Die neue Lasker-Biografie: Interview mit Michael Negele

von Hartmut Metz
07.11.2018 – 2009 erschien eine prächtige großformatige Lasker-Biografie, inzwischen vergriffen. Derzeit wird an einer dreibändigen erweiterten Neuauflage in englischer Sprache gearbeitet. Band I ist soeben erschienen. Hartmut Metz sprach mit dem Historiker Michael Negele, einem der Herausgeber. | Bild: Dr. Michael Negele und Dr. Richard Forster bei einer Signierstunde in Leverkusen, Fotos: Archiv: Michael Negele

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„Der Meister der 1000 Ressourcen“

Interview mit Michael Negele zum Lasker-Jahr und seinem Dreibänder über den Rekordweltmeister

Das Lasker-Jahr neigt sich dem Ende zu – mit einem letzten Höhepunkt: Ein auf drei Bände konzipiertes Mammutwerk erscheint über den Rekordweltmeister. Einer der maßgeblichen Autoren: Michael Negele, der bereits 2009 eine wegweisende und inzwischen vergriffene Biographie über Emanuel Lasker herausbrachte. Kaum einer weiß daher so viel über den vor 150 Jahren geborenen deutschen Rekordweltmeister wie der Wuppertaler. Der 61-jährige Experte würdigt das Lasker-Jahr, doch bedauert er als fundierter Schach-Historiker, dass andere Heroen wie Adolf Anderssen,  Tassilo von Heydebrand und der Lasa und Richard Teichmann aus verschiedenen Gründen 2018 etwas „untergingen“. Hartmut Metz unterhielt sich unter anderem darüber mit Michael Negele, der ebenso die Lebensleistung von Laskers Erzrivalen Siegbert Tarrasch zu schätzen weiß. Vor allem stand jedoch der englischsprachige Dreibänder zu Emanuel Lasker im Mittelpunkt des Gesprächs.

Frage: Herr Negele, das Lasker-Jahr 2018 neigt sich dem Ende zu: Bewerten Sie es als Erfolg?

Negele: Für mich persönlich gewiss, denn es war zugleich ein gelungener Start in meinen „Ruhestand“ nach über 30 Jahren Tätigkeit als Chemiker in einem selbst im Fußball bekannten Großunternehmen. Dem Deutschen Schachbund gelang es aus meiner Sicht, sein irgendwie „gestörtes“ Verhältnis zum einzigen deutschen Schachweltmeister deutlich zu verbessern. Ob dies zu einer nachhaltigen Aufwertung der Themen „Schachgeschichte und Schachkultur“ führen wird, muss sich allerdings noch zeigen. Schön wäre es, wenn das Lasker-Jahr keine „Eintagsfliege“ gewesen sein sollte. Immerhin gab es Ende März eine Lasker-Konferenz des DSB und das ganze Jahr über Lasker-Rätsel auf der DSB-Webseite. Dazu gesellten sich die zahlreichen Lasker-Tage des Schachs und deren Dokumentation. Auf reges Interesse am ehemaligen Weltmeister stießen auch meine Vorträge, die übers Jahr verteilt deren acht sind.

Frage: Der beim Finale der Deutschen Amateur-Meisterschaft in Leipzig hat den Zuhörern ebenso wie mir sehr gut gefallen. Was hat Sie besonders im Lasker-Jahr erfreut?

Negele: Mit Sicherheit, dass sich meine in 2014 entwickelte „fixe Idee“, im Lasker-Jahr den ersten Band unserer englischsprachigen Trilogie über Emanuel Lasker vorzulegen, zeitgerecht realisieren ließ. Die Beurteilung der Qualität sei nun der internationalen Schachwelt überlassen. Was mir keiner nehmen kann, ist die Erfahrung der hervorragenden Zusammenarbeit in unserem kleinen Team.

Frage: Bevor wir darauf zu sprechen kommen: Ging Ihnen zuweilen auch weniger das Herz auf im Lasker-Jahr?

