Auf der Grundlage des Manifestes "The Bell of Zug"
hat die in Zug ansässige Firma NDF AG einen Friedenspreis ins Leben
gerufen ("Demiurgus Peace International"), der am 12. Oktober 2002 im
Zuger Casino erstmals vergeben wurde. Als Schirmherr und Eröffnungsredner trat
der frühere sowjetische Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Michail
Gorbatschow auf. Vor 500 Gästen (darunter der US-Botschafter Mercer Reynolds
und der frühere israelische Aussenminister Moshe Arens) gehörten zu den sieben
Preisträgern u.a. der Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu
(Südafrika), Prinzessin
Elisabeth von
Jugoslawien (USA), der Schriftsteller und Islam-Professor Maulana
Wahiduddin Khan (Indien) sowie der Jesuit und ehemalige Soziologie-Professor
Michael Windey (Belgien).
Das russische Staatsorchester unter der Leitung von Wladimir Spiwakow spielte
Tschaikowski und Rachmaninow, es gab Champagner und Kaviarhäppchen, und
moderiert wurde die Veranstaltung von den bezaubernden Schönheiten Michelle
Hunziker und Lolita Morena.
Ihre Brisanz erhält die scheinbar beschauliche Veranstaltung dadurch, dass der
Verwaltungsrats-Vorsitzende der Zuger Aktiengesellschaft NDF kein Geringerer als
der mehrmalige Schach-Weltmeister Anatoli Karpow ist und dass die Firma
NDF mit nuklearer Abrüstung und der Atomindustrie zu tun hat: NDF = Nuclear
Disarmament Forum.
Greenpeace protestierte mit der Begründung, die Veranstaltung sei
lediglich eine PR-Aktion der schweizerischen und europäischen
"Nukleokraten". Eine angemeldete Delegation von Stadt und Kanton Zug sagte
kurz vor Beginn der Veranstaltung ihre Teilnahme ab. Was steckt dahinter?
In einem "Briefing Paper" von
Greenpeace International (10. Oktober 2002) wird die "Demiurgus Peace
International"-Initiative der NDF als eine "mysteriöse Organisation" bezeichnet
(Introduction); Informationen über das Nuclear Disarmament Forum (NDF), dessen
Hintermänner und Ratgeber seien nicht gerade leicht zu beschaffen. Das NDF sei
eine relativ neue Organisation und "irgendwann während der letzten zwei Jahre
gegründet" worden (3.4). Es sei zu vermuten, dass die Akteure des NDF Verbindung
zu hochrangigen Politikern sowohl in Russland wie in den USA hätten - "which in
itself is deeply troubling" (3.5.3).
Mehr über die NDF-Gründungsgeschichte ist in der Schweiz bekannt. Der Initiator
und Hauptakteur bei NDF, ein 39-jähriger Russe namens Andrei Bykow, liess sich
bei der Unternehmensgründung vor zwei Jahren in Zug von einem bekannten
"Atomlobbyisten" (Sonntagszeitung)
helfen: Dr. Franz Hoop, damals laut
Greenpeace Brennstoffeinkäufer bei einer Schweizer
Elektrizitätsgesellschaft, die das Atomkraftwerk Leibstadt betreibt, und
Mitglied der Schweizer Brennstoff-Kommission. Zum Jahreswechsel 1998/99 wurden
der Umweltorganisation Greenpeace zwei Dokumente zugespielt, aus denen
hervorging, a) dass die Schweizer Atomindustrie am 17. September 1998 in Zürich
ihre Absicht erklärte,
"Atommüll"
