Der deutsche Paul Morphy: Berthold Suhle

von André Schulz
31.01.2019 – Berthold Suhle war Mitte des 19. Jahrhunderts einer der stärksten Schachspieler in Deutschland. Aber nach nicht einmal zehn Jahren verschwand er wieder aus der Schachwelt. Deshalb und wegen seines Stils wurde er auch "der deutsche Paul Morphy" genannt.

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Berthold Suhle (1837-1904)

Der US-amerikanische Statistiker Jeff Sonas hat sich vor inzwischen langer Zeit einmal die Mühe gemacht und anhand von Turnier-und Wettkampfergebnissen historische Elozahlen errechnet. Diese Zahlen sind natürlich alles andere als 100%ig verlässlich und der Ansatz ist sicher auch mit einigen systematischen Fehlern behaftet. Trotzdem bieten Sonas‘ historische Elozahlen interessante Anhaltspunkte und Hinweise auf die Spielstärke der Spieler vergangener Generationen, vor allem im Vergleich zu den eigenen Zeitgenossen.

So findet man in dieser Liste den Namen von Berthold Suhle als weltbesten Spieler der Jahre 1865 bis 1867, noch vor Spielern wie Louis Paulsen, Wilhelm Steinitz oder Adolf Anderssen, die allesamt viel bekannter sind als Suhle.

Am 1. Januar 1937 in Stolp (Pommern, heute: Slupsk) geboren, war er zu dieser Zeit knapp 30 Jahre alt. Berthold Suhle starb am 26. Januar 1904, also vor ziemlich genau 115 Jahren und hatte sich schon lange vom Wettkampfschach zurück gezogen. Seine aktive Zeit reicht von 1858 bis 1869. Dann wandte der begabte Spieler sich anderen Dingen zu.

Mancher Schachhistoriker fühlte sich an die Karriere von Paul Morphy erinnert. Morphy war fast gleich alt, ein halbes Jahr jünger als Berthold Suhle, zeigte mit Anfang 20 ebenfalls sein ungeheures Talent in zahlreichen Wettkämpfen, um 1860, noch ein paar Jahre vor vor Berthold Suhle aus der Schachwelt zu verschwinden.

Berthold Suhles Vater Friedrich Suhle war Rektor an der höheren Töchterschule in Stolp. Berthold Suhle besuchte das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin und machte hier im März 1855 sein Abitur. Im Anschluss studierte er zunächst in Berlin Philologie, Philosophie und Naturwissenschaften, zog 1857 nach Bonn und setzte dort sein Studium bis 1859 fort. Dann ging Berthold Suhle zurück nach Berlin und blieb hier bis 1866.

Seine herausragenden Schachfähigkeiten muss Suhle schon während seiner Schulzeit in Berlin erworben haben, wie und wo, ist nicht bekannt. Aufsehen erregte er mit seinem Können dann als Philosophiestudent in Bonn. Er besiegte im Köln-Bonner Raum einige namhafte Spieler und gab Blindsimultanvorstellungen gegen bis zu acht Gegner. 

 

1858 wurde in Bonn ein Schachclub gegründet und Berthold Suhle wurde zum Sekretär des Vereins gewählt. Die Bonner Schachgesellschaft hatte zu Anfang 26 Mitglieder und residierte im Café Bönhoff. Erster Präsident des Klubs war Leopold Ungar. Berthold Suhle war zugleich der beste Spieler des Clubs. Über die Gründung der Schachgesellschaft berichtete er als Korrespondent für die Schachzeitung (ab 1872: Deutsche Schachzeitung) und kam so in engeren Kontakt zum Herausgeber Max Lange. Dieser nahm Suhle später zeitweise auch in die Redaktion der Schachzeitung auf.

1858 unternahm Berthold Suhle eine Reise nach Venedig und besiegte bei dieser Gelegenheit auch dort die besten Schachspieler der Stadt.

1859 reiste Suhle nach Breslau, um mit Adolf Andersson Wettkämpfe zu spielen. Nicht alle Partien sind überliefert, aber das Gesamtergebnis: 27:13 für Anderssen, bei acht Remis.

Berthold Suhle reiste auch im Rheinland und in Westdeutschland herum und besiegte die starken lokalen Schachspieler. In Bad Godesberg gewann Suhle 1859 zwei Partien gegen Alfred Schlieper, der zwei Jahre später, 1861, den Westdeutschen Schachbund mitbegründete. Schlieper war Präsident des Elberfelder Schachklubs. Den größten Teil seiner überlieferten Partien veröffentlichte Berthold Suhle selber in seinem Buch "Die neueste Theorie und Praxis des Schachspiels von 1865.

 

Im Spätsommer 1859 verlegte Berthold Suhle sein Betätigungsfeld wieder nach Berlin und wurde hier regelmäßiger Gast der Berliner Schachgesellschaft. Hier und im Berliner Café de Belvédère spielte er freie Partien und Wettkämpfe gegen starke Spieler wie Gustav Neumann, Phillip Hirschfeld und einige andere Berliner Meister.

 

Ende 1861 wurde Suhle zum Militär eingezogen, aber nach drei Monaten im Februar 1862 als untauglich wieder entlassen, vielleicht infolge eines Unfalls. Suhle promovierte im November 1862 in Philosophie bei Kuno Fischer in Jena.

Bald danach, am 30. Dezember 1862, heiratete er Auguste Louise Friedericke Körbin und hatte mit ihr drei Söhne, Eugen (geb. 1863), Carl Friedrich (geb. 1865), beide in Berlin geboren, und Alfred, 1987 in Stolp geboren.

