Die Geschichte der Schacholympiade – Massensportveranstaltung Schacholympiade (1992 – 2000)

von ChessBase
25.09.2008 – Mit dem achten Teil seines Überblicks über die Geschichte der Schacholympiaden nähert sich Frank Große mit Riesenschritten der Jetztzeit. In Manila 1992 trat erstmals nicht mehr eine übermächtige UdSSR-Mannschaft an, sondern zahlreiche übermächtige Mannschaften der früheren UdSSR-Staaten. Russland, mit Kasparov und dem ganz jungen Kramnik, gewann. Deutschland rangiert unter Wert auf Platz 36-39. Zwei Jahre Später sprang Moskau als Austragungsort kurzfristig für Saloniki in die Bresche. Teilweise chaotische Bedingungen waren die Folge. Erstmals wurde ohne Hängepartien gespielt. Russland gewann und fast hätte Russland 2 auch eine Medaille geholt. Unter guten organisatorischen Bedingungen, aber unruhigen politischen Zeiten fand die Schacholympiade in Jerewan 1996 statt. Wer gewann: Russland. Deutschland wurde Zehnter. Chaos herrschte auch in Elista 1998: Chess City (Bild), eigens für die Schacholympiade gebaut, war zu Beginn des Turniers nicht fertig. Man improvisierte und rettete das Turnier gerade so. Russland gewann. Das deutsche Team belegte Platz sechs. Die erfolgreichste Schacholympiade der neueren Zeit erlebte die deutsche Mannschaft aber in Istanbul 2000. Lange führten sie das Turnier an und gewann schließlich Silber. Wer wohl Gold holte? Mehr...

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Die Geschichte der Schacholympiade –
Massensportveranstaltung Schacholympiade (1992 – 2000)

Von Frank Große

Manila 1992. Die erste Olympiade nach dem Zusammenfall der Supermacht Sowjetunion und den Umwälzungen der ehemaligen sozialistischen Nationen bescherte viele Debütanten und die Gewissheit, dass „Sowjetische Schachschule“ nicht nur eine leere Hülse ist. Gleich sechs Nationen, die aus den Staaten der ehemaligen UdSSR entstanden sind, landeten in den Top 10, die ersten drei Plätze wurden gar untereinander ausgemacht. Hier zeigten sich die Auswirkungen der jahrelangen Isolationspolitik der ehemaligen Sowjetmacht, bei denen Spieler, die in den Jahren zuvor bei Olympiaden oder anderen internationalen Wettkämpfen teilnahmen, schon Gewinner waren. Russland, das als Nachfolger der ehemaligen Supermacht angesehen wurde, erreichte dennoch den ersten Platz, gefolgt von Usbekistan und Armenien.


(1)    
Willkommensschild zur 30. Schacholympiade in Manila

Überragender Einzelspieler war einmal mehr der damals amtierende Weltmeister Garri Kasparow, der mit 8,5 aus 10 am Spitzenbrett eine Glanzleistung nach der nächsten auf das Brett zauberte. Ergänzt, und damit wurde der Grundstein für das Erreichen der Goldmedaille gelegt, wurde dies durch die herausragenden Leistungen des gerade erst während der Olympiade 17 Jahre alt gewordenen Wladimir Kramnik (8,5 aus 9), der zuvor von Kasparow noch in das Nationalteam überredet wurde. Mit dieser überragenden Leistung sprang er in die Top 25 der Weltrangliste (er wurde 2000 im Match gegen Kasparow Weltmeister) und wurde gleichzeitig zum Internationalen Meister und Internationalen Großmeister ernannt, da er den Wettbewerb noch als FIDE-Meister begann.

Das deutsche Team – angetreten mit Robert Hübner, Eric Lobron, Gerald Hertneck, Vlastimil Hort, Matthias Wahls und Christopher Lutz – kann seinen Erwartungen (Startrangliste Platz 8) nicht gerecht werden und enttäuscht mit einem geteilten 36.-39. Platz.

(2)     Aufgrund einer Augenoperation verspätet angereist, aber dennoch nicht blind agierend: Viktor Kortschnoi, der die Eidgenossen zum geteilten 11. bis 16. Platz führte

Abschlusstabelle Manila 1992 (2)

(3)     Als bei der Eröffnungsfeier die Fahnen aller teilnehmenden Nationen auf die Bühne getragen werden, schwenkt die Fahnenträgerin eine deutsche Flagge mit Hammer und Zirkel. Eine solche Flagge flattert auch vier Tage lang vor dem Phillipine International Convention Center, bevor sie gegen die richtige deutsche Flagge ausgetauscht wird.

