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Richard Forster: Festschrift 200 Jahre SG Zürich
Die Schachgesellschaft Zürich ist der älteste noch existierende Schachverein
der Welt. Gegründet wurde sie 1809 von sechs Personen, die die Liebe zum
Schachspiel verband. "1809" - plötzlich ist man mitten in der
Zeit Napoleons angelangt. Eine unruhige Zeit, die durch die viele
Kriege geprägt ist. Mit dem Sieg über Österreich im so genannten Fünften
Koalitionskrieg hatte Napoleon 1809 die Herrschaft über den größten Teils Europa
gewonnen. Die Schweiz ist zu dieser Zeit ein französischer Sattelitenstaat,
des Öfteren Kriegsschauplatz und wird im Zuge der Kampfhandlungen mehrfach
von fremden Truppen besetzt. Keine leichte Zeit also, aber gut genug, um in
Zürich einen Schachklub zu gründen.
Den 200sten Jahrestag der Gründung feiert die SG mit einigen
schönen Schachveranstaltungen. Neben einem hoch dotieren Open werden acht
Weltmeister (eigentlich sieben plus Kortschnoj) ein Simultan geben, und zwar mitten in Zürich,
nämlich im Hauptbahnhof. Am folgenden Tag werden sie im Schnellschach antreten. Außerdem hat die
Schachgesellschaft sich und allen Schachfreunden eine Festschrift geschenkt.
Und diese, von Richard Forster erstellt, ist wirklich überwältigend.
Wie schwer wiegen 200 Jahre? In diesem Fall lässt sich das genau sagen. Es
sind 1,8 Kg. Das ist das physikalische Gewicht der 568 großformatigen Seiten, die nötig waren,
um die wesentlichen Ereignisse der Geschichte der SG Zürich mitzuteilen. 200
Jahre sind eben eine Menge Holz, auch in Papierform. Mit seinem umfangreichen
Buch über Amos Burn und die frühe englische Schachgeschichte hat Richard
Forster - selbst eines der 90 derzeitig aktiven Mitglieder der SG Zürich - bereits
angedeutet, was er unter einer gründlichen Darstellung versteht. Der
Eindruck seiner Festschrift zum SG-Jubiläum ist ähnlich.
Der Inhalt besteht aus vier Teilen. Zu Beginn wird die eigentliche
Geschichte des Klubs vermittelt, dessen Gründungsanstoß wohl vom
Kolonialwarenhändler Johann Escher ausging. Anfangs spielte man noch privaten Brettern, erst 1810 wurden vom Klub Schachspiele angeschafft.
Natürlich liegen die Rechnungen noch vor. Wir sind ja in der Schweiz.
Mitgliedsbeiträge werden zu Anfang nicht erhoben, aber Bußen, die zu zahlen
sind, wenn man
dem Spielabend fernbleibt. Eine ausgezeichnete Idee, die vielleicht gerade
jetzt von Vereinen wieder aufgegriffen werden könnte. Ab 1814 gibt es auch ein
richtiges Spiellokal. In den Zwanziger Jahren des 19.Jh. wächst die Zahl der
Mitglieder auf über 20. Ein Mitgliedsbeitrag wird nun eingeführt und schließlich
kommt es zu ersten Wettkämpfen gegen andere Schachvereinigungen. Am 2.Juni
1822 wird der erste Schachwettkampf in der Schweiz gespielt zwischen der SG
Zürich und der SG Winterthur, auf halbem Weg in Bassersdorf. Dieser verlief
so, dass sechs Züricher und acht Winterthurer an einem Tag ohne besondere
Bedenkzeitregelungen mit wechselnden Gegnern 81 Partien spielten. Natürlich
weiß man noch das Ergebnis: 41:35 für Zürich nach Siegen.
