eigentlich galt ja im Finale dein erfahrener Landsmann Wassili Iwantschuk als Favorit, aber er verlor. Warum? Waren es die Nerven?

Ich denke, ein Grund war wohl seine ungenügende Vorbereitung. Wassili hatte keine guten Sekundanten, er brachte nur einen nicht sehr starken Helfer mit. Ich hingegen wurde von hervorragenden Leuten wie Weselin Topalow und Gennadi Kusmin unterstützt.

Und vom knapp 12-jährigen Sergej Karjakin als Taktikfuchs!

Ja, er war auch in meinem Team, das stimmt. Er gab mir tatsächlich Taktik-Tipps, aber sammelte natürlich bei dieser Gelegenheit auch für sich selbst wertvolle Erfahrungen.

Wie waren die Reaktionen in der Ukraine nach deinem Titelgewinn?

Der Erfolg wurde natürlich freudig begrüßt. Schon vor dem Finale in Moskau sagte der damalige Präsident Leonid Kutschma beim Neujahrsempfang in Kiew: "Egal, wer gewinnt, auf jeden Fall wird ein Ukrainer Schachweltmeister."

Das für 2003 geplante WM-Vereinigungsmatch zwischen Garri Kasparow und dir kam leider nicht zustande. Was ist da schief gelaufen?

Mir gefielen einige Dinge im Vertrag nicht, deshalb habe ich ihn nicht unterschrieben. Die FIDE unterstützte ganz eindeutig nur Kasparow, obwohl ich der offizielle Titelträger war.

Nenne bitte ein Beispiel - oder hast du aus Angst vor dem großen Gegner nicht zugestimmt?

Nein, gefürchtet habe ich mich nicht. Ich wollte nur gleiche Bedingungen, zum Beispiel in der Schiedsrichterfrage. Bei dem Match sollte es drei Referees geben. Ich war dafür, dass die FIDE einen vorschlägt, Kasparow einen und einen ich. Das wurde aber abgelehnt. Der Weltverband wollte drei Schiedsrichter benennen, die Kasparow gefallen.

Sehr schade, so ein Match hätte dich sicher in deiner Entwicklung noch weiter gebracht. In diesem Jahr hat nun dein früherer Mitstreiter Sergej Karjakin die Chance, nach der Schachkrone zu greifen. Wie beurteilst du seinen Verbandswechsel nach Russland?

Es war seine Entscheidung. Sie passierte ja schon 2009 und regt mich deshalb heute nicht mehr auf.

Wirst du dich vielleicht bei ihm für seine damalige Hilfe revanchieren, etwa als Sekundant gegen Carlsen?

Nein, nein. Wir haben unterschiedliche Entwicklungen genommen und gehen getrennte Wege. Wenn wir uns sehen, spüre ich eine gewisse Distanz, die Sergej zu mir hält, auch zu den anderen ukrainischen Spielern.

Wann habt ihr zuletzt gegeneinander gespielt?

Bei einem Blitzturnier in Alma-Ata. Dort gewann jeder eine Partie. Natürlich geben wir uns am Brett die Hand, ganz klar. Mehr aber nicht.

Karjakin träumte schon als Kind vom Weltmeistertitel und wollte das bis zum 16. Lebensjahr erreichen. Nicht gerade realistisch oder?

Nun, in diesem zarten Alter hat das noch kein Spieler geschafft. Ich bin bislang mit 18 Jahren der jüngste Champion gewesen.

Okay, aber wie beurteilst du jetzt, eine Dekade später, Karjakins Chancen mit 26 Jahren gegen Magnus Carlsen?

Sicher hat er welche, obwohl Magnus Carlsen zweifellos der Favorit ist.

Beide treffen ja in diesen Tagen noch in Bilbao aufeinander, eine spannende Sache.

Sie spielen dort zwei Partien, werden aber bei dieser Gelegenheit kaum ihre Vorbereitungen auf das WM-Match zeigen. Als Bürger von Bilbao schaue ich nach dem Chess-Meeting sicher auch mal bei diesem Turnier vorbei.

Ruslan, was hat dir das Schachspiel bisher gebracht?

Es schenkte mir ein sehr interessantes Leben. Ich lernte viele Länder und großartige Menschen kennen. Und ich traf meine Frau. Das war wohl das Schönste und Wichtigste. Jetzt sind wir eine Familie, was will ich mehr!

Danke für das Gespräch und weiterhin alles Gute!
 

 

 


Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.

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