(also abgebrannten Brennstoff) nach Russland zu entsorgen, und b) dass das
russische Atomministerium Minatom in Gesprächen u.a. mit Dr. Hoop
Entsorgungsdienstleistungen nicht nur für die Schweiz, sondern auch für
Deutschland, Spanien, Südkorea, Taiwan und eventuell Japan anbot. Das damals
geltende russische Umweltgesetz verbot den Import von radioaktiven Abfällen,
wurde jedoch inzwischen geändert. Dies beschloss das russische Parlament, die
Duma, am 6.6.2001, und der russische Präsident Wladimir Putin unterzeichnete ein
entsprechendes Gesetzespaket am
11. Juli
2001. Dr. Hoop gehört der Firma NDF mittlerweile nicht mehr an.
Ein weiteres, wie Dr. Hoop im Sommer 2001 ausgeschiedenes NDF-Gründungsmitglied
ist Dieter Delwing, ehemals stellvertretender Zuger Landschreiber. Er sagte
einer Schweizer Zeitung, dass er eine Stiftung in Genf vorgeschlagen habe und
dass
"man"
jedoch die Gründung einer Aktiengesellschaft im steuerlich attraktiven Zug
vorgezogen habe. Er habe das operative Geschäft von NDF "immer weniger
durchschaut". Sollte Dieter Delwing bei seinem Ausscheiden entgangen sein, dass
die gesetzliche Grundlage in Russland für das operative Geschäft zum Teil gerade
erst entstanden war?
Am Namen und am Geschäftszweck der Nuclear Disarmament Forum AG hat sich seit
der Eintragung in das Handelsregister am 18. September 2000 nichts geändert.
Zweck der NDF-Aktivität ist demnach
Schaffung eines internationalen Forums mit Sitz in der Schweiz zur
Förderung der weltweiten nuklearen Abrüstung, insbesondere durch die zivile
Nutzung der spaltbaren waffenfähigen Materialien sowie Beteiligung an
Gesellschaften mit gleicher oder ähnlicher Zielsetzung sowie Beratung und
Verwaltung dieser Gesellschaften; knüpft Kontakte und unterhält Beziehungen zu
den im Bereich der nuklearen Abrüstung zuständigen Behörden sowie zu
Unternehmen und Non Governmental Organizations; kann Wertschriften und
Schutzrechte aller Art sowie Liegenschaften erwerben, verwalten und veräußern.
Der NDF-Vizepräsident und -Geschäftsführer Andrei Bykow (seit dem Herbst 2001
nicht mehr in Moskau, sondern in Zug ansässig) beschrieb in einem vor der
Preisverleihung am 12. Oktober erteilten
Interview seine Aktivität:
Wir arbeiten an zwei Geschäftsmodellen: Einerseits vermitteln wir den
Verkauf von atomaren Brennstoffen an Kernkraftwerke in westeuropäischen
Ländern. Damit verlagern wir das gefährliche Material aus den zahlreichen
militärischen Standorten wie den russischen U-Booten, machen es kommerziell
nutzbar und generieren Gelder, die wir für neue Studien und Programme
investieren. In russischen U-Booten lagern bis dato 220 atomare Sprengköpfe.
Außerdem beginnen wir sehr bald mit der Erarbeitung eines Leasing-Projekts.
Das so genannte "MOX-Leasing" ist umstritten - die Argumente sind der
Fachliteratur zu entnehmen. In seinem Schweizer Interview erwähnte Andrei Bykow
einen Vertrag zwischen allen Kernkraftwerken in Deutschland und Verkäufe an
schwedische Kraftwerke. Tatsächlich wurde am 8. August 2002 bekannt, dass das
Gemeinschaftskraftwerk Neckarwestheim bereits "ohne öffentliches Aufheben"
Brennelemente aus russischer Produktion einsetzt - man wolle aber den Kauf von
Brennstäben aus russischer Produktion "nicht an die große Glocke hängen".
Die Glöckner von Zug wissen sicher auch, dass seit einiger Zeit im Block B des
bayerischen Kernkraftwerks Gundremmingen Brennelemente aus der russischen Stadt
Elektrostal verwendet werden, dass in Obrigheim ein solches Element schon
getestet wurde und dass mittelfristig geplant ist, in den Deal mit einem Volumen
von 800 Millionen Dollar neun Reaktoren aus Deutschland, Schweden und der
Schweiz einzubeziehen.
