ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Die Hamburger Historikerin Frauke Steinhäuser arbeitet ehrenamtlich am Hamburger-Stolpersteinprojekt mit und stieß bei ihren Recherchen zu einem Buch über verfolgte Hamburger jüdische Sportler (s.u.) auch auf eine Reihe von Schachspielern, darunter die Zwillingsschwestern Käthe und Wally Henschel. Letztere erlangte seinerzeit einige Bekanntheit, nachdem es ihr gelungen war, bei der Schachweltmeisterschaft der Frauen 1930 in Hamburg Vera Menchik zu besiegen. Sonja Graf konnte 1937 zwar Vera Menchik in zwei Partien eines Wettkampfes um die Weltmeisterschaft ebenfalls besiegen - den Wettkampf gewann Menchik trotzdem mit großem Vorsprung -, aber Wally Henschel blieb die einzige, der ein Sieg über die überlegene Weltmeisterin in einem der vielen Weltmeisterschaftsturniere gelang.
Dieser Erfolg bewahrte Wally Henschel und auch ihre Zwillingsschwester Käthe, die auch sehr gut Schach spielte, nicht vor der Verfolgung durch die Nazis. 1938 flohen die beiden Schwestern auf abenteuerlichem Weg in die USA, überlebten dort den Krieg und spielten auch noch Schach.
Im Zuge ihrer Recherchen fand Frauke Steinhäuser den Kontakt zu einer Großnichte der beiden Schwestern, die auch noch Kontakt zu Nachfahren in den USA hat. So kamen einige aussagekräftige Fotos und eine schöne Anekdote zum Vorschein.
Frauke Steinhäuser, Petra Ahrens
Als die Schwestern Henschel in New York lebten, besuchten sie dort auch die New Yorker Schachklubs. Anfang der 1950er Jahre wurde Wally Henschel dort ein talentierter acht- oder neunjähriger Junge vorgestellt. Die zu der Zeit schon 57-jährige "Oma" gewann die Partie gegen den Jungen, der daraufhin so wütend wurde, dass er nie wieder gegen eine Frau Schach spielen wollte. Es handelte sich um den jungen Bobby Fischer.
Die Initiative Denkmal am Ort lud am 6. und 7. Mai 2023 zu Vorträgen über verfolgte jüdische Mitbürger an verschiedenen Orten in Hamburg.
HSK-Vorsitzender Thomas Woisin, re., begrüßt die Besucher
Christian und Evi Zickelbein
Mitorganisator der Vortragsreihe ist Andreas Wittenberg, der auch Mitglied des Hamburger Schachklubs ist und dessen Mutter Steffi Wittenberg, geborene Hammerschlag 1939 mit ihrer Mutter nach Uruguay auswandern musste. 1951 kehrte die Familie nach Deutschland zurück.
Frauke Steinhäuser, Petra Ahrens, Andreas Wittenberg
André Schulz
Vortrag von Frauke Steinhäuser am 7. Mai 2023 in den Räumen des Hamburger Schachklub
09.09.1893 Hamburg – 16.05.1991 Miami/USA
09.09.1893 Hamburg – 13.12.1988 Miami/USA
Die Zwillingsschwestern Käthe und Wally Henschel waren beide außergewöhnlich begabte Schachspielerinnen. Als sie zur Welt kamen, wohnten ihre Eltern in der Wandsbeker Chaussee 305 in Hamburg-Eilbek. Der Vater Israel Abraham Henschel arbeitete zu der Zeit als Hausmakler, die Mutter Fanny, geborene Lewek, als Hausfrau. Die Zwillinge hatten noch eine ältere Schwester Gertrud. Schon ihr Vater gehörte seit 1881 dem Hamburger Schachklub (HSK) an und galt als einer seiner besten Spieler – offenbar lag das Talent in der Familie. Wally und Käthe begannen beide im Alter von zwölf Jahren Schach zu spielen, Wally trat 1922 in den Schachklub ein, Käthe folgte ihr im Jahr darauf.
