ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Igor Rausis, 1961 in Lettland geboren ist seit 1992 Großmeister. 1995 wurde er lettische Landesmeister. 1996, 1998 und 2002 vertrat er sein Land bei drei Schacholympiaden. 2003 wechselte Rausis jedoch in den Verband von Bangladesh und blieb in diesem bis 2007. Dann ging er nach Tschechien, wo er inzwischen die tschechische Staatsbürgerschaft erworben hat. Igor Rausis ist kein besonders starker Großmeister. Seine Elozahl bewegte sich meist im Bereich zwischen 2450 und 2550. Dies änderte sich jedoch im Jahr 2013.
Von nun an führte sein Eloweg stetig nach oben. Rausis war inzwischen immerhin 52 Jahre alt, also nicht unbedingt mehr ein Talent. Bei anderen Spielern in seinem Alter weist der Weg eher nach unten. Rausis nutzte für seinen zweiten Frühling offenbar zwei Techniken. Zum Einen suchte er gezielt nach Offenen Turnieren, in denen er mit Abstand der beste Spieler und meist einzige Großmeister war. Oft waren die Elozahlen seiner Gegner mehrere Hundert Elopunkte schlechter als seine eigene. Die weitaus meisten dieser Partien konnte Rausis logischerweise für sich entscheiden. Bei der Eloauswertung hat die FIDE einen maximalen Elounterschied von 400 Punkten festgesetzt, um zu großen und gezielten Elozugewinnen, die auf diesem Weg erzielt werden könnten, einen Riegel vorzuschieben. Rausis erhielt so für einen Sieg nur noch 0,8 Punkte. Der Weg auf der Eloleiter auf diesem Wege ist also sehr mühsam, aber Rausis hat ihn beschritten. In 100 solcher Partien, wenn man sie alle gewinnt, kann man im Laufe der Zeit immerhin auch noch 80 Punkte zulegen. Das ist natürlich keineswegs illegal, sondern zeigt nur, dass die FIDE bei der Eloauswertung von Offenen Turnieren noch ein paar Löcher stopfen müsste - falls das überhaupt möglich ist.
Seit einiger Zeit gärten aber besonders in tschechischen Kreisen Gerüchte, dass beim stetigen Leistungszuwachs von Igor Rausis noch andere Dinge im Spiel waren. Unter der Hand hieß es: Er "cheatet", auf Deutsch: Er betrügt, und zwar mit Hilfe von Computern.
Der illegale und versteckte Einsatz von technischen Hilfsmittel bei Schachturnieren ist seit vielen Jahren ein beständiges Problem bei Schachturnieren, so wie das medizinische Doping bei den Körpersportarten - und ebenfalls nicht so einfach nachzuweisen, vor allem nicht im Nachhinein. Da inzwischen jedes Handyprogramm auf Großmeisterniveau spielt, wird die Aufgabe für die Schiedsrichter auch immer schwieriger. Cheating-Verdächtigungen gibt es in der Regel bei Offenen Turnieren, bei Rundenturnieren nur in seltenen Ausnahmefällen. Die weitaus größte Zahl der Schachspieler spielt ehrlich und ohne Hilfsmittel, doch es gibt einige wenige Spieler, die solche Mittel benutzen oder benutzt haben, um sich einen materiellen Vorteil zu verschaffen, indem sie so an die Preisgelder kamen, oder auch, um ihr unterentwickeltes Ego zu streicheln. Wie soll man mit solchen Verdächtigungen umgehen? Wie kann man den Betrug nachweisen?
Sicher kann man Indizien sammeln und Partien auch auf maschinellem Wege auf ihre Fehlerquoten untersuchen. Fehlerfreies Spiel über eine größere Distanz ist sicher ein sehr auffälliges Phänomen. Ebenso die häufige Übereinstimmung mit den Vorschlägen von Computerprogrammen. Letztlich muss der Nachweis aber vor Ort geführt werden. In einigen Fällen ist dies in der Vergangenheit ja auch gelungen, bei verschiedenen nationalen und internationalen Open, in der Bundesliga, bei Deutschen Meisterschaften, etc.