1830 kam Besuch aus Berlin. Die Studenten Wilhelm Hanstein (später Redakteur
der Deutschen Schachzeitung) und Carl Mayet (später Teilnehmer am Turnier
von London 1851 und Präsident der Berliner Schachgesellschaft) schauten
vorbei und fegten mal eben so die Züricher Meister vom Brett. Danach stagnierte die
Entwicklung der SG infolge gesellschaftlicher Veränderungen nach der
französischen Juli-Revolution von 1830. Viele Aufzeichnungen gingen
verloren.1845 wurde die schwächende alte Schachgesellschaft vom Schachverein
zur Waag übernommen, der Namen und die verbliebenen Aktiven der SG übernahm.
Richard Forster hat auch die folgenden Jahre mit schweizerischer
Gründlichkeit auf 125 Seiten dokumentiert. So war wohl einer der Höhepunkte
des 19.Jh. der Besuch des inoffiziellen Weltmeisters Adolf Andersson, der
die meisten Partien gegen die Züricher gewann, allerdings auch eine Niederlage
einstecken musste. Im Laufe der weiteren Geschichte der SG begegnen wir
vielen anderen Großen des Schachs, Persönlichkeiten, deren Wege sich hier
kreuzten.
Der zweite Teil des Buches besteht aus einem Personallexikon, das fast 200
Seiten umfasst und chronologisch-alphabetisch Biografien und schachliche
Leistungen der Schachspieler seit 1809 verzeichnet, die in der Geschichte
der SG Zürich eine Rolle gespielt haben. Neben Gründervätern oder Mitgliedern
der SG Zürich findet man auch zahlreiche Gäste, die sich teils kurz, teils länger in
Zürich aufgehalten haben und dabei in Kontakt zur Schachgesellschaft kamen.
Die Kurzbiographien der teils bekannten, teils weniger bekannten
Schachfreunde spiegeln in liebenswerter Weise nicht nur das Wirken der
jeweiligen Personen wieder, sondern auch die Zeitumstände, unter denen sie
gelebt haben. Wir lernen den Kaufmann Herrmann Bühler kennen, dem das
Kunststück gelang, Emanuel Lasker gleich zweimal beim Simultan zu besiegen.
Hans Fahrni, der erste Schweizer Berufsschachspieler wird vorgestellt. Der
Ungar György Fluss, ein Freund von Aaron Niemzowitsch (meist, auch in der
Festschrift Nimzowitsch geschrieben, aber die Form Niemzo- lässt besser den
Ursprung des Namens erkennen), spielte eine Partie im
Ersten Weltkrieg "auf einem Pfeiler einer gesprengten Brücke bei einem
nördlichen Schlachtfeld".
Prof. Dr. Fritz Haber, Mitentwickler der deutschen
chemischen Kriegsführung im Ersten Weltkrieg, war kurze Zeit Mitglied in der
SG Zürich. Dem Mediziner und SG-Mitglied Nageli gelang sogar einmal ein Sieg
über Ajechin in einer Turnierpartie, womit er neben Kortschnoj der einzige
Schweizer ist, der je einen amtierenden Weltmeisters schlagen konnte.
Aaron Niemzowitsch studierte in Zürich und spielt natürlich auch Schach.
Ebenso der spätere FIDE-Präsident Alexander Rueb. Der Kunstmaler Henry Grob
(1.g4) war nach Fahrni und Paul Johner ein weiterer Schweizer, der den
Schritt ins Profitum wagte und dabei sogar in der Schweiz blieb. Grobs
Bücher, im Eigenverlag erschienen, brachten es auf eine Gesamtauflage von
100.000 Stück! Starke Spieler wie Werner Hug, Beat Züger, Florian Jenni,
Viktor Kortschnoj und viele weitere werden skizziert. Anhand der Biografien
lassen sich 200 Jahre Geschichte eines ganzen Kontinents erkennen.