Auch wenn Käthe und Wally Henschel ihr Leben lang eng verbunden blieben und immer zusammenlebten, schlugen sie beruflich ganz unterschiedliche Wege ein. Käthe absolvierte nach der Schule eine Ausbildung zur Kontoristin und arbeitete als Sekretärin bei der Schiffsmaklerfirma Axel Dahlström & Co. Wally dagegen begann bereits mit sechzehn Jahren ein sechsjähriges Gesangs- und Klavierstudium am Bernuthschen Konservatorium in Hamburg. 1927 bestand sie darüber hinaus die Prüfung zur staatlich anerkannten Gesangslehrerin sowie 1929 jene für den Bühnenberuf in der Gattung Oper. In Hamburg gab sie vor allem Konzerte als Sängerin, etwa bei Liederabenden in der Musikhalle. Eine deutschnationale Haltung zeigte sie, als sie im Ersten Welt-krieg vor deutschen Soldaten auftrat – unter anderem mit dem Hamburger Stadttheater in Belgien.
Wally Henschel galt als die etwas bessere Schachspielerin der Zwillinge. 1927 belegte sie bei den internen HSK-Meisterschaften in Klasse II zusammen mit einer anderen Spielerin den vierten Platz und in Klasse III den ersten Platz, während ihre Schwester Käthe sich in dieser Klasse mit einer Vereinskollegin den vierten Platz teilte. Die Mitgliedschaft im HSK genügte beiden aber offenbar nicht, denn noch im selben Jahr gehörten sie zu den zehn Gründerinnen des Damen-Schachklubs von Groß-Hamburg, Wally Henschel übernahm dabei den Posten des „Schachwarts“. Die wöchent-lichen Schachnachmittage fanden im Sitzungszimmer des des Stadtbundes Hamburgischer Frauenvereine statt. Auch die Mutter der Schwestern, Fanny Henschel, war übrigens aktiv in dem Klub. Schon fünf Jahre nach seiner Gründung zählte er 60 weibliche Mitglieder und galt damit, so der Hamburgische Correspondent, als „der größte Damenschachklub überhaupt“.
Für eine Sensation sorgte Wally Henschel bei den Schachweltmeisterschaften der Frauen im Rahmen der Schacholympiade 1930 in Hamburg.
Wally Henschel bei einem Turnier, ca. 1930
Sie besiegte die amtierende Weltmeisterin Vera Menchik und war damit die einzige, die jemals gegen diese eine Partie in einem WM-Turnier gewann. Insgesamt belegte sie den dritten Platz. Der Hamburger Anzeiger, der vorher noch die – rhetorische – Frage gestellt hatte, ob Frauen überhaupt Schach spielen dürften, beschrieb Wally Henschels Spielstrategie mit den Worten: „Die Hamburgerin entwickelt ihren Plan von Anbeginn an in streng logischem Gedankengang, nutzt die etwas riskante Partieanlage der Miß [Vera Menchik, d. Verf.] rücksichtslos aus und krönt das Ganze durch einen vehementen Schlußangriff.“ Bei dem Turnier trat Wally Henschel außerdem als Sängerin mit einem „klang-schönen [...] Vortrag von Liedern von R[ichard] Strauss, E[dward] Grieg und der Arie aus Tosca“ auf.
1931 wurde Wally Henschel vor ihrer Schwester Käthe Schachmeisterin von Groß-Hamburg. Beide traten, so wie andere Schachspielerinnen auch, aber nicht nur bei reinen Damenturnieren an, sondern auch gegen männliche Konkurrenten in gemischten Turnieren. Käthe Henschel errang beispielsweise beim Bundesfest des Niederelbischen Schachbundes zu Lübeck als einzige Frau in der Gruppe B den ersten Platz. Und beim Simultanturnier des russischen Großmeisters Efim Bogoljubow 1932 beim HSK taten es Käthe und Wally Henschel diversen männlichen Klubmitglie-dern gleich und rangen Bogoljubow immerhin ein Remis ab.
