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Das Kaffeehaus ist die Wiege der europäischen Schachklubkultur. Viele Klubs wurden einst in Kaffees gegründet und die meisten blieben dort auch. Zumindest eine lange Zeit. Das Wiener Kaffeehaus lieferte wohl den Archetypus gepflegter Atmosphäre bei einer Tasse Kaffee, geistigen Gesprächen und ein paar Partien Schach. Man kann Schach auch schön um die Wette spielen, den Besitz von Geld dabei wechseln und sich bei der Analyse in hitzigen Rechthabereien um den besten Zug ergehen. Neben Billard und Dart ist es wohl der einzige Sport (doch, doch), bei dem man keinen Sportplatz braucht, nichts kaputt macht und kein Lebewesen zu Schaden kommen.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde das Schach aber doch mehr und mehr aus seiner Heimat, den Kaffeehäusern vertrieben, verschwand ein wenig im Privaten, in den Mitglieder-Klubs und wurde damit aber auch unsichtbarer.
In Wien, der einstigen Hochburg des Spiels und der Kaffeehauskultur, ist das Schach aber dabei, sich den öffentlichen Raum wieder zurückzuerobern. Dafür sorgt witzigerweise eine Frau - Kineke Mulder. Und sie stammt aus den Niederlanden, aus Groningen. Auch eine Schachhochburg. Das passt, denn in den Hochzeiten der Wiener Schachkultur war es hier auch sehr international.
Die Idee entstand 2015/16. Zu dieser Zeit waren viele Menschen in Europa unterwegs, waren aus ihrer Heimat geflüchtet und suchten eine Bleibe. Viele waren in Wien gestrandet, wussten nicht wohin und saßen buchstäblich auf der Straße. Kineke Mulder sah dies und kam auf die Idee, ihnen mit Schach wenigstens eine Beschäftigung zu geben. Schach ist leicht zu lernen und verbindet. Selbst wenn die Menschen keine gemeinsame Sprache sprechen, können sie doch schnell eine Partie Schach miteinander spielen. "Beim Spielen sind wir alle gleich", lautet Kineke Mulders Motto.
Bald fand Kineke Mulder Unterstützer und das Projekt wurde immer umfangreicher. Auf den Plätzen und in den Straßen in Wien wird nun regelmäßig Schach gespielt, bei Straßenfesten oder einfach so. Aber nicht nur dort.
Auch in der Wiener Hauptbücherei herrscht nun regelmäßig Kaffeehausatmosphäre - einmal im Monat gibt es hier ein Schachturnier.
In der Wiener Hauptbücherei
Und im Altwarenmarkt 48-Tandler wird nun ebenfalls Schach gespielt. Zum Blitzturnier kam sogar fast das ganze österreichische Frauen-Nationalteam von 1996, nämlich WIM Helene Mira, WFM Jutta Borek und WFM Maria Horvath.
Das Dreigestirn
Beim Simultan war auch ÖSB Präsident LAbg. Christian Hursky mit dabei. In diesem Jahr feiert der ÖSB übrigens seinen 100sten Geburtstag.
Und selbst die letzte Bastion ist inzwischen wieder gefallen - die Kaffeehäuser. Noch nicht alle, doch es entwickelt sich.
Schachcafé
Zum Beispiel mit dem "Chess Unlimited Krampusturnier" in Café Ritter, mit dem geselligen Dieter Chmelar (Journalist, Fernsehmoderator, Kabarettist), Nikolo und Alma Zadic (Justizministerin, Grüne).
Prominenz beim Krampusturnier
Und ein volles Haus
Umlagerte Bretter
Mit Kineke Mulder und ihren Freundinnen ist das Schach in Wien aber auch weiblicher, und damit geselliger geworden. In Wien gibt es ja sogar einen Frauenschachclub, schon seit ein paar Jahren. Für alle Frauen, die mit Schach anfangen wollen, sich aber noch nicht recht an die richtigen Figuren rantrauen, hat Mitstreiterin Eva Husar einen Tipp von Frau zu Frau: Schach kann man sich auch erst einmal häkeln.
Fotos: Little hussar chrochet, P.s: Alle Werkstoffe sind recycled. Der besondere Pfiff: Das Brett ist gleichzeitig die Tasche für die Figuren
Als gelernte Werbegrafikerin ist Kineke Mulder übrigens auch in der Lage zu zeigen, was sie und ihre Schachfreunde alles auf die Beine stellen und veröffentlichte kürzlich eine Broschüre mit den Schach-Ereignissen im letzten Jahr. Davon gab es reichlich.
Inzwischen haben die Schachspalten, z.B. Ruf & Ehn im Standard, Kenntnis von der neuen Wiener Schachkultur erlangt und ihrer Freude in einigen Beiträgen Ausdruck gegeben.
Ein Video über die neue Schachbewegung gibt es auch: