Der erste Weltmeister nach dem Krieg: Michail Botvinnik

von Stephan Oliver Platz
02.11.2018 – In wenigen Tagen beginnt der WM-Kampf zwischen Carlsen und Caruana. Die neuere Geschichte der FIDE-Weltmeisterschaften begann 1948 mit Michail Botvinnik. Stephan Oliver Platz blickt zurück. | Foto: J.D. Noske, Nationaal Archief, von li: Max Euwe, Wassili Smyslow, Paul Keres, Michail Botwinnik und Samuel Reshevsky.

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Botvinnik – Schachgenie und harter Arbeiter

In wenigen Tagen fordert Fabiano Caruana Weltmeister Magnus Carlsen heraus. Wird er der neue Weltmeister? Ich möchte aus diesem Anlass etwas zurückschauen in die Schachgeschichte und mich mit einem von Carlsens Vorgängern auf dem WM-Thron etwas näher beschäftigen: Dr. Michail Botvinnik (1911 - 1995). 1948, also vor 70 Jahren, wurde er Weltmeister, doch bereits in den 1930er Jahren gehörte er zur absoluten Weltspitze. Einige Etappen auf seinem Weg zum WM-Titel möchte ich nachfolgend betrachten.

Michail Botvinnik wurde am 17. August 1911 in dem kleinen Örtchen Kuokkala geboren, das heute zu Sankt Petersburg gehört. Als er mit dem Schachspielen anfing, war er bereits 12 Jahre alt. Dennoch machte er rasche Fortschritte, und schon zwei Jahre später gelang ihm bei einer Simultanveranstaltung in Leningrad (so hieß Sankt Petersburg damals) ein schöner Sieg über den damaligen Weltmeister José Raúl Capablanca:

 


Auf dem Weg in die Weltspitze

1931, gerade erst 20 Jahre alt, gewann Botvinnik zum ersten Male die sowjetische Meisterschaft und wiederholte diesen Erfolg 1933.

In Moskau 1935 gewann Botvinnik sein erstes bedeutendes internationales Turnier. Unter 20 Teilnehmern teilte er mit 13 aus 19 den ersten und zweiten Platz mit Salo Flohr. Auf den Plätzen 3 und 4 folgten die Exweltmeister Dr. Emanuel Lasker (12 1/2) und José Raúl Capablanca (12). Fünfter wurde der Österreicher Rudolf Spielmann (11). Damit reihte sich der 23-jährige Botvinnik in den engeren Kreis der Spitzengroßmeister jener Zeit ein und avancierte zu einem möglichen WM-Anwärter.

In Moskau 1936 wurde Botvinnik Zweiter mit 12 aus 18 hinter Capablanca (13), aber mit deutlichem Abstand vor Flohr (9 1/2), Lilienthal (9), Ragosin (8 1/2) und Lasker (8). Das Turnier hatte nur halb so viele Teilnehmer wie im Jahr zuvor, nämlich zehn, dafür wurde doppelrundig gespielt.

Im Turnier von Nottingham 1936 gelangte Michail Botvinnik wieder an die Spitze. Er teilte den ersten Preis mit Capablanca, dem Weltmeister von 1921 - 1927. Beide erreichten 10 aus 14, dicht gefolgt von den punktgleichen Dr. Max Euwe (der damals amtierende Weltmeister), Reuben Fine und Samuel Rehesvsky (je 9 1/2). Wie stark das Turnier besetzt war, zeigt sich daran, dass unter den insgesamt 15 Teilnehmern auch noch die Exweltmeister Dr. Alexander Aljechin (er wurde Sechster mit 9 Punkten) und Dr. Emanuel Lasker waren (er teilte mit 8 1/2 Punkten den 7. und 8. Platz mit Salo Flohr).

Botvinnik 1936 | unbekannter Fotograf

Das Zentralkomitee fördert das junge Schachtalent

Gleich nach Beendigung des Turniers telegraphierte Botvinnik an den Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Josef Stalin:

„Heißgeliebter Mentor und Führer ... Ich bin unendlich glücklich, melden zu können, dass ein Vertreter des sowjetischen Schachs in dem Turnier den ersten Platz mit Exweltmeister Capablanca geteilt hat. Angefeuert von Ihrem großen Aufruf 'Einholen und Überholen', bin ich froh, dass es mir gelungen ist, ihn zu verwirklichen.“

