Der schönste Schachklub der Welt

von André Schulz
26.03.2021 – Der Moskauer Zentralschachklub ist der schönste Schachklub der Welt. Das Haus am Gogolevsky Boulevard hat eine lange Geschichte und eine noch längere Vorgeschichte, die einen tiefen Blick in die Gesellschaft des vorrevolutionären Russlands bietet. |Foto: Admagazin.ru

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Der Zentralschachklub in Moskau ist wohl der schönste Schachklub der Welt. Die Klubräume befinden sich in einem altehrwürdigen Gebäude am Gogolevsky Boulevard, (14/1, Moskau), Russland, 119019), dessen Geschichte bis tief ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Viele russische Adels- und Kaufmannsfamilien bewohnten nacheinander das Haus, bevor es nach der russischen Revolution zwangsweise in Staatsbesitz überging.

Das Haus des Zentralschachklubs

Der russische Justizkommissar Nikolai Krylonko machte das Haus dann zu seinem Hauptquartier. Da er auch der Motor der sowjetischen Schachbewegung war, kam mit Krylenko auch das Schach ins Haus. 

 

Die Geschichte des Hauses beginnt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Grundstück am heutigen Gogolevsky Boulevard lag brach, nachdem die Moskowiter 1812 ihre Stadt vor den anrückenden Franzosen selber in Brand gesteckt hatten, um den Franzosen Unterkunft und Verpflegung zu nehmen. 1822 kaufte Katharina Iwanowna Grekowa, die Gattin des Bojaren und Oberleutnants Alexei  Wassiltschikow, das freie Grundstück und ließ dort zwei Häuser bauen.

Der Sohn des Paares Nikolai Wassiltschikow wurde ebenfalls Offizier in der Russischen Armee und als einer der so genannten Dekabristen bekannt, die am 25. Dezember 1825 (nach dem gregorianischen Kalender) in St. Peterburg den Eid auf den neuen Zaren Nikolaus I. verweigerten, um damit gegen die sozialen Zustände im autokratischen Zarenreich, die durch Leibeigenschaft, Willkür und Zensur geprägt waren, zu protestieren. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Nikolai Wassiltschikow erhielt nach kurzer Haft eine Bewährungsstrafe und wurde zu einer Einheit in den Kaukasus verbannt, wo er an den Kriegen gegen die Perser und Türken teilnahm. Außerdem verbannte man ihn aus der russischen Hauptstadt St. Petersburg und den anderen russischen Großstädten. 1830 wurde Nikolai Wassiltschikow mit Auszeichnung aus dem Militärdienst entlassen und durfte 1831 auch wieder nach Moskau zurückkehren.

In den frühen 1830er Jahren verkauften die Familie Wassiltschikow das Anwesen an die Gräfin Jekaterina Zubowa. Sie war mit einem Urenkel des russischen Generals Alexander Suverov (1730-1800) verheiratet. Fürst und Fürstin Zubow ließen das Haus aufwändig umbauen. 1859/1860 wurden die beiden Häuser schließlich zu einem Gebäude zusammengelegt. In den 1860er Jahren lebte hier ein zeitlang Prinz Sergei Obolensky.

1865 wechselte das Gut erneut den Besitzer und gehörte nun der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Alexejew. Eine Neffe des neuen Besitzers war Konstantin Stanislawski (1863-1938), der sich als Theaterregisseur und -theoretiker einen Namen machte. Er war gelegentlicher Besucher des Anwesens. Eigentlich hieß Stanislawski ebenfalls Alexejew mit Familiennamen, nahm aber einen Künstlernamen an, um den Ruf seiner Familie nicht zu gefährden.

Zwanzig Jahre später ging das Gutshaus in den Besitz von Wladimir von Meck über. Er war ein Sohn der Philanthropin und Musikliebhaberin Nadeschda Filaretowna von Meck, die mit dem Komponisten Pjotr Tschaikowski über viele Jahre eine intensive Brieffreundschaft pflegte.

Die Familie von Meck um 1875. Die Baronin Nadeschda Filaretowna sitzt links und hält die jüngste Tochter Ljudmila (Milotschka) im Arm. Der Vater des Mädchens war in Wirklichkeit der links sitzenden Alexander Yolshin, Sekretär des Ehemanns der Baronin, des Ingenieurs Karl von Meck (Mitte mit dunklem Hut). Dies erfuhr Karl von Meck erst viel später durch die zweite Tochter Alexandra, und bekam daraufhin einen Herzinfarkt. Das Ehepaar von Meck hatte 18 Kinder, (zwischen 1848 und 1872), von denen 11 überlebten. Auf dem Foto in der Mitte mit weißem Hut, Wladimir von Meck, einer der Lieblingssöhne der Baronin.

Die Familie von Meck war baltendeutschen Ursprungs und war in Russland als Eisenbahnpioniere und Besitzer von Bahnlinien zu großem Reichtum gekommen. Das Haus befand sich 30 Jahre im Besitz der von Mecks. 1890 starb Wladimir von Meck (Foto: Wladimir von Meck in späteren Jahren) nach langer Krankheit.

1895 wurde das Haus dann an die Familie Falz-Feins verkauft. Die Familie Falz-Feins stammte aus Deutschland und war in Russland ebenfalls als Unternehmer erfolgreich. Unter ihren neuen Besitzer wurde das Haus mit Balkonen ausgestattet und es wurde elektrifiziert. Friedrich Falz-Feins hatte 100 km nördlich der Krim-Insel die anhaltische Kolonie Askanija-Nowa in der Nähe von Cherson gekauft und unterhielt hier eine 65.000 HA große Farm mit einem riesigen Naturschutzgebiet. Vor dem Ersten Weltkrieg hielt er hier Pferde-und Rinderherden und besaß eine halbe Million Schafe. Außerdem züchtete er über 400 Arten von Säugetieren, darunter Antilopen, Bisons, Zebras und Strauße und unternahm wissenschaftliche Forschungen. Nach der Revolution wurden die Familienmitglieder vertrieben oder erschossen.

