Neuigkeiten vom ältesten
Schachautomaten der Welt: Kempelens Türke bleibt im Gespräch
Von Johannes Fischer
Hätte
Wolfgang von Kempelen gewusst, was die Nachwelt über ihn schreiben würde, wäre
seine berühmteste Schöpfung, der als Türke kostümierte Schachautomat,
wahrscheinlich nie gebaut worden. Entstanden ist der Vorläufer von Deep Blue,
Fritz und Shredder nach einer Wette. 1769 führte ein fahrender Zauberkünstler
namens Pelletier am Hofe Maria Theresias Zauberstücke und erbauliche Maschinen
vor, und die österreichische Kaiserin bat ihren Hofrat Wolfgang von Kempelen,
der einen guten Ruf als Erfinder und Tüftler genoss, bei der Vorführung dabei zu
sein und ein fachkundiges Urteil über die Kunst des Franzosen abzugeben. Es fiel
vernichtend aus. Ja, Kempelen war über die Dürftigkeit der dargebotenen
Kunststücke so erbost, dass er erklärte, in einem halben Jahr eine Maschine
bauen zu können, die alles, was der Franzose gezeigt hatte, in den Schatten
stellte.
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Kempelen hielt Wort. Nach
Ablauf der von ihm selbst gesetzten Frist präsentierte er dem kaiserlichen Hofe
einen in orientalische Gewänder gekleideten Automaten, der vor einem Schachbrett
saß, das sich auf einem Kasten mit komplizierten Apparaturen befand. Nachdem
Kempelen sämtliche Seitentüren des Kastens geöffnet hatte, um dem Publikum zu
demonstrieren, dass kein Mensch im Inneren der Maschine verborgen war, suchte er
nach Freiwilligen im Publikum, die bereit waren, gegen den Automaten zu spielen.
Kurze Zeit später führte der Türke die ersten Züge aus und besiegte seine Gegner
ohne große Mühe. Das Publikum war begeistert, der Türke eine Sensation und ein
Rätsel: Konnte die Maschine tatsächlich spielen? Manipulierte Kempelen den
Türken mit magnetischen Kräften? Versteckte sich vielleicht doch ein Mensch im
Inneren des Kastens? Aber wie sah er das Schachbrett, wie führte er seine Züge
aus und wie klein musste er sein, um in dem engen Kasten Platz zu haben?
In den folgenden Jahren
entwickelte sich Kempelens Schachautomat zu einem öffentlichen Ereignis. In
zahlreichen europäischen Städten wurde er einem staunenden Publikum vorgeführt
und berühmte Leute der damaligen Zeit wie Napoleon, Philidor, Benjamin Franklin
und andere traten gegen ihn an. Schriftsteller wie Jean Paul und E.T.A. Hoffmann
erwähnten den Automaten in ihren Werken und in zahllosen Artikeln versuchten
Gelehrte und Laien das Geheimnis des Türken zu lüften. Wie der Schachhistoriker
Ernst Strouhal schreibt, wurde "über keinen Automaten des 18. Jahrhunderts
annähernd so viel publiziert. Ken Whylds Bibliographie aus 1994 weist mehrere
hundert Einträge auf, das Wiener Kempelen Archiv umfasst, ohne Anspruch auf
Vollständigkeit, rund 1200 Dokumente" (Ernst Strouhal, KARL, 4/2002, S.15).
Robert Löhrs Roman Der
Schachautomat
Auch heute noch fasziniert der
Türke. Einen Nachbau kann man im Nixdorf-Museum in Paderborn bewundern, im Fritz
9 Programm feiert er als 3D-Animation Wiederauferstehung und nach wie vor
erscheinen Bücher und Artikel zum Thema.
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Nachbau des Türken im Nixdorf-Museum in Paderborn
Nach Gerald Levitts The
Automaton und Tom Standages Der Türke, zwei Sachbüchern, die sich mit
der Geschichte des Türken beschäftigen, erschien vor kurzem Der Schachautomat,
ein Roman des Berliner Schriftstellers Robert Löhr, der munter über Kempelen und
seine Maschine phantasiert. Hätte Löhr über einen zeitgenössischen Erfinder
geschrieben, wäre er wohl wegen Verleumdung verklagt worden. Denn in seiner mit
einer gehörigen Portion Sex&Crime gewürzten Geschichte erscheint Kempelen als
besessener Erfinder, der über Leichen geht.