Dass sowohl Wally als auch Käthe Henschel derart schachbegabt waren, rief den Mediziner und Zwillingsforscher Otmar von Verschuer auf den Plan, der später zu den führenden NS-Eugenikern gehörte. Er wählte beide als Untersuchungsobjekte aus und veröffentlichte seine scheinwissenschaftlichen Ergebnisse 1931 in einem Heft der Reihe „Eugenik, Erblehre, Erbpflege“ unter dem Titel „Ein erbgleiches Zwillingspaar mit hervorragender Begabung fürs Schachspiel“.
Auch Käthe und Wally Henschel mussten nach dem Beginn der NS-Diktatur den HSK verlassen. Im Dezember 1933 schlossen sie sich der gerade gegründeten Schachabteilung der Sportgruppe Schild an und nahmen gleich an den im jenem Monat beginnenden Wettkämpfen um die Klubmeisterschaft teil. Im Juli 1934 beteiligten sie sich am Sommer-Schachturnier der Sportgruppe.
1935 wechselten sie von Schild in die neu gegründete Schachabteilung von Blau-Weiß. 1935/36 nahmen sie auch dort am Klubmeisterschaftsturnier teil. In der zweiten Runde im November 1935 spielten sie sogar gegeneinander, was das Israelitische Familienblatt zu folgendem Kurzbericht bewegte „Eine Partie auf Biegen und Brechen lieferten sich die Damen Henschel. Wally, als Führerin der weißen Steine, spielte eine große Angriffspartie, sogar auf die Rochade verzichtend. Aber Käthe wies mit großer Kaltblütigkeit alle Gefahren ab, rochierte und siegte schließlich im Endspiel; ein glücklicher Sieg über die vielleicht etwas zu wagemutig spielende Schwester.“ In den weiteren Verlauf der Klubmeisterschaften konnten beide jedoch nicht mehr eingreifen. Käthe Henschel spielte mehrfach „unglücklich“, so das Israelitische Familienblatt, und auch Wally Henschel vermochte sich nicht durchzusetzen.
Die Konzentration auf das Schachspiel und die Musik sowie die soziale Integration in gleich-gesinnte Kreise konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch bei den Zwillingsschwestern die Lebenssituation infolge der zunehmenden antisemitischen Ausgrenzungen, Anfeindungen und Verfolgungen zuspitzte. Dabei hatten sie noch das Glück, existentiell weiterhin abgesichert zu sein. Käthe Henschels Arbeitgeber Dahlström, eine nicht jüdische Firma, hatte sie nach 1933 nicht etwa entlassen, sondern sogar noch ihr Gehalt erhöht. Darauf wies ihr Rechts-anwalt im Rahmen ihres späteren Entschädigungsverfahrens anerkennend hin. Wally Henschel wiederum war fest angestellt beim Neuen Israelitischen Tempel in der Oberstraße. Sie sang dort regelmäßig im Gottesdienst, bei Trauungen, Beerdigungen und an hohen jüdischen Feiertagen. Außerdem leitete sie den Kinderchor. Darüber hinaus trat sie bei Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbundes auf und gab Gesangs- und Klavierstunden.
Nach dem Novemberpogrom 1938 beschlossen die Schwestern, in die USA zu fliehen. Ein in
New York lebender Cousin bürgte für sie. Zu ihrem Umzugsgut gehörte auch Wally Henschels Bechstein-Flügel. Am 25. März 1939 verließen sie Deutschland. Unter anderem wegen Visaproblemen dauerte die Reise in die USA mehrere Monate und führte sie über die Niederlande, England, Westindien, Mittelamerika und Haiti, bis sie endlich New York erreichten.
Dort fiel es ihnen lange schwer, Arbeit zu finden, sodass sie auf Unterstützung durch ihren Cousin angewiesen waren – nachdem sie bis dahin als unverheiratete Frauen stets auf eigenen Füßen gestanden hatten. Käthe Henschel, die ihren Vornamen in Kate änderte, fand schließlich nach zwei Jahren eine Stelle als Sekretärin in einer Im- und Exportfirma. Für Wally dagegen bedeutete die erzwungene Emigration das Ende ihrer bisherigen Berufstätigkeit. Es gelang ihr weder als Gesangs- und Klavierlehrerin, noch als Sängerin oder Pianistin ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. So musste sie einen anderen Weg suchen, ihre Existenz zu sichern. 1944 eröffnete sie eine kleine Pension, mit der sie das Nötigste verdiente.