Anatoli Karpow ist seit Mitte August 2001 Präsident des NDF. Andrei Bykow, der
früher im diplomatischen Dienst in Bonn (bzw. Köln) und Berlin beschäftigt war
und jetzt zum Beraterstab des russischen Präsidenten Putin zählt, kennt Karpow
als langjährigen Vorsitzenden der sowjetischen Friedensstiftung und als
großzügigen Mäzen für wohltätige Zwecke. Aus NDF-Publikationen geht ferner
hervor, dass der NDF-Geschäftsführer das Schachspiel kennt und schätzt.
Mitte August 2001 wurde Anatoli Karpow zugleich auch Präsident der Anfang März
2001 von dem Trio Bykow/Dr.Hoop/Delwing in Zug gegründeten Aktiengesellschaft
EUREPA Suisse SA. Deren Geschäftszweck ist
Aufbau eines internationalen Netzwerks zur Herstellung und Pflege
wirtschaftlicher, politischer und kultureller Beziehungen zwischen Westeuropa
und den GUS-Ländern, insbesondere in den Bereichen Energie und
Versicherungswesen; kann Wertschriften und Schutzrechte aller Art sowie
Liegenschaften erwerben, verwalten und veräußern.
Nach dem Ausscheiden von Dr. Hoop und Delwing und dem Einstieg von Anatoli
Karpow bei NDF und EUREPA wurden drei Schweizer Anwälte in die Vorstände der
beiden Firmen berufen: Alban Brodbeck, Glarus, (den die Schachwelt als Anwalt
Karpows in dessen juristischen Disputen mit dem Weltschachbund FIDE kennen
gelernt hat), Dr. Otto C. Meier-Boeschenstein, Zürich, (der dem europaweiten,
1995 in Köln gegründeten juristischen Netzwerk JCA Juris Consult Alliance
angehört) und der Hobby-Golfer Hans-Rudolf Wild, Zug.
Die juristisch unabhängig voneinander existierenden Firmen NDF und EUREPA haben
nicht nur dieselbe Adresse und sind im Frühsommer 2001 gemeinsam aus der
Gubelstrasse 15 in die Baarerstrasse 8 in Zug umgezogen, sie pflegen auch
geschäftliche Kontakte miteinander. EUREPA Suisse SA beauftragte das Nuclear
Disarmament Forum mit der Aufgabe, eine Studie zu dem Thema "Russisches
Waffenplutonium und die Westoption" zu erstellen.
Grundlage der Studie ist eine im September 2000 zwischen Russland und den USA
getroffene Vereinbarung. Im März 2002 war die NDF-Studie abgeschlossen. Um
Konzept und Realisierung des Projekts hatten sich Anatoli Karpow und Andrei
Bykow (NDF) gekümmert, für das Projektmanagement waren die Experten Bengt
Tveiten (technischer Direktor NDF) und Dr. Wolfgang Kersting (Energy Consulting,
Deutschland) zuständig. Beiträge kamen von Wissenschaftlern aus Russland,
Schweden, Deutschland und den USA, ferner von Firmen wie Atomspetstrans
(Russland), TVEL (Russland), Catey (Schweiz) und von mehreren Firmen aus
Deutschland. Veröffentlicht wurde die umfangreiche Studie im Internet unter der
erst seit Ende September 2002 bestehenden Internet-Adresse:
http://www.dpi-zug.com.
