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Das Geschehen beim außerordentlichen Bundeskongress in Neuwied ist schnell erzählt: Dem Präsidium des Deutschen Schachbundes gelingt der Befreiungsschlag nach der Übernahme der Verantwortung im Vorjahr nicht. Zwar bekommt der deutsche Spitzenverband die erhofften zusätzlichen finanziellen Mittel, aber das war äußerst knapp (117 zu 106 Stimmen) und lag vermutlich nur an Wortbeiträgen von anderen Delegierten außerhalb des Präsidiums.
Die Delegierten hatten zwar im Vorjahr einer Erhöhung von drei Euro je Vollzahler nur für ein Jahr zugestimmt, aber jedem Teilnehmer am letzten Bundeskongress in 2023 war klar, dass dieses finanzielle Aufstocken dauerhaft kommen würde. Schachbund und Deutsche Schachjugend wollten für die Zukunft noch mehr Geld. Diesmal hieß es eigentlich, "haste mal einen Euro". Das Präsidium von Ingrid Lauterbach via Vize-Präsident Axel Viereck argumentierte eher ungeschickt und zeichnete das Schreckgespenst eines Bundeshaushaltes mit zehn Euro an die Wand. Eine faktisch nicht existente Alternative.
Sogar ein der Beitragserhöhung zugeneigter Vertreter, Paul Meyer-Dunker, zeigte sich irritiert über den Vortrag des Präsidiums: „Ich finde es ein bisschen schade, weil es im Präsidium nicht so perfekt gelungen ist, darzustellen, was eigentlich passiert ist...“
Meyer-Dunker ist Präsident des Berliner Schachverbandes und war bis Ende 2023 Mitarbeiter beim Deutschen Schachbund. Er ist zufrieden mit dem Schritt, den DSB verlassen zu haben, will aber über die Hintergründe nicht sprechen. Vor dem Kongress bereits hat sich Meyer-Dunker für eine Beitragserhöhung auf vierzehn Euro ausgesprochen. Vor allem im Leistungssport und bei einem Schulprojekt wirken sich die 2023 eingeleiteten Kürzungen negativ aus, so der Berliner. Neben Meyer-Dunker war es vor allem der Fürsprache von Ehrenpräsident Herbert Bastian zu verdanken, dass die Beitragserhöhung letztlich bei vier Euro landete, also von zehn auf vierzehn Euro erfolgte. Meyer Dunker via X, vormals Twitter zur Beitragsanhebung: „Das ist wichtig, um wenigstens etwas Luft zum Atmen zu bekommen, aber noch lange nicht der große Wurf.“
Glücklos agierte das Präsidium ebenfalls mit der geplanten Ehrung eines IT-Teams. Manche Delegierte fühlten sich überrumpelt und so kamen nicht genügend Stimmen zusammen – drei Viertel sind notwendig, um eine Goldene Ehrennadel zu vergeben. Potentiell Geehrte und Präsidium waren die Verlierer der Abstimmungsniederlage.
Deutscher Schachbund: Ergebnisse des Außerordentlichen Bundeskongresses...
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Manche erfahrene, meinungsstarke Delegierte schätzen künftige Ereignisse gut ein. Einen dieser alten Hasen sprach ich in norddeutscher Runde. Mit Michael S. Langer (MSL) ging es am Abend vor dem Kongress um einen überraschenden Geldseegen für den niedersächsischen Schachverband, die Finanzen des deutschen Schachbundes (DSB) und seine Marketinghoffnungen in der neuen Bundesligasaison. Beim Italiener kam heraus, Langer mag keine Tomaten und das S. steht für Sebastian, aber MSL ist natürlich cooler.
TC: Michael, Ihr habt letztes Jahr viel Geld geerbt. Was ist dabei konkret herausgekommen?
MSL: Ein Aktiendepot, Gold und diverse Geldbestände auf den Konten und eine Eigentumswohnung, die wir verkauft haben. Hinzu kam ein Auto und eine Garage. Das Auto mussten wir suchen. Es handelte sich um einen zwölf Jahre alten Skoda.
TC: Kannst du die Größenordnung eurer Erbschaft nennen?
MSL: Etwa eine halbe Million Euro.
TC: Das heißt, ihr seid reich.
MSL: Naja, was man so reich nennt. [Zögert kurz] Ja.
TC: Kommen wir weg von euren tollen Finanzen zum Deutschen Schachbund. Da gab es letztes Jahr Krise und ein neues Präsidium. Wie zufrieden seid ihr damit was der DSB bisher auf die Beine gestellt hat?
