Am 28. und 29. März 2021 führten Viktoria Hauk von der Hessischen Schachjugend und Ulrike Pfadenhauer von der Bayerischen Schachjugend in der Geschäftsstelle in Berlin eine Kassenprüfung für das Budget der DSJ im Kalenderjahr 2020 durch. Malte Ibs, 1. Vorsitzender der Deutschen Schachjugend, Rafael Müdder, Finanzreferent und Astrid Hohl, Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle, waren bei der Prüfung anwesend.
Der nachfolgende "Kassenprüfbericht zur Budgetauswertung der Deutschen Schachjugend für das Kalenderjahr 2020" sorgte für reichlich Diskussionsstoff. Die Kassenprüferinnen stellten zahlreiche formale und inhaltliche Unstimmigkeiten fest und legten diese und auch organisatorische Mängel in ihrem detaillierten Bericht dar.
Gemäß dem Bericht gab es Unzulänglichkeiten im Umgang mit Fördermitteln der Deutschen Sportjugend. Anträge wurden zu spät eingereicht. Bei der Reservierung von Räumlichkeiten und Zimmer für Veranstaltungen wurde Anmeldefristen und Stornofristen nicht eingehalten, so dass zusätzlich Kosten anfielen. Der Umgang mit der Barkasse der DSJ wurde und wird schon seit Jahren von den Aufsichtsgremien kritisiert und war schon früher mehrfach Gegenstand der Diskussion bei verschiedenen Bundeskongressen.
In ihrem Bericht vermerken die Kassenprüferinnen eine Reihe von weiteren Punkten, die aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäß verbucht wurde und wollen zum Abschluss ihres Bericht die Entlastung des 1. Vorsitzenden und des Referenten für Finanzen nicht empfehlen:
"Entlastung des Vorstandes
Die Kassenprüferinnen beantragen die Vorstandsmitglieder einzeln zu entlasten und nicht en bloc. Aufgrund des von uns verfassten Berichts kann die Entlastung des 1. Vorsitzenden Malte Ibs sowie die Entlastung des Referenten für Finanzen Rafael Müdder nicht empfohlen werden."
Natürlich hatte die Deutsche Schachjugend ein überaus schwieriges Jahr hinter sich. Nach ihrer Gründung 1970 hätte eigentlich das 50-jährige Jubiläum gefeiert werden sollen. Stattdessen hat die weltweite Corona-Pandemie auch die Arbeit der DSJ hart getroffen. Hinzu kommen der lang andauernde Konflikt mit der Führung des Schachbundes und der schwierige Prozess der Umgründung in einen eingetragenen Verein, die Deutsche Schachjugend e.V.
Jörg Schulz wurde im Zuge dieses Konfliktes schon im November 2019 als Geschäftsführer entlassen. Er war "Mr. DSJ", hatte die Schachjugend über Jahrzehnte geleitet und hielt die Fäden in der Hand. In ihrer ebenfalls ausführlichen Stellungnahme zum Kassenprüfbericht verweisen Malte Ibs und Raffael Müdder auf die Verzögerungen der organisatorischen Abläufe, die zum Beispiel durch das "vom DSB auferlegte Kontaktverbot zwischen Jörg Schulz und den für die DSJ zuständigen Angestellten des DSB in der Geschäftsstelle" entstanden seien, da der Austausch immer über den ehrenamtlichen Vorstand gestaltet werden musste.
Wie auch immer die aufgeführten Kritikpunkte im Kassenbericht im Einzelnen zu bewerten sind. Der Bericht warf als Ganzes kein günstiges Licht auf die Arbeit des Vorstandes. Allerdings gärte es schon seit längerem in einigen Jugendlandesverbänden.
Im Zuge der Diskussion um die Situation in der Schachjugend verkündeten der frühere Präsident des Schachverbandes von Mecklenburg-Vorpommern, Niklas Rickmann, und Markus Semmel-Michl, der schon lange in der DSJ aktiv ist, ihre Kandidatur für die Ämter des 1. Vorsitzenden und des Finanzreferenten.
In einem kurzen gemeinsamen Bewerbungsschreiben erklärten sie:
"Der vorgelegte Kassenprüfbericht 2020 und die damit verbundene Stellungnahme
alarmierten viele Begleiter des Deutschen Jugendschachs und lassen sie sorgenvoll auf den
weiteren Weg der Jugendorganisation blicken. Auch die Auseinandersetzung mit der Personalie Jörg Schulz bestimmte die vergangene Zeit. Klar ist, dass der geschlossene Kompromiss, die Einarbeitung der Angestellten der Geschäftsstelle durch das enorme Fachwissen von Jörg, beibehalten werden muss.
Markus Semmel-Michl und ich möchten Euch daher zur anstehenden Wahl des 1. Vorsitzenden und des Finanzreferenten ein Angebot unterbreiten und für eine Veränderung antreten. Neben den vielen tollen Projekten der Schachjugend stehen wir für drei zentrale Punkte:
1. Ruhe in unsere Jugendorganisation hineinbringen
2. Brücken bauen und Gräben zuschütten
3. Deutlich mehr Transparenz entfalten"
Niklas Rickmann und Markus Semmel-Michl sprachen auch die Entfremdung einzelner Jugendlandesverbände im Verhältnis zur DSJ an.
Tatsächlich war im Verlauf des Jahres 2000 innerhalb der Deutschen Schachjugend, in einigen Landesverbänden, Unzufriedenheit über den Prozess der Umgründung entstanden. Der Weg, die Deutsche Schachjugend, in einen eingetragenen Verein umzuwandeln, und die Art und Weise, wie der Plan umgesetzt wurde, stießen nicht in allen Jugendlandesverbänden gleichermaßen auf Zustimmung. Über mangelnde Transparenz bei den Entscheidungsprozessen wurde ebenfalls geklagt. Aus einem der größeren Landesverbände wurde aus diesem Grunde die Frage an Niklas Rickmann herangetragen, ob er sich nicht als Kandidat für das Amt des Vorsitzenden zur Wahl stellen möchte. In einigen Jugendlandesverbänden hatte man sogar daran gedacht, das amtierende Präsidium abzuwählen, notfalls auch ohne Gegenkandidaten.
So kam es also bei der Jugendversammlung der DSJ am vergangenen Wochenende (7.-9. Mai 2021), die online durchgeführt wurde, nach einer offenbar zeitweise auch hitzig geführten Diskussion zu einer Kampfabstimmung zwischen Malte Ibs und Niklas Rickmann um das Amt des Vorsitzenden.
Die Delegierten der Jugendverbände waren zwiegespalten. Während die eine Hälfte der Meinung war, Malte Ibs könne die DSJ als Vorsitzender auch weiterhin gut führen, stimmte die andere Hälfte für eine Erneuerung. Das Abstimmungsergebnis war denkbar knapp.
Von 260 abgegebenen Stimmen erhielt Niklas Rickmann 131 Stimmen und Malte Ibs 129 Stimmen.
Die DSJ hat also nun einen neuen Vorsitzenden, Niklas Rickmann. Am Sonntag gab es weitere Wahlen. Die Ergebnisse werden sicher in Kürze auf der DSJ-Webseite zu finden sein.
Niklas Rickmann will nun vor allem Ruhe in die Deutsche Schachjugend bringen. Im Dialog mit den Jugendlandesverbänden möchte er die im Zuge der Umgründung aufgerissenen Gräben überbrücken. Der neue Vorsitzende will auch den Konflikt mit dem Deutschen Schachbund befrieden, um mit dem Dachverband wieder auf Augenhöhe konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ein weiteres großes Arbeitsgebiet sieht Rickmann aber auch in der Verarbeitung und Neuausrichtung der Deutschen Schachjugend für die Nach-Corona-Zeit: "Wir wissen noch gar nicht, was da auf uns zukommt. Die Corona-Zeit hat weitreichende Veränderungen im Schachleben mit sich gebracht, Präsenzschach war nicht möglich. Vielleicht müssen wir in unseren Strukturen und in der Organisation des Schachlebens flexibler werden."
Der scheidende Vorsitzende Malte Ibs war sechs Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Schachjugend. Er ist im Elmshorner Schachklub groß geworden und hat sich dort schon als 18-Jähriger als Jugendwart engagiert. Er war schließlich neun Jahre lang Vorsitzender der Schachjugend von Schleswig Holstein und wurde 2012 Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Schachjugend. 2015 wurde er zum Vorsitzenden der DSJ gewählt.
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