Der unterschätzte Weltklassespieler: Geza Maroczy

von André Schulz
03.03.2020 – Geza Maroczy war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einer der weltbesten Spieler, zeitweise vielleicht der beste. Ein geplanter Weltmeisterschaftkampf mit Lasker kam 1906 nicht zustande. Dafür wurden zwei Maroczy-Schüler Weltmeister. In der Würdigung seiner Rolle wurde Maroczy stets unterschätzt. Auch sonst hatte er wenig Glück in seinem langen Leben. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 150sten Mal. | Foto: Cuba News

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Der Ungar Geza Maroczy war zu Anfang des 20. Jahrhundert einer der besten Spieler der Welt. In seiner nachträglich ausgerechneten Weltrangliste sieht der Statistiker Jeff Sonas Maroczy sogar als Nummer eins der Welt zwischen 1904 und 1907. Maroczy verzeichnete in der Tat eine Reihe von glänzenden Turniererfolgen. Er teilte den 3. Platz beim Turnier in Paris 1900, teilte den 1. Platz in München 1900, teilte den 1. Platz in Monte Carlo im gleichen Jahr, wurde Dritter in Monte Carlo 1903, Sieger in Monte Carlo 1904, gewann das Turnier in Ostende 1905, teilte den 1. Platz 1905 in Barmen und wurde Zweiter in Ostende 1906.

Neben Tarrasch sah Emanuel Lasker deshalb vor allem Maroczy als einen würdigen Herausforderer an. Und 1906 verhandelten die beiden Meister dann auch sehr konkret über einen möglichen WM-Kampf.

Beratungspartie: Manhattan Chess Club 1906

Geza Maroczy reiste im Februar 1906 in die USA, ging dort erstmal auf eine Simultantournee und traf Lasker im April 1906 in New York. Man war sich bald über die Rahmenbedingungen eines Wettkampfes um die Weltmeisterschaft einig. Am Abend des 6. April wurde zusammen im Café Boulevard an der 2nd Avenue in Manhattan die Gründung des Rice Chess Clubs gefeiert. Zu den Gästen der Veranstaltung gehörten auch Frank James Marshall and Jose Raul Capablanca. Im Rahmen der Feier verkündeten Lasker und Maroczy dann ihren geplanten WM-Kampf, für den allerdings noch ein Ausrichter gesucht werden musste. Das Match sollte in Europa und den USA stattfinden. Als Preisbörse waren 2000 USD geplant, die komplett an den Sieger fallen sollten. Für das Schiedsgericht wurden schon mal die Herren Isaac L. Rice, Ponce, Aristides Martinez, Rothschild und von Trebitsch berufen. Beide Spieler sollten als "Reuegeld", eine Garantiesumme im Fall eines Rückzuges, 500 Dollar hinterlegen. Maroczy wollte sich um die Organisation des Wettkampfteils in Europa kümmern, Lasker übernahm die gleiche Aufgabe für den anderen Wettkampfteil in den USA.

Maroczy gibt ein Simultan

Maroczy reiste dann früher als geplant aus den USA ab, um noch am Turnier in Ostende 1906 teilnehmen zu können. Während Lasker sein Reugeld termingerecht hinterlegte, versäumte Maroczy dies, kündigte aber die baldige Einlage an. Lasker erhielt dann Ende Juni 1906 einen Brief vom Wiener Schachclub, der seine Bereitschaft erklärte, den Wettkampf auszurichten, allerdings nur den ganzen Wettkampf. Lasker war damit im Prinzip einverstanden, mit einigen Details der Wettkampfbedingungen aber nicht. Während Lasker mit dem Wiener Schachclub verhandelte, war Maroczy abgetaucht. Im September 1906 meldete Maroczy sich dann und erklärte gegenüber dem Wiener Schachclub, dass er den Wettkampf 1906 nicht spielen könne. Er wäre bereit, im nächsten Jahr zu spielen. Wenn Lasker darauf bestünde würde er ihm das Reuegeld zahlen. Lasker bestand nicht darauf.

Kurz nach der Absage von Maroczy, am 12. September 1906, forderte dann erst einmal Marshall den Weltmeister heraus. Der Wettkampf zwischen Lasker und Marshall fand Anfang 1907 statt und ging für Marshall denkbar schlecht aus. Von 15 Partien gewann Lasker acht, Marshall keine.

Maroczy erklärte seine Absage später damit, dass Lasker mit den angebotenen Bedingungen des Wiener Schachclubs nicht einverstanden war. Lasker vermutete indes, dass Maroczy die Garantiesumme nicht aufbringen konnte.

Geza Maroczy wurde am 3. März 1870 in Szeged geboren. Sein Geburtstag jährt sich heute also zum 150sten Mal. Seine Turnierkarriere begann 1894. 1895 nahm am Hauptturnier in Hastings teil. Aus dem gleichen Jahr sind eine Reihe von Matchpartien gegen den so früh verstorbenen ungarischen Meister Rudolf Charousek überliefert, in denen Maroczy die Oberhand behielt. Zudem spielte Geza Maroczy Fernschach.

 

 

 

 

1896 nahm Maroczy dann am Internationalen Meisterturnier in Nürnberg teil und belegte hier schon den zweiten Platz hinter Emanuel Lasker und vor der gesamten übrigen Weltelite jener Zeit - Tarrasch, Pillsbury, Janowsky, oder Steinitz, um nur einige zu nennen. Maroczy gehörte nun zum regelmäßigen Inventar der Topturniere jener Zeit und schlug sich glänzend.