Schon nach einigen Jahren, 1899, verkauften die Falz-Feins ihr Moskauer Haus wieder. Die neue Besitzerin war die Lyubov Simina, Schwester von Sergej Simin, der 1903 das berühmte Simin-Operntheater gründete. In den 14 Jahren seines Bestehens führte sein Opernhause 120 Opern auf. 1917 wurde es geschlossen, weil es nach der Russischen Revolution kein Publikum für Opern mehr gab. Sergej Simin Schwester war mit dem Opernsänger Nazariy Kapitonov-Raisky verheiratet, der auch Lehrer am Konservatorium war. In dieser Zeit war das Haus der Simins Anlaufpunkt für viele russische Musiker. Die Komponisten Alexander Glasunow, Sergej Tanejew und Sergei Rachmaninow sowie der berühmte Sänger Fjodor Tschaljapin waren häufige Gäste.

Nach der Russischen Revolution wurde das Haus am Prechistensky Boulevard, wie die Straße damals noch hieß - erst 1924 wurde sie nach Nikolai Gogol in Gogelvsky Boulevard umbenannt - verstaatlicht und in mehrere kleinere Wohnungen aufgeteilt. Den früheren Besitzern wurde die Wohnung Nr. 4 als neue Wohnung zugewiesen.

1923 machte das Volkskommissariat für Justiz der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) das Haus zu seinem Sitz. Stellvertretender Volkskommissar war seit 1923 Nikolai Krylenko. 1931 wurde er Erster Volkskommissar Justiz. In seiner Eigenschaft als Generalstaatsanwalt war er für unzählige Todesurteile verantwortlich.  

Krylenko war ein begeisterter und guter Schachspieler und betätigte sich als Organisator von Turnieren und Mannschaftswettkämpfen. Er war der Motor der Popularisierung des Schachs in der Sowjetunion. 1925 organisierte er in Moskau das erste große internationale Schachturnier in der Sowjetunion nach der Revolution. Mit Nikolai Krylenko zog auch schon die Leitung des noch nicht existierenden sowjetischen Schachverbandes in das Haus am Gogolevsky Boulevard ein.

Nikolai Krylenko, 1918 | Fotoquelle Wikipedia, Fotograf unbekannt

Krylenko hatte Emanuel Lasker nach dessen Emigration aus Deutschland nach Moskau geholt, als dann aber auch immer mehr der russischen Schachspieler im Zuge der stalinistischen "Säuberungen" verschwanden, packte Lasker zusammen mit seiner Frau heimlich seine Sachen und verließ Moskau in Richtung New York. Krylenko wurde 1938 verhaftet und nach einem Schauprozess erschossen.

In den späten 1920er diente das Haus am Gogolevsky Boulevard zeitweise auch zur Unterbringung von Kommunisten, die aus ihren Ländern hatten fliehen müssen. 1940 hatte auch die Staatliche Treuhandgesellschaft "Dalstroy" hier ihren Sitz.

1956 wurde das Haus, in dem Schach seit Mitte der 1920er Jahre schon immer eine Rolle gespielt hatte, auf Vorschlag von Wassily Smyslow als Gebäude des Zentralschachclubs bestimmt. Smyslow lebte nebenan in einem Wolkenkratzer auf Barrikadnaya und war mit dem Chefarchitekten von Moskau, Michail Posochin, befreundet, der eine wichtige Rolle spielte.

Fischer und Petrosian spielen Blitz im Zentral-Schachclub, 1958

1980 wurde im Haus auch ein Schachmuseum eingerichtet. Außerdem befindet sich hier die Redaktion des russischen Schachmagazin "64".

Blick ins Schachmuseum

Zu Zeiten der Sowjetunion und auch noch in den Jahren danach waren die Räume des Zentralschachclubs nicht sonderlich gepflegt. Das Haus vermittelte lange einen optischen etwas herunter gekommenen Eindruck, wie er für viele alte Bauten im kommunistischen Russland typisch war. Bei einer "Renovierung" 1980 wurde mehr zerstört als erhalten. 2014 wurde das Gebäude dann aber historische korrekt und aufwändig restauriert und erstrahlt nun in altem Glanz.

Der große Raum, oft als Turniersaal genutzt | Foto: Admagazin.ru

Die Bibliothek | Foto: Admagazin.ru

Nach der Wende gab es einige Versuche von Investoren, das Haus des Zentralschachclubs zu erwerben, um an dieser exquisiten Stelle von Moskau teure Büros oder Wohnungen einzurichten. Doch die Moskauer Schachfreunde widerstanden allen Angeboten und wenn nötig, sprang auch mal ein schachaffiner Oligarch ein, um Abgaben und Steuern zu entrichten, für die der Klub kein Geld hatte.

Der Russische Schachverband nutzt die prächtigen Räume des Zentralschachklubs nun seit vielen Jahren ebenfalls für Turniere, feierliche Empfänge und andere repräsentative Veranstaltungen. 

Der Moskauer Zentralschachklub hat jetzt eine eigene Webseite aufgebaut, auf der auch Schachfreunde, die nicht in Moskau zu Hause sind, den Klub besuchen können.

Webseite des Zentralschachklubs...

Artikel bei Admagazin...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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