Seit der Fertigstellung der NDF-Studie hat sich etwas
Wichtiges geändert. Bei dem G-8-Gipfel 2001 in Genua konnten sich die
Beteiligten noch nicht auf finanzielle Maßnahmen einigen, doch bei dem
G-8-Gipfel 2002 in dem kanadischen Wintersportort Kananaskis wurde ein
milliardenschweres Programm zur "G-8-Partnerschaft gegen die Verbreitung von
Waffen und Material zur Massenvernichtung" beschlossen. 20 Milliarden Dollar
innerhalb der nächsten zehn Jahre soll zunächst Russland erhalten, um
ausgemusterte Atomwaffen sowie chemische und biologische Kampfstoffe aus
sowjetischer Zeit zu entsorgen. Ausserdem sollen etwa 200 Atomreaktoren aus
U-Booten sicher für die Umwelt entsorgt werden. An dieser Partnerschaft können
sich alle interessierten Staaten beteiligen. Die USA wollen 10 Milliarden Dollar
investieren, Deutschland will sich mit 1,5 Milliarden Euro an dem Projekt in
Russland beteiligen.

In einer im September 2002 veröffentlichten NDF-Dokumentation zum "Demiurgus
Peace International Project" schreibt Anatoli Karpow als NDF-Chairman, President
der Internationalen Assoziation der Friedensstiftungen und als mehrfacher
Schach-Weltmeister einführend, gemäss dem Manifest "Die Glocke von Zug" müsse
das erste Ziel eines Globalen Dialoges darin bestehen, Nuklearwaffen zu
beseitigen und die Produktion von hoch angereichertem Uran und Waffenplutonium
zu stoppen. Mit der NDF-Studie vom Frühjahr 2002 sollte ein Beitrag zur
nuklearen Abrüstung in Russland geleistet werden.
Das Schachspiel spielt bei diesen Überlegungen keine geringe Rolle. Die
Menschheit habe nur noch wenige Züge auf dem Schachbrett zu machen, auf dem sich
die Weltgeschichte abspielt. Bei falschen Zügen besteht die Gefahr nicht einfach
in dem Verlust der Partie, sondern in dem Verschwinden des Schachbretts!
Gerald Schendel / 17.10.2002
Postsriptum:
Die Demiurgus-Friedenspreis-Verleihung in Zug hatte mehrere Facetten. Man kann
die Veranstaltung unter der Rubrik "Party" abhandeln, wie die "Schweizer
Illustrierte" in ihrer neuesten Ausgabe (
http://www.schweizer-illustrierte.ch/Partys.231.0.html ) mit netten Fotos
von Anatoli Karpow, Michail Gorbatschow und Michelle Hunziker. Karpow wird darin
mit der banalen Äusserung zitiert: "Ich fahre in der Schweiz gern Ski und mein
Lieblingskäse ist der Emmentaler.." Eine andere Facette beleuchtet die
Presseerklärung des Armenischen Zentrums für nationale und internationale
Studien ( http://acnis.am/pr/zug.htm ). Auszug:
"RAFFI HOVANNISIAN AT NUCLEAR DISARMAMENT FORUM
Meetings with Gorbachev, Bessmertnykh, Tutu, International Leaders Zug,
Switzerland—Raffi K. Hovannisian, Armenia’s first Minister of Foreign Affairs,
was here over the weekend to take part in a special conference of the Nuclear
Disarmament Forum (NDF). Devoted to the prevention of nuclear proliferation, the
Forum held deliberations on world peace, regional conflicts, and the dangers of
nuclear terrorism. Among officials and specialists from 40 countries,
Hovannisian represented the Armenian perspective at the conclave, its
roundtables and press conferences. During the two-day program, Raffi Hovannisian
held separate meetings with former USSR President Mikhail Gorbachev, former
Soviet Foreign Minister Alexander Bessmertnykh, Nobel Peace Prize winner
Archbishop Desmond Tutu of South Africa, Princess Elizabeth of Yugoslavia,
Russia’s former Chief of Military Intelligence General Fyodor Ladigin, Russian
MP General Anatoliy Kulikov, Sheikh Salem al-Sabah of Kuwait, NDF founder Andrey
Bykov, and NDF chairman and world chess champion Anatoliy Karpov. Hovannisian
also participated in a working meeting, held under the auspices of the World
Council of Former Foreign Ministers, with colleagues from Italy, Jordan, Cyprus,
Malta, Guatemala, Mauritius, Turkey, and Russia."
Gerald Schendel / 18.10.2002