Erst als beide Schwestern in den USA Fuß gefasst hatten – ihr New Yorker Freundeskreis bestand aus vielen deutschen Emigrant:innen –, wandten sie sich wieder dem Schach zu, spielten im New York Chess Club und beteiligten sich an öffentlichen Turnieren.
Von 1944 bis in die 1950er-Jahre nahmen sie an den US-Frauenschachmeisterschaften teil; 1944 belegte Käthe Henschel den dritten Platz und Wally den vierten.
US-Meisterschaften 1944, Käthe Henschel (mit Schwarz spielend)
1951 oder 1952 soll sie sogar – so zumindest eine leider nicht bewiesene Legende – Bobby Fischer besiegt haben, als dieser 8 oder 9 Jahre alt war. Er war darüber angeblich so wütend, dass er nie wieder gegen eine Frau Schach spielte.
Käthe und Wally Henschel mit ihrer Großnichte
Mit zunehmendem Alter konnte Wally immer schlechter sehen. Mitte der 1950er-Jahre war sie auf einem Auge fast blind und auf dem anderen stark sehbehindert, was ihre Arbeitsfähigkeit erheblich einschränkte. Auch das Schachspielen fiel ihr immer schwerer. 1954 hatte sie erstmals einen Antrag auf Entschädigung für die nationalsozialistische Verfolgung beim Hamburger Amt für Wiedergutmachung gestellt – und verlangte in dem Rahmen 1970 ebenso empört wie selbst-bewusst eine Nachzahlung, und zwar die gleiche, die bereits Freunde erhalten hatten: „Bedeutet dies, dass Hamburg viel weniger an die Verfolgten bezahlt als andere Städte in Deutschland, oder haben wir und wann mit weiteren Nachzahlungen zu rechnen?“, schrieb sie der Behörde.
1986 zogen Käthe und Wally Henschel hochbetagt in die Nähe eines Neffen nach Miami, Florida.
Dort starb Wally mit 95 und Käthe mit 97 Jahren.
Ihre ältere Schwester Gertrud war mit dem nicht jüdischen Werner Lüdeking verheiratet und dadurch zunächst noch relativ geschützt vor den Deportationen. Im Februar 1945 erhielt sie dann aber doch den Befehl zum „Arbeitseinsatz“ im Osten, was in dem Fall die Deportation in das Getto Theresienstadt bedeutete. Nur aus Krankheitsgründen entkam sie dem Transport. Die Firma ihres Mannes war schon Jahre zuvor „arisiert“ worden und er selbst hatte Zwangsarbeit bei den gefährlichen Trümmerräumungen nach den Bombenangriffen auf Hamburg leisten müssen. In Niedersachsen lebt heute eine Enkelin des Ehepaars Lüdeking, die zugleich die Großnichte von Käthe und Wally Henschel ist, und die die meisten der diesen Text illustrierenden Fotos zur Verfügung gestellt hat.
Frauke Steinhäuser
Andreas Wittenberg, Petra Ahrens, Frauke Steinhäuser vor der Gedenktafel am HSK-Haus
Die neue Gedenktafel
Fotos: Familie Henschel (privat), Evi Zickelbein, André Schulz
Wally und Käthe Henschel teilten auch das Schicksal vieler jüdischer Sportler:innen in Hamburg, darunter eine Reihe weiterer Schachspieler.
Wer sich für das Thema interessiert, findet weitere Portraits und Biographien in meinem Buch "...bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden im April 1933.": Jüdische und als jüdisch verfolgte Sportler:innen im Nationalsozialismus in Hamburg", erschienen im Mai 2022. (ISBN 978-3-000-71750-5 in jeder Buchhandlung zu bestellen oder direkt beim Stadtteilarchiv Eppendorf, Martinistraße 44a, 20251 Hamburg, Tel. 040 – 780 50 40 30 oder Email kontakt@geschichtswerkstatt-eppendorf.de. 10 Euro.
Anzeige |