Negele: Nun, ja, einiges, was ich mir vor mehr als zwei Jahren im Mai 2016 gemeinsam mit der Emanuel Lasker Gesellschaft vorgenommen hatte, stand unter einem etwas unglücklichen Stern. In erster Linie die für den symbolischen Termin 9. November 2018 geplante „Lasker-Feier“ zum Erscheinen unseres Buches, die nicht zustande kam. Auch war es eine Ernüchterung, dass es erneut misslang, den US-amerikanischen Sammler David DeLucia, der den größten Teil des Lasker-Nachlasses besitzt, für eine Zusammenarbeit mit uns zu begeistern. Immerhin stand eine umfängliche Dokumentation seiner Lasker-Schätze zum stolzen Preis von 800 Euro seit 2016 zur Verfügung, das half uns etwas.

Frage: Wird im abschließenden Band Ihrer Lasker-Trilogie dieses Jubiläum eine Rolle spielen?

Negele: Richtig, der dritte Band soll zum 80. Todestag von Emanuel Lasker, also dem 11. Januar 2021 vorliegen, was zugleich der 20. Gründungstag der Emanuel Lasker Gesellschaft ist. Doch vielleicht wird daraus der 22. Februar 2022 – dann bin ich 65, und werde mich voraussichtlich als „Schachhistoriker“ zur Ruhe setzen und beginnen, in Schachturnieren für Senioren mitzuspielen.

Frage: Noch gerade rechtzeitig erscheint Ihr erster Band im Jubiläumsjahr. War es nicht zu schaffen, alle drei Bände zeitgleich vorzulegen? Dem Verkauf hätte es wohl einen kleinen Schub gegeben, weil Lasker besonders im Fokus steht.

Negele: Schon die zeitgerechte Fertigstellung von Band I erschien mir wegen der erforderlichen Übersetzungsleistungen bisweilen als „Mission impossible“. Hier und in der nachfolgenden redaktionellen Bearbeitung liegt das Nadelöhr, somit können die einzelnen Bände nur mit einem Zeitversatz erscheinen. Vor allem, weil für Band II und III einige Beiträge komplett neu zu erstellen sind. Zudem ist es eine Frage der Vorfinanzierung, ein Teil des Ertrags von Band I soll in die Folgebände fließen. Bekanntlich hat sich die Emanuel Lasker Gesellschaft, namentlich Thomas Weischede, mit einem namhaften Betrag an Band I beteiligt. Doch jeder Käufer trägt jetzt dazu bei, dass die Folgebände in der geplanten Abfolge und gleicher Qualität erscheinen können.

Frage: Dann hoffen wir auf große Resonanz. Was bewog Sie überhaupt, solch eine Mammutaufgabe anzugehen? Sie verfassten doch bereits 2009 mit „Emanuel Lasker – Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister“ eine Hommage an den Rekordweltmeister.

Negele: Die Beweggründe, diese Trilogie in englischer Sprache anzugehen, liegen schon im Zustandekommen der Ausgabe von 2009 begründet. Bereits im Herbst 2005 hatten Stefan Hansen, unser damaliger Sponsor, und ich die Möglichkeit einer englischen Übersetzung diskutiert. Als die deutsche Monografie bereits in 2013 vergriffen war, brachte mich Prof. Joachim Rosenthal aus Zürich auf den richtigen Weg: Wenn eine Neuausgabe, dann unbedingt in Englisch. Dazu in einem handlicheren Format als 2009 und somit in drei Bänden. Am Rande bemerkt: Eine deutsche Nachauflage hätte sich finanziell niemals gerechnet.

Frage: Verstehe. Wie viel Jahre Arbeit und Forschung steckt von Ihnen und Richard Forster in dem Mammutwerk?