In seinen „Schacherinnerungen“ berichtet Botvinnik ausführlich von Nottingham 1936, aber das obige Telegramm erwähnt er nicht. Freilich hatte er allen Grund, der Partei zu danken, denn sie förderte und unterstützte tatkräftig aufstrebende Schachtalente. Für seine Turnierteilnahme in Nottingham bat Botvinnik darum, seine Frau mitnehmen zu dürfen. Das war nicht selbstverständlich, wurde ihm aber erlaubt, weil seine Ergebnisse beim Turnier in Moskau 1936 besser geworden waren, nachdem seine Frau zu den letzten drei Runden angereist war. Botvinnik: „Sofort wurden mir Pässe, Fahrkarten und Geld ausgehändigt. Es war ziemlich viel Geld: Reisegelder, rund 100 Pfund Sterling, wie für Volkskommissare“. (a)

Botvinnik über Capablanca

Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Botvinnik über den 47-jährigen kubanischen Exweltmeister zu berichten weiß:

„Capablanca war damals bereits nicht mehr so hübsch wie in der Jugend; er war dicker geworden, das spärlicher gewordene Haar war ein wenig ergraut. Er war dennoch charmant.“ Weiter heißt es: „Professionell befasste er sich nicht mit dem Schachspiel. Sein Talent war so groß, wie er von sich überzeugt war - am Schachbrett kannte er sich immer in der entstandenen Situation aus. In der Jugend war es ebenfalls so gewesen, aber mit dem unvermeidlichen Nachlassen der Fähigkeit, die Varianten einzuschätzen, begann Capablanca, nicht nur während einer Partie an das Schachspiel zu denken. Während der Turniere betrachtete er die Eröffnungssysteme genau und fand neue Ideen.“ Nach Einschätzung Botvinniks war Capablanca „besonders im Endspiel äußerst gefährlich“.

Die Partie zwischen Capablanca (Weiß) und Botvinnik fand am 17. August 1936, Botvinniks 25. Geburtstag, statt und verlief wenig ereignisreich. Eine Figur nach der anderen wurde abgetauscht, und nach nur 29 Zügen stand ein vollkommen ausgeglichenes Damenendspiel auf dem Brett, das auf Vorschlag von Botvinnik sofort remis gegeben wurde. Botvinnik berichtet in seinen „Schacherinnerungen“, dass er doch ein wenig überrascht war, dass Capablanca sein Remisangebot annahm:

„Vielleicht hätte ein junger Capablanca angefangen, auf Gewinn zu spielen, aber der ältere gedachte, den Vorschlag anzunehmen. Danach begann die Analyse der Partie, und Capablanca erteilte mir eine Lektion im Damenendspiel: Mit welcher Meisterschaft zentralisierte er die Dame und den König, ohne auf den Verlust eines Bauern zu achten! Aber anscheinend verteidigte ich mich  zufriedenstellend, weil Capablanca mir nach einer halben Stunde die Hand entgegenstreckte: 'Ja, Remis war unvermeidlich!'“ (b)

„Schlaumeier“

Eine hübsche Episode ereignete sich am letzten Turniertag. Botvinnik schreibt dazu:

„Capablanca und ich standen gleich. Ich spielte gegen einen schwachen Teilnehmer: Winter; Capablanca gegen Bogoljubow. Einige Züge waren gemacht, Capablanca umfasste mich, und wir spazierten durch den Saal. 'Sie haben eine gute Position, und ich habe eine gute Position', sagte er. 'Lassen Sie uns beide Remis machen und den ersten Platz teilen.' Nun, dachte ich, Schlaumeier, Winter ist kein Bogoljubow. 'Ich bin natürlich bereit, Ihren Vorschlag anzunehmen, aber was sagt man in Moskau dazu?'“.

Also wurde weitergespielt, aber weder Botvinnik, noch Capablanca konnten ihre letzte Partie gewinnen. (c)

Capablanca 1930 | unbekannter Fotograf

Das AVRO-Turnier 1938

Von den Veranstaltern, der niederländischen Radiogesellschaft AVRO, war dieses Turnier als ein Kandidatenturnier zur Ermittlung des nächsten Herausforderers von Weltmeister Dr. Alexander Aljechin gedacht. Dieser hatte im Vorjahr den holländischen Weltmeister Dr. Max Euwe entthront und sich so den WM-Titel zurückgeholt. Botvinnik wurden gute Aussichten auf den ersten Platz zugetraut, doch er patzte in seiner Partie gegen Euwe und wurde am Ende „nur“ Dritter mit 7 1/2 von 14 möglichen Punkten hinter den punktgleichen Siegern Paul Keres und Reuben Fine (je 8 1/2). Dahinter folgten punktgleich Aljechin, Euwe und Reshewsky (je 7), Siebenter wurde Capablanca (6), Achter und Letzter Flohr (4 1/2).