Moskau 1994. Eigentlich sollte Saloniki zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit der Ausrichter einer Schacholympiade werden, aber im August 1994 zeichnete sich ab, dass die Stadt zurücktreten wird. Um die Olympiade nicht ausfallen zu lassen, sprang Moskau kurzfristig in die Bresche und hatte eine sehr kurze Vorbereitungszeit, was auch zu teilweise chaotischen organisatorischen Zuständen insbesondere in den ersten Tagen führte. Aber nicht alles konnte auf die zu knappe Organisation zurückgeführt werden, so war es den Besuchern im Schach-Mekka Moskau nicht möglich Zutritt zum Spielsaal zu erlangen, stattdessen durfte man auf zwei Videoleinwänden das Geschehen bestaunen – für die russischen Schachfans sicherlich eine herbe Enttäuschung. Ohne Tadel aber das Abschneiden des ersten Gastgeberteams (Russland stellte zwei Mannschaften, wovon die zweite eine Juniorenauswahl war), dass wieder Gold einheimste. Doch fast wäre es dem Nachwuchsteam (Startranglistenplatz 16) geglückt das Treppchen ganz oben zu betreten. In der vorletzten Runde vergab man das mögliche goldene Edelmetall (2:2 gegen den späteren Silbermedaillengewinner Bosnien & Herzegowina), um in der finalen Runde gegen England (ebenfalls 2:2) auch noch Silber zu verspielen. Das Nachwuchsteam spielte mit Alexander Morosewitsch (17), Wadim Swjaginzew (18), Michail Ulybin (23), Sergej Rublewski (20), Konstantin Sakajew (20) und Wassili Jemelin (18). Einigen dieser Spieler schlug in den Folgejahren eine große Zukunft entgegen.


(4)    
Wesselin Topalow (links) für Bulgarien besiegt Garri Kasparow

Die Teilnehmerrekorde wurden bei den letzten Veranstaltungen immer wieder in die Höhe geschraubt – Moskau erlebte mit 124 Herren- und 81 Frauenteams eine neue Höchstmarke. Ein weiteres Novum stellte die Änderung Bedenkzeit dar, denn die Moskauer Olympiade war die erste ohne Hängepartien. Eine Partie dauerte nunmehr maximal 7 Stunden. Die erste Zeitkontrolle erfolgt nach 40 Zügen und 2 Stunden, die zweite Zeitkontrolle nach weiteren 20 Zügen und einer Stunde. Danach erhielt man 30 Minuten für den Rest der Partie. Zum ersten Mal kamen elektronische Schachuhren zum Einsatz: „Digital Game Timer“, die das genauere Ablesen der Zeitzwischenstände ermöglichten.

Abschlusstabelle Moskau 1994 (2)

 

Jerewan 1996. Wieder einmal kreuzt die Politik die Wege der Schacholympiade. Rollende Panzer säumen und bewaffnete Soldaten säumen den Wegesrand in der kleinen armenischen Hauptstadt. Grund hierfür waren Massendemonstrationen gegen die aktuelle Regierung und die Ergebnisse der Präsidentenwahlen, die gefälscht gewesen sein sollen. Die Spielbedingungen im Gegensatz zu Moskau einer Veranstaltung dieser Größenordnung würdig, an der Tabellenspitze hingegen das immer gleiche Bild: Russland als Nachfolger der Sowjetunion erneut mit Gold, gefolgt von der Ukraine und den USA. Erfreulich aus deutscher Sicht, dass man sich nach langer Durststrecke wieder in die Top 10 kämpfen konnte, wenngleich keine Bäume ausgerissen wurden.

Abschlusstabelle Jerewan 1996 (2)


(5)    
Business as usual: Garry Kasparow umringt auf der Abschlussveranstaltung

Elista 1998. Der 1996 gewählte FIDE-Präsident Kirsan Iljumschow holte zwei Jahre später die Schacholympiade in Steppe nach Kalmücken. Hier drohte aber bis zu letzt ein organisatorisches Debakel, da die Baumaßnahmen von „City Chess“ bis zuletzt andauerten. Von Seiten der russischen Regierung wurden sämtliche Unterstützungszahlungen gestoppt, so dass der Präsident wohl selbst tief in die Tasche gegriffen hat. Dennoch war vor Ort die Stimmung besser als vorab vermuten lies und kulturelles Rahmenprogramm (Eröffnungsfeier im Fußballstadion) hat olympisches Flair aufkommen lassen. Tristesse an der Spitze, aber Deutschland verzeichnete einen Aufwärtstrend und kletterte auf den sechsten Rang. Dies schrieb man auch dem neuen Bundestrainer Uwe Bönsch zu, der das Team damit in der Tabelle zum besten westeuropäischen Team stempelte. Ganz wichtig hierbei war Artur Jussupow, der am Spitzenbrett ungeschlagen blieb (auch schon Jerewan ohne Verlust!) und zusammen mit den soliden Leistungen von Rustem Dautov, Christopher Lutz und Robert Hübner, Christian Gabriel und Neuling Thomas Luther eine geschlossene Mannschaftsleistung abgab.