Negele: Mein Interesse an Emanuel Lasker wurde initial durch die hervorragender Lasker-Konferenz im Januar 2001 in Potsdam und das von Michael Dreyer und Ulrich Sieg herausgegebene Werk „Emanuel Lasker Schach, Philosophie, Wissenschaft“ begründet. Als dann Stefan Hansen 2005 die bereits erwähnte Monografie initiierte, intensivierte sich meine inhaltliche Arbeit. Bedeutende Impulse ergaben sich durch einen Besuch in der Cleveland Public Library im Sommer 2007, wo ich Teile des als „verschollen“ geltenden Lasker-Nachlasses vorfand. Das war ein enormer Motivationsschub.

Doch während ich in die Ausgabe 2009 inhaltlich stark eingebunden war, habe ich jetzt faktisch meinem Freund, dem Schweizer Internationalen Meister Dr. Richard Forster, die Rolle des Chefredakteurs komplett überlassen können. Das war wegen der hervorragenden Sprachkompetenz Forsters unbedingt erforderlich und gab mir die Freiräume, mich intensiv um die Rahmenbedingungen und die Beschaffung von neuem Bildmaterial beziehungsweise weiterer Lasker-Primärdokumente zu kümmern. Dadurch bietet der jetzt vorgelegte Band viele nie veröffentliche Bilder, die ich zum Beispiel in Saint Louis im Archiv der „World Chess Hall of Fame“ und in der Sammlung Lothar Schmid  in Bamberg auffand. Doch auch die Faktenlage konnte durch die gemeinsame Recherche mit Forster und einzelnen Autoren gegenüber 2009 deutlich verbessert werden. Die Lasker-Stunden, die zwischen Herbst 2006 und September 2018 in Wuppertal und Zürich geleistet wurden, lassen sich schwer schätzen, da dürfte locker eine fünfstellige Zahl zusammenkommen.

Emanuel Lasker beim Simultan, ein alternierendes Simultan an 44 Brettern mit Dr. Paul List in Berlin im Mai 1929

Frage: Das ist natürlich ein gewaltiger Aufwand. Leidenschaft für Lasker erweckte einst die Biographie von Jacques Hannak. Die „Biographie eines Schachweltmeisters“ hat nicht nur Thomas Weischede, der Vorsitzende der Lasker-Gesellschaft, als Jugendlicher verschlungen, wie im Vorwort des neuen Werks zu lesen ist. Sie machten sich auch Gedanken dazu. Wie ist – nach all den umfassenden Erkenntnisse heutzutage – in Kürze Ihre Einschätzung des Klassikers?

Negele: Aus meiner Sicht etwas zu Unrecht wurde Hannaks Werk als „Heldenepos“ oder gar als „Witzbuch“ bezeichnet - und das von zwei renommierten deutschen Großmeistern, die sich in ihrer Glanzzeit durchaus in Laskers Nachfolge sehen durften. Natürlich pflegt der Österreicher einen „hyperbolischen“ (Anmerkung: übertriebenen) Schreibstil und zudem hat er sich - den traurigen Umständen der Zeit nach April 1938 bis zur Drucklegung im Jahr 1952 geschuldet - des Öfteren bei der Faktenlage vertan. Doch viel „Anekdotisches“ lässt sich mittlerweile auf „Faktisches“ zurückführen, wobei Hannak intensiv auf die persönlichen Erinnerungen von Martha Lasker zurückgriff. Wenn er daraus Fehlerhaftes übernahm und sogar den Todestag Laskers mit 13. Januar 1941 falsch wiedergibt, kann man ihm nur bedingt einen Vorwurf machen. Aus der ursprünglichen Zusammenarbeit von „John“ Hannak mit der Witwe Laskers und GM Reuben Fine bis Ende 1941 ergibt sich sogar eine „Geschichte hinter den Kulissen“, die ich versucht habe, in meinem Lasker-„Kompass“ darzulegen.

Frage: Die Wettkämpfe mit dem deutschen Widersacher Siegbert Tarrasch nehmen natürlich einen breiten Raum ein. Großmeister Raj Tischbierek beleuchtet das vorzüglich. Wie er ausführt, musste die Schachwelt 16 Jahre auf diese WM 1908 warten. Rein hypothetisch: Welcher der Titanen hätte gewonnen, wenn Tarrasch im Zenit gestanden hätte?

Negele: Hier habe ich einen kompetenten Fachmann „im Rücken“, nämlich Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik, wenn ich behaupte, dass Siegbert Tarrasch mit den Siegen in Monte Carlo 1903 und vor allem Ostende 1907 seine höchste Spielstärke unter Beweis stellte und sich in seiner Spielauffassung Emanuel Lasker als durchaus ebenbürtig erwies. Im Umkehrschluss: Ein Wettkampf Lasker - Tarrasch wäre vor der Jahrhundertwende wohl eindeutig zu Gunsten Laskers verlaufen. Im Jahr 1908 erschien das keineswegs klar, denn außer dem relativen Misserfolg in Cambridge Springs 1904 hatte Lasker nichts „Vorzeigbares“ geleistet außer seinem Wettkampferfolg 1907 über Frank Marshall. Da hatte aber Tarrasch deutlich vorgelegt und den Sieger von Cambridge Springs bereits 1905 „entzaubert“. Die Ursachen für den vom Ergebnis eindeutigen Erfolg Laskers hat - außer dem Weltmeister selbst - 1908 kaum jemand verstanden.
Tischbierek sieht in der psychologischen Ausgangslage und im Matchverlauf starke Parallelen zum Wettkampf des Jahrhunderts 1972 zwischen Spasski und Fischer in Reykjavik. Nach seiner Ansicht war Tarrasch schon vor der ersten Partie „weichgekocht“ durch Laskers Verhandlungsführung. Und der Weltmeister war am Brett „der Meister der 1000 Ressourcen“, wie Capablanca 1916 bemerkte.

Frage: Wer hat mehr zur Popularisierung des königlichen Spiels beigetragen: Der Rekordweltmeister oder der Lehrmeister der Deutschen?

Negele: Eindeutig Tarrasch, der durch seine unermüdliche publizistische Arbeit und auch sein organisatorisches Engagement im Nürnberger Verein und auch im Schachbund viel zur Popularität des Schachspiels im Deutschen Reich bis zum ersten Weltkrieg beitrug.

Frage: Wenn das sogar der Lasker-Biograph meint …

Negele: Als Kosmopolit lebte Lasker erst nach seiner Eheschließung im März 1911 dauerhaft in Berlin bis Anfang der 30er Jahre. Zuvor verstand er sich ab 1891 für fast 20 Jahre eher als Vertreter des britischen oder US-amerikanischer Schachwelt, so wurde er in der deutschen Schachpresse wahrgenommen und entsprechend kritisiert. Dabei spielte Tarraschs „Amateurstatus“ gegenüber dem „Professionsspieler“ Lasker eine bedeutende Rolle. Erst nach Laskers Sieg im New Yorker Turnier 1924 huldigte man den Exweltmeister auch in Deutschland, der sich seinerseits mit der Herausgabe des „Gesunden Menschenverstandes“ und seines „Lehrbuches“ erkenntlich zeigte. Ob aber seine Werke vom „gemeinen“ Schachvolk verstanden wurden, erscheint mir ein noch zu ergründendes Thema. Ab 1928 widmete sich Lasker zunehmend dem Bridgespiel, sein erneutes Comeback im Schach in Zürich 1934 wurde in Nazi-Deutschland weitgehend ignoriert.

Frage: Welches ist Ihr Lieblingsbeitrag in dem neuen Band?

Negele: Oh je, eine „peinliche“ Frage, denn ich habe selbst mit einer biografischen Übersicht beigetragen. Mich begeistert nach wie vor die Arbeit von Wolfgang Kamm und Tomasz Lissowski, die angereichert durch neue Erkenntnisse, jetzt kaum noch etwas offen lässt zur Familiengeschichte der Laskers. Dass hieran Richard Forster einen ganz wesentlichen Anteil hatte, sei an dieser Stelle herausgestellt.

Frage: Abgesehen von den schönsten Partien, die Mihail Marin kommentiert, gefallen mir Abhandlungen wie jene des Zürcher Mathematikers und Fide-Meisters Joachim Rosenthal  besonders – sicher auch, weil ich es bewundernswert finde, dass Lasker keine einseitige Begabung hatte, sondern ebenso als Mathematiker mit dem „Lasker-Noether Theorem“ brillierte.

Negele: Das kann ich gut nachvollziehen, auch hier konnten wir viele in 2009 - und auch in anderen Arbeiten zu diesem Thema - offen gebliebenen Fragen zu Laskers Streben nach einer akademischen Laufbahn aufklären. Zutage trat dabei ein gescheiterter Promotionsanlauf in Heidelberg im Frühjahr 1897. Eine endgültige Einordnung des mathematischen Schaffens Laskers ist wohl erst nach Sichtung seiner zahlreichen Manuskripte möglich, die sich im Besitz von David DeLucia befinden.
Da gibt es unter anderem ein in der Sowjetunion entstandenes Lehrbuch mit dem Titel „Die Architektur der Mathematik“.

Frage: Das ist natürlich bedauerlich mit DeLucia. Dennoch folgen auch so noch weitere Highlights fern des Schachbretts mit den von Lasker erfundenen Spielen und seinen philosophischen Abhandlungen.

Negele: Das Thema „Not Only Chess“ wird in Band II ausführlich erörtert, erfreulicherweise hat hier ein ausgesprochener Fachmann, Dr. Jörg Bewersdorff, mit einem Beitrag über Laskers Mathematik der Spiele eine wesentliche Ergänzung gegenüber der Ausgabe 2009 geliefert. Geographisch liegt der Schwerpunkt dieses Bandes in den Niederlanden, somit ist der Bridge-Experte Robert van de Velde aus Amsterdam willkommener Mitherausgeber neben Richard Forster. Van de Veldes Rolle nimmt in Band III Dr. Tim Hagemann aus Tübingen ein, der sich mit Lasker Philosophie beschäftigen wird. Über „Lasker in Russland“ soll dann der russische Schachhistoriker Sergey Voronkov berichten. Für Band III ist ansonsten noch einiges vage, so soll es einen Beitrag über Laskers Schachdidaktik geben.

Frage: Dann sind wir Schach-Fans diesbezüglich alle gespannt. Im Jubiläumsjahr des Rekordweltmeisters gingen weitere bedeutende Jubiläen unter, fand ich. Vor allem 200 Jahre Adolf Anderssen, der sicher viele Anfänger als Erster mit seinen Opferkaskaden begeisterte. Wie sehen Sie ihn als Schach-Historiker von Rang in der Geschichte?

New York 1893

Negele: Mir wäre es sehr recht gewesen, dass der Deutsche Schachbund auch die Jubiläen von Adolf Anderssen (*1818 in Breslau), Tassilo von Heydebrand und der Lasa (*1818 in Berlin) und Richard Teichmann (*1868 in Lehnitzsch bei Altenburg) stärker herausstellt. Doch man wollte sich auf Lasker konzentrieren, was verständlich, aber auch bedauerlich ist. Adolf Anderssens Erfolge, allen voran der Sieg im ersten internationalen Turnier 1851, haben beträchtlich zum Entstehen einer organisierten Schachbewegung in Deutschland beigetragen. Letztlich war die Leipziger Anderssen-Feier 1877 der Auslöser zur Gründung des Deutschen Schachbundes. Doch der Mathematiklehrer aus Breslau hatte als Persönlichkeit wenig „Strahlwirkung“ und war ausgesprochen „schreibfaul“ – daher gibt es wenig schachhistorisch relevante Hinterlassenschaft von ihm.

Frage: Noch weniger im Fokus stand Tassilo von Heydebrand und der Lasa, der ebenso wie Anderssen 1818 geboren wurde. Als erster bedeutender Schach-Historiker und Autor des „Das Handbuch des Schachspiels“ muss er Ihnen noch mehr am Herzen liegen als Anderssen.

Negele: Mein „Bekenntnis“ zur Bedeutung von Tassilo von Heydebrand und der Lasa habe ich bereits in einem Beitrag für die DSB-Webseite und im Magazin „KARL 1/2018“ herausgearbeitet. Seine Leistung in Bezug auf die „Geschichte und Literatur des Schachspiels“ ist aus meiner Sicht unübertroffen. Zu unserem Glück ist der größte Teil seiner Sammlung in der Biblioteka Kornicka im Schloss Kórnik bei Pozńan in Polen erhalten geblieben. Darunter auch seine umfangreiche Korrespondenz mit nahezu allen Schachgrößen seiner Zeit. Hätte von der Lasa das internationale Turnier zu Trier im Jahr 1844 organisieren und gewinnen können, würde man auch seinen Rang als Schachmeister hochschätzen. Hingegen erscheinen mir die wenigen Belege seines praktischen Spiels etwas überbewertet, da er der analytischen Beurteilung der Eröffnungen mehr Gewicht zumaß als dem Partieresultat. Wer sich den ersten Ausgaben des Bilguers widmet, erkennt die grandiose Leistung des preußischen Diplomaten für die Entwicklung der Eröffnungstheorie, aber auch eines einheitlichen Regelwerkes.

Frage: Um den Reigen der „Untergegangenen“ abzuschließen: „Richard der Fünfte“, der häufig fünftplatzierte Richard Teichmann – immerhin Sieger 1911 in Karlsbad – wurde vor 150 Jahren geboren.

Negele: Ernst Richard Teichmann gehört mit Sicherheit zu den „Zukurzgekommenen“ der schönen und zugleich grausamen Welt des Schachs. Der hochbegabte Sohn eines „Hausgenossen“ (also Knechtes) aus dem damals sächsischen Altenburg - Primus Omnium des Jahrganges 1889 am dortigen Friedrichs-Gymnasium - „vergeudete“ sein enormes Talent an die Göttin Caissa. Mitte 1891 brach er sein Sprachenstudium in Jena ab und folgte dann Lasker in die Fünf-Millionen-Stadt London, damals das „Mekka“ der Berufs-Schachspieler. Doch anders als dem ein Tag jüngeren Lasker fehlte es dem eher behäbigen Teichmann an Ehrgeiz und Durchsetzungswillen. Einzig in Karlsbad 1911 konnte er sich vor fast der gesamten damaligen Weltelite (ausgenommen Lasker und Capablanca) platzieren. Ansonsten war er stets mit einem mittleren Preisrang zufrieden, daher der Spitzname. Teichmanns Schicksal im und nach dem Ersten Weltkrieg stimmt eher traurig, er starb arm und verbittert mit nur 56 Jahren in Berlin.

Frage: Zurück zur Lasker-Gesellschaft: Sie engagiert sich segensreich nicht nur im kleinen Zirkel der Schachspieler. Fürchten Sie, dass sie nun nach dem großen Jubiläum an Fahrt und Engagement verliert?

Negele: Ein Kulturverein wie die Emanuel Lasker Gesellschaft hat es sehr schwer, sich in der Schachszene in Deutschland vernünftig zu positionieren. Nach einem äußerst gelungenen Start in 2001 waren schon bei Drucklegung der Monografie 2009 gewisse „Verschleißerscheinungen“ zu erkennen. Das mehr oder weniger erzwungene Ausweichen auf die Organisation von „Lasker-Masters“, eher lokale Schach-Events, zeigt die Problematik auf: Im Schach zu wenig Interesse, außerhalb zu wenig Bedarf. Ob das Lasker-Jahr 2018 ein Umdenken bewirkt, muss sich noch zeigen. Eigentlich bin ich ja ein hoffnungsloser Optimist, doch …