Botvinnik gelangen in diesem Turnier große Siege gegen Exweltmeister Capablanca und den amtierenden Weltmeister Dr. Aljechin:

 

 

 

 

Beide Partien finden Sie mit ausführlichen Anmerkungen von Garry Kasparow in der „MEGA DATABASE“ von ChessBase.

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1941, 1944 und 1945 gewann Botvinnik die sowjetische Meisterschaft, und er siegte auch in Groningen 1946 mit 14 1/2 aus 19 vor Exweltmeister Dr. Max Euwe (14) und Wassili Smyslow (12 1/2). Damit wurde er zum Favoriten im Kampf um die Nachfolge des wenige Monate zuvor, am 24. März 1946, verstorbenen Weltmeisters Dr. Alexander Aljechin.

1948: Endlich Weltmeister

1948, also noch zu Lebzeiten Stalins, setzte Botvinnik endgültig zum „Überholen“ an und wurde verdient Schachweltmeister. In der erstmals von der FIDE organisierten WM spielten fünf Teilnehmer je fünf Partien gegeneinander. Das Turnier fand vom 2. März 1948 bis zum 16. Mai 1948 zunächst in Den Haag und dann in Moskau statt. Botvinnik siegte überzeugend mit 14 von 20 möglichen Punkten vor Wassili Smyslow (11) und den punktgleichen Samuel Reshevsky und Paul Keres (je 10 1/2). Abgeschlagen Letzter wurde Euwe (4 Punkte).

Über Botvinniks Vorbereitungsmethoden schreibt Harold C. Schonberg in seinem Buch „Die Großmeister des Schach“ folgendes:

„Wenn er sich auf einen Wettkampf vorbereitete, ging er täglich zwei Stunden spazieren - auf die Minute genau. Dann folgten Atemübungen, deren Dauer ebenfalls exakt festgelegt war. Schließlich die vorgesehene Zeitspanne für Theorie und Analyse. Nichts durfte den Zeitplan unterbrechen. Seine schachliche Tätigkeit, seine wissenschaftliche Arbeit und sein Privatleben - alles war geordnet und berechnet.“ (d) Neben der ausführlichen Analyse aller Partien seiner Wettkampfgegner und der Vorbereitung von Varianten sowie deren Erprobung in Trainingspartien umfasste Botvinniks Vorbereitung auch außerschachliche Gesichtspunkte. So berichtet Schonberg von einem Trainingswettkampf gegen Großmeister Wjatscheslaw Ragosin zu dem Zweck, sich gegen rauchende Gegner am Schachbrett zu wappnen: „Dabei bestand Ragosins Hauptaufgabe darin, Botvinnik Rauch ins Gesicht zu blasen.“ (e) Eine heute unverständliche Maßnahme, aber damals durfte ja während der Turnierpartien noch geraucht werden, was für überzeugte Nichtraucher in der Tat zum Problem werden konnte. Doch zurück zur WM 1948:

Botvinnik oder Reshevsky?

Besonders hart umkämpft waren die fünf Partien zwischen Botvinnik und dem amerikanischen Großmeister Samuel Reshevsky. Reshevsky, 1911 im polnischen Ozorkow geboren, hatte schon in jungen Jahren als Schachwunderkind von sich reden gemacht. 1920 wanderte seine Familie in die USA aus, und daher repräsentierte Reshevsky bei der WM 1948 die Vereinigten Staaten von Amerika.

Als die Turnierteilnehmer von Den Haag nach Moskau weitergereist waren, wo die zweite Hälfte der WM stattfinden sollte, begann man sich im Zentralkomitee Sorgen zu machen, dass Reshevsky gewinnen könnte. Botvinnik wurde einbestellt, um dazu Stellung zu nehmen. Botvinnik begann mit dem Satz: „Reshevsky kann Weltmeister werden“ und schildert, was weiter geschah: „Alle erstarrten.“ Doch Botvinnik gelang es, die Bedenken zu zerstreuen: „Ich erklärte, dass Reshevsky ein Naturtalent wäre, ein urwüchsiger Schachspieler, dem aber in seinem Verständnis für das Schachspiel Grenzen gesetzt wären - nicht universell genug; vor allem hatte er einen angeborenen sportlichen Mangel - er konnte sich während einer Partie nicht die Zeit einteilen, Zeitnot kam in sein Spiel.“ (f)

