GM Bent Larsen zum 75sten
Von Peter Münder
Foto: Peter Heine Nielsen
In „Meine sechzig denkwürdigen Partien“ notierte Bobby
Fischer zu seiner Partie gegen Bent Larsen (Monaco 1967/Königsindisch,
Larsen-Fischer, No.57) verwundert und verblüfft: „Es sieht so aus, als müsse
sich ein Remis ergeben, aber Larsen drängt. Er wird zurückgewiesen und
wieder scheint das Remis bevorzustehen. Larsen spürt keine Gefahr und fährt
wie durch Beharrungsvermögen fort, auf Gewinn zu spielen... Im 30. Zug war
Fischer an der Reihe, die Initiative zu übernehmen... In die Verteidigung
gedrängt, macht Larsen einen oder zwei unbekümmerte Züge“...Larsen verlor
die Partie, weil er bei diesem Turnier Fischer unbedingt den ersten Platz
abjagen wollte und ihm ein Remis zu kümmerlich erschien.
Keine Frage, für Bobby Fischer war Larsens Aversion für
frühzeitig eingefädelte Remis-Manöver irritierend und fast irrational. So
kommentiert er in dieser Partie Larsens 14. Zug c4-c5 mit: „Typischerweise
wählt Larsen eine überraschende Fortsetzung. Er sollte ein baldiges Remis
anstreben...“ Andererseits bewunderte er natürlich auch Larsens großartigen
Kampfgeist und er schätzte vor allem die menschlichen Qualitäten des
sympathischen Dänen, mit dem ihn im Laufe der Jahre viel verbunden hatte.
(Foto: Skakbladet)
So erinnert sich Larsen in seinem spannenden Buch „Alle Figuren greifen an“
(Schach Depot Verlag, Stuttgart, 328 S., 29,80 Euro) in einem großen Kapitel
an seine Begegnungen mit dem exzentrischen Schachgenie und auch daran, wie
er dazu kam, von Bobbys Mutter Regina als Sekundant angeheuert zu werden, um
den amerikanischen "Wonderboy" auf das Kandidatenturnier 1959 in Jugoslawien
vorzubereiten. Es ist ein Rückblick auf eine fast prähistorische Epoche,
aber er beleuchtet auch Larsens eigene Einstellung: Sein positives Denken,
seine Offenheit gegenüber ungewohnten Situationen und Herausforderungen, die
ihn auch im Umgang mit anderen Spielern so angenehm und sympathisch
machten.
Larsen, damals 24, nahm das Angebot an, sich mit dem
18jährigen Fischer in Venedig zu treffen und Eröffnungen vorzubereiten.
Doch dann gibt es eine für Bobby Fischer so typische Episode: Larsen trifft
in Venedig ein, doch Bobby war gleich nach München weitergefahren, weil ihm
Venedig nicht gefiel. Erst nach einer Woche trafen sich die beiden und dann
wollte Bobby sofort nach New York zurück, was der Mutter nicht gefiel... Im
slowenischen Bled litt Fischer während des Turniers an einer starken Grippe,
er weigerte sich jedoch, einen Arzt zu konsultieren, obwohl Larsen ihm immer
wieder dazu riet. „Seine antikommunistischen Gefühle und Überzeugungen waren
so beherrschend, dass er sich nicht vorstellen konnte, die Ausbildung in
einem solchen Land könnte einen kompetenten Arzt hervorbringen“, bemerkt
Larsen zu dieser Episode aus der Blütezeit des Kalten Krieges. Als Fischer
sich nach langem Zögern dann doch entschließt, heiße Dämpfe zu inhalieren,
musste Larsen ihm während dieser 10-Minuten-Prozedur aus einem Buch
vorlesen, damit diese Zeitverschwendung wenigstens sinnvoll genutzt wurde.
„So kam es, dass ich einem Anwärter auf den Weltmeistertitel „Tarzans neue
Abenteuer“ vorlesen musste!“ notiert Larsen in seinem Buch. Diese
Reminiszenzen sind insofern bemerkenswert, als sie Larsens analytischen
Scharfblick und seine arglose, mit großartigem Sinn für Humor gesegnete
Freundlichkeit erkennen lassen.
(Foto: Skakbladet)
Und wann erlebt man schon, wie ein veritabler
Großmeister aus dem Nähkästchen plaudert und sich selbst als mehr oder
weniger überflüssigen Sekundanten eines jungen Genies darstellt? Als Larsen
dann während des Kandidatenturniers Bobbys Abbruchpartie gegen Benkö
analysiert – ein Turmendspiel mit drei gegen zwei Bauern- ist Larsen dann
doch ziemlich frustriert, weil der ehrgeizige Bobby aus dieser eindeutigen
Remis-Stellung noch unbedingt einen Sieg rausquetschen wollte: „Die ganze
Nacht musste ich diese perspektivlose Stellung mit ihm analysieren.
Natürlich ist dies aus Sicht des Sekundanten einigermaßen albern. Allerdings
ist zu bedenken, dass die Arbeit des Sekundanten zumindest teilweise
auch psychologischer Natur ist“. Und diese psychologische Tiefenwirkung war
wohl auch für Larsen selbst bestechend und faszinierend: „Was die
Eröffnungstheorie betrifft, wusste der junge Bobby einfach alles! Ich will
damit sagen, er war wirklich unermüdlich und hartnäckig“, meint Larsen in
Hinsicht auf seine Versuche, Bobby zum Panow-Angriff zu überreden, um gegen
Caro-Kann die Zweispringer-Variante (1.e4-c6 2.Sc3-d5 3.Sf3) aufzugeben,
mit der Bobby damals nur katastrophale Resultate erzielte. Larsen erklärt
dann aber sehr plausibel Bobbys damalige Lern-Resistenz: „Er wollte aber
bei seiner Variante bleiben und nannte mir auch einen Grund, mit dem ich
einverstanden war: „Ich kann die Variante nicht aufgeben, ohne wenigstens
eine Partie damit gewonnen zu haben“. Irgendwie waren sie doch Brüder im
Geiste, diese zwei gnadenlosen Kämpfernaturen!
Larsen hatte nie einen professionellen Trainer. Er ist
am 4. März 1935 in Tilsted, Nord-Jütland, geboren, interessiert sich für
Schach, während er als 7Jähriger an diversen Kinderkrankheiten
herumlaboriert. Er findet im Elternhaus zufällig ein Schachbuch, tritt in
eine Jugendmannschaft ein und gewinnt ziemlich schnell die dänischen
Jugendmeisterschaften. An seinen damaligen Jugendtrainer H.P. Hansen
erinnert er sich zwar nur vage („er zeigte uns einige Eröffnungsvarianten am
Demonstrationsbrett“), aber er möchte ihn auch gern am eigenen Erfolg
teilnehmen lassen und erwähnt ihn ausdrücklich in seinem Buch.
Larsens Vorlieben für bestimmte Eröffnungen waren auch
von der Einschätzung von Buchautoren und Experten abhängig: Befand ein
Eröffnungstheoretiker, das Königsgambit sei „stark wie ein Orkan“ und
niemand könne ihm widerstehen, dann fand er dieses Verdikt unwiderstehlich.
Umso mehr, wenn dann „die Feigheit moderner Meister“ beklagt wurde, die sich
nicht mehr trauten, dieses gefährliche Gambit zu riskieren. Sein knapper
Kommentar zeigt den großen Dänen at his best: „ Natürlich wollte ich mir
nicht vorwerfen lassen, ein Weichling zu sein und so war bis 1952 die
Lieblingseröffnung der romantischen Meister auch mein Favorit“. Später kam
noch die von ihm favorisierte Drachenvariante im Sizilianer hinzu, über
deren Antiquiertheit sich Bobby Fischer in den „Sechzig denkwürdigen
Partien“ mokierte.
Larsen nach seinem Sieg über Karpov, Tilburg 1980 (Foto:
Skakbladet)
Bent Larsen, der jetzt mit seiner aus Argentinien
stammenden Ehefrau auf Mallorca lebt, war sechsmal dänischer Meister, nahm
viermal (1965, 1968, 1971, 1977) an Kandidatenturnieren teil.
Bent Larsen mit seiner Ehefrau Laura (Foto. Peter Heine Nielsen)
Die beiden besten dänischen Schachspieler, jetzt und einst (Foto.
Peter Heine Nielsen)
(Foto. Peter Heine Nielsen)
Er siegte in drei Interzonenturnieren (Amsterdam 1964,
Sousse 1967, Biel 1976). Er gewann Dutzende hochkarätiger internationaler
Turniere und wurde 1967 sogar mit dem ersten „Schach-Oskar“ ausgezeichnet.
Er ging schweren Kämpfen und unliebsamen Situationen nie aus dem Weg,
innovative, unorthodoxe und überraschende Eröffnungsvarianten (wie etwa b3
oder Bird mit f4)) wurden zu seinem Markenzeichen. 1979 besiegte er Karpov
mit der Skandinavischen Eröffnung und spielte auch gern die
Aljechin-Verteidigung bei wichtigen Turnieren. Außerhalb der Sowjetunion war
er neben Bobby Fischer von 1965-1973 der erfolgreichste westliche Spieler.
Unerträgliche Remis-Mauscheleien der Sowjets, die Bobby Fischer so in Rage
brachten, dass er auch mal ein Turnier abbrach, ertrug der Däne- wenn auch
eher zähneknirschend. Gegen Bobby gewann er mehrmals wichtige Partien (Santa
Monica 1966/Ruy Lopez, Palma de Mallorca Interzonenturnier 1970/Sizilanisch).
Er sonnte sich jedoch nie selbstgefällig im eigenen Glanz und wählte bei
Simultanpartien für sich selbst meistens das schwerste Handicap- möglichst
viele Gegner, möglichst wenig Zeit für sich selbst! Und seinen Blitzspiel-
Gegnern gibt er auch heute noch meistens zwei Minuten vor. Larsens
spanischer Freund Armas bemerkt in seinem Rückblick in „Alle Figuren greifen
an“: „Wir waren alle voller Stolz, diesen Meister in unserer Nähe zu wissen.
Niemals drückte er seinen jeweiligen Gegner einfach an die Wand. Gegen jeden
einzelnen spielte er so, als hätte er einen Großmeister vor sich. Und mit
welchen Erinnerungen und ergötzlichen Geschichten unterhielt er uns zwischen
den Partien, während der ganzen vier Stunden!“ Ja, Bent Larsen, dieser
gewaltige, sensible und sympathische „dänische Orkan“ ist schon eine
ungewöhnliche Ausnahmeerscheinung unter den Großmeistern!
Wir gratulieren herzlich und wünschen ihm noch viele spannende Partien!
Links:
Chess legend
Bent Larsen turns 75 (mit weiteren Fotos)...
Bent Larsen
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