Frage: In einem Vorwort des neuen Bands erzählt Stefan Hansen, der die erste Lasker-Biographie von Ihnen anno 2009 sponserte, dass er einst der Meinung war, dass über Lasker auch eine umfangreiche Biographie entstehen müsse, wenn Richard Forster bei „Amos Burn“ auf 972 Seiten kommt. Mit 1080 Seiten pulverisierten Sie bereits die Seitenzahl vor neun Jahren. Nehmen wir nun die 450 Seiten von Band I als Maßstab, sollten die drei Werke ja noch weit umfassender werden. Ihre Prognose?

Negele: Derzeit sind die drei Bände einheitlich auf je XIV plus 450 Seiten geplant, also insgesamt 1392 Seiten. Diese Kalkulation erlaubt bei dem gewählten Format von rund 17x24 Zentimetern und der Papierqualität, das Versandgewicht unter einem Kilogramm zu halten. Ein wesentlicher Aspekt für den Verlag, vor allem für ein englischsprachiges Werk, dessen Markt in erster Linie außerhalb Deutschlands zu sehen ist.

Frage: So weit wird hier also schon gedacht. Wie zu sehen ist, hat der Exzelsior Verlag von Tischbierek ansonsten keine Mühen gescheut: Der Band ist aufwändig gebunden und überzeugt optisch. Mir gefallen selbst Satz und Layout, die historisches Flair verströmen. Sehr gefällig sind ebenso die vielen alten Fotos.

Negele: Ich denke auch, die reichhaltige, auf hohem Qualitätsniveau dargebotene Bebilderung wird jeden Schachfreund beeindrucken. Mich erstaunt, was unser Buchgestalter Ulrich Dirr (Art&Satz, München) da aus mancher schlechten Vorlage herausgeholt hat. Überhaupt hat Uli, der schon die Monografie 2009 sehr ansprechend gestaltete, nochmals „nachgelegt“. Allein die Auswahl des Schriftfonts Plantin von 1913 - einem Vorläufer von Times New Roman - zeugt von seinem Bestreben, das Buch dem Lasker'schen Zeitgeist entsprechend zu gestalten. Nun bin ich etwas gespannt auf die Resonanz, denn die Art der Gestaltung ist für ein Schachbuch gewiss ungewöhnlich. Bewusst wurde eine optimale Zeilenlänge angestrebt, die das Auge beim Lesen nicht ermüdet. So sollte der reichlich angebotene Weißraum keinen Eindruck von „Bleiwüsten“ aufkommen lassen. Mancher Fan von Arial-Fonts, womöglich zweispaltig mit Blocksatz, wird uns Platzvergeudung unterstellen …

Frage: Die Erstellung wird nicht preiswert gewesen sein. Kann sich die Trilogie finanziell amortisieren oder bleibt es eine historisch wertvolle Liebhaberei von Ihnen, Tischbierek und Forster?

Negele: Jedem Kenner der Szene ist klar, dass solch ein Projekt eine „Herzensangelegenheit“ ist, fern jeder Lukrativität für die Autoren, die Herausgeber und den Verlag. Einzig die Fachhändler dürften sich freuen, ihr Weihnachtsgeschäft 2018 mit dieser Neuerscheinung zu beleben. Wenn unser Konzept aufgeht, trägt Band I den Folgeband und so weiter. Somit wird erst Band III zeigen, ob ausschließlich für die Ehre gearbeitet wurde.


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Hartmut Metz ist Redakteur bei den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) mit Hauptsitz in Karlsruhe. Er schreibt außerdem unter anderem für die taz, die Frankfurter Rundschau und den Münchner Merkur über Schach und Tischtennis. Zudem verfasst der FM und Deutsche Ü50-Seniorenmeister 2023 von der Rochade Kuppenheim regelmäßig Beiträge für das Schach-Magazin 64, Schach-Aktiv (Österreich) und Chessbase.de.

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