Harold C. Schonberg charakterisierte Reshevskys Spielstil folgendermaßen und bestätigt dabei Botvinniks Einschätzung:

„Als einziges Exwunderkind neigte er nicht zu einer offenen, klassischen Spielweise. Stattdessen bevorzugte er verschachtelte, komplizierte Stellungen (...) Reshevsky kämpfte um minimale Stellungsvorteile; er versuchte notfalls, seinen Gegner durch schiere Ausdauer zu zermürben, und wenn die Partie sich über mehr als hundert Züge hinschleppte. (...) Auch in einem anderen Punkt unterschied er sich von den anderen berühmten Wunderkindern: Er spielte unendlich langsam.“ (g)

Reshevsky bei der WM 1948 | Foto: J.D. Noske, Nationaal Archief
 

Betrachten wir unter diesen Gesichtspunkten die dramatische vierte Partie gegen Botvinnik aus Runde 19. In einer Französischen Verteidigung erreicht Reshewsky mit Weiß nach nur 20 Zügen eine dieser "verschachtelten" Stellungen mit blockiertem Zentrum und ineinander verzahnten Bauernketten. Die geschlossene Stellung erlaubt es ihm, auf die Rochade zu verzichten, um einen Königsangriff vom Zaun zu brechen. Nach einem verfrühten Manöver übernimmt jedoch Botvinnik die Initiative und hätte seinerseits einfach einen zweiten Bauern mitnehmen können. Doch auch er spielt stattdessen auf Angriff, den er infolge eines Fehlers von Weiß brilliant abschließen kann. Botvinnik fasste die Gründe für Rehevskys Niederlage folgendermaßen zusammen:

„Reshevsky spielte im Anfangsstadium sehr spitzfindig, aber bei der Wahl der Eröffnung - Französische Verteidigung - machte er einen Fehler: Diese Eröffnung spielte ich mehr als zwanzig Jahre. Im entscheidenden Augenblick ließ mein Partner einen Fehler zu, und das Übergewicht ging an Schwarz. In der Zeitnot verschlechterte Reshevsky seine Position noch mehr, auch der weitere Spielverlauf konnte daran nichts ändern.“ (h)

 

Am Ende des vierten Umgangs hatte Botvinnik bereits so viele Punkte gesammelt, dass Reshevsky ihn nur noch hätte einholen, aber nicht mehr überholen können, und auch das nur, wenn er alle verbleibenden Partien gewonnen und Botvinnik selbst alle verloren hätte. Damit war die „Gefahr“, dass ein Amerikaner Weltmeister werden könnte, abgewendet.

Dass Botvinnik zu Recht Weltmeister geworden war, ersieht man auch daran, dass er gegen alle Teilnehmer des WM-Turniers gewonnen hatte: Mit 1:0 bei 4 Remisen gegen Smyslow, 4 : 1 gegen Keres, 2 : 0 bei drei Remisen gegen Euwe und 3 : 1 bei einem Remis gegen Reshevsky. Was für eine erstaunlich geringe Remisquote für eine WM!.

In diesem Zusammenhang wäre zu erwähnen, dass 1948 neben Reshevsky noch ein anderer Amerikaner die Chance gehabt hätte, um den Weltmeistertitel zu spielen, und zwar Großmeister Reuben Fine, der bereits 1938 punktgleich mit Keres das AVRO-Turnier gewonnen hatte. Zu dem WM-Turnier war er eingeladen worden, aber er hatte seine Teilnahme abgesagt. Warten wir ab, ob es im November diesen Jahres Fabiano Caruana gegen Magnus Carlsen besser macht als Reshewsky 1948 gegen Botvinnik.

1968: Botvinnik zaubert gegen Portisch

Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass Botvinnik auch als Elektroingenieur arbeitete und sich nach seinem WM-Gewinn 1948 drei Jahre lang seiner Doktorarbeit in diesem Fach widmete. Trotz der damit verbundenen mehr oder weniger langen Spielpausen blieb Botvinnik, von zwei einjährigen Unterbrechungen abgesehen, Weltmeister bis 1963. Er spielte zweimal 12:12-Unentschieden gegen David Bronstein (1951) und Wassili Smyslow (1954). 1957 unterlag er gegen Wassili Smyslow und 1960 gegen den Schachzauberer Michail Tal, konnte jedoch beidemale im darauffolgenden Jahr den Revanchewettkampf gewinnen und sich so den WM-Titel zurückholen. Erst 1963 wurde er von dem Armenier Tigran Petrosjan endgültig als Weltmeister abgelöst. Petrosjan siegte mit 5:2 bei 15 Remisen, einen Revanchekampf gab es nicht.