(6)    
Großbaustelle in Elista: Bis zur letzten Minute wurde das olympische Dorf gebaut

Abschlusstabelle Elista 1998 (2)

 Istanbul 2000. Das Ergebnis der deutschen Mannschaft konnte zum dritten Mal gesteigert werden und man erreichte ein nicht für mögliche gehaltenen zweiten Platz hinter dem Seriensieger Russland und übertraf damit alle Erwartungen (Startranglistenplatz 11). Ein Ergebnis von dem auch die kühnsten Optimisten bei der diesjährigen Olympiade in Dresden nicht zu träumen wagen. Dabei wäre es fast dazu gekommen, dass die Topspieler Jussupow und Hübner nicht angetreten wären, wenn die FIDE auf die annoncierten Dopingproben bestanden hätten – selbige blieben (wahrscheinlich aus Kostengründen) im Reich der Märchen.

(7)     Artur Jussupow, Robert Hübner, Rustam Dautov

Jussupow blieb ungeschlagen und gewann gegen erlesene Gegnerschaft (Leko, Gelfand, Khalifman, van Wely, Iwantschuk, Waganjan, Seirawan, Nikolic, Adams) 3 Partien und legte damit einen Grundstein für den Erfolg des Teams. Doch auch die anderen Mitstreiter der Mannschaft brauchten sich nicht zu verstecken! Allen voran Rustam Dautov, der dem Mannschaftsspiel besonders gut getan und mit zwei Siegen in den Schlussrunden sowohl die Mannschaftspunkte als auch die Silbermedaille sicherte. Robert Hübner mit Aufwärtstrend konnte das zweite Brett mit nur einer Niederlage, dafür aber 3 Siegen positiv abschließen.

(8)     Christopher Lutz, Klaus Bischoff, Thomas Luther

Christopher Lutz mauerte seine Stellungen mit Minus-Bauern erfolgreich zu Ende und rettete damit wichtige halbe Punkte und blieb am Ende ungeschlagen (+2). Ebenso wie Klaus Bischoff, der als Ersatzspieler die schwierige Aufgabe hatte den Schritt der Mannschaft mitzuhalten – schließlich wurden während der kompletten Olympiade vom deutschen Team nur 3 Partien verloren. Thomas Luther fuhr den wichtigen Sieg gegen den Ungarn Lajos Portisch ein und schnitt am Ende solide mit +1 ab.

Damit erreichte das Team das beste Abschneiden seit langem, denn 1978 erreichte man mit einem vierten Platz in Buenos Aires einen Achtungserfolg. Zuvor wurde 1950 und 1964 in Tel Aviv jeweils Bronze geholt. Nicht zu vergessen der Sieg bei der Olympiade 1939! Damals waren die Turniere aber längst nicht so stark besetzt, und es nahmen viel weniger Nationen als heute teil. Waren es 1950, wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, nur 16 Teams, so spielten 1964 in Israel 50 Ländermannschaften. Im Jahre 2000 trafen sich in Istanbul bei den Männern Teilnehmer aus 130 (!) Nationen (bei den Damen 86 teilnehmende Nationen). Traurig aber wahr, der Erfolg bei dieser Olympiade wurde von der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, da die Tagespresse gar nicht und große Zeitungen zumeist nur mit einer Randnotiz vom Ergebnis berichteten.

Abschlusstabelle Istanbul 2000 (2)

Bilderquellen
(1)    
Rochade Europa 07/1992
(2)    
Schach Report 07/1992
(3)    
Raj Tischbierek „Sternstunden des Schachs“
(4)    
Schach 02/1995
(5)    
New In Chess 07/1996
(6)    
Schachwoche 07/1998
(7)    
Rochade Europa 12/2000
(8)    
Rochade Europa 12/2000

Quellenverzeichnis


(1)    
Rochade 12/1980
(2)    
olimpbase.org
Die kompletten Tabellen und Statistiken sind auf dieser Webseite einzusehen und würden aufgrund der großen Teilnehmerzahl den Umfang dieses Artikels sprengen.

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren