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"...Alle Schachverbände und jeder Schachspieler wird von dieser Führung profitieren, die Selbstvertrauen und Expertise genug hat, um Schach endlich zu einer modernen Sportart zu machen."
Wer die diesjährigen FIDE-Wahlen verfolgt hat, könnte denken, dies sei ein Zitat von Arkady Dvorkovich, der am vergangenen Mittwoch mit einem Wahlergebnis von 103 zu 78 zum neuen FIDE-Präsidenten gewählt wurde. Aber tatsächlich stammt dieses Zitat von Garry Kasparov, der damit in einem Brief an FIDE-Delegierte Bessel Kok unterstützen wollte, der 2006 einen Anlauf unternommen hatte, um Kirsan Ilyumzhinov abzulösen, der damals erst ein Jahrzehnt FIDE-Präsident gewesen war.
Viele von Dvorkovich' Erklärungen und Versprechungen, die FIDE zu professionalisieren, kommt denjenigen vermutlich bekannt vor, die vor vier Jahren in Tromso Kasparovs Kandidatur für das Amt des Präsidenten unterstützt haben. Stünden die beiden nicht in ganz anderen politischen Lagern - was allerdings nur wenig mit Schach zu tun hat - dann könnte man meinen, Kasparov würde ähnliche Haltungen vertreten. Aber allein die Tatsache, dass Dvorkovich Vizepremierminister unter Putin war und immer noch enge Verbindungen zu ihm unterhält und vom Kreml unterstützt wird, macht diesen Gedanken unvorstellbar.
Dvorkovich gelang, was Kasparov nicht gelungen ist: er konnte eine Mehrheit der Abgeordneten davon überzeugen, dass er als FIDE-Präsident bessere Arbeit leisten würde als Georgios Makropoulos, der seit 1990 ein wichtiger Bestandteil der FIDE-Führung ist. In einem Wahlkampf, der manchmal schmutzig war — und in dem die Mannschaft von Makropoulos der Gegenseite Bestechlicheit vorgeworfen hat und die Seite von Dvorkovich mit Verleumdungsklagen gedroht hat — gelang es Dvorkovich, sich aus dem hitzigen Streit herauszuhalten und in den Tagen vor der Abstimmung und auch in seiner abschließenden 15-minütigen Rede vor der Generalversammlung den richtigen Ton zu treffen.
Die Atmosphäre der Generalversammlung mit kurzen Interviews nach der Abstimmung | Batumi Chess Olympiad 2018 auf YouTube
Die drei Kandidaten zogen Nummern, um die Reihenfolge festzulegen, in der sie sprechen würden. Dvorkovich zog die Nummer eins, was, wie die Internationale Schiedsrichterin Carol Jarecki, die die Wahlen beaufsichtigte, feststellte, "nicht immer ein Vorteil ist". Nigel Short zog die Nummer zwei und Makropoulos durfte als Letzter sprechen. 2014, als Ilyumzhinov die Ziele seiner Bewerbung im Anschluss an Kasparov darlegen sollte, nutzte er die Gelegenheit, den Ausführungen seines Rivalen äußerst wirkungsvoll zu widersprechen. Aber das sollte sich in Batumi nicht wiederholen.
"Ich habe eine klare Botschaft für die Schachgemeinde in der ganzen Welt: Gens una sumus," begann Dvorkovich, "das ist unser offizielles Motto und ein Gefühl, das aus meinem Herzen kommt." Eine solche Behauptung kann sehr leicht zum Bumerang werden, aber Dvorkovich konnte sie überzeugend präsentieren.
Tatsächlich verdankt Dvorkovich seinen Erfolg dem Umstand, dass es ihm erfolgreich gelungen ist, für Einigkeit und Versöhnung zu plädieren, ganz anders als Makropoulas, dessen trotziger, manchmal weinerlicher Ton verzweifelt wirkte.
Unterstützt von einer hübschen Folienpräsentation, die im ganzen Saal zu sehen war — Dvorkovich war der einzige der drei Kandidaten, der seine Rede auf diese Weise visuell untermauerte — schlug Dvorkovich Reformen der FIDE-Regularienvor, zum Beispiel das Abschaffen von Stellvertreterwahlen und die Begrenzung von Amtszeiten, deren Fehlen Ilyumzhinov 23 Jahre lang an der Macht gehalten hatte.
Dvorkovich verpflichtete sich auch, von allen anderen Ämtern zurückzutreten, die zu einem Interessenkonflikt führen könnten. Er ging auch kurz auf mögliche Bedenken einiger Delegierter ein und verneinte jedwede Einflussnahme durch die russische Regierung.
"Viel Macht bedeutet auch viel Verantwortung," fuhr Dvorkovich fort und paraphrasierte damit entweder Voltaire oder Spiderman (je nachdem, in welchem Jahrhundert man geboren wurde).
Er erklärte, er würde "der gesamten Schachfamilie Wohlstand bringen..., indem er FIDE in eine professionelle, effiziente und transparente Institution verwandeln würde".
Er bekam Applaus für sein Versprechen "Gebühren abzuschaffen oder zu reduzieren," die die Verbände für Dienstleistungen zahlen müssen, und versprach $3 Millionen USD, die im Laufe von vier Jahren in Entwicklung investiert werden sollten. Dazu kommt noch ein jährliches FIDE-Budget von insgesamt $5 Millionen für die Zeit seiner Präsidentschaft. Geld, das seinen Angaben zufolge, durch die Unterstützung von "führenden multinationalen Unternehmen" aufgebracht würde.
Er bezeichnete die Förderung des Schulschachs das "mit Abstand wichtigste Projekt, das die FIDE fördern sollte," und kritisierte den letzten WM-Kampf in New York, der über ein Budget von beinahe $6 Millionen verfügt hatte, aber doch nur einen minimalen Preisfonds aufbringen konnte.
Er beendete seine Rede mit dem Aufruf: "Let's just do it". Die Rede dauerte genau 15 Minuten und wurde mit anhaltendem Applaus begrüßt.
Danach war Nigel Short an der Reihe und er begann mit einem Scherz:
"Meine Damen und Herren, wenn ich zum Präsidenten gewählt werde, dann werde ich heute nicht $20 Millionen auf das Konto der FIDE überweisen, sondern $40 Millionen gestern." Das war sowohl ein Angriff gegen übertriebene Wahlkampfversprechen im Allgemeinen, aber auch ein gezielte Spitze gegen Kirsan Ilyumzhinov, der während seiner Rede vor der Generalversammlung vor vier Jahren ohne erkennbare Ironie "$20 Millionen noch heute" versprochen hatte, etwas, das Makropoulos — der damals neben ihm gestanden hatte — noch am gleichen Tag als "Unsinn" zugegeben hatte.
Warum fördern Mark Zuckerberg und Bill Gates das Schach nicht, fragte Short. "Die FIDE, wie sie im Moment regiert wird, ist beinahe das genaue Gegenteil von dem, was eine erfolgreiche Sportorganisation sein sollte."
Nachdem er dargelegt hatte, welche Probleme der Finanzierung die FIDE unter Makropoulos hatte - ein zentrales Thema seiner Wahlkampagne - endete er mit abschließenden und persönlichen Anklage der FIDE unter Makropoulos: "Mehr noch als Inkompetenz und fehlender Transparenz...geht es um die offene Kultur des Einschüchterns. Bei dieser Führung gilt 'gens una sumus' nur für diejenigen, die die Führung gewählt haben. Alle anderen bekommen einen reingewürgt. Diese kleinliche Rachsucht muss aufhören."
Short verkündete seine Liebe zum Schach und verwies darauf, dass er auf allen sechs Kontinenten Turniere gewonnen und 120 Länder besucht hätte, um ergänzend hinzuzufügen, er sei "mehr als einmal der erste Großmeister gewesen, der das Land besucht hätte."
Dann ließ er eine Bombe platzen; nachdem er die Mitglieder seines Teams vorgestellt hatte, erklärte er seinen Rückzug von der Wahl und seine Unterstützung für Dvorkovich. Das löste Beifall im Saal aus. Er beendete seine Rede mit den Worten: "Wir wissen alle, dass die FIDE sich ändern muss und heute wird sich die FIDE endlich ändern."
Makropoulos begann seine Rede mit einer Kritik an Shorts Unterstellungen und ging dann zu den Ausführungen über, die er vorbereitet hatte. Er betonte seine Erfahrung und pries die Vorzüge der "Stabilität" — ein Wort, das in seiner Rede mehrfach wiederholt wurde — bis er schließlich seine Erfolge in der FIDE aufzählte, angefangen davon, die Macht des Präsidenten einzuschränken, bis hin zu einer Änderung der FIDE-Statuten, damit die Wahl der Vizepräsidenten ein stärkeres geographisches Gleichgewicht aufweisen würde und die Machtstrukturen dezentraler und demokratischer wären. Er verwies auf die Verbesserungen im System der Unterstützung von Aufwandsentschädigungen, das es Delegierten leichter machen würde, an Generalversammlungen teilzunehmen. Er verwies auf die Einführung von Elo-Zahlen für Blitz- und Schnellturniere, die Partnerschaft mit DGT und zählte eine Reihe von Turnieren auf, die im Laufe der Jahre mit seiner Hilfe organisiert wurden.
Das Ende einer Ära | Fotos: batumi2018.fide.com
"Warum erzähle ich all das?," fuhr Makropoulos fort. "Weil ich jemand bin, dem Schach im Blut liegt und der sein Leben lang dafür gearbeitet hat, es zu fördern... Ich bin der einzige der drei Kandidaten, der wirklich weiß, was FIDE und die Landesverbände brauchen." Auf viele Delegierte muss dies herablassend gewirkt haben. Ich habe Zeit mit den Kandidaten und Abgeordneten des Afrikanischen Schachverbands verbracht, und sie alle legten Wert auf Autarkie und mehr Verantwortung für ihr eigenes Schachschicksal.
Makropoulos zeigte sich einmal mehr bestürzt über Berichte, dass russische Diplomaten Kontakt zu Schachverbänden aufgenommen hatten oder über Sportministerien Druck ausgeübt hätten, um die Kandidatur von Dvorkovich zu unterstützen, und meinte, er wäre "traurig" berichten zu müssen, dass manche Abgeordnete Angst hätten, ihre Stimmabgabe würde heimlich aufgezeichnet werden. Das veranlasste zwei oder drei Mitglieder des Publikums zu Buhrufen und Ausrufen von "Schande", allerdings saß mindestens einer der Zwischenrufer in meiner Nähe und war offensichtlich kein Delegierter und hatte zuvor Dvorkovich lauthals unterstützt.
Makropoulos sprach sich für eine unabhängige FIDE aus, bei der alle berücksichtigt würden. "Wir sollten die Vorstellung einer FIDE aufgeben, die durch Geld kontrolliert wird." Er plädierte für die Förderung von Zielen guter Führung, darunter die Begrenzung von Amtszeiten, und verwies dabei darauf, dass die derzeitige Führung genau das von sich auf die Tagesordnung der Generalversammlung gesetzt hatte. "Wir versprechen nicht, die FIDE zu ändern, wir ändern die FIDE bereits. Das ist der Hauptunterschied."
Dies ist tatsächlich eine kraftvolle Aussage, aber eine Aussage, die im Laufe des Wahlkampfs nicht effektiv zur Geltung kam. Um überzeugend zu wirken, wäre ein aggressiveres Beharren auf Transparenz notwendig gewesen, inklusive der Anerkennung der Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, und der Dinge, die man daraus gelernt hat. Anhänger von Makropoulos haben sich im Laufe des gesamten Wahlkampfs mehr auf Russland konzentriert — und vielleicht zu sehr — und haben es versäumt, darzulegen, dass eine Präsidentschaft von Makropoulos tatsächlich einen Bruch mit der Ära Ilyumzhinov bedeuten würde. Im Verlauf des Tages hatten Delegierte Makropoulos gefragt, warum er nicht früher und energischer versucht hätte, Ilyumzhinov seines Amtes zu entheben, doch auf diese Frage blieb Makropoulos eine überzeugende Antwort schuldig und meinte nur, "wir hätten versucht, ihn davon zu überzeugen, zurückzutreten". Und selbst wenn man glaubt, dass Ilyumzhinov die Wurzel allen Übels in der FIDE war, so weiß Makropoulos doch, wenn man so will, wo die Leichen begraben sind. Vielleicht ist es nicht zu spät, sie auszugraben und es zu einem Tag der Abrechnung kommen zu lassen.
Zum Abschluss seiner Rede betonte Makropoulos noch einmal, wie wichtig die Unabhängigkeit von Nationalregierungen für die FIDE sei, und lobte Delegierte, die Druck, der auf sie ausgeübt worden sei, widerstanden hätten, wobei er Goran Urosevic, den Whistleblower im Fall des serbischen Verbandspräsidenten namentlich erwähnte. "Die neue FIDE wird alle schützen", erklärte Makropoulos, "und den nächsten Tag mit einer neuen Zielrichtung beginnen." Er erhielt eine gesunde Dosis Applaus, aber wer das Geschehen verfolgte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Dvorkovich die überzeugendere Botschaft hatte und Favorit war, als die Delegierten zur Abstimmung schritten.
Manche Stimmen wurden mit Hilfe von Karten angezeigt, aber Präsidentenwahl war geheim | Fotos: batumi2018.fide.com
Die Unterstützung durch Short könnte Dvorkovich tatsächlich über die 50%-Marke gehoben und einen zweiten Wahlgang vermieden haben, in dem eine einfache Mehrheit ausgereicht hätte. Auf meine Frage, wann er sich zur Unterstützung von Dvorkovich entschieden hätte, antwortete Short, er hätte sich dazu erst am Vormittag der Abstimmung, nach einem Treffen mit Mitgliedern seiner Wahlliste, entschieden:
"Selbst zu Beginn des Treffens hatte ich noch keine Entscheidung getroffen. Tatsächlich hatte ich eine schlaflose Nacht hinter mir... Ich bin um fünf Uhr morgens aufgewacht und habe darüber nachgedacht — beim Frühstück neigte ich dann zu dieser Variante. Etliche Leute mit einer Reihe von Ideen haben sich an der Diskussion beteiligt und wir haben die unterschiedlichen Optionen erörtert."
Am Dienstag, dem zweiten Tag der Generalversammlung, wurde Short durch Dvorkovich zum Vize-Präsidenten ernannt. Zwei Vize-Präsidenten wurden bereits früher ernnannt: Gulkiz Tulay aus der Türkei und Junan Yang aus China. Lukasz Turlej, Shorts Wahlkampfmanager, wurde ebenfalls zum Vize-Präsident ernannt.
"Es wäre naiv zu glauben, ich würde für meine Unterstützung leer ausgehen. Durch mich hat er einen sehr starken Trumpf gehabt", verriet mir Short vor Bekanntgabe der Wahlergebnisses am Mittwoch.
Zu den Vize-Präsidenten, die nominiert und gewählt wurden, gehören Anastasia Sorokina (Weißrussland), Michael Khordarkovsky (USA) — ein Kasparov-Vertrauter und Vorsitzender der Kasparov Chess Foundation, der bereits 2014 als Vize-Präsident kandidiert hatte, aber nicht gewählt worden war —, Martha Fierro Baquero (Ekuador), Olalekan Adeyami (Nigeria) und Akaki Iashvili (Georgien).
Dvorkovich bei seiner Rede nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses | Fotos: batumi2018.fide.com
Bei seiner Ansprache betonte Dvorkovich erneut den Wert der Zusammenarbeit.
"Wir sind eine Familie und wir werden zusammenarbeiten... Ich möchte Ihnen versichern, dass die FIDE jetzt meine wichtigste Aufgabe ist, und dass wir sie mit dem gesamten Team angehen werden... wir werden transparent und, hoffentlich, effizient sein."
Great day for chess! Overjoyed. Finally an opportunity to reshape chess. The evil empire has ended, but much work is to be done. #cleanhands4fide
— Nigel Short (@nigelshortchess) October 3, 2018
Disappointing election result yesterday @fide_chess but wish #FIDE well. I am very proud of @ecfchess President, CEO and Board for unanimously taking moral and ethical stand in the present climate #FIDE #BatumiChess2018
— Malcolm Pein (@TelegraphChess) October 4, 2018
Makropoulos' relatively new Twitter account has remained silent
I would like to thank everyone who joined us at the presentation and reception from our great team! https://t.co/Z9m1uXSkTB
— Arkady Dvorkovich (@advorkovich) October 2, 2018
Dvorkovich on October 2nd — he has yet to make his first tweet as FIDE President