MSL: Ich erlebe sie kaum. Ein großer Teil der Arbeit findet weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Kongress, bei dem wir uns jetzt hier treffen, ist aus meiner Sicht einer der am schlechtesten vorbereiteten Kongresse, seit ich dabei bin.
TC: Das Präsidium möchte gerne eine Beitragserhöhung. Wie steht Niedersachsen dazu?
MSL: Niedersachsen wird dagegen stimmen. Weil wir glauben, dass die 13 Euro [Anmerkung TC: pro vollzahlendes Mitglied der Vereine], die im letzten Jahr schon eingesammelt wurden, bei vernünftiger Finanzplanung komplett ausreichend sind. Ich glaube, es ginge sogar mit weniger. Die 13 Euro haben wir mittlerweile akzeptiert. Eine weitere Erhöhung gehen wir nicht mit. Und der Schachbund braucht sie auch nicht.
TC: Du bist neuerdings mit der Schachbundesliga verbandelt. Was ist deine Aufgabe?
MSL: Ich berate frei in Marketingangelegenheiten und versuche, Gesprächspartner zusammenzuführen, die der Bundesliga von Nutzen sein können. Ich habe kein gewähltes Amt, sondern ich bin ganz bewusst nur Berater der Bundesliga.
TC: Und was rätst du?
MSL: Wir sollten versuchen den Aufstieg von Düsseldorf zu nutzen und rund um den wahrscheinlichen Dreikampf von Viernheim, Baden und Düsseldorf spannende Sachen zu machen. Eine zentrale Veranstaltung idealerweise mit Düsseldorf als Ausrichter.
TC: Viel Erfolg dabei. Der Deutsche Schachbund ist nicht in der Lage, neue Sponsoren aufzutreiben. Liegt das an den Personen oder ist Schach gar nicht attraktiv?
MSL: Der Niedersächsische Verband wird durch Stiftungen gefördert, hat Sponsoren. Einfach ist es nicht. Man muss sich kümmern. Was man dafür nicht braucht, ist eine eigene Planstelle, die wieder Personalkosten verschlingt, sondern man kann sich die Expertise von Fundraisern kaufen. Dann zahlt man ein niedriges Grundsalär für einen Auftrag. Und wenn man dann der Dienstleister erfolgreich war, beteiligt man diesen fürstlich. Das lohnt sich, aber dem Modell hat man sich bisher nicht zugewandt.
Anders als Langer sind die Vertreter der Deutschen Schachjugend für eine weitere Beitragserhöhung. Ein Gespräch mit Finn Petersen und Leonid Löw über die Deutsche Schachjugend als Ideenschmiede, den aktuellen Boom, wie lange man Jugendlicher ist und über die verbesserte Zusammenarbeit zwischen DSJ und DSB. Finn Petersen ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Schachjugend und kümmert sich ohne konkrete Aufgabenbeschreibung um alles, aber auch um nichts. IT, Weiterentwicklung und Themen wie Finanzen, DSB, Politik, aber auch um das Leiten der Deutschen Meisterschaft. Leonid Löw ist Vollzeit in der Geschäftsstelle tätig und zuständig für Finanzen, Veranstaltungen, für Bundesfreiwilligendienst und ehrenamtlich für die IT aktiv.
TC: Wann kommt der Boom?
Leonid: Ich würde behaupten, wir haben den Boom schon. Also im Jugendbereich sehen wir im letzten Jahr fast 20 Prozent mehr Mitglieder als vorher. Es ist vielleicht nicht ganz so am Leistungssport orientiert, wie wir es jetzt in Indien sehen, wo die jungen Großmeister als Stars gefeiert werden. Das haben wir in Deutschland so konkret nicht. Aber ich glaube aktuell sind wir auf einem sehr guten Weg. Für uns ist wichtig, dass in der Breite alle Vereine die Möglichkeit haben zu bestehen und aktive Jugendarbeit zu machen. Es ist uns ein Anliegen, dass sozusagen jeder mitmacht und jeder an dem Boom teilhaben kann.
