
Tag Sechs: Remisseuche oder gegenseitiges Belauern
Vorsicht heißt das Schlagwort am 6. Tag der Deutschen. Die sieben
Spitzenbretter enden allesamt mit Remis. Das Tableau zeigt eine Beibehaltung der
Reihenfolge, es ist eher noch dichter in der vorderen Hälfte geworden. Wie beim
Radfahren oder beim Mittelstreckenrennen scheinen sich die Kontrahenten zu
belauern. Wer wird einen Ausreißversuch wagen? Die jungen Hasen sind theoretisch
sehr gut aufgerüstet, lassen dann aber Umsicht walten oder wollen mit Schwarz
nicht mehr als Remis. Die alten Hasen meiden eh das unübersichtliche,
theorieintensive Gelände und streben sichere Positionen an. Die Hauptforderung
ist jedenfalls: nur nicht verlieren! Noch ist alles drin!
Und noch was fällt auf: kein einziges 1.e4 an den Spitzenbrettern. Ist
e4 veraltet? Das erste Dutzend in der Tabelle spielt fast nur geschlossene
Eröffnungen, meist 1.d4. Auch heute wieder: an den ersten 6 Brettern sieht man
nur den Aufzug des Damenbauern! Selbst Hagen Pötsch, eingefleischter
1.e4-Spieler, greift in dieser Stunde zum d-Bauern. Fürchtet er, ansonsten von
den Tischnachbarn nicht ernstgenommen zu werden? Immerhin, Daniel Fridman
beginnt mit neutralem 1.g3, aber nur, um im dritten Zug den Damenbauern ins Feld
zu ziehen.

Buhmann und Stern
Kann man denn nur mit 1.d4 Deutscher Meister werden? Gewinnen, so die
Quintessenz, fällt jedenfalls mit dem „linken Aufschlag“ schwer. Verlieren
ebenso! Sieben Remisen an den Spitzenbrettern – die erste entschiedene Partie
findet an Brett 8 statt, der glückliche Gewinner ist Andre Oberhofer. Und was
hat er gespielt? Richtig, 1.e4! Soviel Mut gehört belohnt. Es muss doch was an
Gyula Breyers Bonmot dran sein: „nach 1.e4 liegt Weiß in den letzten Zügen.“ Nur
noch die Verwegensten riskieren den Griff zum e-Bauern.
Remis ist nicht gleich Remis. Es gab auch, vor allem unter den jüngeren
Kontrahenten, hartumkämpfte, spannende Partien. Unspektakulär verlief etwa
das Duell der Tabellenführer, Rene Stern gegen Rainer Buhmann. Stern mied als
Weißer das Risiko, strebte Symmetrie und Abtausch an. Das gelang. Auf der
c-Linie wurde das ganze Schwermaterial runtergetauscht, das Unentschieden war
alsbald unterschriftsreif.
Ungewöhnlicher dann aber das Geschehen an Brett 2, wo sich Klaus
Bischoff gegen Martin Krämer mit dem Königsfianchetto verteidigte und recht früh
mit einem Bauernvorstoß am Flügel aufwartete:. Auch dort erfolgte der
Remisschluss nach nur 30 Zügen.


Die vielleicht spannendste Partie der Runde wurde an Tisch 3 zwischen
Johannes Carow und Matthias Blübaum gespielt. Die beiden Jugendlichen erreichten
eine unausgegorene Mittelspielsituation. Blübaum tauschte seinen schlechten
Läufer ab, erhielt eine Pferdbasis auf d5, im Gegenzug erhielt Carow Raumvorteil
und Aussichten zum Königsangriff. Welche Vorzüge würden sich durchsetzen? Mit
23.Tc4! begann Weiß seine Kräfte nach rechts zu beordern. Und tatsächlich begann
Blübaum zu wackeln. Spätestens nach 26.Lf4-g5! sah es brenzlig für Schwarz aus.
Blübaum zeigte unter Druck indes, dass er trotz seines jungen Alters recht
abgebrüht ist und weiß, wann und wie man psychologische Wendungen herbeiführen
muss, und opferte mit 26. …Sf5! die Qualität, um den Charakter der Partie zu
ändern. Weiß fehlte plötzlich Koordination, zudem wurde die Zeit knapp. Carow
verlor etwas die Übersicht und war letztlich froh, eine Zugwiederholung in die
Wege leiten zu können. Also auch Remis, aber ein Spannendes!