Zu Beginn der 1860er Jahre veröffentlichte Bert Suhle mehrere Bücher auf ganz unterschiedlichen Gebieten. 1862 erschienen seine Philosophiewerke "Arthur Schopenhauer und die Philosophie der Gegenwart", in zwei Teilen, und 1864 "Zur Meteorologie des Aristoteles".  Im gleichen Jahr veröffentlichte er aber auch das Schach-Turnierbuch "Der Schachcongress zu London im Jahre 1862 nebst dem Schachcongresse zu Bristol im Jahre 1861", sowie ein Buch über die Verskunst: "Ueber die Cäsur und ihre Bedeutung für den Rhythmus.". 

1864 nutze der Breslauer Gymnasiallehrer Adolf Andersson die Sommerferien, um die Berliner Schachgesellschaft zu besuchen. Zwischen dem 17. und 27. Juli spielte er Wettkämpfe mit nicht weniger als 150 Partien und gewann die meisten deutlich. Nur Berthold Suhle, Gustav Neumann und Emil Schallopp konnten mit der Spielkunst von Anderssen mithalten. Suhle erreichte ein 4:4.

 

Zusammen mit Gustav Neumann veröffentlichte Berthold Suhle dann 1865 noch in Berlin das Werk "Die neueste Theorie und Praxis des Schachspiels seit dem Schachcongresse zu New-York i.J. 1857."

Bis 1877 scheinen Berthold Suhle und seine Familie materiell nicht gut abgesichert gewesen zu sein. Er lebte von der Veröffentlichung von Artikeln und den Einnahmen aus seinen Büchern. Gelegentlich arbeitete er als Hilfslehrer.

Nach der Geburt seines zweiten Sohnes 1895 entschloss sich Berthold Suhle, mit seiner Familie von Berlin zurück in seine Heimatstadt Stolp zu ziehen. Er begann dort mit den Arbeiten an seinem Werk "Übersichtliches Griechisch-Deutsches Handwörterbuch für die ganze griechische Literatur mit einem tabellarischen Verzeichniss unregelmäßiger Verba", das er zusammen mit dem Co-Autor Max Schneidewin 1875 abschloss und veröffentlichte. Eine lebendige Schachszene, so wie in Bonn und besonders in Berlin, gab es in Stolp offenbar nicht. Mit dem Ende seiner Berliner Zeit endete auch seine Karriere als aktiver Wettkampfspieler. Suhle verschwand aus der Schachgemeinde und wurde bald vergessen. 1890 besuchte Suhle aber noch den Schachkongress des Thüringer Schachverbandes in Nordhausen und fiel dem Berichterstatter Otto Koch als sachkundiger Zuschauer auf. Koch erinnerte sich im Todesjahr von Suhle 1904 im Deutschen Wochenschach an diese Begegnung.

1872 veröffentlichte Suhle das Werk: "Eine neue Erklärung der sogenannten epischen Zerdehnung, Und über die epische Zerdehnung." 1874 folgte "Übersichtliches Homer-Lexikon zum Schulgebrauche und für Reifere Leser."

1877 nahm Suhle schließlich eine feste Stelle als Lehrer an einem Gymnasium in Stolp an, zunächst zur Probe. Ab 1878 wurde als ordentlicher Lehrer in Cöslin (heute: Koszlin) angestellt, wurde dort 1889 zum Oberlehrer befördert und wechselt in gleicher Position nach Nordhausen in Thüringen. Dort wurde er 1895 zum Professor ernannt. 1895 ging Berthold Suhle, 58-jährig, in den Ruhestand. 1896 veröffentlichte er noch ein "Vollständiges Schulwörterbuch zu Xenophons Anabasis." 1901 erhielt er für seine Verdienste den Preußischen Roter Adlerorden.

Im letzten Jahr erschien eine schöne Sammelbiografie zu den preußischen Schachmeistern Berthold Suhle, Phillipp Hirschfeld und Gustav Neumann bei McFarland & Co: Hans Renette and Fabrizio Zavatarelli: Neumann, Hirschfeld and Suhle. 19th Century Berlin Chess Biographies with 711 Games. Ein großer Teil der hier angegebenen biografischen Angaben wurden diesem Buch entnommen.

Philipp Hirschfeld, 1840-1896, stammte aus Königsberg, war ein vermögender Geschäftsmann und lebte eine Zeit lang in London, wo er viel mit Johannes Zukertort analysierte. Jeff Sonas sah ihn als Nummer vier seiner virtuellen Weltrangliste in der Zeit zwischen 1862 und 1866.

Gustav Neumann (1838-1881) wurde in Gleiwitz geboren. 1865 gewann er ein Turnier der Berliner Schachgesellschaft mit 34 Siegen in 34 Partien. Er war einer der Teilnehmer beim großen Turnier in Baden-Baden 1870 und seine 12-stündige Seeschlange gegen Wilhelm Steinitz ließ ihn den Vorschlag zum Remis nach dreifacher Stellungswiederholung machen. Eine Nervenkrankheit beendete 1872 Neumanns Laufbahn als Turnierspieler. Bis dahin galt er als einer der besten Spieler Europas. In Jeff Sonas Liste wird er von Dezember 1868 bis Mai 1870 als Nummer eins der Welt geführt.

Alle Bücher aus dem McFarland- Verlag sind ausgesprochen sorgfältig editiert und hochwertig verarbeitet, so auch dieses. Jedem der genannten drei im Titel genannten Spieler ist ein eigenes Kapitel in dem 370 Seiten starken Werk gewidmet. Dieses enthält biographische Daten und alle überlieferten Partien in kommentierter Fassung, teils mit zeitgenössischen Kommentaren, teils mit neuen Anmerkungen.

Auf 25 Seiten wird zuvor in einem eigenen Kapitel die Entwicklung des Schachs in Berlin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts  vorgestellt.

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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