Finn: Als Schachjugend ist uns wichtig, Leute zu qualifizieren, die dann als Multiplikatoren tätig werden. Wir müssen uns anschauen, wo unsere Schachspieler unterwegs sind bzw. wo sie herkommen aktuell. Wir sehen einen großen Mitgliederboom. Dieser wird vermutlich auf das Thema Online-Schach zurückgehen, der mit der Netflix-Serie „Queens Gambit“ zusammenhängt. Für uns gilt: Wir müssen die Leute im Internet abholen, wo sie anscheinend momentan zu finden sind, aber nicht nur da. Wir haben ein großes Projekt aufgelegt, um in die Öffentlichkeit zu gehen und Werbung für Schach zu machen. „64 in Bewegung“. Da unterstützen wir 64 Vereine bei öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen. Es geht darum, Sport und Schach zu verbinden. Wirklich jeder Verein oder jeder Verband kann sich bewerben und 500 Euro Zuschuss von uns bekommen. Das ist auf jeden Fall eine ganz tolle Sache. Außerdem schauen wir wo sind die Bereiche, bei denen wir vielleicht Mitglieder in der Zukunft gewinnen können, zum Beispiel bei den Hochschulen. Da sehen wir noch viel Potenzial nach oben. [TC: Das Geld dafür stammt von der Deutschen Sportjugend und Leonid Löw hat es erfolgreich für die DSJ eingeworben.]
TC: Wie lange ist ein Jugendlicher ein Jugendlicher?
Finn: Das ist eine spannende Frage. In unserem Selbstverständnis fühlen wir uns zuständig für Spieler bis 27. Das ist die Leitlinie des Deutschen Olympischen Sportbundes der Deutschen Sportjugend. Das ist also U27. Unser Kernbereich ist natürlich U20. Das ist bei anderen Themen wie zum Beispiel Mitgliedsbeiträgen relevant. Aber das ist so ein Übergangsbereich. Und natürlich sind wir dafür nicht alleine zuständig. Das möchte ich gar nicht für uns proklamieren. Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir als Deutsche Schachjugend und Deutscher Schachbund zusammenarbeiten und gemeinsam bearbeiten. Wir haben andere Herangehensweisen, andere Ideen und andere Möglichkeiten. Und deswegen ist diese Übergangsbereich für uns alle relevant, also egal ob Jugend- oder Erwachsenenverband.
TC: In der Vergangenheit, vor allem im letzten Jahr, gab es viel Unmut auf beiden Seiten. Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Schachbund inzwischen?
Finn: Das ist eine politische Frage. Da kann man immer schön aufs Glatteis geraten und auch mal was Falsches sagen.
TC: Darum stelle ich sie.
Finn: Das ist auch, glaube ich, deine Aufgabe. Es ist vieles besser geworden. Perfekt ist es nicht. Da glaube ich, muss ich kein Blatt vor den Mund nehmen. Auf der Ebene, also auf der inhaltlichen Ebene, zum Beispiel auf der Referentenebene funktioniert es immer ganz gut: Zusammenarbeit ist sehr von den Personen abhängig, die jetzt bei DSB und bei der DSJ sind. Zum Beispiel machen wir gemeinsam einen nationalen Schiedsrichterlehrgang bei der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft in Willingen im Rahmen unserer Ausbildungsoffensive. Wir haben viele Berührungspunkte im Bereich Finanzen. Es gibt eine ungeklärte Sache aus dem Jahr 22, es ist fast schon eine Altlast, also etwas länger her. Ansonsten kommen wir häufig überein. Im Dezember haben wir gemeinsam die Projektmittel, also Zuschussmittel heißen sie eigentlich, abgeschafft. Das ist ein gemeinsamer Erfolg. Den würde ich beiden Organisationen auf die Fahne schreiben. Jetzt stellen wir einen gemeinsam Beitragsantrag. Zusammenfassend kann ich sagen: wir sind auf einem guten Weg.
Deutsche Jugendeinzelmeisterschaften: Einzelturnier in Willingen, 18. – 26.05.2024...
Bei Kongressen des deutschen Schachbundes trifft man interessante Gesprächspartner. So sitze ich zufällig während des gesamten Kongresses neben Klaus Deventer, der war Mitte der 90er-Jahre mein erster Vorsitzender bei der Deutschen Schachjugend. Ich erwische Klaus wie er während des Kongresses die Perlenseite aufruft. Er meint, jeder lese die Artikel, aber nicht jeder finde sie gut. Diplomatisch formuliert. Klaus Deventer ist Anti-Cheating Officer des Deutschen Schachbundes und Mitglied der „Fair Play Commission“(FPC) des Weltschachbundes FIDE.