Der dritte und umfangreichste Teil des Werkes ist der Züricher
Turniergeschichte gewidmet. Das Schweizer Turnierleben beginnt mit dem Jahr
1825. Die Züricher luden zum Turnier nach Baden im Kanton Aargau. Als
Turniersaal fungierte der Gasthof Engel. Eine Reihe weiterer Turnier wurden
vor allem ab den Sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts gespielt und im Jahr
1895 entsteht hier das berühmte Paarungssystem "Schweizer System", das heute auf
allen Open gang und gäbe ist. Richard Forster beschreibt seine
Entstehungsgeschichte en suite.
Am Jubiläumsturnier Zürich 1934 nehmen mit
Bernstein, Euwe, Niemzowitsch, Lasker, Bogoljubov, Aljechin und Flohr
zahlreiche Weltklassespieler teil. Es war eines der best besetzten
internationalen Turniere der Dreißiger Jahre und fand im Kursaal von Zürich
statt. Aljechin siegte vor Euwe und Flohr und die SG als Organisator hielt
die Ereignisse in einem Turnierbuch fest. Die besten Partien sind in der
aktuellen Festschrift noch einmal kommentiert wiedergegeben. Ein weitere
großer Meilenstein der Weltgeschichte der Schachturnier war das
Kandidatenturnier von 1953. Es ist vor allem durch Bronsteins Buch bekannt
geblieben. Forster berichtet viele interessante Details. So betrug der Etat
100.000 CHF, zur Hälfte vom Warenhaus "Jelmoli" getragen. 9000 Zuschauer
sorgten für Einnahmen aus Eintrittskarten in Höhe von 18.000 CHF.
Auch der große Bobby Fischer war in Zürich. Im Juni 1959 wurde anlässlich
des 150sten Jubiläums ein Turnier veranstaltet, wieder im Kongresshaus
Zürich. Der 16-jährige Fischer wurde Dritter hinter Tal und Gligoric. Viele
weitere große Namen reihen sich in der Tabelle ein: Keres, Larsen, Unzicker,
usw. Der große Star war Michail Tal. Er wurde im folgenden Jahr Weltmeister.
Tragischer Held war Edgar Walther aus Zürich. Er stand gegen Fischer auf
Gewinn, verdaddelte die Partie aber zum Remis. Sein Trost: Fischer nahm die
Partie als eine seine "60 erinnerungswürdigen Partien" auf. Den bisherigen
Abschluss der großen Züricher Turnier bilden das Geburtstagsturnier zum
70sten von Viktor Kortschnoj und schließlich den "Chess Champions Day 2006"
zum 150sten Geburtstag der Credit Suisse. Hier spielte Garry Kasparov zum
letzten Mal unter Turnierbedingungen. Der große Mentor, nicht nur des
Schweizer Schachs, Dr. William Wirth, stand nicht nur hier unterstützend zur
Seite.
Eine umfangreiche Chronik, gespickt mit vielen Partien, schließt das Werk
ab.
Richard Forsters Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum der
Schachgesellschaft Zürich ist ein Buch aus einer anderen Zeit. Welcher
Verein auf der Welt könnte überhaupt solch ein Buch mit seiner Geschichte
füllen? Wer würde sie dann aufschreiben? Und wenn, welcher Verein könnte es
sich heute leisten, diese in solch einem Buch zu veröffentlichen?
Wirtschaftliche Gesichtspunkte können bei der Herausgabe keine Rolle
gespielt haben, denn bei einem Preis von 60,- CHF werden sicher nicht einmal
die Produktionskosten eingespielt. So ist das Buch auch nur mit Hilfe
verschiedener Schweizer Stiftungen entstanden. Als Liebe zum Schach und
seiner Geschichte. Nehmen Sie daran teil!
Richard Forster: Schachgesellschaft Zürich 1809 bis 2009
hrsg. von der Schachgesellschaft Zürich, 2009, 568 Seiten, Großformat
60 CHF,-
Zu bestellen bei der SG Zürich (s.u.).
Links:
Bericht zur
Vorstellung der Festschrift...
Ausschnitt aus
dem Buch bei der SG Zürich...