Ähnlich wie sein Vorbild Lasker konnte Botvinnik also sehr lange seine Spielstärke bewahren. Davon zeugt u. a. die nachfolgende Partie gegen den ungarischen Großmeister und mehrfachen WM-Kandidaten Lajos Portisch. Sie wurde 1968 in Monte Carlo gespielt:

 

 

 

Das nicht zustande gekommene Match mit Bobby Fischer

1969 wurde lange über einen Wettkampf Botvinnik gegen Bobby Fischer verhandelt. Wie schade, dass dieses Match nicht zustande kam! Botvinnik hatte vorgeschlagen, einen Wettkampf über 16 Partien gegen den Amerikaner zu spielen, doch Fischer bestand darauf, dass derjenige Sieger sein sollte, der zuerst sechs Partien gewann, ohne die Gesamtzahl der Partien zu begrenzen. Schließlich ließ sich Botvinnik auf 18 Partien heraufhandeln, doch Fischer lehnte abermals ab. Botvinnik äußert sich in seinen „Schacherinnerungen“ folgendermaßen über dieses nicht zustande gekommene Match:

„Wie es auch verlaufen wäre (Fischer hätte diesen Wettkampf wahrscheinlich gewonnen), der Amerikaner konnte viel von mir lernen. (...) Ich erklärte ihm, mehr als achtzehn Partien nicht spielen zu können, und ich schlug einen Kompromiss vor: Wir sollten bis zu sechs gewonnenen Partien spielen, aber falls achtzehn Partien dafür zu wenig wären, so würde der Sieger durch Punktemehrheit bestimmt. Fischer nahm auch das nicht an. Jetzt war vielen klar, dass Fischer eine manische Angst hatte, den Wettkampf zu beginnen.“ (i)

Tatsächlich spielten Botvinnik und Fischer nur eine einzige Turnierpartie gegeneinander, und zwar während der Schacholympiade 1962 in Varna. Sie endete nach dramatischem Verlauf und 68 Zügen remis.

Der „Patriarch“

1970 beendete Botvinnik seine Profilaufbahn und widmete sich der Entwicklung eines Schachprogramms, womit er sich schon seit 1963 beschäftigt hatte. 1971 erschien sein Buch „Algorithmus für das Schachspiel“. Außerdem trainierte und förderte er mit großem Erfolg junge Schachtalente. Aus seiner Schachschule gingen u. a. die Weltmeister Anatoli Karpow, Garry Kasparow und Wladimir Kramnik hervor. Botvinnik starb am 5. Mai 1995 in Moskau im Alter von 83 Jahren. Man nannte ihn ehrfurchtsvoll den „Patriarchen“.

Viel Aufschlussreiches über Botvinnik enthält die Masterclass Botvinnik von ChessBase:

Master Class Band 10: Mikhail Botvinnik

Anhand der Botvinnik-Partien zeigen unsere Experten, wie man bestimmte Eröffnungen erfolgreich bestreitet, welche Musterstrategien es in bestimmten Strukturen gibt, wie man auch taktische Lösungen findet und wie man Endspiele nach festen Regeln gewinnt

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Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

Quellen:

(a) Michail Botvinnik, „Schacherinnerungen“ (Düsseldorf 1981), S. 64 ff.

(b) Michail Botvinnik, „Schacherinnerungen“ (Düsseldorf 1981), S. 72-73

(c) Michail Botvinnik, „Schacherinnerungen“ (Düsseldorf 1981), S. 74

(d) Harold C. Schonberg, „Die Großmeister des Schach“ (Frankfurt/M. 1976), S. 222

(e) Harold C. Schonberg, „Die Großmeister des Schach“ (Frankfurt/M. 1976), S. 226

(f) Michail Botvinnik, „Schacherinnerungen“ (Düsseldorf 1981), S. 155-156

(g) Harold C. Schonberg, „Die Großmeister des Schach“ (Frankfurt/M. 1976), S. 206-207

(h) Michail Botvinnik, „Schacherinnerungen“ (Düsseldorf 1981),  S. 157

(i) Michail Botvinnik, „Schacherinnerungen“ (Düsseldorf 1981),  S. 255-256

 

 


Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

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