Manch einer der Täter stellte sich dabei denkbar dumm an, aber selbst dann waren schlecht ausgebildeten Schiedsrichter vor Ort bisweilen überfordert. Ihre Aufgabe ist allerdings zugegebenerweise mitunter auch nicht leicht: Wie soll man beispielsweise ein Spielerfeld von bis zu 1000 Spielern in einem Open bei ständigem Umherlaufen von Spielern und Zuschauern zuverlässig überwachen? Manche Spieler besitzen auch keinerlei Sensibilität für das Problem. Ruckzuck wird das Handy gezückt und eine Partie eingegeben, um neugierig das Urteil der Schachengine zu erfahren, auch zu laufenden Partien der Kollegen, am Rande der Bundesliga ebenso wie in den niederen Ligen und Spielklassen - ohne Betrugsabsicht, aber unsensibel. Ein Modus Vivendi ist bisher nicht gefunden. Die Juristen des Deutschen Schachbundes sind mit ihrer Spielervereinbarung für die Bundesligen über das Ziel auch eher hinausgeschossen. Der Stein des Weisen ist noch nicht gefunden.
Der große Leistungszuwachs des Schach-Seniors Igor Rausis seit 2013 war doch zu auffällig. Bis Mitte 2013 bewegte er sich auf einem Niveau von 2525, dann startete er durch, langsam, aber stetig. Mitte 2014 lag er bei 2575. Im Dezember 2015 war er bei 2600 angekommen. Nach einem kleinen Rückschlag arbeitete Rausis sich wieder nach oben und überschritt Mitte 2018 die 2650, zuletzt kratze er knapp an der 2700 Marke und war in der Live-Liste der älteste Spieler in den Top 100. Rausis geriet in den Fokus der FIDE-Fair Play Kommission, vermutlich auch nach Hinweisen von Kollegen, und stand nun unter Beobachtung.
Beim Turnier in Straßburg wurde Igor Rausis auf frischer Tat erwischt. Es existiert ein Foto, das ihn auf der Toilette sitzend mit einem Handy in der Hand zeigt, mit einer Engine offenbar die laufende Partie analysierend. Offenbar wurde das Foto - ebenfalls mit einem Handy - von einem anderen Spieler aufgenommen und dem Schiedsrichter als Beweis übergeben.
Rausis, von Spielern, die ihn kennen, als nett und freundlich beschrieben, hat den Betrug zugegeben und gleichzeitig auch das Ende seiner Karriere verkündet. Was hat den Großmeister nur dazu bewegt, sich auf diesem Wege Vorteile zu verschaffen?
Rausis hat nicht nur sich selbst, sondern vor allem seinen Kollegen massiv geschadet. Wahrscheinlich hat er sich einiges an Preisgeldern erschlichen, die er sonst nicht gewonnen hätte und andere Spieler damit direkt benachteiligt. Sein Fall wird vor allem aber viel weiteres Misstrauen in die Schachwelt säen. Viele ehrliche Spieler werden nun wieder argwöhnisch beäugt werden, weil sie vielleicht eine schwache Blase haben, nervös sind, oft auf Toilette müssen oder einfach nur gute Ergebnisse zeigen. Fälle von solchen Hexenjagden hat es in der Vergangenheit auch schon einige gegeben.
Nachdem die FIDE das Problem des elektronischen Dopings über viele Jahre eher ignoriert hat, ist der Weltschachbund inzwischen sensibel geworden, spürt den Fällen nach und deckt sie auf. Dann beschäftigt sich die Ethikkommission damit. Gut so! Was fehlt, ist aber eigentlich ein geeigneter Strafenkatalog. In der Vergangenheit wurden enttarnte Betrüger meist für zwei Jahre gesperrt, aber nur für die offiziellen FIDE-Turniere. Auf Privatturniere hat die FIDE keinen Zugriff. Mit der Veröffentlichung ihres Namens sind die entsprechenden Spieler zwar auch noch gestraft, aber was soll man machen, wenn man beispielsweise auf einem Open gegen einen solchen Betrüger spielen soll, aber eigentlich nicht möchte? Die FIDE-Offiziere verkündeten, dass sich die französische Polizei auch noch um den Fall kümmern würde, doch man mag kaum glauben, dass irgendein Polizist Zeit hat, sich um diesen Fall zu kümmern.
Die FIDE muss über geeignetere Strafen nachdenken. Man könnte den "Dopingsündern" im Schach zum Beispiel auf längere Zeit die Eloauswertung verweigern. Außerdem müsste es einen Weg geben, auf dem die Geschädigten in Zivilklagen gegen den Betrüger juristisch vorgehen können, um entgangenes Preisgeld einzuklagen. Das dürfte aber bei der durch und durch internationalen Schachszene wohl eher nicht möglich sein.
Offizielle Stellungnahme der FIDE...
Artikel bei Perlen vom Bodensee...
Spiegel: Deutschland hat ein neues Genie (1999)...