1908 zog sich Maroczy, mit 38 Jahren nicht mehr der allerjüngste, vom Turnierschach zurück und nahm eine Stellung als Rechnungsprüfer in der Verwaltung an. 1911 beteiligte er sich noch am berühmten Turnier in San Sebastian, allerdings ohne großen Erfolg.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kam es in Ungarn im März 1919 zu einer kommunistischen Revolution. Eine ungarisch-sowjetische Republik wurde ausgerufen, die allerdings nur 133 Tage existierte. Maroczy verlor im Zuge der Unruhen seine Anstellung und kehrte notgedrungen zum Turnierschach zurück. Auf der Suche nach einigermaßen gesicherten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen hielt Maroczy hielt sich zeitweise in den Niederlanden - eines der wenigen Länder, die nicht finanziell und wirtschaftlich durch den Krieg völlig ruiniert waren, da am Krieg nicht beteiligt -, in den USA und in England auf.

Marozcy, links, im Kreis berühmter Kollegen

In den Niederlanden wurde kein Geringerer als Max Euwe Maroczys Schüler.

 

Was Maroczy durch die Umstände nicht gelang - Weltmeister zu werden - vollbrachte später sein Schüler Euwe. Und Maroczy, immerhin schon 65 Jahre alt, war im Wettkampf gegen Aljechin 1935 Euwes Sekundant. Und noch eine Maroczy-Schülerin wurde oder war Weltmeisterin. In seiner Zeit in England trainierte Geza Maroczy regelmäßig auch mit Vera Menchik. Nach einem siebenjährigen Exil kehrte er nach Ungarn zurück.

 

Maroczy hatte nach dem Ersten Weltkrieg seinen Zenit wohl überschritten, aber er nahm nach 1920 weiter regelmäßig an Turnieren teil und spielte dort mit den nachfolgenden Spielern durchaus auf Augenhöhe mit. Und er war auch noch stark genug, um Ungarn bei den Schacholympiaden in London 1927, in Hamburg 1930, in Folkstone 1933 und in München 1936 (nicht anerkannt) zu vertreten. Auch bei den ungarischen Landesmeisterschaften 1932 nahm Maroczy teil.

Geza Maroczy | Foto: Wikipedia

 

1931 beim Turnier in Bled führte ein Streit mit Aaron Nimzowitsch fast zu einer möglicherweise tödlichen Auseinandersetzung. Infolge des Streits forderte Maroczy, ansonsten ein überaus friedlicher Mensch, Nimzowitsch zu einem Pistolenduell heraus. Solche Duelle waren in der k.u.k- Monarchie Österreich-Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg zur Beilegung von Streitfällen durchaus üblich gewesen. Nach dem Krieg ging man aber mehr und mehr zu anderen Lösungsansätzen über.

Nimzowitsch lehnte das Angebot ab, worauf sich Maroczy als moralischer Sieger fühlte. Hans Kmoch, Zeuge der Auseinandersetzung, vermutete, dass der friedliche Maroczy sonst auch nicht gewusst hätte, aus welchem Ende der Pistole die Kugel kommt. Das Duell am Brett hatte Nimzowitsch mit 1,5:0,5 gewonnen.

 

In den 1940er Jahren musst Geza Maroczy einen weiteren Weltkrieg und eine radikale Änderung der politischen Bedingungen in seiner Heimat Ungarn miterleben. Maroczy durchlebte in Budapest eine schwere Zeit. Es herrschte Hungersnot und die Menschen mussten die Tage und Nächte oft in Schutzräumen verbringen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm Maroczy, nun schon über 75 Jahre alt, zusammen mit seiner Frau den Versuch, in die Niederlande oder in die USA zu emigrieren, aber ohne Erfolg. Aus dem Jahr 1947 sind noch zwei Partien überliefert, die Maroczy bei einem Turnier in Baarn (Niederlande) spielte. Maroczy kehrte mit seiner Frau nach Ungarn zurück. Am 30. Mai 1951 starb er in Budapest, 81-jährig.

Maroczys Grab | Foto: Dr. Varga

Nach seinem Tod sorgte Geza Maroczy ungewollt noch einmal für Schlagzeilen. Dr. Wolfgang Eisenbeiss, Schachenthusiast und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Parapsychologie, arrangierte nämlich eine Fernpartie zwischen Vikor Kortschnoj und dem toten Geza Maroczy. Die Verbindung wurde mittels des Mediums Robert Rollans hergestellt. Kortschnoj, der sich für das Experiment zur Verfügung gestellt hatte, hatte sich Capablanca, Keres oder Maroczy als Gegner gewünscht. Capablanca und Keres waren im Jenseits aber nicht erreichbar. Maroczy offenbar schon.

Die Partie begann am 15. Juni 1985 und wurde vom Medium auf einem Papier niedergeschrieben. Erst gab Kortschnoj seinen Zug an, der auch auf einem Brett ausgeführt wurde, dann verfiel das Medium in Trance und schrieb dann den Antwortzug von Maroczy auf und führte sie auf dem Brett aus. Die Partie wurde nicht in einem Rutsch gespielt, sondern mit längeren Unterbrechungen und endete 1991. Die Notation ist überliefert.

 

 

Bericht: Maroczy vs Kortschnoj...

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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