Einige Fragen an ihn drängen sich auf: Warum benötigt die Schachszene „Anti-Cheating-Experten“ – ist es nicht die originäre Aufgabe von Schiedsrichtern Betrug entgegenzuwirken? Manchmal wirken die Prüfungen auf mich überzogen und die Folgen zu drastisch – ich habe einen Fall einer Inderin in Erinnerung, bei der eine Kontrolle Earpads zutage brachten. Sie büßte praktisch den WM-Titel ein, obwohl ihr niemand Betrug unterstellte. Kurz nach dem Schachdrama: Ein Report zum Fall Carlsen gegen Niemann, an dem Deventer mitgearbeitet hatte, blieb unveröffentlicht.
Klaus Deventer beantwortet meine ersten Fragen so: Es gäbe unterschiedliche Philosophien. Er sei tatsächlich der Meinung, dass vieles dafür spreche dass Schiedsrichteraufgaben und die Aufgaben eines Betrugsbeauftragten ein Stück weit zusammengehören. Bei der FIDE sei es so, dass man kein Schiedsrichter sein muss, um Anti Cheating Beauftragter zu werden. Die Mitglieder der FPC seien zum Beispiel Spieler, Organisatoren, Mathematiker und natürlich Schiedsrichter.
Deventer glaubt, eine Null-Toleranz-Politik sei alternativlos, da jeder Einzelfall von Cheating bekämpft werden muss. Jede Untersuchung habe ein Ergebnis. Man finde etwas oder nicht. Falls ja, wird ein Verfahren eingeleitet. Falls jemand einen Computer laufen lässt, ist die FIDE aufgefordert zu reagieren. Passiert das auf einer Onlineplattform, die nicht von der FIDE betrieben wird, allerdings nicht.
Manchmal erreichen Deventer Anfragen von Spielern, die sich über den Tisch gezogen fühlen bei Onlinepartien. Der Deutsche Schachbund sei nur bei eigenen Veranstaltungen zuständig. Klingt einfach. Aber wie hoch sind die Strafen falls bei Routinekontrollen, Earpads oder Handys gefunden werden? Für den Juristen Deventer ist die Sache klar, falls man irgendwas entdecke, dann gibt es keine Diskussion mehr und ein Regelwerk. Wird ein Handy gefunden, dann verliert der Spieler die Partie. Das steht in den Regeln. Gibt es ansonsten keine Anhaltspunkte, dass der Spieler zugleich betrogen hat oder betrügen wollte, dann bleibt es nur bei der Null. Bei der FIDE wird ein Bericht gemacht, an die Ethikkommission weitergeleitet und die entscheidet letztlich darüber. Zudem kommen Verletzungen gegen das „Fairplay“ in Betracht. Das Thema sei etwas sperrig und eine Sperre von maximal drei Monaten könne folgen. Drastischere Strafen seien je nach Schwere der Schuld ebenfalls denkbar.
Meinen sprachlichen Einwand, „Cheating“ klinge für mich eher wie ein Kavaliersdelikt räumt Deventer ab: Cheating sei ein harter Vorwurf, in Deutschland spreche man landläufig von Betrug im strafrechtlichen Sinne sei das allerdings kein Betrug, so der Jurist. [TC: Ich finde für Partien am Brett das englische Wort „fraud“ geeigneter. Aber das ist in der Tat wohl eher ein Übersetzungsproblem.]
Bleibt noch ein anderer Aspekt, andersrum sozusagen: Mit Vladmir Kramnik sehen wir einen Ex-Weltmeister, der gefühlt nach jeder Online-Niederlage seine Gegner mit einem Verdacht überzieht. Kramnik schade sich selbst am meisten, so Deventer. Spannender ist der Fall Magnus Carlsen gegen Hans Niemann. Da ging es um Betrugsvorwürfe im echten Schach, am Brett. Deventer ist Mitglied der FPC der FIDE. Das Gremium legte am 17. Februar 2023 einen Bericht vor, der an die Ethikkommission weiter geleitet wurde. Der Bericht der FPC wurde nie veröffentlicht. Was stand drin? Deventer könne zum Inhalt nichts sagen, weil der Weltschachbund FIDE allen Beteiligten auferlegt habe Stillschweigen zu bewahren. Obwohl er es selbst geschrieben habe und sich eine Veröffentlichen der Ergebnisse gewünscht hätte. Im Vorfeld hatte die Spitze der FIDE angedacht, nicht nur die Entscheidung der Ethikkommission zu veröffentlichen, sondern auch den Bericht. Letztlich sei es anders gekommen. Magnus Carlsen wurde bestraft weil er sich während des Turniers zurückgezogen hat. Ob es eine Lex Carlsen gab, so meine starke Vermutung, darüber will Deventer nicht spekulieren.
UPDATE: Fair Play Commission on the Carlsen/Niemann Report...
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