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Robert Löhr: Der Schachautomat, Piper 2005, €19,90.
Doch Hauptfigur des Romans ist
nicht der erfinderische Hofrat, sondern Tibor, ein gottesfürchtiger Zwerg mit
seltener Schachbegabung, der im Inneren der Maschine sitzt und dem Automaten
"Geist verleiht". Kempelen hört von Tibors Schachtalent und bietet ihm an, gegen
gute Bezahlung unerkannt die Maschine zu bedienen. Eigentlich will Tibor bei dem
Betrug nicht mitmachen, aber nachdem er versehentlich einen Mann erschlägt,
nimmt er Kempelens Angebot an, um Verfolgung und Gefängnis zu entgehen.
Es ist kein Zufall, dass Tibor
jemanden umbringt, nachdem er das erste Mal mit dem Schachautomaten in Berührung
kommt. Denn in Löhrs Roman lastet ein Fluch auf dem Türken und im Laufe der
Erzählung stößt jedem, der der Maschine zu nahe kommt, ein Unglück zu. Jakob,
der Erbauer der Maschine, wird von dem Grafen Andrássy getötet, der seine
Schwester, eine ehemalige Geliebte Kempelens rächen will. Sie starb, als sie auf
einer Feier schon etwas angetrunken das Geheimnis des Türken zu energisch
ergründen wollte, von Tibor und Kempelen gewaltsam daran gehindert wurde und
unglücklich stürzte. Kempelen jedoch vertuschte das Unglück und warf seine noch
lebende ehemalige Geliebte vom Balkon, um einen Selbstmord vorzutäuschen.
Auch
ein anderer Maschinenbauer, Knaus, bedroht den Schöpfer des Türken. Knaus neidet
Kempelen den Erfolg und schleust seine Geliebte als Bedienstete bei seinem
Konkurrenten ein, um hinter das Geheimnis des Automaten zu kommen. Sie bandelt
mit Tibor, Kempelen und Jakob an, um ihren Auftrag zu erfüllen, und als Kempelen
ihr auf die Schliche kommt, hat dies dramatische Folgen, bei denen der Hofrat in
keinem guten Licht erscheint, aber für spannende Momente und ein dramatisches
Ende des Romans sorgt.
All das ist jedoch frei
erfunden und hat mit dem wirklichen Wolfgang von Kempelen nichts zu tun.
Unterhaltsam bleibt Löhrs Buch dennoch, vor allem, weil Löhr den
Frankenstein-Mythos der Maschine, die ihren Schöpfer ins Unglück stürzt, mit dem
Schach spielenden Automaten verknüpft. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit
Kempelen oder der Rolle des Automaten in der europäischen Geistesgeschichte
bleibt jedoch aus und wird der Unterhaltung geopfert.
Speaking Without Lips, Thinking Without Brain: Eine
Ausstellung an der Berliner Humboldt-Universität
Weniger
dramatisch, aber inhaltlich präziser, befasste sich im Juli eine Ausstellung im
Foyer der Berliner Humboldt-Universität mit den Apparaten Wolfgang von
Kempelens. Dieses Kooperationsprojekt der Universität für Angewandte Kunst Wien,
des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik und der Bundeszentrale für
Politische Bildung widmete sich nicht nur Kempelens Türken sondern auch seiner
Sprechmaschine, denn bei seinen öffentlichen Auftritten führte Kempelen meist
beide Maschinen vor. Stets erklärte er, dass der Türke auf einem Trick beruhte,
während die Sprechmaschine "echt" war. Das Publikum glaubte ihm jedoch nicht und
hielt die Sprechmaschine für einen Trick, den Türken hingegen für "echt". Aber
das Geheimnis des Automaten gab Kempelen nicht preis. Heute weiß man, dass ein
Mensch im Inneren der Maschine steckte, der sich durch geschickt angebrachte
Rollen und Spiegel verbergen konnte, wenn Kempelen bei seinen Vorführungen die
Türen des Automaten öffnete.