Schleining und Pfretzschner
Verdächtig stand Hagen Pötsch, der Gegner Alexander Donchenko mit 1.d4
überraschen wollte. Ob der Schwarze die Eröffnungsvariante des Vortages
wiederholen würde? Doch Donchenko roch den Braten und wich durch 3. …e5 (statt
3. …b5) ab. Nun musste sich Pötsch an die neue Umgebung gewöhnen, Donchenko
schien wie oft bestens präpariert, und ausgangs der Eröffnung stand schon eher
er besser. Schwarz nahm später die erstbeste Möglichkeit wahr, um Dauerschach zu
geben. Im Unterschied zu seinen Prinzenkollegen scheint Alexander noch etwas der
Killerinstinkt abzugehen.
So kämpfe Dennis Wagner mit Schwarz gegen Michael Kopylov fast 90 Züge
lang um den vollen Punkt, konnte aber die Festung im Endspiel Dame gegen Turm
und Springer nicht brechen.

Auch Nationalspieler Daniel Fridman kam nicht zum Erfolg gegen
Christian Braun. Ich hätte wetten können, dass der beschlagene Techniker Fridman
das Endspiel gegen den Isolani zum Gewinn führt.

Doch Braun verteidigte sich sehr aufmerksam und zeigte wieder einmal,
dass ein Isolaniendspiel noch lange kein Grund für eine Niederlage sein muss.
Fridman tut sich immer noch schwer, ins Turnier zu kommen Zwar hat sich an der
Ausgangslage nichts geändert, aber man traut ihm diesmal nicht recht die
Titelverteidigung zu.
Grund zur Enttäuschung vom heutigen Tag mag vor allem Felix Graf haben
– er stand kurz vor einem Sieg gegen Rasmus Svane. Unterstützt von Zentrum und
Läuferpaar startete er um Zug 25 einen Königsangriff, der auch ohne Damen
erfolgreich hätte sein könne, ja müssen.


Plötzlich versandete der Vorteil, Graf konnte das zunächst nicht recht
glauben, musste aber nach 48 Zügen doch in die Punkteteilung einwilligen.

