Der Mann, der Mephisto war: Isidor Gunsberg

von André Schulz
02.05.2020 – In London hatte der Prothesen-Hersteller Charles Gümpel um 1876 einen Schachautomaten gebaut, den er Mephisto nannte. Seine Fähigkeiten waren jedoch menschlicher Natur und zeitweise lieh Isidor Gunsberg dem Automaten sein Schachkönnen. Gunsberg war so gut im Schach, dass er 1890 sogarum die Weltmeisterschaft spielen durfte. Heute jährt sich sein Todesdatum zum 90sten Mal.

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Isidor Arthur Gunsberg wurde 2. November 1854 in einer jüdischen Familie in Pest, heute Stadtteil von Budapest geboren. Sein Vater stammte ursprünglich aus Russisch-Polen. Als Isidor Gundberg acht Jahre alt war, übersiedelte die Familie 1862 nach London. Im Jahr 1866 reiste er mit seinem Vater, einem Geschäftsmann nach Paris. Dort besuchte er das Café de la Régence und beeindruckte die anderen Gäste und Schachspieler schon mit seinen Schachkünsten.

1879 traf Gunsberg in London mit Charles Godfrey Gümpel zusammen. Dieser war Hersteller von maßgefertigten Prothesen und hatte etwa 1870 mit dem Bau eines Schachautomaten begonnen, den er um 1876 fertig stellte. Er nannte ihn Mephisto, da der Automat in Menschengestalt dieser Figur optisch nachempfunden war.

1878 nahm Gümpel mit seinem Mephisto am Schachturnier der „County Chess Association“ teil und gewann es. Gümpel stellte den Mephisto nun in seinem Haus auf und forderte die besten Spieler Londons auf, gegen den Automaten zu spielen.

Im Unterschied zum Schachtürken des Wolfgang von Kempelen oder dem Ajeeb, bei denen ein Mensch im Inneren des Automaten versteckt war, wurde der Mephisto mit Hilfe einer elektromagnetischen Technik über ein Kabel aus einem Nebenraum heraus fernbedient.

Von 1879 bis 1889 übernahm Isidor Gunsberg diese Aufgabe. Später wurde er von Jean Taubenhaus abgelöst wurde.

1883 spielte Michail Tschigorin in London gegen den Mephisto, wohl wissend, dass dieser von Gunsberg bedient wurde, und verlor. Angeblich soll der Mephisto überhaupt nie eine Partie verloren haben. 1889 reiste Gümpel mit seinem Mephisto zur Weltausstellung nach Paris, um ihn dort vorzuführen. Danach wurde er abgebaut und die Spuren des Schachautomaten verlieren sich.

Mit der Anstellung bei Gümpel hatte Isidor Gunsberg seine Kaufmannsausbildung (als Tabakhändler) an den Nagel gehängt und beschloss Schachprofi zu werden. In den 1880er Jahren gewann er ein Reihe von Turnieren (Hamburg 1885, Bradford 1888, London 1888) und Wettkämpfen (gegen Bird mit 5,5:2,5 und gegen Blackburne mit 8:5).

Um einen Herausforderer für Weltmeister Steinitz zu finden, organisierte der Manhattan Chess Club 1889 ein Kandidatenturnier mit 20 Teilnehmern. Die Spieler traten doppelrundig gegeneinander an. Bei Remis wurde die Partie wiederholt. Miksa Weiß, der sich allerdings bald danach vom Schach zurück zog und seine Bankkarriere bei Rothschild fortsetzte, und Michail Tschigorin teilten den ersten Platz, hatten aber beide kein Interesse an einem Wettkampf gegen Steinitz. Gunsberg wurde Dritter und war dazu bereit. Nachdem Gunsberg zuvor, im Jahr 1890, in Havanna einen Wettkampf gegen Tschigorin remis (9:9) gestaltete, akzeptierte Steinitz die Herausforderung.

Steinitz, re., bei einem Gruppenfoto. Der Spieler links ist nicht Isidor Gunsberg, wie zunächst hier vermutet. Danke für Hinweis (s.u.)! 

Den Manhattan Chess Club organisierte den Weltmeisterschaftskampf, der am 9. Dezember 1890 begann und bis zum 22. Januar 1891 dauerte. Das Match war auf 20 Partien angesetzt. Als Schiedsrichter fungierte der damalige Präsident des Manhattan Chess Clubs, Professor Isaac Leopold Rice. Die Partien wurden in zwei Etappen gespielt, die erste Hälfte von 13.30 bis 17 Uhr, die zweite Hälfte von 19.00 bis 22.30 Uhr. Gunsberg ging bei diesem Wettkampf in Führung, aber am Ende triumphierte Steinitz.

 

Der Sieger erhielt 3000 Dollars Preisgeld, Gunsberg als Verlierer 1000 Dollar.

Nach seinem Match gegen Steinitz spielte Gunsberg mit wechselndem Erfolg bei Turnieren mit. 1900 belegte er beim allerdings nicht allzu gut besetzten Turnier in London hinter Richard Teichmann zusammen mit James Mason den geteilten zweiten Platz. Nach einigen weniger guten Platzierungen in Monte Carlo 1901 und 1902, sowie beim 13. DSB-Kongress in Hannover 1902, wurder er ebenfalls in London 1904 noch einmal Dritter. Die Vorrunde des St. Petersburger Turniers von 1914 schloss der inzwischen schon 60-Jährige mit nur einem Punkt (zwei Remis) als Letzter ab. 1914 endet auch die aktive Karriere von Isidor Gunsberg.

Neben seinen Turnierteilnahmen hatte sich Gunsberg mehr und mehr als Schachjournalist betätigt und schrieb für mehrere Zeitungen. Zum Ende hin schrieb jedoch nicht er, sondern seine Frau die Artikel, die unter seinem Namen erschienen. Auch als Organisator war er aktiv und führte unter anderem das Turnier Oostende 1906 durch.

Erst 1908 erhielt Gunsberg die britische Staatsbürgerschaft zugesprochen. Inzwischen war er in dritter Ehe verheiratet. Seine ersten beiden Frauen hatten das 40ste Lebensjahr nicht erreicht. Mit seinen drei Frauen hatte Gunsberg insgesamt sieben Kinder, drei Söhne und vier Töchter. Kurz vor Erreichen seines 70sten Lebensjahres musste Gunsberg Privatinsolvenz beantragen. Er starb am 2. Mai 1930. Sein Todestag jährt sich heute zum 90sten Mal. 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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