Aber anders als Löhrs Buch
suggeriert, war der Erbauer des Türken weder Betrüger noch Scharlatan oder
Zauberkünstler, sondern ein ehrenhafter und fleißiger Beamter am Hofe Maria
Theresias. Im Auftrag der Kaiserin übersetzte Kempelen den Codex Maria Theresias
aus dem Lateinischen ins Deutsche und organisierte die Neubesiedlung des Banat,
eines zwischen Donau, Theiß und Marosch gelegenen Gebiets, das durch Kriege und
Katastrophen weitgehend entvölkert war. In seiner Freizeit schrieb er Gedichte
und Theaterstücke und versuchte sich als Erfinder.
Dabei lag dem Hofrat trotz der großen Popularität des Türken, die ihm ungeahnten
Ruhm bescherte, eine andere seiner Maschinen sehr viel mehr am Herzen: die
Sprechmaschine. Mit ihr hoffte Kempelen die menschliche Stimme imitieren zu
können, um Menschen, die nicht sprechen konnten, eine Möglichkeit zu geben, sich
zu artikulieren.
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Die Sprechmaschine
Mehr als zwanzig Jahre
arbeitete Kempelen an dieser Maschine, aber am Ende konnte sie zwar ein paar
Laute "sprechen", war aber weit von dem entfernt, was ihr Erfinder erhofft
hatte. Damit andere seine Arbeit fortsetzen konnten, veröffentlichte Kempelen
ein Buch über Funktionsweise und Konstruktion seiner Erfindung. Doch niemand
nutzte diese Bauanleitung und die Sprechmaschine geriet bald in Vergessenheit –
genau wie der Türke. Nach Kempelens Tod im Jahre 1804 verkaufte sein Sohn den
Türken an den Schausteller Maelzel, der den Automaten in seine
Vaudeville-Vorführungen integrierte, und bald danach wanderte die einst so
bewunderte Schachmaschine ins Museum, wo sie 1854 einem Brand zum Opfer fiel.
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Jakob Scheids Black Box
Die Ausstellung an der Berliner
Humboldt-Universität erinnerte an beide Automaten. Ihr Kernstück war die so
genannte "Black Box": Sie enthält einen Nachbau der Sprechmaschine nach den
Anweisungen von Kempelens und einen Greifarm mit magnetischem Schachspiel, der
die Funktionsweise des Türken imitiert. Gebaut wurden beide von dem Österreicher
Jakob Scheid, der die Maschinen bei der gut besuchten Eröffnungsveranstaltung
vorführte. Dabei wurde der Mechanismus des Türken mit interessierter, aber
ruhiger Neugier aufgenommen, während das geseufzte "Mama" und "Papa" der
Sprechmaschine für Heiterkeit sorgte.
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Der Greifarm des Türken
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Utensilien im Inneren der Black Box
Außerdem zeigte die von der
Historikerin Anita Hermannstädter betreute und von Ernst Strouhal und Brigitte
Felderer konzipierte Ausstellung Exponate zur Geschichte des Türken und zu den
Versuchen der Menschen, Maschinen zu schaffen, die sprechen können. Wie Anita
Hermannstädter erklärte, "knüpft die Ausstellung an die Tradition der
Salonexperimente im 18. Jahrhundert an und steht mit dem Versuch,
wissenschaftliche Erkenntnis öffentlich zu machen, in der Tradition besten
akademischen Denkens".
Der 36-Seiten starke, als
Leporello aufwendig gestaltete Katalog zur Ausstellung stammt von Brigitte
Felderer und Ernst Strouhal (Brigitte Felderer, Ernst Strouhal: Kempelen -
Zwei Maschinen, Sonderzahl Verlag Wien 2004, €29,00). Der Katalog umreißt
noch einmal Geschichte und Funktionsweise des Türken und der Sprechmaschine,
skizziert das Leben Kempelens und verweist auf die kulturgeschichtliche
Bedeutung der beiden Automaten. Er bildet ein angenehmes Korrektiv zur Phantasie
des Romanautors Löhr und illustriert die anhaltende Faszination, die von
Sprechmaschine und Schachautomaten ausgeht.
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Die Hauptperson: Der erste Schachautomat der Welt
Links:
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