DSB-Präsident Herbert Bastian
Morgen stehen die Spitzenpaarungen Bischoff – Stern sowie Buhmann gegen
Kopylow an. Sind wir mal gespannt, ob es morgen mehr entschiedene Partien geben
wird!
Stand nach 6 Runden
Nr. |
Titel |
Spieler |
TWZ |
Sp |
Pkt |
D-Elo (1Str) |
Bhlz (1Str) |
Bhlz |
1. |
GM |
Bischoff,Klaus |
2500 |
6 |
4.5 |
2481 |
17.0 |
19.0 |
2. |
GM |
Buhmann,Rainer |
2580 |
6 |
4.5 |
2479 |
19.5 |
22.5 |
3. |
IM |
Stern,Rene |
2509 |
6 |
4.5 |
2408 |
18.5 |
21.0 |
4. |
GM |
Krämer,Martin |
2542 |
6 |
4.0 |
2482 |
20.5 |
24.5 |
5. |
|
Graf,Felix |
2481 |
6 |
4.0 |
2475 |
19.0 |
21.0 |
6. |
IM |
Svane,Rasmus |
2445 |
6 |
4.0 |
2455 |
17.5 |
20.0 |
7. |
IM |
Blübaum,Matthias |
2514 |
6 |
4.0 |
2439 |
18.0 |
20.0 |
8. |
IM |
Wagner,Dennis |
2472 |
6 |
4.0 |
2437 |
19.5 |
22.5 |
9. |
IM |
Donchenko,Alexander |
2467 |
6 |
4.0 |
2435 |
19.0 |
22.0 |
10. |
|
Oberhofer,Andre |
2329 |
6 |
4.0 |
2427 |
17.5 |
19.5 |
11. |
FM |
Carow,Johannes |
2375 |
6 |
4.0 |
2417 |
17.0 |
18.0 |
12. |
IM |
Kopylov,Michael |
2457 |
6 |
4.0 |
2323 |
17.0 |
19.5 |
13. |
IM |
Braun,Christian |
2362 |
6 |
3.5 |
2467 |
17.5 |
19.5 |
14. |
IM |
Poetsch,Hagen |
2468 |
6 |
3.5 |
2438 |
18.5 |
21.0 |
15. |
GM |
Fridman,Daniel |
2614 |
6 |
3.5 |
2424 |
18.0 |
20.5 |
16. |
IM |
Schöne,Ralf |
2345 |
6 |
3.5 |
2405 |
16.5 |
17.5 |
17. |
|
Schwarz,Frank |
2249 |
6 |
3.5 |
2376 |
16.0 |
17.5 |
18. |
|
Lubbe,Nikolas |
2432 |
6 |
3.5 |
2344 |
18.0 |
20.5 |
19. |
IM |
Plischki,Sebastian |
2436 |
6 |
3.0 |
2434 |
18.5 |
20.5 |
20. |
FM |
Pfretzschner,Roland |
2232 |
6 |
3.0 |
2417 |
16.5 |
17.5 |
21. |
|
Zieher,Hartmut |
2300 |
6 |
3.0 |
2415 |
18.5 |
20.5 |
22. |
WGM |
Schleining,Zoya |
2377 |
6 |
3.0 |
2404 |
16.0 |
17.5 |
23. |
FM |
Müller,Reinhold |
2249 |
6 |
3.0 |
2357 |
15.5 |
16.5 |
24. |
FM |
Krassowizkij,Jaroslaw |
2381 |
6 |
3.0 |
2344 |
16.5 |
18.0 |
25. |
|
Colpe,Malte |
2338 |
6 |
3.0 |
2338 |
16.0 |
17.0 |
26. |
IM |
Jugelt,Tobias |
2429 |
6 |
3.0 |
2325 |
14.5 |
16.0 |
27. |
|
Schlenker,Jörg |
2217 |
6 |
3.0 |
2298 |
13.5 |
14.5 |
28. |
FM |
Litwak,Aleksej |
2230 |
6 |
2.5 |
2380 |
16.0 |
17.5 |
29. |
IM |
Bastian,Herbert |
2339 |
6 |
2.5 |
2353 |
14.5 |
16.5 |
30. |
FM |
Braun,Vitali |
2403 |
6 |
2.5 |
2342 |
16.0 |
18.0 |
31. |
|
Frischmann,Rick |
2230 |
6 |
2.5 |
2294 |
13.5 |
14.5 |
32. |
FM |
Vatter,Hans-Joachim |
2288 |
6 |
2.0 |
2382 |
16.5 |
18.0 |
33. |
|
Paul,Johannes |
2227 |
6 |
2.0 |
2367 |
14.5 |
16.5 |
34. |
CM |
Schellmann,Frank |
2098 |
6 |
2.0 |
2347 |
15.0 |
16.5 |
35. |
|
Seyfried,Claus |
2185 |
6 |
2.0 |
2317 |
14.5 |
16.0 |
36. |
FM |
Marcziter,Dmitrii,Dr. |
2265 |
6 |
2.0 |
2311 |
12.5 |
14.0 |
37. |
|
Tabatt,Hendrik |
2303 |
6 |
2.0 |
2275 |
12.5 |
13.5 |
38. |
|
Commercon,Simon |
2187 |
6 |
1.5 |
2294 |
12.5 |
14.0 |
39. |
WFM |
Jussupow,Nadia |
2156 |
6 |
1.5 |
2253 |
12.0 |
13.0 |
40. |
|
Lochte,Thomas |
2141 |
6 |
1.5 |
2247 |
12.0 |
13.5 |
41. |
|
Schreiber,Kevin |
1920 |
6 |
1.0 |
2276 |
15.0 |
16.0 |
42. |
|
Bär,Sören,Prof. Dr. |
2139 |
6 |
1.0 |
2257 |
13.5 |
14.5 |
Partien der Runden 1 bis 6
Von Frank Zeller (Pressebericht)
Fotos: Axel Fritz
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